Urteil des OLG Brandenburg vom 05.01.2006

OLG Brandenburg: brille, eintritt des versicherungsfalles, versicherungsnehmer, invaliditätsgrad, weitsichtigkeit, sport, abschlag, unterlassen, unfallversicherung, optiker

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 4.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 U 33/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 7 Abs 1 UAbs 2 Buchst a AUB
1988, § 7 Abs 1 UAbs 3 AUB
1988
Private Unfallversicherung: Vorinvalidität wegen zum
Unfallzeitpunkt bereits bestehender Beeinträchtigung des
Sehvermögens
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts
Cottbus vom 05.01.2006 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung abwenden
durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren
Betrages, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 %
des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I.
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Leistungen aus einer Unfallversicherung in Anspruch.
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass aufgrund des Versicherungsvertrages dem
Grunde nach eine Leistungspflicht der Beklagten entstanden ist, nachdem der Kläger am
31.03.2001 einen Unfall erlitten hat, in dessen Folge er das rechte Auge verloren hat.
Streitig ist lediglich, ob der Invaliditätsgrad, mit dem die unfallbedingte Beeinträchtigung
des Klägers zu bemessen ist, nach der Gliedertaxe des § 7 I Ziff. 2. a) der in den Vertrag
einbezogenen AUB 97 50 % beträgt, oder ob der Kläger sich gemäß § 7 I Ziff. 3. der AUB
97 eine Vorinvalidität von 3 % anrechnen lassen muss, weil er schon vor dem Unfall –
nach seinen eigenen Bekundungen im Termin am 28.06.2006 bereits seit seinem vierten
Lebensjahr – Brillenträger war. Ausweislich des Brillenberechtigungsscheins vom
14.06.1999 bezog sich seine Brille auf eine Weitsichtigkeit von + 3 Dioptrien auf beiden
Augen, d.h. auch auf dem von dem Unfall betroffenen rechten Auge.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, bei der Vereinbarung einer festen Gliedertaxe
sei ein Abzug von dem vereinbarten Invaliditätsgrad wegen einer bestehenden
Vorinvalidität bereits generell nicht gerechtfertigt. Jedenfalls könne bei ihm eine
Vorinvalidität deshalb nicht angenommen werden, weil er vor dem Unfall auch ohne
Sehhilfe einen Visus von 1,0 auch auf dem rechten Auge erreicht habe. Die Möglichkeit
eines Abzuges wegen einer Vorinvalidität sei im vorliegenden Fall auch deshalb
ausgeschlossen, weil die Versicherungsvertreterin, die Zeugin B… H…, dies im
Zusammenhang mit dem Abschluss bzw. der Änderung des Versicherungsvertrages auf
ausdrückliche Nachfrage des Klägers verneint habe. Schließlich könne eine ggf.
anzunehmende Vorinvalidität nicht mit 3 % bemessen werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Feststellungen in dem angefochtenen Urteil
Bezug genommen.
Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des
Sachverständigen Dr. S…, der dieses Gutachten zweimal schriftlich ergänzt und
schließlich im Termin am 21.11.2005 mündlich erläutert hat.
Es hat die Klage sodann mit Urteil vom 05.01.2006 abgewiesen und zur Begründung
ausgeführt, von dem nach § 7 I Ziff. 2 a) AUB 97 zu bemessenden festen Invaliditätsgrad
von 50 % sei gemäß § 7 I Ziff. 3 AUB 97 ein Abzug wegen Vorinvalidität des Klägers
vorzunehmen.
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Der Umstand, dass der Kläger Brillenträger mit einem Korrekturwert von + 3 Dioptrien
auf beiden Augen gewesen sei, begründe eine Vorinvalidität. Die Beklagte habe
bewiesen, dass das rechte Auge des Klägers schon vor dem Unfalls nur beschränkt,
nämlich nur mit einer Sehhilfe, in einer Weise gebrauchsfähig gewesen sei, dass er die
volle Sehkraft eines gesunden Auges – also einen Visus von 1,0 – erreicht habe. Dies
ergebe sich aus den gutachterlichen Feststellungen des Sachverständigen Dr. S…, der
ausgeführt habe, infolge Akkomodation habe der Kläger ohne Brille einen Visus von 1,0
nur kurzzeitig erreichen können.
Den Beweisangeboten des Klägers, die bestätigen sollten, dass er die Brille nicht nur
kurzzeitig, sondern über einen längeren Zeitraum habe weglassen können, habe
angesichts der Ausführungen des Sachverständigen nicht nachgegangen werden
müssen.
Die Beklagte habe die Vorinvalidität zutreffend mit 3 % bemessen. Zu diesem Ergebnis
sei auch der Sachverständige Dr. S… gelangt. Im Übrigen werde dieses Ergebnis durch
die Ausführungen von Prof. Dr. G… und Dr. K… in VersR 1989, 20 ff. bestätigt.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er das
erstinstanzliche Klageziel in vollem Umfang weiter verfolgt. Er macht geltend, das
Landgericht habe verkannt, dass die Vertragsbedingungen angesichts der Begrenzung
des Umfangs der Versicherungssumme und der festen Gliedertaxe einer
Berücksichtigung individueller Gesichtspunkte und damit auch einer individuellen
Vorinvalidität nicht zugänglich seien.
Es habe auch den Vortrag des Klägers, wonach die Vertreterin der Beklagten auf
Nachfrage ausdrücklich bestätigt habe, dass der Umstand, dass der Kläger Brillenträger
sei, keine Auswirkungen auf den Versicherungsvertrag und die Versicherungsleistungen
habe und auch die Gliedertaxe in vollem Umfang gewährt werde, nicht berücksichtigt.
Das Landgericht sei zu seinem Ergebnis darüber hinaus aufgrund einer unzutreffenden
Beweiswürdigung gelangt. Der Sachverständige habe vielmehr bestätigt, dass der Kläger
ohne Brille einen Visus von 1,0 erreicht habe. Soweit er erklärt habe, dass der Kläger
diesen Visus nicht mehr erreicht habe, wenn er die Brille über einen längeren Zeitraum
nicht getragen habe und aus medizinischer Sicht nach 8 Stunden ein Visus von 1,0 nicht
mehr möglich sei, habe er ausgeführt, dass auch dies im Einzelnen vom individuellen
Patienten abhänge. Konkrete Untersuchungen beim Kläger habe der Sachverständige
aber nicht durchgeführt. Deshalb sei auch die Feststellung einer Vorinvalidität von 3 %
nicht nachvollziehbar. Im Übrigen hätte das Landgericht den vom Kläger angebotenen
Beweisen zu seinem tatsächlichen Verhalten und zu den Erkenntnissen des Optikers und
der Augenärztin des Klägers, die diesen langjährig betreut hätten, nachgehen müssen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des am 05.01.2006 verkündeten Urteil des
Landgerichts Cottbus zu verurteilen:
1. an den Kläger 6.653,49 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach §
288 BGB seit dem 09.05.2002 zu zahlen,
2. an den Kläger weitere 10.240,- Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz
nach § 288 BGB seit dem 09.05.2002 zu zahlen,
3. an den Kläger weitere 13.312,- Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz
aus jeweils 512,- Euro seit dem 01.12.2002, 01.01.2003, 01.02.2003, 01.03.2003,
01.04.2003, 01.05.2003, 01.06.2003, 01.07.2003, 01.08.2003, 01.09.2003, 01.10.2003,
01.11.2003, 01.12.2003, 01.01.2004, 01.02.2004, 01.03.2004, 01.04.2004, 01.05.2004,
01.06.2004, 01.07.2004, 01.08.2004, 01.09.2004, 01.10.2004, 01.11.2004 bis
01.12.2004 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das Urteil des Landgerichts und verweist ergänzend auf ein Urteil des OLG
Düsseldorf vom 30.03.2004 (VersR 2005, 109). Sie bestreitet die Behauptung des
Klägers zu den angeblichen Äußerungen der Zeugin H… und hält diese im Übrigen
angesichts der Regelung in § 7 I Ziff. 3 AUB 97 für unerheblich. Schließlich meint sie, der
Kläger habe die Feststellungen des Sachverständigen (teilweise) verzerrt
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Kläger habe die Feststellungen des Sachverständigen (teilweise) verzerrt
wiedergegeben.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeuginnen B… H…, K… M… und
G… E…. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der
mündlichen Verhandlung vom 18.10.2006 (Bl. 354 d. A.) Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachvortrages wird auf die zwischen den Parteien
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Protokolle der Termine zur mündlichen
Verhandlung verwiesen.
II.
Die Berufung ist zulässig; in der Sache bleibt sie jedoch ohne Erfolg.
Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf über den bereits gezahlten
Betrag von 24.031,10 Euro hinausgehende Versicherungsleistungen nicht zu.
Die geltend gemachten weiteren Ansprüche würden sämtlich voraussetzen, dass der auf
dem Unfall vom 31.03.2001 beruhende Invaliditätsgrad des Klägers nach den
vereinbarten Versicherungsbedingungen der AUB 97 mit 50 % oder jedenfalls mehr als
47 % zu bemessen ist. Dies ist jedoch nicht der Fall, da der Kläger sich – wie das
Landgericht zu Recht angenommen hat – auf den nach der Gliedertaxe des § 7 I Ziff. 2
a) mit einem Invaliditätsgrad von 50 % zu bemessenden unfallbedingten Verlust seines
rechten Auges gemäß § 7 I Ziff. 3 AUB 97 eine Vorinvalidität von 3 % anrechnen lassen
muss, weil sein rechtes Auge bereits vor dem Unfall – wenn auch durch eine Brille
korrigiert - in seiner Funktionsfähigkeit beeinträchtigt war.
1. Entgegen der Auffassung des Klägers ist ein Abzug wegen Vorinvalidität nicht bereits
deshalb ausgeschlossen, weil nach den AUB 97 überhaupt eine feste Gliedertaxe
vereinbart worden ist.
Zwar trifft es zu, dass die Vereinbarung einer festen Gliedertaxe der Gleichbehandlung
der Versicherten und der Prämiengerechtigkeit dient, die es erfordern, möglichst
gleichartige Risiken zusammenzufassen und zu gleicher Prämie bei grundsätzlich
gleichen Leistungen zu versichern (BGH VersR 1966, 1133/1134). Dies bedeutet jedoch
nur, dass für die Bemessung des Invaliditätsgrades anhand der Gliedertaxe ein
abstrakter Maßstab zu Grunde zu legen ist, bei dem es nicht auf individuelle Belange des
Versicherten, insbesondere etwa nicht darauf ankommt, ob ihn der Verlust des
betroffenen Gliedes oder Organs aufgrund seines Berufes besonders schwer trifft. Der
Schluss darauf, dass bei Vereinbarung einer festen Gliedertaxe eine Vorinvalidität, d.h.
eine bereits vor Eintritt des Versicherungsfalles bestehende Gebrauchsbeeinträchtigung,
nicht zu berücksichtigen ist, ist jedoch nicht gerechtfertigt. Versichert ist nur die
abstrakte Gebrauchsbeeinträchtigung, die durch ein bestimmtes Gefahrenereignis, hier
den Unfall, herbeigeführt wird. Ersatz für das versicherte Gefahrenereignis kann deshalb
auch nur insoweit gewährt werden, als es sich tatsächlich verwirklicht hat. War aber die
Gebrauchsfähigkeit eines Gliedes bereits vor dem versicherten Gefahrenereignis
beeinträchtigt, bedeutet dies, dass nur die darüber hinausgehende
Gebrauchsbeeinträchtigung zu entschädigen ist. Jede weitere Entschädigung würde auf
einen ungerechtfertigten Sondervorteil für den konkreten Versicherten hinauslaufen, da
er trotz bereits beeinträchtigen Gebrauchs so gestellt würde wie ein Versicherter, dessen
betroffenes Glied oder Organ vor dem versicherten Gefahrenereignis voll gebrauchsfähig
war. Auf diesen Erwägungen beruht die in § 7 I Ziff. 3 AUB 97 getroffene Regelung, die im
Übrigen dem Umstand, dass eine feste Gliedertaxe vereinbart wird, durch den Verweis in
S. 2 Rechnung trägt, wonach auch die Vorinvalidität nach dem abstrakten Maßstab des §
7 I Ziff. 2 AUB 97 zu bemessen ist.
2. Der Beklagten ist es auch nicht unter dem Gesichtspunkt der sog.
"gewohnheitsrechtlichen Erfüllungshaftung" des Versicherers verwehrt, einen Abzug
wegen einer Vorinvalidität des Klägers nach § 7 I Ziff. 3 AUB 97 vorzunehmen.
Zwar muss ein Versicherer Auskünfte eines Abschluss- oder Vermittlungsagenten über
den Inhalt und die Bedeutung der Versicherungsbedingungen, bzw. den Inhalt und
Umfang des abzuschließenden oder abgeschlossenen Vertrages gegen sich gelten
lassen, auch wenn diese falsch sind, wenn der Versicherungsnehmer ohne erhebliches
Eigenverschulden auf die Richtigkeit dieser Auskünfte vertrauen durfte. Sind diese
Voraussetzungen erfüllt, wird der Versicherungsvertrag im Sinne der dem
Versicherungsnehmer günstigen Aufklärung begründet oder umgestaltet (vgl. dazu nur:
OLG Nürnberg r + s 1999, 165, 166; Kollhosser in Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl. § 43 Rn.
30 m.w.N.). Dabei kann die Falschauskunft nicht nur in einer positiven Erklärung des
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30 m.w.N.). Dabei kann die Falschauskunft nicht nur in einer positiven Erklärung des
Vermittlungsagenten liegen, sondern auch in einem Unterlassen, letzteres jedenfalls
dann, wenn der Versicherungsagent die unzutreffenden Vorstellungen des
Versicherungsnehmers erkennt, ohne zu widersprechen und den Versicherungsnehmer
aufzuklären.
Der Kläger hat jedoch nicht zur Überzeugung des Senats bewiesen, dass die Zeugin H…,
die den zwischen den Parteien konkret in Rede stehenden Versicherungsvertrag
zwischen den Parteien im Jahr 1998, aber auch bereits den zuvor im Jahr 1992
geschlossenen Unfallversicherungsvertrag vermittelt hat, ihm im Hinblick auf den
Umfang der vereinbarten Versicherungsleistungen, insbesondere im Hinblick auf einen
Abzug von den Prozentsätzen der Gliedertaxe wegen einer Vorinvalidität gemessen an
den Regelungen des § 7 I Ziff. 2 und 3 AUB 97, eine Falschauskunft im vorgenannten
Sinne erteilt hat.
Keine der im Termin am 18.10.2006 vernommenen Zeuginnen hat die Behauptung des
Klägers bestätigt, die Zeugin H… habe seine konkrete Frage, ob es irgendwelche
Abzüge oder Beeinträchtigungen des Versicherungsschutzes wegen seiner
Vorerkrankungen gebe, verneint bzw. seine Frage, ob er die vollen Leistungen nach der
Gliedertaxe auch bei Verlust eines Auges erhalte, obwohl er Brillenträger sei, bejaht.
Die Zeugin M… hat in Bezug auf den Abschluss des Unfallversicherungsvertrages
zwischen den Parteien, den die Zeugin H… glaubhaft auf Mai 1992 datiert hat, lediglich
bekundet, dass der Kläger gefragt habe, ob seine Verletzungen infolge von Sportunfällen
relevant seien. Dazu, ob diese Frage und die angebliche Antwort der Zeugin H…, dies
spiele keine Rolle, sich auf die Möglichkeit des Abschlusses des Versicherungsvertrages
als solchen oder auf den Umfang der Versicherungsleistungen, d.h. die Möglichkeit eines
Abzuges von den Prozentsätzen der Gliedertaxe wegen Vorschädigung der jeweils
betroffenen Organe bezog, konnte die Zeugin jedoch keine hinreichenden Angabe
machen. Sie bekundete vielmehr zunächst, die Äußerungen hätten sich auf den
Abschluss des Versicherungsvertrages bezogen. Dies erscheint unter Einbeziehung der
Aussage der Zeugin H…, sie habe dem Kläger wegen seiner vielen Vorerkrankungen, die
auch dazu geführt hätten, dass er nicht verbeamtet worden sei, von dem Versuch
abgeraten, eine Lebensversicherung abzuschließen, auch durchaus naheliegend. Vor
diesem Hintergrund kann aber in der Bekundung der Zeugin M… im weiteren Verlauf der
Vernehmung, sie habe die Erklärung der Zeugin H… in Bezug auf die Vorerkrankungen
des Klägers sowohl Bedeutung für den Abschluss des Vertrages als auch für die
Leistungen beigemessen, keine Bestätigung der klägerischen Behauptungen gesehen
werden, zumal die Zeugin M… bekundet hat, für sie bestehe zwischen dem Abschluss
des Vertrages und den Leistungen kein Unterschied.
Die Zeugin H… konnte sich an den konkreten Inhalt der mit dem Kläger geführten
Gespräche weder in Bezug auf das Gespräch im Mai 1992, noch in Bezug auf das am
26.11.1998 geführte Gespräch erinnern.
Die Zeugin E… hat für das am 26.11.1998 geführte Gespräch, das nach ihrer Bekundung
– wenn auch der Bekundung der Zeugin H… widersprechend – in ihrer (der Zeugin E…)
Wohnung stattgefunden haben soll, sogar ausdrücklich sowohl eine Frage des Klägers
nach etwaigen Abzügen wegen seiner Brille als auch überhaupt eine Erläuterung der
Prozentsätze zur Gliedertaxe im Zusammenhang mit der Ergänzung der
Unfallversicherung um die Unfallrentenversicherung für den Kläger in der Folge des
Gesprächs vom 26.11.1998 in Abrede gestellt.
Nach den Aussagen der Zeuginnen kann aber auch nicht als beweisen angesehen
werden, dass die Zeugin H… eine Falschauskunft durch Unterlassen in dem oben
beschriebenen Sinne erteilt hat.
Es kann dahinstehen, ob eine Falschauskunft der Zeugin H… durch
Unterlassen angenommen werden könnte, wenn sie – wie sie dies nach ihrem Bekunden
im Falle des Abschlusses einer Unfallrentenversicherung normalerweise mache – "die 50
%-Regelung" auch gegenüber dem Kläger am Beispiel des Auges erläutert hätte. Konnte
die Zeugin H… bei einer solchen Erläuterung wahrnehmen, dass der Kläger, der nach
den Bekundungen der Zeuginnen M… und E… außer beim Sport immer eine Brille trug,
Brillenträger war, hätte sie wohl auch erkennen müssen, dass der Kläger ihre Erläuterung
nur dahin verstehen konnte, dass seine Eigenschaft als Brillenträger einer Leistung von
50 % bei Verlust eines Auges nicht entgegenstünde. Dabei käme es auch nicht darauf
an, dass die Zeugin H… tatsächlich einen solchen Schluss nicht gezogen hätte, weil sie
selbst im Jahr 1998 nicht wusste, dass sich das Tragen einer Brille als Vorinvalidität
auswirken kann.
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Nach den Aussagen der Zeuginnen steht jedoch schon nicht mit hinreichender
Sicherheit fest, dass die Zeugin H… auch dem Kläger am 26.11.1998 die "50 %
Regelung" am Beispiel des Auges erläutert hat. Auch dieser Annahme steht entgegen,
dass die Zeugin H… sich an den konkreten Inhalt des Gesprächs mit dem Kläger nicht
mehr erinnern konnte und die Zeugin E… sogar ausdrücklich in Abrede gestellt hat, dass
die Zeugin H… am 26.11.1998 die Prozentsätze des § 7 I AUB 97 erläutert hat.
3. Findet danach die Regelung des § 7 I Ziff. 3 AUB 97 im Verhältnis zwischen den
Parteien uneingeschränkt Anwendung, ist das Landgericht zu Recht zu dem Ergebnis
gelangt, dass der Kläger sich den Umstand, dass er zur Korrektur seiner Sehschwäche
von + 3 Dioptrien eine Brille benötigte, als Vorinvalidität mit einem Abzug von 3 %
anrechnen lassen muss.
a) Die Erwägungen, die den BGH in seiner Entscheidung vom 27.04.1983 (VersR 1983,
58, 59) geleitet haben, treffen im Ansatz auch heute noch zu. Dies gilt insbesondere,
soweit der BGH in dieser Entscheidung überzeugend ausgeführt hat, dass bei der
Bemessung des Umfanges einer Vorinvalidität zu berücksichtigen ist, ob und in welchem
Umfang die Beeinträchtigung der Sehkraft eines Auges durch eine Sehhilfe korrigiert
werden kann. Dafür spricht vor allem, dass im Falle der Korrektur durch eine Sehhilfe,
anders als etwa bei Prothesen für verlorene Körperteile, die Augen selbst gebrauchsfähig
bleiben und gebraucht werden.
Zwar bestehen Bedenken, soweit der BGH eine Beeinträchtigung der Gebrauchsfähigkeit
des Auges und damit die Berechtigung der Annahme einer Vorinvalidität in der
Notwendigkeit des Brilletragens als solcher sieht. Es mag noch in gewisser Weise
einleuchten, dass demjenigen, der eine Brille tragen muss, um seine volle Sehfähigkeit
zu erreichen, diese nicht 24 Stunden täglich zur Verfügung steht, da er die Brille etwa
beim Schlafen, Baden oder zum Reinigen absetzen muss. Insoweit fragt sich jedoch, ob
von einer Beeinträchtigung der Gebrauchs- oder Funktionsfähigkeit eines Organs
gesprochen werden kann, nur weil es zeitweise nicht bzw. nicht in seinem vollen
Funktionsumfang genutzt wird. Ebenso vermögen die weiteren Gesichtspunkte, die
mechanische Belastung durch das Gewicht der Brille, die Behinderung durch das
notwendige auf- und Absetzen, psychische Belastungen durch die Abhängigkeit von der
Sehhilfe, die Gefahr von Beschädigungen der Brille und Verletzungen durch sie sowie die
Gefahr eines (vorübergehenden) Verlustes der Brille, nicht vollends zu überzeugen. Zum
einen sind die vom BGH beschriebenen Beeinträchtigungen heute durch Fortschritte in
der Brillentechnik in erheblichem Umfang reduziert. Zum anderen betreffen die
vorgenannten Beeinträchtigungen lediglich mit einer Brille verbundene
Rahmenbedingungen, nicht jedoch die – korrigierte - Funktionsfähigkeit des Auges als
solche; nur auf deren Beeinträchtigung soll es aber nach den Versicherungsbedingungen
ankommen. Bedenklich erscheint auch, dass die Notwendigkeit, eine Brille wegen
Weitsichtigkeit zu tragen, jedenfalls ab einem Alter von 45 Jahren die Mehrzahl aller
Menschen und damit aller Versicherungsnehmer betrifft, vgl. Gramberger -
Danielsen/Kern, VersR 1989, 20, 23).
Diese Bedenken sind jedoch hinzunehmen, wenn man berücksichtigt, dass sich die
Annahme einer Vorinvalidität und ihre Bemessung im System des § 7 I AUB 97 lediglich
als Spiegelbild der Annahme und Bemessung der unfallbedingten
Funktionsbeeinträchtigung im Sinne des § 7 I Ziff. 2 AUB 97 darstellt. Eine Sichtweise,
wonach das Tragen einer Brille als solches keine Vorinvalidität begründet, müsste
zwangsläufig auch auf die Situation des § 7 I Ziff. 2 übertragen werden können, da § 7 I
Ziff. 3 S. 2 AUB 97 auf § 7 I Ziff. 2 AUB 97 verweist. Das würde aber bedeuten, dass ein
Versicherungsnehmer, der aufgrund eines Unfalls am Auge verletzt wird, keine
Versicherungsleistungen erhalten könnte, wenn und soweit die erlittene
Beeinträchtigung der Sehfähigkeit durch eine Brille korrigiert werden kann. Dies wird
einem Versicherungsnehmer aber kaum zu vermitteln sein (so auch OLG Düsseldorf
VersR 2005, 109, 110).
b) Entgegen der Auffassung des Klägers hat das Landgericht in im Berufungsverfahren
nicht zu beanstandender Weise die Feststellung getroffen, dass die insoweit
beweispflichtige Beklagte bewiesen hat, dass der Kläger vor dem Unfall die volle
Sehfähigkeit (auch) auf dem rechten Auge dauerhaft nur mit Hilfe der ihm verordneten
Brille erreichen konnte und erreicht hat. An diese Feststellungen ist der Senat gemäß §
529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden.
aa) Konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der
Feststellungen des Landgerichts ergeben sich aus dem Vortrag des Klägers im
Berufungsverfahren nicht.
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Zwar trifft es zu, dass der Sachverständige bestätigt hat, dass der Kläger
möglicherweise in der Lage gewesen sei, trotz seiner Weitsichtigkeit von +3 Dioptrien
durch Akkomodation, d.h. Anpassungsaufwand, einen Visus von 1,0 zu erreichen und
dass deshalb die Bestätigung eines solchen Visus durch den Optiker des Klägers
durchaus zutreffen könne. Gleichzeitig hat der Sachverständige jedoch ausgeführt, dass
nach 8 Stunden - wenn auch insoweit hinsichtlich des Abfalls des Sehvermögens sehr
von dem individuellen Patienten abhängig – ein Visus von 1,0 nicht mehr möglich sei.
Diese Erläuterung des Sachverständigen lässt sich aber nur so verstehen, dass der
Kläger eine dauerhafte volle Sehfähigkeit auch auf dem durch den Unfall geschädigten
rechten Auge nur durch die Korrektur mittels der ihm immerhin bereits seit seinem
vierten Lebensjahr verschriebenen Brille erreichen konnte. Dafür spricht – darauf hat der
Sachverständige im Rahmen der mündlichen Erläuterung ebenfalls hingewiesen –
darüber hinaus, dass der Optiker Sch… dem Kläger im Jahr 1999 eine Brille verordnet
hat, obwohl er den Visus von 1,0 später, nämlich noch im Februar 2003, bescheinigt hat.
Schließlich hat der Kläger die Brille offenbar – wenn auch möglicherweise nicht beim
Sport und nicht bei seiner Tätigkeit als Sportlehrer in der … – so doch jedenfalls zum
Zeitpunkt des Unfalls am 31.03.2001 und nach den übereinstimmenden Bekundungen
seiner vormaligen Ehefrau, der Zeugin K… M…, und seiner vormaligen Lebensgefährtin,
der Zeugin E…, außer beim Sport sogar immer getragen, was kaum erklärlich ist, wenn
er nicht selbst das Gefühl hatte, dass er sie brauchte.
Entgegen der Darstellung des Klägers hat die Beweisaufnahme auch nicht ergeben, dass
der Kläger keine Sehschwäche hatte. Der Sachverständige hat sich lediglich im Rahmen
der mündlichen Erläuterung im Termin am 21.11.2005 dagegen ausgesprochen,
Weitsichtigkeit als "Sehschwäche" zu bezeichnen, da dies medizinisch nicht korrekt sei.
Dies ändert jedoch nichts daran, dass unstreitig ist, dass der Kläger tatsächlich
weitsichtig war, und dies – wie der Sachverständige auf S. 3 seines Gutachtens
ausgeführt hat – bei 3 Dioptrien bedeutet, dass er ohne Korrektur und Akkomodation nur
einen Visus von 0,1 erreichte.
Im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen des Sachverständigen ist vielmehr im
Gegenteil zweifelhaft, ob es für die Frage, ob der Kläger vor dem Unfall ohne Korrektur
durch eine Brille dauerhaft eine volle Sehfähigkeit hatte, überhaupt darauf ankommen
kann, in welchem Maße der Kläger individuell zu einer Akkomodation in der Lage war.
Dagegen könnte sprechen, dass auch die Vorinvalidität im Sinne des § 7 I Ziff. 3 AUB
nach einem abstrakten Maßstab zu bemessen ist, d.h. dass individuelle Besonderheiten
etwa des Berufs oder der Tätigkeit des Versicherten, möglicherweise damit aber auch
die individuelle Fähigkeit zur Kompensation einer Beeinträchtigung der
Gebrauchsfähigkeit eines Auges, keine Berücksichtigung finden (vgl. nur BGH VersR
1983, 58, 59). Dies kann jedoch – aus den vorausgeführten Gründen - letztlich
dahinstehen.
Das Landgericht hat angesichts der Feststellungen des Sachverständigen auch zu Recht
von der Vernehmung der vom Kläger für seine Behauptung eines Visus von 1,0
benannten Zeugen abgesehen. Soweit diese Zeugen nämlich bekunden sollen, dass der
Kläger beim Sport und bei seiner Tätigkeit in der … tatsächlich keine Brille getragen
habe, kommt es auf diese Tatsache nicht an. Insoweit hat der Sachverständige
überzeugend ausgeführt, dass der Umstand, dass der Kläger tatsächlich die ihm
verordnete Brille nicht getragen habe, aus medizinischen Gründen nicht erheblich sei,
und dass es durchaus möglich sei, dass der Kläger Beeinträchtigungen durch das
Nichttragen der Brille nicht empfunden habe. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob der
Optiker des Klägers oder seine Augenärztin bestätigen, dass er einen Visus von 1,0
erreicht hat. Dass dies möglich ist, hat der Sachverständige bestätigt, so dass die durch
die Zeugen unter Beweis gestellte Behauptung des Klägers als wahr unterstellt werden
kann. Dies ändert jedoch nichts daran, dass nach den überzeugenden Ausführungen des
Sachverständigen ein solcher Visus bei einer Weitsichtigkeit von + 3 Dioptrien ohne Brille
nicht dauerhaft erreichbar ist.
bb) Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass ein Abzug wegen Vorinvalidität
nicht stets geboten ist, wenn der Versicherungsnehmer vor der unfallbedingten
Beeinträchtigung seiner Sehfähigkeit Brillenträger war. Eine Ausnahme kommt etwa in
Betracht, wenn der Geschädigte die Brille allein zur Behebung einer
Gebrauchsminderung des vom Unfall nicht betroffenen Auges benötigte oder wenn die
neben dem vom Unfall nicht betroffenen Auge bestehende Minderung auf dem
betroffenen Auge allein die Verordnung einer Brille nicht erforderlich gemacht hätte (vgl.
zu diesen Ausnahmen: OLG Düsseldorf VersR 2005, 109, 110). Für eine solche
Ausnahme besteht hier indes kein Anhaltspunkt; der Kläger war vielmehr auf beiden
Augen gleichermaßen mit + 3 Dioptrien weitsichtig.
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c) Es ist auch nichts dagegen einzuwenden, dass das Landgericht ebenso wie die
Beklagte den Brillenabschlag mit 3 % in Ansatz gebracht hat, was sich ohnehin nur auf
den Anspruch des Klägers auf Zahlung des Invaliditätskapitals auswirken könnte, da die
Ansprüche auf Zusatzleistung und Rente bei jeglichem Abschlag entfallen.
Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 27.04.1983 (VersR 1983, 581, 582)
ausdrücklich die Möglichkeit angesprochen, dass Versicherer oder Sachverständige
Tabellen im Sinne von praktikablen Richtlinien erarbeiten könnten, "wenn sie die
erfahrungsgemäß in Betracht kommenden Merkmale solcher Versicherungsfälle in einer
dem Gesetz und den AUB entsprechenden Weise einbeziehen".
Insofern könnten zwar gegen eine nach der Bekundung des Sachverständigen erfolgte
Festlegung von Augenärzten und Versicherungen, wonach pro Dioptrien ein Abschlag
von 1 % zu machen sei, Bedenken bestehen, weil eine solche Festlegung letztlich
bedeuten würde, dass – entgegen der die Anwendung der AUB konkretisierenden
Rechtsprechung des BGH – zwar nicht in der Höhe des Abschlages, aber in dem für die
Höhe entscheidenden Kriterium nicht auf die Beeinträchtigung durch das Tragen einer
Brille, sondern auf das Maß der Sehbeeinträchtigung als solches abgestellt würde. Die
Beeinträchtigung durch das Tragen der Brille dürfte nämlich nicht mit jeder zusätzlichen
Dioptrie wachsen.
Eine Bemessung der Vorinvalidität des Klägers mit 3 % ist jedoch gleichwohl auch dann
gerechtfertigt, wenn man (nur) die von Gramberg-Danielsen/Kern (VersR 1989, 44, 45)
angesprochene Differenzierung zu Grunde legt, wonach geringe bis mittelgradige
Korrekturen im Bereich bis + 10/ - 13 Dioptrien einen Invaliditätsgrad von 3 % und
hochgradige Korrekturen im Bereich von über + 10/ - 13 Dioptrien einen Invaliditätsgrad
von 5 % sowohl als Zu- als auch als Abschlag rechtfertigen (wenn nicht zusätzlich andere
Beeinträchtigungen des Sehvermögens - Gesichtsfeld, Farb- und Dunkelsehen -
hinzukommen). Diese grobe Differenzierung berücksichtigt insbesondere, dass die
Beeinträchtigungen durch das Tragen einer Brille sich im Wesentlichen danach
unterscheiden, wie stark der Betroffene – abstrakt betrachtet - auf das Tragen der Brille
angewiesen ist, das heißt, ob er nur leicht in seinem Sehvermögen eingeschränkt ist
oder ohne Brille auch einfache Alltagstätigkeiten kaum oder gar nicht verrichten kann.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst, da die Voraussetzungen der §§ 543 Abs.
2 Nr. 1 oder Nr. 2 ZPO nicht vorliegen. Insbesondere ergibt sich die grundsätzlichen
Bedeutung der Sache nicht allein aus den aufgezeigten Bedenken gegen die
Argumentation des BGH in seinem Urteil vom 27.04.1983, da diese Bedenken auf das
Ergebnis keinen Einfluss haben.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 30.205,49 Euro festgesetzt.
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