Urteil des OLG Brandenburg vom 14.11.2007
OLG Brandenburg: ausschreibung, subjektives recht, rechtsschutz, verfügung, unternehmen, ingenieurbüro, form, nummer, auftragsvergabe, rechtswidrigkeit
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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht
13. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
13 W 79/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 280 Abs 1 BGB, § 311 Abs 2
BGB, § 823 BGB, Art 3 Abs 1 GG,
§ 26 VOB A
Vergabenachprüfungsverfahren unterhalb der Schwellenwerte:
Möglichkeit einstweiligen Rechtsschutzes; Darlegungs- und
Beweislast des Bieters; Bindungswirkung der Entscheidung für
den nachfolgenden Schadenersatzprozess
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer
des Landgerichts Potsdam vom 14.11.2007 - Az.: 2 O 412/07 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.
Gründe
Die zulässige, sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg; sie ist unbegründet.
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig, insbesondere ist
vorliegend der Zivilrechtsweg gegeben.
2. In der Sache hat der Antrag jedoch keinen Erfolg; er ist unbegründet. Mit der
angefochtenen Entscheidung hat das Landgericht im Ergebnis zu Recht den Antrag der
Antragstellerin zurückgewiesen, der auf Aussetzung des Ausschreibungsverfahrens aus
der Bekanntmachungs-Nr. 86938 des Ausschreibungsblattes des Landes Brandenburg
vom 29. Oktober 2007 bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens gerichtet ist.
2.1. Mit zutreffender Begründung hat das Landgericht zunächst ausgeführt, dass sich
das auf Primärrechtsschutz gerichtete Begehren der Antragstellerin in dem vorliegenden
Verfahren über die Vergabe eines öffentlichen Auftrages mit einer Auftragssumme
unterhalb des Schwellenwertes nicht aus den Bestimmungen der §§ 97 ff. GWB ergibt,
weil der Gesetzgeber die dort enthaltenen Regelungen ausdrücklich auf Verfahren
oberhalb des Schwellenwertes beschränkt hat (§ 100 Abs. 1 GWB) und diese
Bestimmungen auch nicht entsprechend auf Verfahren unterhalb des Schwellenwertes
anwendbar sind.
Die in der Rechtsordnung dem übergangenen Bieter eingeräumten Möglichkeiten des
Rechtsschutzes gegen Entscheidungen über die Vergabe öffentlicher Aufträge mit
Auftragssummen unterhalb der Schwellenwerte genügen den Anforderungen des
Justizgewährungsanspruches (Art. 20 III GG). Es verletzt nicht den Gleichheitssatz (Art. 3
I GG), dass der Gesetzgeber den Rechtsschutz gegen Vergabeentscheidungen unterhalb
der Schwellenwerte anders gestaltet hat als den gegen Vergabeentscheidungen, die die
Schwellenwerte übersteigen. Die in der Rechtsordnung vorgesehenen Möglichkeiten des
Rechtsschutzes genügen rechtsstaatlichen Anforderungen. Es ist verfassungsrechtlich
nicht zu beanstanden, dass der Rechtsschutz der Antragstellerin sich nach der
allgemeinen Rechtsordnung richtet, ohne dass besondere Vorkehrungen für die
Durchsetzung von Primärrechtsschutz geschaffen worden sind. Es liegt im Hinblick auf
Vergabeentscheidungen im gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum, das Interesse des
Auftraggebers an einer zügigen Ausführung der Maßnahmen und das des erfolgreichen
Bewerbers an alsbaldiger Rechtssicherheit, dem Interesse des erfolglosen Bieters an
Primärrechtsschutz vorzuziehen und Letzteren regelmäßig auf Sekundärrechtsschutz zu
beschränken. Der Gesetzgeber ist verfassungsrechtlich nicht dazu verpflichtet, eine
auch faktisch realisierbare Möglichkeit eines Primärrechtsschutzes im Vergaberecht zu
schaffen. Insbesondere muss er keine Pflicht der vergebenden Stelle zu einer
rechtzeitigen Information der erfolglosen Bieter regeln, wie sie sich für Auftragsvergaben
oberhalb der Schwellenwerte in § 13 VgV findet. Es verstößt auch nicht gegen Artikel 3 I
GG, dass der Rechtsschutz oberhalb des Schwellenwertes anders gestaltet ist als bei
Vergabeentscheidungen mit Auftragssummen unterhalb des Schwellenwertes. Der
Gesetzgeber hat besondere Regelungen und damit auch Rechtsschutzmöglichkeiten der
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Gesetzgeber hat besondere Regelungen und damit auch Rechtsschutzmöglichkeiten der
Vergabeentscheidungen oberhalb des Schwellenwertes in Umsetzung entsprechender
Vorgaben europäischer Richtlinien vorgesehen. Die Regelung des § 100 Abs. 1 GWB führt
in zweifacher Hinsicht zu einer Ungleichbehandlung von öffentlichen Aufträgen, deren
Betrag den jeweils maßgeblichen Schwellenwert erreicht oder übersteigt, gegenüber
Aufträgen unterhalb des Schwellenwertes. Zum einen gewährt § 97 VII GWB im
Anwendungsbereich des GWB-Vergaberechts den Unternehmen ein subjektives Recht
auf Einhaltung der Bestimmungen über das Vergabeverfahren. Zum anderen stellen die
§§ 102 ff. GWB dem Bewerber um eine Auftragsvergabe ein besonderes
Rechtsschutzverfahren zur Durchsetzung seines subjektiven Rechts hinsichtlich der
einzelnen Vergabeentscheidungen zur Verfügung. Dagegen bleibt ein Unternehmen, das
gegen eine Vergabeentscheidung unterhalb der Schwellenwerte vorgehen will, auf die
allgemeinen Rechtsschutzmöglichkeiten verwiesen. Diese bleiben hinter dem Verfahren
nach §§ 102 ff. GWB hinsichtlich des Primärrechtsschutzes zurück. Regelmäßig wird ein
Primärrechtsschutz faktisch ganz ausscheiden, wenn zwischenzeitlich der Zuschlag
erteilt worden ist, so dass der erfolglose Bieter praktisch von vornherein auf
Rechtsschutz in Form einer Schadensersatzklage verwiesen ist. Diese
Ungleichbehandlung zwischen Auftragsvergaben oberhalb und unterhalb der
Schwellenwerte ist jedoch durch hinreichend gewichtige Gründe gerechtfertigt. Der
Gesetzgeber hat sich bei der Entscheidung über die Zweiteilung des Vergaberechts nach
Maßgabe der Schwellenwerte innerhalb des ihm eingeräumten Spielraums gehalten
(BVerfG NJW 2006, 3701 ff., m.w.N.).
2.2. Auch wenn danach weder direkt noch entsprechend die Bestimmungen der §§ 97 ff.
GWB auf den vorliegenden Fall anwendbar sind, scheidet - entgegen der Annahme des
Landgerichtes - ein Primärrechtsschutz nicht von vornherein und gänzlich aus, sondern
er richtet sich nach den allgemeinen Bestimmungen der Rechtsschutzordnung, die mit
den Bestimmungen der §§ 935 ff. ZPO auch für den vorliegenden Fall grundsätzlich den
Weg des einstweiligen Rechtsschutzes eröffnen kann. Ihre Voraussetzungen sind aber
hier nicht erfüllt.
a) Einer staatlichen Stelle, die einen öffentlichen Auftrag vergibt, ist es verwehrt, das
Verfahren oder die Kriterien der Vergabe willkürlich zu bestimmen. Darüber hinaus kann
die tatsächliche Vergabepraxis zu einer Selbstbindung der Verwaltung führen. Aufgrund
dieser Selbstbindung kann den Verdingungsordnungen als den verwaltungsinternen
Regelungen über Verfahren und Kriterien der Vergabe eine mittelbare Außenwirkung
zukommen. Dies wird vorliegend vom Senat zugunsten der Antragstellerin, zumal es
sich sowohl bei der ursprünglichen unter Nummer 85123 am 27. August 2007 erfolgten
und später wieder aufgehobenen als auch bei der zeitlich nachfolgenden unter Nummer
86938 r durchgeführten Ausschreibung, nach dem Text um öffentliche Ausschreibungen
nach § 17 Punkt 1 VOB/A handelt. Verstöße gegen diese Regelungen können generell
Ansprüche der Bieter nach den Grundsätzen des Verschuldens bei Vertragsschluss
gemäß § 311 Abs. 2 i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB sowie Ansprüche aus unerlaubter Handlung
begründen (vgl. Franke, Kemper, Zanner, Grünhagen VOB/Komm. 3. Aufl., § 26 VOB/A,
Rdnr. 11).
b) Dabei sind auch Entscheidungen zur Aufhebung einer Ausschreibung im
Nachprüfungsverfahren grundsätzlich überprüfbar. Allerdings hat der BGH wiederholt
darauf hingewiesen, dass aus Gründen des allgemeinen Vertragsrechts, in dessen
Rahmen auch ein einen öffentlicher Bauauftrag ausschreibender öffentlicher
Auftraggeber rechtsgeschäftlich tätig wird, aus dem Umstand der Ausschreibung nicht
abgeleitet werden kann, dass ein Ausschreibender, der nach den maßgeblichen
Vergabevorschriften keinen Grund zur Aufhebung des Ausschreibungsverfahrens hat,
gezwungen werden kann und darf, einen der Ausschreibung entsprechenden Auftrag an
einen geeigneten Bieter zu erteilen. Vielmehr bleibt es dabei, dass ein Auftraggeber
seine Ausschreibung jederzeit durch Einstellung oder Aufhebung beenden darf. Ein
Kontrahierungszwang des Auftraggebers besteht trotz Erweiterung des
Primärrechtsschutzes nicht. Dies zwingt jedoch nicht zugleich dazu, Unternehmen, die
trotz der Aufhebung der Ausschreibung noch Interesse an der Erteilung des
ausgeschriebenen Auftrags haben, eine Nachprüfung der Aufhebung der Ausschreibung
überhaupt zu versagen. Dieser Schluss kann erwogen werden, wenn die Aufhebung der
Ausschreibung gleichsam Ausdruck unabänderbaren Willens des Ausschreibenden ist,
den ausgeschriebenen Auftrag nicht zu vergeben. Nach Ansicht des BGHs kommt trotz
der Erweiterung der Nachprüfung im Primärrechtsschutz nur in Ausnahmefällen eine
Aufhebung der Ausschreibung in Betracht. Der BGH verknüpft die Aufhebungsbefugnis
zunächst mit dem Vergabewillen des Auftraggebers. Sie kann von vornherein nur
angeordnet werden, wenn der Vergabewille überhaupt fortbesteht (vgl. BGH NZ Bau
2003, 293 ff. sowie Franke, Kemper, Zanner, Grünhagen, a.a.O., § 26 VOB/A, Rdnr. 104
und 108). Von einem Fortbestand des Vergabewillens der Antragsgegnerin ist vorliegend
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und 108). Von einem Fortbestand des Vergabewillens der Antragsgegnerin ist vorliegend
allerdings auszugehen, weil sie nach Aufhebung der ursprünglichen Ausschreibung das
betreffende Bauvorhaben erneut – verändert - ausgeschrieben hat, und beabsichtigt, es
zu realisieren.
Der Prüfungsmaßstab richtet sich nach §§ 26, 26 a VOB/A. Nach § 26 Nr. 1 Buchst. c)
kann die Ausschreibung aufgehoben werden, wenn schwerwiegende Gründe bestehen.
Auf solche hat sich das für die Antragsgegnerin tätig gewordene Ingenieurbüro … GmbH
i... in seiner Mitteilung an die Antragstellerin vom 17.10.2007 ausdrücklich berufen,
wonach die Ausschreibung aus schwerwiegenden Gründen aufgehoben wurde. Weiter
wird dort zur Begründung ausgeführt: "Das niedrigste Angebot übersteigt deutlich die
verfügbaren, nach den Erfahrenswerten zum Zeitpunkt der Ausschreibung ermittelten,
Ausgabemittel und eine Nachfinanzierung ist derzeit nicht möglich.
Es ist beabsichtigt, die geplante Bauzeit komplett in das Jahr 2008 zu verschieben..." (Bl.
18 d.A.).
Angesichts dessen ist die Aufhebungsentscheidung erkennbar damit begründet worden,
dass keine ausreichenden Haushaltsmittel im Jahre 2007 zur Verfügung standen, so
dass eine Auftragsvergabe auch mittels Nachprüfungsverfahren nicht erzwungen werden
(vgl. a.a.O., § 26 VOB/A, Rdnr. 105) und auch eine Aufhebung der Aufhebung bzw. eine
Aussetzung des neuen Ausschreibungsverfahrens ginge ins Leere, denn neben dem Fall,
dass ein Auftraggeber den Auftrag bereits anderweitig vergeben hat, kann eine derartige
Entscheidung – wie sie vorliegend begehrt wird - nicht ergehen, wenn der Auftraggeber
wegen von Anfang an bestehender oder nachträglich auftretender Deckungslücken bei
der Finanzierung haushaltsrechtlich gehalten ist, den Auftrag in der vorgesehenen Form
nicht zu vergeben (vgl. a.a.O., § 26 VOB/A, Rdnr. 108). Eben dies hat das für die
Antragsgegnerin tätige Ingenieurbüro erkennbar zum Ausdruck gebracht, indem es
mitgeteilt hat, dass das niedrigste Angebot - das der Antragstellerin - deutlich die
verfügbaren Ausgabemittel im Jahre 2007 übersteigt und eine Nachfinanzierung derzeit
und im Jahre 2007 nicht möglich ist, sodass die geplante Bauzeit komplett in das Jahr
2008 verschoben werden soll.
In ihrer Stellungnahme vom 14.12.2007 hat dies die Antragsgegnerin bekräftigt und
dazu vorgetragen, dass die Ausschreibung nach Prüfung des
Ausschreibungsergebnisses aufgehoben werden musste, weil das niedrigste Angebot
deutlich über dem, auf der Grundlage von Erfahrungswerten ermittelten Kostenansatz
lag und damit eine vollständige Finanzierung der Maßnahme aus den zur Verfügung
stehenden Haushaltmitteln nicht möglich gewesen wäre.
Anders als in dem Verfahren oberhalb des Schwellenwertes, in dem die Vergabekammer
zur Amtsermittlung verpflichtet ist, ist in dem Verfahren unterhalb der Schwellenwerte
vor den ordentlichen Gerichten der Bieter und damit die Antragstellerin für die
Behauptung eines Vergabeverstoßes darlegungs- und beweispflichtig. Dieser ist
vorliegend weder ausreichend dargetan noch glaubhaft gemacht. Vielmehr findet die
Begründung der Aufhebung ihre Stütze in den beiden Ausschreibungen selbst. Während
nach der zeitlich vorangegangenen Ausschreibung das Bauvorhabens in zwei
Bauabschnitte unterteilt war und für den ersten Bauabschnitt eine Ausführungsfrist vom
8.10. bis zum 15.10.2007 vorgesehen war, ist nach der zeitlich späteren Ausschreibung
das Bauvorhaben insgesamt in das Jahr 2008 verschoben worden und zwar mit einer
Ausführungsfrist vom 17. März bis zum 30. Juni 2008.
Nach alledem mangelt es der Antragstellerin an einem gegen die Antragsgegnerin
gerichteten Verfügungsanspruch. Nach dem im einstweiligen Verfügungsverfahren vom
Senat zugrunde zu legenden Sach- und Streitstand stellt sich die Aufhebung der
Ausschreibung weder als willkürlich dar noch erweist sie sich der Antragstellerin
gegenüber als diskriminierend.
Auch eine Feststellung der Rechtswidrigkeit der Aufhebung kommt in dem vorliegenden
einstweiligen Verfügungsverfahren für ein Bauvorhaben unterhalb des Schwellenwertes
nicht in Betracht. Denn nur eine Entscheidung der Vergabekammer in einen Verfahren
oberhalb des Schwellenwertes kann eine Bindungswirkung für einen nachfolgenden
Schadensersatzprozess des Bieters gegen den Auftraggeber (§ 124 GWB) entfalten.
Diese Bestimmung gilt jedoch nicht für ein Nachprüfungsverfahren unterhalb des
Schwellenwertes. Außerdem gilt sowohl in dem vorliegenden
Primärrechtsschutzverfahren als auch in einem nachfolgenden Schadensersatzprozess
kein Amtsermittlungsgrundsatz, sondern lediglich in einem Verfahren oberhalb des
Schwellenwertes bei der Vergabekammer (§ 114 Abs. 1 Satz 2 GWB). Angesichts dessen
bleibt die Feststellung einer vermeintlichen Rechtswidrigkeit der
Aufhebungsentscheidung und der von der Antragstellerin im Schriftsatz vom 17.12.2007
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Aufhebungsentscheidung und der von der Antragstellerin im Schriftsatz vom 17.12.2007
vorgetragenen weiteren Gründe, insbesondere einer unterlassenen rechtzeitigen
Kostenschätzung oder einer nicht mit der gebotenen Sorgfalt gewonnenen Grundlage für
die Finanzierung des Bauvorhabens, einem möglichen Schadensersatzprozess
vorbehalten.
3. Nachdem die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 17.12.2007 eine umgehende
Entscheidung am heutigen Tage begehrte, war die sofortige Beschwerde
zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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