Urteil des OLG Brandenburg vom 19.04.2004

OLG Brandenburg: culpa in contrahendo, negatives interesse, due diligence, beherrschende stellung, widerklage, anwendungsbereich, anfang, serie, arbeitsteilung, vertragsschluss

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 7.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 U 206/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 433 Abs 2 BGB
Tenor
Unter Zurückweisung der Berufung des Klägers wird auf die Berufung der Beklagten das
am 3. Dezember 2008 verkündete Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des
Landgerichts Potsdam abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
Auf die Widerklage wird die von der Beklagten im Insolvenzverfahren über das Vermögen
der O… GmbH P…, Aktenzeichen: 35 IN 1288/03, am 19. April 2004 in Höhe von
232.000,00 € angemeldete Forderung zur Insolvenztabelle festgestellt.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden,
sofern die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger ist am 30.03.2004 zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der O…
GmbH (demnächst: Schuldnerin) bestellt worden.
Die Schuldnerin hatte mit dem D… e.V. (nachfolgend: D…) am 15.05./13.06.2001 eine
Kooperationsvereinbarung geschlossen (Anlage K 2 - Bl. 12 – 22 d.A.). Nach dem Inhalt
der Vereinbarung verfolgten die Vertragspartner das gemeinsame Ziel, in Arbeitsteilung
einen Filmscanner zur Digitalisierung von 35 mm - Kinofilmen zu entwickeln, der von der
Schuldnerin in Serie produziert und vermarktet werden sollte, wobei die Schuldnerin als
Ausgleich an das D… Lizenzgebühren zu zahlen hatte. Sodann schlossen mit
Zustimmung des D… die Schuldnerin mit der Beklagten am 29.11./ 09.2002 einen
Vertrag, der vorsah, dass die Beklagte alle Rechte und Pflichten der Schuldnerin aus der
Kooperationsvereinbarung gegen Zahlung eines Betrages von insgesamt 400.000,00 €
zuzüglich Umsatzsteuer, zahlbar in vier Raten, übernehmen sollte.
Der Kläger verlangt von der Beklagten die Begleichung der beiden letzten Raten,
während die Beklagte widerklagend die Feststellung ihrer Forderung auf Rückzahlung der
beiden ersten Raten zur Insolvenztabelle begehrt.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 232.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von acht
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 116.000,00 € seit dem 29.08.2003 und aus
weiteren 116.000,00 € seit dem 09.12.2003 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen und im Wege der Widerklage,
die von ihr im Insolvenzverfahren über das Vermögen der O… GmbH P…,
Aktenzeichen: 35 IN 1288/03, am 19.04.2004 angemeldete Forderung in Höhe von
232.000,00 € zur Insolvenztabelle festzustellen.
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Der Kläger hat beantragt,
die Widerklage abzuweisen.
Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme Klage und Widerklage abgewiesen.
Das Urteil des Landgerichts ist dem Kläger am 11.12.2008 und der Beklagten am
08.12.2008 zugestellt worden. Beide Parteien haben Berufung eingelegt, mit denen sie
ihre erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgen. Der Kläger hat sein am18.12.2008
eingelegtes Rechtsmittel nach entsprechender Fristverlängerung am 06.03.2009
begründet. Die Beklagte hat ihre Berufung am 18.12.2008 eingelegt und nach
entsprechender Fristverlängerung am 09.03.2009 begründet.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach seinem erstinstanzlichen
Klageantrag zu erkennen sowie die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach ihrem Widerklageantrag zu
erkennen sowie die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
vorgetragenen Akteninhalt ergänzend Bezug genommen. Der Senat hat im Termin vom
03.03.2010 den Sachverständigen Dr.-Ing. C… angehört. Hierzu wird auf die
Sitzungsniederschrift vom 03.03.2010 verwiesen.
II.
Die Berufungen beider Parteien sind zulässig. Die Berufung des Klägers ist unbegründet.
Die Berufung der Beklagten hat dagegen Erfolg.
1.
Die Klage, mit der der Kläger Zahlung der beiden letzten Kaufpreisraten in Höhe von
insgesamt 232.0000,00 € verlangt, ist unbegründet.
a)
Die vom Landgericht offen gelassene Frage, ob der Kläger im Hinblick auf den geltend
gemachten Anspruch sachbefugt ist, könnte für die Entscheidung des Senats ebenfalls
dahinstehen, ist allerdings im Ergebnis doch zu bejahen.
Die Beklagte hat die Sachbefugnis des Klägers hinsichtlich eines Teilbetrages in Höhe
von 43.147,22 € unter Hinweis darauf geleugnet, dass die Schuldnerin eine Forderung in
Höhe von 43.147,22 € an die Firma T… GmbH mit Vereinbarung vom 11.03.2003
(Anlage B 11 im Anlagenband) abgetreten habe (Seite 15 des Schriftsatzes vom
15.04.2005 - Bl. 118 d.A.).
Zwar handelt es sich entgegen dem Vortrag des Klägers (Seite 11 des Schriftsatzes
vom 20.05.2005 – Bl. 138 d.A.) nicht lediglich um eine Sicherungsabtretung. Die
Abtretung ist nämlich - ohne Einschränkungen - („unwiderruflich“) vorgenommen
worden. Der Kläger hat aber unter Beweisantritt (Zeugnis Dr. R… und Zeugnis L... A…)
vorgetragen, die Zessionarin habe die Forderung rückabgetreten (Bl. 138 d.A.). Da die
Beklagte die Tatsache der Rückabtretung als solche nicht bestritten hat (Seite 13 des
Schriftsatzes vom 29.07.2005 - Bl. 168 d.A.), ist dies nicht weiter aufklärungsbedürftig,
ganz abgesehen davon, dass es für die Entscheidung des Senats darauf nicht ankommt.
b)
Der auf Zahlung der beiden letzten Kaufpreisraten gerichtete Klageanspruch in Höhe
von insgesamt 232.000,00 € ist gemäß § 433 Abs. 2 BGB dem Grunde und der Höhe
nach entstanden. Der Anspruch ergibt sich aus dem Vertrag, den die Schuldnerin und
die Beklagte unter dem 29.011./09.12.2002 geschlossen haben.
2.
Die Beklagte kann dem Klageanspruch Einwendungen entgegensetzen, mit der Folge,
dass die Klägerin Zahlung der beiden restlichen Kaufpreisraten nicht mehr verlangen
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dass die Klägerin Zahlung der beiden restlichen Kaufpreisraten nicht mehr verlangen
kann.
a)
Das Landgericht hat angenommen, die Beklagte sei wegen Sachmängeln zur Minderung
des Kaufpreises – zumindest in der geltend gemachten Höhe – befugt (§§ 434 Abs. 1,
437 Nr. 2, 441 Abs. 1 Satz 1, 323 Abs. 1, 453 Abs. 1 2. Alt. BGB). Insoweit hat das
Landgericht den zwischen der Schuldnerin und der Beklagten geschlossenen Vertrag
vom 29.11./09.12.2002 nicht als reinen Rechtskauf, sondern als Kauf von sonstigen
Gegenständen im Sinne des § 453 Abs. 1 BGB rechtlich eingeordnet.
Der Senat folgt dem Landgericht in dieser Beurteilung nicht.
Die Schuldnerin hat mit dem Vertrag vom 29.11./09.12.2002 (Bl. 23 – 26 d.A.), wie es in
Ziffer 1.1. (Bl. 23 d.A.) heißt, der Beklagten alle Rechte und Pflichten aus der
Kooperationsvereinbarung vom 15.05./13.06.2001 (Bl. 12 – 22 d.A.) übertragen. Deshalb
ist für die Beurteilung des Rechtsverhältnisses der Schuldnerin und der Beklagten
maßgeblich, wie die Kooperationsvereinbarung rechtlich zu qualifizieren ist.
Die Schuldnerin und das D… haben sich mit der Kooperationsvereinbarung zu einer
Gesellschaft bürgerlichen Rechts in der Form einer Innengesellschaft
zusammengeschlossen. In der Präambel (Bl. 13 d.A.) ist der Gesellschaftszweck
beschrieben. Danach verfolgten die Vertragschließenden, gemeinsam und in
Arbeitsteilung einen vermarktbaren Filmscanner zur Digitalisierung von 35 mm-
Kinofilmen zu entwickeln, den anschließend die Schuldnerin in Serie fertigen und
vertreiben sollte. Das D… sollte am gemeinsamen Arbeitserfolg in der Weise teilhaben,
dass die Schuldnerin hierfür Lizenzgebühren zahlen sollte (§ 5 Abs. 2 der
Kooperationsvereinbarung – Bl. 16 d.A.).
In dem Vertrag vom 29.11./09.12.2002 ist in Ziffer 1.2. ist vereinbart, dass die
Schuldnerin der Beklagten „ausschließlich, zeitlich und räumlich unbefristet sämtliche
Nutzung- und Verwertungsrechte an allen schöpferischen Leistungen aus der
Entwicklung des Hochleistungsscanners“, „die Inhaberschaft an der Markenanmeldung
für die Wort-Bild-Marke und die Mitinhaberschaft an der Patentanmeldung für
den Hochleistungsscanner“ überträgt (Bl. 24 d.A.). Folglich ist der mit Zustimmung des
D… zwischen der Schuldnerin und der Beklagten geschlossene Vertrag darauf gerichtet,
dass die Schuldnerin ihren GbR-Anteil mit den gesamten daraus erwachsenen
Rechtspositionen, nämlich den Urheberrechten sowie den Rechten aus den Marken- und
Patentanmeldungen einschließlich des sonstigen schriftlichen Know-how, der Beklagten
überträgt.
Der Sache nach bedeutet dies, dass die Schuldnerin ihre gesamte Rechtsstellung als
Gesellschafterin der Beklagten übertragen hat. Dem entspricht es, dass die
Vertragschließenden im Vertrag vom 29.11./09.12.2002 zu Ziffer 11.1 vereinbart haben,
die Schuldnerin übertrage der Beklagten alle Rechte und Pflichten aus der
Kooperationsvereinbarung vom 15.05./13.06.2001.
Wenn, wie im Streitfall, dem Erwerber nur Anteile bis zur Hälfte des Kapitals veräußert
werden und der Erwerber nicht eine die Gesellschaft beherrschende Stellung erlangt,
handelt es sich nach den Grundsätzen der Entscheidung, BGH NJW 1980, 2408, 2409 um
einen Rechtskauf (§ 453 BGB), auf den die §§ 459 ff. BGB auch nicht entsprechend
anzuwenden sind.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann die Beklagte dem Kläger folglich
Einwendungen unter dem Gesichtspunkt der Sachmängelhaftung (§§ 459 ff. BGB) nicht
entgegensetzen.
b)
Die Beklagte kann die Zahlung der restlichen Kaufpreisraten gleichwohl verweigern. Sie
kann dem Kläger dessen Haftung wegen Verschuldens bei Vertragsschluss (culpa in
contrahendo) entgegenhalten und verlangen (§ 249 BGB) so gestellt zu werden, wie sie
ohne das schädigende Verhalten des Schuldners gestanden hätte (BGH NJW 1981,
1673). Das bedeutet, dass die Beklagte so zu stellen ist, als habe sie den Vertrag vom
29.11./09.12.2002 nicht geschlossen. Deshalb schuldet sie den verlangten Restkaufpreis
nicht.
Bislang hat der BGH in ständiger Rechtsprechung (zuletzt: NJW 2001, 2875, 2876
m.w.N.) angenommen, dass im Anwendungsbereich der Rechtsmängelhaftung, bei der
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m.w.N.) angenommen, dass im Anwendungsbereich der Rechtsmängelhaftung, bei der
es sich nicht um eine abschließende Sonderregel handele, Ansprüche aus culpa in con-
trahendo durch den - sonst geltenden - Vorrang des Gewährleistungsrechts nicht
ausgeschlossen seien.
Durch das am 01.01.2002 in Kraft getretene Gesetz zur Modernisierung des
Schuldrechts ist das Kaufrecht umgestaltet und dem neu konzipierten
Leistungsstörungsrecht angepasst worden. Für den Streitfall ist nicht mehr das alte
Recht, sondern das neue Recht maßgeblich, weil der Vertrag am 29.11./09.12.2002
geschlossen wurde (Art. 229 EGBGB § 5 Satz 1).
Im Schrifttum (Palandt/Grüneberg, BGB, 69. Aufl., § 311 BGB, Rdnr. 17; Erman/ Kindl,
BGB, 11. Aufl., § 311 BGB, Rdnr. 46; Mertens, AcP 2003, 818, 830) wird nunmehr –
teilweise – die Auffassung vertreten, im Anwendungsbereich des reformierten Kaufrechts
gelte der grundsätzliche Vorrang der Gewährleistungsvorschriften (§§ 434 bis 441 BGB)
in gleicher Weise für Sach- und Rechtsmängel, mit der Folge, dass ein pflichtwidriges
Verhalten des Verkäufers, insbesondere unrichtige Angaben zur Beschaffenheit des
Kaufgegenstandes keine Ansprüche aus culpa in contrahendo begründeten. Teilweise
wird an der bisherigen Auffassung festgehalten (siehe hierzu: Münch- Komm/Emmerich,
BGB, 5. Aufl., § 311 BGB, Rdnr. 140 ff.; Häublein, NJW 2003, 388, 391 ff.).
In der Rechtsprechung hat bisher das OLG Jena (OLG-NL 2006, 217, 218) für das neue
Recht den Ausschluss der Ansprüche aus culpa in contrahendo befürwortet, allerdings
ohne darauf entscheidungserheblich abzustellen. Der BGH brauchte sich in der
Entscheidung NJW-RR 2008, 564, 565 zu dieser Frage nicht festzulegen.
Der erkennende Senat vertritt die Auffassung, dass die Reform des Kaufrechts an der
bisherigen Rechtslage insoweit nichts geändert hat, als im Anwendungsbereich der
Rechtsmängelhaftung die Anwendung der culpa in contrahendo wie bisher als nicht
ausgeschlossen ist.
Zwar bestimmt § 453 Abs. 1 BGB, dass beim Rechtskauf die §§ 433 ff. BGB
heranzuziehen sind, diese finden jedoch nur entsprechende Anwendung. Die Neufassung
des § 440 BGB verweist nach wie vor auf die Vorschriften der Leistungsstörung. Jedoch
ist nach dem neuen Recht die Haftung des Verkäufers für Sach- und Rechtsmängel noch
nicht ganz der allgemeinen Verschuldenshaftung angepasst; es bleiben nach wie vor
wesentliche Unterschiede, namentlich bei der Verjährungsfrage und beim
grundsätzlichen Vorrangs der Nacherfüllungsrechte des Käufers; außerdem kann der
Käufer sein volles negatives Interesse nur wegen Verletzung vorvertraglicher
Aufklärungspflichten beanspruchen (MünchKomm/Emmerich, § 311 BGB, Rdnr. 143).
c)
Die Voraussetzungen einer Haftung nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo
sind im Streitfall erfüllt.
aa)
Im Rahmen der Vertragsverhandlungen zwischen der Schuldnerin und der Beklagten ist
ein vorvertragliches Schuldverhältnis zustande gekommen, das der Schuldnerin die
Einhaltung von Rücksichtspflichten auferlegte.
bb)
Die Schuldnerin war der Beklagten gegenüber verpflichtet, über solche Umstände
aufzuklären, die den Vertragszweck vereiteln konnten.
Gegen diese Verpflichtung hat die Schuldnerin verstoßen.
Der Vertragszweck ergibt sich aus dem Inhalt des Vertrages vom 29.11./09.12.2002.
Danach hat die Schuldnerin ihre gesamte Rechtsstellung als Gesellschafterin der
Beklagten übertragen. Das bedeutet, dass die Beklagte in den Stand versetzt werden
sollte, nunmehr an Stelle der Schuldnerin zusammen mit dem D… den Filmscanner so
weiter zu entwickeln, dass sie, die Beklagte, den Scanner in Serie fertigen und vertreiben
konnte.
Das Landgericht hat in diesem Zusammenhang auf Seite 5 f. des Urteils ausgeführt,
inwieweit die Vertragsparteien im Vorfeld wie auch im Vertrag selbst den geschuldeten
Entwicklungsstand gesehen und entsprechend vereinbart haben, und zwar dahingehend,
dass der Scanner bereits – funktionsfähig – entwickelt war, allerdings noch nicht den
Stand der Serienreife erreicht hatte; namentlich sollte der Scanner bereits mit den in der
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Stand der Serienreife erreicht hatte; namentlich sollte der Scanner bereits mit den in der
Anlage C zu dem Vertrag (Bl. 233, 234 d.A.) beschriebenen Eigenschaften entwickelt
sein (Ziffer 1.2. des Vertrages – Bl. 23 d.A.). Die Ausführungen des Landgerichts haben
auch für die Frage der Aufklärungspflicht im Vorfeld der Vertragsverhandlungen zu
gelten. Der Senat folgt diesen zutreffenden Ausführungen des Landgerichts.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, dass der Scanner in technischer
Hinsicht sich – von Anfang an – nicht realisieren lässt. Dies hat der Sachverständige Dr.-
Ing. C… in seinem schriftlichen Gutachten vom 22.08.2007 (Bl. 282 – 333 d. A.) und bei
seiner Anhörung vor dem Senat im Termin vom 03.03.2010 (Bl. 607, 608 d. A.)
dargelegt und erläutert.
Nach den Ausführungen des Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten
besteht der konzeptionelle Fehler der Erfindung der Schuldnerin darin, dass die – nach
roten, grünen und blauen Farbbalken (Farblayer) örtlich und zeitlich getrennte –
Abtastung bei gealtertem Filmmaterials nicht konstant entsprechend der vorgegebenen
Pixelgröße (0,007 mm) durchgeführt werden kann, weil gealtertes Filmmaterial in Länge
und Breite einen nicht konstanten Schrumpfungsgrad aufweist und durch
Beschädigungen an der Perforation wie auch an den Filmflanken zu weiteren
gravierenden Toleranzabweichungen führt (Bl. 288, 289, 290, 292, 293 d.A.).
Der Sachverständige hat bei seiner mündlichen Anhörung vor dem Senat im Termin
vom 03.03.2010 die in seinem Gutachten beschriebene technische Unzulänglichkeit des
von der Schuldnerin entwickelten Scanners erläutert und dazu abschließend ausgeführt,
dass in technischer Hinsicht eine erfolgversprechende Weiterentwicklung nicht gegeben
ist; die Sache hat im Ergebnis nicht funktioniert und sie hat auch vorher nicht funktioniert
(Bl. 607, 608 d.A.).
Die technischen Einzelheiten, die - nach den Ausführungen des Sachverständigen - zu
dem Ergebnis führen, dass der Scanner sich von Anfang an nicht zu einem
serientauglichen Gerät entwickeln lässt, sind als Tatsachen zu qualifizieren, über welche
die Schuldnerin die Beklagte aufzuklären hatte. Denn diese Tatsachen waren geeignet,
den Vertragszweck zu vereiteln.
Die Schuldnerin hat die Beklagte über die technischen Einzelheiten, die der Serienreife
entgegen standen, nicht aufgeklärt. Insoweit hat die Schuldnerin ihre Aufklärungspflicht
verletzt.
cc)
Die Schuldnerin war im Vorfeld der Aufnahme von Vertragsverhandlungen außerdem
verpflichtet, keine unrichtigen Informationen zu erteilen (Palandt/Grüneberg, § 311 BGB,
Rdnr. 40).
Auch hiergegen hat die Schuldnerin verstoßen. Denn noch vor Abschluss des Vertrages
hat der damalige Geschäftsführer der Schuldnerin, Dr. R…, auf der Messe in A…dam im
September 2002 im Rahmen der Vorstellung des Entwicklungsmusters zum Ausdruck
gebracht, die Entwicklung des Scanners sei – abgesehen von der Problematik des
Antriebs – so weit fortgeschritten, dass er die geforderten Parameter aufweise. Dass der
Geschäftsführer Dr. R… seinerzeit bei der Präsentation des Musters sich in der zuvor
beschriebenen Weise erklärte, hat er bei seiner Vernehmung im Termin vom 19.10.2005
vor dem Landgericht bestätigt (Bl. 203 d.A.).
dd)
Die Schuldnerin hat ihre vorvertraglichen Pflichten schuldhaft verletzt. Im Rahmen der
culpa in contrahendo wird das Verschulden vermutet (§ 280 Abs. 1 BGB). Der
Verschuldensmaßstab ist in § 276 BGB geregelt, so dass entgegen der Ausführungen
des Klägers nicht auf die konkrete Fahrlässigkeit im Sinne der §§ 277, 708 BGB
abzustellen ist (Seite 7 des Schriftsatzes vom 14.04.2010 - Bl. 651 d.A.).
Nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr.-Ing. C… war das Projekt in
technischer Hinsicht - von Anfang an - nicht zu realisieren.
Die Erkenntnismöglichkeiten des Sachverständigen hatte die Schuldnerin gleichfalls. Sie
hätte erkennen können, dass namentlich bei älterem Filmmaterial, das beim Scannen
eingesetzt werden sollte, die technischen Voraussetzungen eines Abgleichs nicht
gegeben waren, wie das Landgericht unter Verweis auf die Feststellungen des
Sachverständigen auf Seite 6 unten und Seite 7 des Urteils ausgeführt hat.
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Der Kläger hat sich für die Schuldnerin nicht entlastet.
Es genügt nicht, dass der Kläger darauf verweist, die Beklagte selbst sei sach- und
branchenkundig gewesen (Seite 2 des Schriftsatzes vom 14.04.2010 – Bl. 646 d.A.).
Schon gar nicht kann der Kläger geltend machen, das D… habe keine Kenntnis von der
Nichtrealisierbarkeit gehabt (Bl. 647 d.A.).
Rechtlich verfehlt ist der Ansatz des Klägers, eine Haftung aus culpa in contrahendo
setze voraus, dass der aufklärungspflichtige Vertragspartner positive Kenntnis von dem
aufklärungspflichtigen Umstand habe (Bl. 647 d.A.). Die von dem Kläger in diesem
Zusammenhang angeführte Entscheidung BGH ZIP 2001, 918 verhält sich nicht darüber,
dass eine Haftung aus culpa in contrahendo für dem Verkäufer bekannte Tatsachen
bestehe.
Schließlich greift der Einwand des Klägers nicht durch, ein Verschulden der Schuldnerin
scheitere daran, dass die Beklagte im Rahmen ihrer eigenen Prüfung (due diligence) die
geforderten Parameter, auf die Dr. R… anlässlich der Präsentation im September 2002
auf der Messe in A… verwiesen hat, selbst festgestellt habe (Bl. 649 d.A.). Ganz
abgesehen davon, dass sich das von dem Kläger herangezogene Schreiben der
Beklagten vom 22.10.2002 (Anlage B 4 im Anlagenband) keineswegs über das Ergebnis
einer Prüfung verhält, entlastet dies die Schuldnerin nicht. Denn diese war selbst
aufklärungspflichtig bzw. verpflichtet, keine unrichtigen Auskünfte zu erteilen.
3.
Die Widerklage ist begründet.
Die Beklagte hat hinsichtlich ihrer in Erfüllung des Vertrages vom 29.1./09.12.2002
geleisteten ersten Kaufpreisrate einen Anspruch auf Feststellung einer Forderung in
Höhe von 232.000,00 € zur Insolvenztabelle (§ 179 Abs. 1 InsO). Die Beklagte ist nämlich
wegen des Eingreifens der Haftung aus Verschulden bei Vertragsschluss so zu stellen,
wie sie ohne das schädigende Verhalten der Schuldnerin gestanden hätte (§ 249 BGB).
Die Beklagte hätte dann die erste Rate nicht zu zahlen brauchen. Der Beklagten steht
folglich ein entsprechender bereicherungsrechtlicher Anspruch (§ 812 Abs. 1 Satz 1 1.
Alt. BGB) zu.
III.
Die Revision wird zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 543
Abs. 2 Nr. 1 ZPO), und zwar wegen der Frage, ob auch nach Inkrafttreten des Gesetzes
zur Modernisierung des Schuldrechts im Anwendungsbereich der Rechtsmängelhaftung
Ansprüche aus culpa in contrahendo erhoben werden können.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß §§ 708 Nr. 10, 711
ZPO.
Streitwert im Berufungsrechtszug: 255.200,00 € (Davon entfallen auf die Berufung des
Klägers 232.000,00 € und auf die Berufung der Beklagten 23.200,00 €).
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