Urteil des OLG Brandenburg vom 19.11.2008

OLG Brandenburg: grad des verschuldens, öffentliches interesse, veröffentlichung, einwilligung, persönlichkeitsrecht, verbreitung, entstehung, entschädigung, besitz, körperverletzung

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 1.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 U 37/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 823 Abs 1 BGB, Art 2 Abs 1
GG, § 22 KunstUrhG, § 23
KunstUrhG
Schadensersatz wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung
durch die Veröffentlichung eines Fotos im Rahmen der
Fernsehberichterstattung über ein Strafverfahren
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 19. November 2008 verkündete Urteil des
Landgerichts Cottbus - 3 O 178/07 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Kläger nimmt den Beklagten auf Zahlung von Schadenersatz wegen einer
Persönlichkeitsrechtsverletzung in Anspruch.
Gegen den Kläger, der mit seiner Ehefrau und sieben Kindern in D… wohnte, wurden
Anfang 2006 durch die Staatsanwaltschaft Cottbus mehrere Ermittlungsverfahren, u. a.
ein Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern eingeleitet. Nachdem das
Jugendamt dem Kläger das Sorgerecht über seine Kinder aufgrund des
Missbrauchsverfahrens entzogen hatte, wandte sich dieser an die L…, die am …. Mai
2006 ein Interview mit ihm sowie ein Foto von ihm veröffentlichte. Das
Missbrauchsverfahren wurde später eingestellt und dem Kläger das Sorgerecht wieder
übertragen.
Über die gegen den Kläger geführten Ermittlungsverfahren wurde später
verschiedentlich im Fernsehen berichtet; ob das Gesicht des Klägers hierbei erkennbar
war, ist streitig. Am …. Februar 2007 strahlte der Beklagte einen Bericht über den
Beginn der Hauptverhandlung gegen den Kläger aus. In diesem Verfahren wurden dem
Kläger u. a. die gefährliche Körperverletzung einer Staatsanwältin sowie der Besitz von
kinderpornografischen Schriften vorgeworfen. Der Kläger wurde von dem Beklagten bei
dem Betreten des Gerichtssaals und während ihm die Handfesseln abgenommen
wurden gefilmt. Hierbei war das Gesicht des Klägers erkennbar. Hinsichtlich des
Wortlauts des Berichts wird auf Bl. 34 ff. der Gerichtsakten Bezug genommen. Nachdem
sich der Kläger mit Schreiben vom selben Tage an die Beklagte gewandt hatte, sperrte
diese unverzüglich den archivierten Beitrag mit dem Bild des Klägers für eine weitere
Verwendung.
Das Landgericht Cottbus verurteilte den Kläger wegen Körperverletzung sowie wegen
des Besitzes von kinderpornografischem Material zu 32 Monaten Haft.
Wegen der Einzelheiten wird im Übrigen auf die Feststellungen im angefochtenen Urteil
(Tatbestand) verwiesen.
II.
Die zulässige, insbesondere frist- und formgerecht eingelegte und begründete Berufung
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Die zulässige, insbesondere frist- und formgerecht eingelegte und begründete Berufung
des Beklagten hat in der Sache Erfolg. Ein Anspruch des Klägers gegen den Beklagten
auf Ausgleich des immateriellen Schadens besteht nicht.
Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Entschädigungsanspruch in Höhe von
5.000,00 € gem. § 823 Abs. 1 i.V.m. Art 2, Abs. 1 GG (zur Anspruchsgrundlage vgl. BGH
NJW 1995, S. 861; 2000, S. 2195; 2005, S. 215).
Nach der verfassungsrechtlich unbedenklichen (BVerfG NJW-RR 2007, S. 1055)
Rechtsprechung besteht ein solcher Anspruch nur dann, wenn eine schwerwiegende
Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vorliegt und sich diese
Beeinträchtigung nach Art der Verletzung nicht in anderer Weise (Genugtuung durch
Unterlassung, Gegendarstellung oder Widerruf) befriedigend ausgleichen lässt (BGH NJW
2000, 2195). Letztlich kann hier dahinstehen, ob die Berichterstattung des Beklagten
rechtswidrig in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eingreift, jedenfalls stellt die
Ausstrahlung des Berichts keine so schwere Persönlichkeitsverletzung des Klägers dar,
die die Zubilligung einer Entschädigung in Geld geboten erscheinen lässt.
1. Der Fernsehbericht des Beklagten über den Kläger, in dem dieser erkennbar gezeigt
wurde, greift allerdings in das Persönlichkeitsrecht des Klägers ein.
Die Berichterstattung über Entstehung, Ausführung und Verfolgung einer Straftat unter
Namensnennung, Abbildung und Darstellung des Straftäters greift zwangsläufig in
dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht ein, weil sie sein Fehlerverhalten öffentlich
bekannt macht und seine Person in den Augen der Adressaten von vornherein negativ
qualifiziert (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juni 2009, 1 BvR 1107/09 m.w.N.). Der Kläger
hat in die Verbreitung bzw. Zurschaustellung der Abbildung nicht i.S.v. § 22 KUG
eingewilligt. Eine konkludente Einwilligung anlässlich der Aufnahmen wurde nicht erteilt.
Er war insbesondere weder verpflichtet, den Filmaufnahmen zu widersprechen noch
durch abwehrende Gesten seine fehlende Einwilligung kund zu tun. Der Vortrag des
Beklagten, die Reporter hätten sich durch Blickkontakt zum Kläger vergewissert, dass
eine solche besteht, ist gleichfalls nicht geeignet, eine Einwilligung anzunehmen. In dem
Dulden der Filmaufnahmen liegt keine Zustimmung zur Veröffentlichung der Bilder.
Allein dem Blick in die Augen sowie dem Zurückschauen ist - jedenfalls ohne das
Hinzutreten weiterer Umstände - kein solcher Erklärungswert beizumessen. Den
entsprechenden Beweisangeboten ist das Landgericht daher zu Recht nicht
nachgegangen. Die Einwilligung des Klägers im Jahr 2006 bezog sich ausschließlich auf
den über ihn erscheinenden Presseartikel und umfasste nicht auch die Berichterstattung
über die Eröffnung des gegen ihn gerichteten Strafverfahrens. Die Zustimmung zur
Veröffentlichung gilt immer nur im Rahmen des vertraglich vereinbarten konkreten
Zwecks (Löffler/Ricker, Handbuch des Presserechts, 5. Aufl. 2005, Kap. 43 Rdnr. 6
m.w.N.). Hier fehlt ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang mit der
streitgegenständlichen Berichterstattung.
2. Ob in der Ausstrahlung eine rechtswidrige Verletzung des Persönlichkeitsrechts zu
sehen ist, erscheint zweifelhaft. In Betracht kommt eine Rechtfertigung der
unanonymisierten Berichterstattung unter dem Gesichtspunkt der Wahrnehmung
berechtigter Interessen u. a. dann, wenn die unanonymisierte Verbreitung der
Aufnahmen nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG gestattet ist.
Über den Kläger wurde aktuell und aufgrund eines konkreten Anlasses - in
Zusammenhang mit der Eröffnung des gegen ihn gerichteten Strafverfahrens -
berichtet. Er ist dadurch als relative Person der Zeitgeschichte in Erscheinung getreten.
Relative Personen der Zeitgeschichte sind solche, die im Zusammenhang mit einem
bestimmten Ereignis oder Vorgang Bedeutung erlangt haben und dadurch
vorübergehend aus der Anonymität hervortreten (Löffler/ Ricker, a.a.O., Kap. 43 Rdnr.
14). Auch Fehlverhalten kann einen Menschen zur Person der Zeitgeschichte machen,
sodass grundsätzlich auch von verurteilten Straftätern oder den schwerer Straftaten
Angeklagten Bildnisse veröffentlicht werden dürfen (BVerfGE 35, S. 202 ff.). Allerdings
sind hier die widerstreitenden grundgesetzlich geschützten Belange gegeneinander
abzuwägen. Wahre Berichte können das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen dann
verletzen, wenn die Darstellung einen Persönlichkeitsschaden anzurichten droht, der
außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der Wahrheit steht. Dies kann
insbesondere dann der Fall sein, wenn die Aussagen, obschon sie wahr sind, geeignet
sind, eine erhebliche Breitenwirkung zu entfalten und eine besondere Stigmatisierung
des Betroffenen nach sich ziehen. Auf der anderen Seite sprechen erhebliche
Erwägungen für eine auch die Person des Täters einbeziehende vollständige Information
der Öffentlichkeit über vorgefallene Straftaten und die zu ihrer Entstehung führenden
Vorgänge. Straftaten gehören zum Zeitgeschehen, dessen Vermittlung Aufgabe der
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Vorgänge. Straftaten gehören zum Zeitgeschehen, dessen Vermittlung Aufgabe der
Presse ist (BVerfG, Beschluss vom 10. Juni 2009 - 1 BvR 1197/09). Bei der Abwägung der
Interessen auf Information der Öffentlichkeit und den Beeinträchtigungen, die mit der
identifizierenden Berichterstattung über Verfehlungen des Betroffenen verbunden ist,
verdient für die tagesaktuelle Berichterstattung über Straftaten das
Informationsinteresse im Allgemeinen den Vorrang (BVerfG, a.a.O.).
Wendet man diese Grundsätze an, ergibt sich Folgendes: Der Beklagte unterrichtete die
Öffentlichkeit aus aktuellem Anlass, dem Beginn der gegen den Kläger gerichteten
Hauptverhandlung. Die Anklagepunkte waren auch nicht unerheblich, sondern geeignet,
ein allgemeines öffentliches Interesse zu begründen. Der Körperverletzungsvorwurf
beruht darauf, dass der Kläger eine ihn vernehmende Staatsanwältin sowie seine
Ehefrau anlässlich einer Vernehmung mit einem Messer angegriffen hat. Dieser Vorfall
hat nach eigener Kenntnis des Senats ein nicht unerhebliches Aufsehen in der
Öffentlichkeit erregt und hierüber war vielfach in der Presse berichtet worden. Hinzu
kommt der in der Regel von öffentlichem Interesse begleitete Anklagepunkt des Besitzes
kinderpornografischer Schriften. Auch hierüber war bereits zuvor in der Presse berichtet
worden. Insoweit war die identifizierbare Berichterstattung gerechtfertigt. Auf ein von der
Rechtsprechung zuerkanntes Resozialisierungsinteresse kann sich der Kläger hier noch
nicht erfolgreich berufen, da sich die Berichterstattung auf die Eröffnung des
Strafverfahrens bezog. Problematisch ist allerdings der mit dem Vorwurf des
Missbrauchs der eigenen Kinder hergestellte Zusammenhang. Der Begleittext lautet: „Er
soll Pornos hergestellt und verbreitet haben, mit den eigenen Kindern.“ Dass diese
Vorwürfe im Zeitpunkt der Berichterstattung noch im Raum standen, ist dem Vortrag
des Beklagten, der insoweit die Darlegungslast trägt, nicht zu entnehmen. In der
Berufungsbegründung heißt es nur noch, dem Kläger sei der Besitz von
kinderpornografischen Schriften sowie der Angriff mit einem Messer auf die
Staatsanwältin sowie seine Ehefrau vorgeworfen worden. Der Senat geht deshalb davon
aus, dass die Missbrauchsvorwürfe nicht mehr Gegenstand des Strafverfahrens waren
und die Berichterstattung insoweit jedenfalls unvollständig war. Diese Aussage ist zwar
nicht falsch, war jedoch zum einen im Zeitpunkt der Berichterstattung nicht (mehr)
aktuell und ist zudem besonders beeinträchtigend, insbesondere wenn sie mit einer
nicht anonymisierten Berichterstattung verbunden wird. Die Aussage beinhaltet eine
qualitativ schwerere Anschuldigung und die Prangerwirkung wird sich hierdurch nicht
unerheblich erhöhen.
3. Letztlich kann jedoch dahinstehen, ob eine rechtswidrige
Persönlichkeitsrechtsverletzung gegeben ist oder nicht. Denn die Verletzung stellt sich
im Ergebnis nicht als so schwerwiegend dar, dass sie die hier allein streitgegenständliche
materielle Entschädigung des Klägers rechtfertigt.
Nicht jede rechtswidrige und schuldhafte Verletzung des Persönlichkeitsrechts und des
Rechts am eigenen Bild löst einen Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens aus.
Nur unter bestimmten erschwerenden Voraussetzungen ist das unabweisbare Bedürfnis
anzuerkennen, dem Betroffenen wenigstens einen gewissen Ausgleich für ideelle
Beeinträchtigungen durch Zubilligung einer Geldentschädigung zu gewähren (BGH VersR
1974, S. 756 ff.). Ob dies der Fall ist, hängt insbesondere von der Bedeutung und
Tragweite des Eingriffs, also der Verbreitung der rechtswidrigen Veröffentlichung, der
Nachhaltigkeit und Fortdauer der Interessen- und Rufschädigung des Verletzten, ferner
von Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie von dem Grad seines Verschuldens
ab (BGH, NJW 1985, S. 1617). Dass die erlittene Beeinträchtigung so gravierend war,
dass sie sich nicht auf andere Weise befriedigend ausgleichen lässt, kann hier nicht
festgestellt werden. Beeinträchtigungen die spezifisch auf der streitgegenständlichen
Berichterstattung beruhen, hat der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Kläger
nicht vorgetragen.
Die Interessen- und Rufschädigung in der Öffentlichkeit ist hier bereits durch den von
dem Kläger selbst veranlassten Artikel in der L… eingetreten. Diese Rufschädigung ist
auch unabhängig davon eingetreten, dass der Artikel bereits ein Jahr vor Prozessbeginn
veröffentlicht worden ist. Den nunmehr von dem Kläger beanstandeten Zusammenhang
zwischen seiner Person und dem Vorwurf des sexuellen Missbrauchs der eigenen Kinder
hat der Kläger damit selbst und nicht der Beklagte erstmals für die Öffentlichkeit
hergestellt. Allein die Wiederholung dieser - nicht (mehr) aktuellen - Behauptung führt
jedenfalls nicht zu einer wesentlich schwerwiegenderen Rufschädigung. Soweit der Kläger
vorträgt, dass andere Haftinsassen erstmals aufgrund der Berichterstattung des
Beklagten von den Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs erfahren hätten und er
massiven Drohungen und Anfeindungen ausgesetzt gewesen sei, reicht auch dies nicht
aus, um eine erhebliche Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts zu begründen.
Den Zusammenhang hat der Kläger zuvor für die Öffentlichkeit erkennbar selbst
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Den Zusammenhang hat der Kläger zuvor für die Öffentlichkeit erkennbar selbst
hergestellt, der Beklagte hat ihn lediglich wiederholt. Zudem ist zu berücksichtigen - so
auch das Landgericht -, dass der Kläger letztlich u. a. wegen des Besitzes
kinderpornographischer Schriften zu einer nicht unerheblichen Freiheitsstrafe verurteilt
worden ist. Die entsprechende Ursache hat er insoweit selbst gesetzt. Ob er wegen des
Vorwurfs des Missbrauchs der eigenen Kinder insgesamt härteren Repressalien
ausgesetzt ist als er ohne diese Aussage ausgesetzt wäre, ist weder schlüssig
vorgetragen noch sonst ersichtlich. Soweit er von einem Mitgefangenen in der JVA
angegriffen wurde, kann dies dem Beklagten bzw. der Berichterstattung nicht
zugerechnet werden.
Zudem ist auch der Grad des Verschuldens des Beklagten nicht besonders
schwerwiegend. Unabhängig davon, ob der Kläger die Aufnahmen im Gerichtssaal
verboten hat oder nicht, ist auch insoweit sein vorhergehendes Verhalten zu
berücksichtigen. Zeitlich vor der Berichterstattung der Beklagten hatte der Kläger die
Veröffentlichung eines identifizierbaren Bildes von ihm selbst in Zusammenhang mit der
Berichterstattung über den sexuellen Missbrauch der eigenen Kinder gestattet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch der vorläufigen
Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1, 713 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (§ 543
Abs. 2 ZPO).
Die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren folgt aus § 3 ZPO.
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