Urteil des OLG Brandenburg vom 13.03.2017

OLG Brandenburg: einstellung des verfahrens, falsche aussage, hinreichender tatverdacht, strafanzeige, legalitätsprinzip, rechtspflege, nebenintervenient, prozesspartei, privatkläger, strafverfahren

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 1.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 Ws 179/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 171 StPO, § 172 StPO, § 153
StGB, §§ 153ff StGB, § 165 StGB
Klageerzwingung: Durch Rechtspflegedelikte beeinträchtigte
Verfahrensbeteiligte als Verletzte
Leitsatz
Durch Rechtspflegedelikte (§§ 153 bist 165, 339, 356 StGB) Verletzte im Sinne der §§ 171,
172 StPO sind die durch diese Straftaten beeinträchtigten Verfahrensbeteiligten anzusehen.
Verletzt ist daher diejenige Prozesspartei (Angeklagter, Privatkläger, Kläger, Beklagter,
Nebenintervenient, Beigeladener), bei der durch die Falschaussage, den Meineid, die falsche
eidesstattliche Bekräftigung oder die Rechtsbeugung die Entscheidung zu ihrem Nachteil
beeinflusst worden ist, nicht aber die beteiligten Organe der Rechtspflege wie Richter,
Staatsanwälte und Verteidiger.
Tenor
Der Antrag des Anzeigeerstatters auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid der
Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg vom 27. Juli 2009 wird als
unzulässig verworfen.
Gründe
1.
die Begehung eines Meineides gemäß § 154 StGB vor, begangen am 14. Mai 2004 vor
dem Amtsgericht Perleberg oder am 6. Januar 2005 vor dem Landgericht Neuruppin.
Sein Antrag auf gerichtliche Entscheidung richtet sich gegen den Bescheid der
Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg vom 27. Juli 2009, durch den diese
dem Anzeigeerstatter mit näheren Ausführungen mitgeteilt hat, dass sie keinen Anlass
sehe, in Abänderung des angefochtenen Einstellungsbescheids der Staatsanwaltschaft
Neuruppin vom 3. März 2009 die Wiederaufnahme der Ermittlungen und die Erhebung
der öffentlichen Klage gegen den Beschuldigten anzuordnen.
2.
bereits unzulässig.
a)
Abs. 1 Satz 1 StPO ist. Dem Antragsteller steht die Beschwerde an den
Generalstaatsanwalt gegen den Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft nur zu,
wenn er zugleich Verletzter ist (§ 172 Abs. 1 Satz 1 StPO). Infolgedessen setzt auch der
Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 172 Abs. 2 S. 1 StPO voraus, dass der
Antragsteller durch die dem Beschuldigten zur Last gelegte Straftat verletzt worden ist.
Nach allgemeiner Ansicht sind durch Rechtspflegedelikte (§§ 153 bist 165, 339, 356
StGB) als Verletzte im Sinne der §§ 171, 172 StPO die durch diese Straftaten
beeinträchtigten Verfahrensbeteiligten anzusehen. Verletzt ist daher diejenige
Prozesspartei (Angeklagter, Privatkläger, Kläger, Beklagter, Nebenintervenient,
Beigeladener), bei der durch die Falschaussage, den Meineid, die falsche eidesstattliche
Bekräftigung oder die Rechtsbeugung die Entscheidung zu ihrem Nachteil beeinflusst
worden ist (vgl. OLG Bremen NStZ 1988, 39; OLG Düsseldorf JZ 1989, 404; OLG
Düsseldorf StraFo 2001, 165; KG, Beschluss vom 3. Februar 2006, 3 Ws 312/05; OLG
Karlsruhe, Beschluss vom 10.11.2000, 3 Ws 220/99, zitiert nach juris). Nicht als Verletzte
der Rechtspflegedelikte sind dagegen die betreffenden Rechtspflegeorgane bzw. deren
Mitglieder (Richter, Mitglieder eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses,
Staatsanwalt, Rechtsanwalt) anzusehen (vgl. Löwe/Rosenberg-Graalmann-Scheerer,
StPO, 25. Aufl. 2004, § 172 Rn. 72).
Das Klageerzwingungsverfahren sichert das Legalitätsprinzip, hat seinen Ursprung
jedoch im Begriff des Verletzten und dessen Interessen, wie die Entstehungsgeschichte
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jedoch im Begriff des Verletzten und dessen Interessen, wie die Entstehungsgeschichte
verdeutlicht. Das Institut der Klageerzwingung ist das Ergebnis eines Kompromisses
zwischen der Regelung des im Jahr 1874 vom damaligen Bundesrat eingebrachten
Entwurfs, der – abgesehen von den Privatklagedelikten – bei Einstellung des Verfahrens
nur die Beschwerde an den vorgesetzten Beamten der Staatsanwaltschaft, und zwar
durch den Verletzten, vorsah, und der Forderung der Reichstagskommission, jedem
Anzeigeerstatter die Erzwingung der öffentlichen Klage zu ermöglichen. Dem
Kompromiss war eine scharfe Auseinandersetzung zwischen den Regierungsvertretern
und dem Reichstag vorausgegangen, die im Hinblick auf die Frage der Notwendigkeit
einer Kontrolle der Entscheidungen durch die Staatsanwaltschaft durch eine
unabhängige Instanz überhaupt grundsätzlichen Charakter angenommen hatte (siehe §
146 Abs. 2 des Entwurfs einerseits und § 148 der Kommissions-Fassung andererseits,
Hahn, Materialien II, 2. Aufl. 1886, S. 2216 f.; vgl. auch v. Liszt, Strafrechtliche Aufsätze
und Vorträge I, 1905, S. 30 ff.).
Durch die Verankerung prozessförmiger Verfahren erfüllt der Staat nicht nur Bedürfnisse
der Allgemeinheit wie vorliegend die Gewährung des Legalitätsprinzips, sondern zugleich
auch – durch Justizgewährung – gewisse Individualinteressen. Nur insoweit diese konkret
unterstützend zu den öffentlichen Interessen hinzutreten, wird das
Klageerzwingungsverfahren zulässig (vgl. Frisch JZ 1974, S. 7, 9; Maiwald GA 1970, S. 33,
52; Hefendehl GA 1999, S. 584, 587). Das Verhältnis zum oben angeführten Zweck des
Klageerzwingungsverfahrens, der Sicherung des Legalitätsprinzips, ist dahin zu
konkretisieren, dass es nicht um die Gewährleistung des § 152 Abs. 2 StPO als eines
objektiven Rechtsprinzips geht, sondern das Klageerzwingungsverfahren den Schutz des
Verletzten bezweckt, soweit dieser durch die Einstellung des Verfahrens beschwert
erscheint; erst insoweit dient das Klageerzwingungsverfahren dem Legalitätsprinzip (vgl.
OLG Stuttgart NJW 2001, S. 840; OLG Düsseldorf VRS 98, S. 136; OLG Düsseldorf NStZ
1995, S. 49; OLG Düsseldorf NJW 1992, S. 2370; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2001, S. 112;
OLG Koblenz NJW 1985, S. 1409; OLG Bremen NStZ-RR 2000, S. 270; OLG Hamm NJW
1972, S. 1874; OLG Köln NJW 1972, S. 1338; Frisch JZ 1974, S. 7, 9 f.; Krehl in:
Heidelberger Kommentar, StPO, 2. Aufl. 1999, § 172 Rdnr. 1; KK-Schmid, StPO, 5. Aufl.
2003, § 172 Rdnr. 1, 18; Pfeiffer, StPO, 5. Aufl. 2005, S. 172 Rdnr. 1; Roxin,
Strafverfahrensrecht, 25. Aufl. 1998, § 39 Rdnr. 2; Beulke, Strafprozeßrecht, 7. Aufl.
2004, Rdnr. 344; Maiwald GA 1970, S. 33, 52; Hefendehl GA 1999, S. 584, 587;
Karlsbach, Die gerichtliche Nachprüfung von Maßnahmen der Staatsanwaltschaft im
Strafverfahren, 1967, S. 82). Der Gesetzgeber hat durch das „limitierende Prinzip“
(Frisch aaO.) - das Erfordernis der Verletzung - darauf verzichtet, der Sicherung und
Durchsetzung des Legalitätsprinzips uneingeschränkte Priorität einzuräumen. Mithin
kann ein Organ der Rechtspflege – wie im vorliegenden Fall der Antragsteller als
Verteidiger in einem Strafverfahren – jedenfalls so lange keine Verletzteneigenschaft
zukommen, so lange er nicht in eigenen Individualinteressen betroffen ist. Im
vorliegenden Verfahren ist der Antragsteller durch den behaupteten Meineid nicht
unmittelbar in einem eigenen Rechtsgut betroffen.
b)
September 2009 überdies nicht den Darlegungserfordernissen des § 172 Abs. 3 Satz 1
StPO genügt. Nach dieser Vorschrift muss der Klageerzwingungsantrag diejenigen
Tatsachen bezeichnen, die die Erhebung der öffentlichen Klage gegen die Beschuldigte
begründen sollen. Hierzu gehört eine in sich verständliche Sachdarstellung unter
besonderer Berücksichtigung der (möglichen) Beweismittel. (vgl. BVerfG Beschl. v. 3.
März 1993 – 2 BvR 125/94 - ; OLG Koblenz NJW 1977, S. 1461 f.; OLG Stuttgart NStZ-RR
2002, S. 79; ständige Senatsrechtsprechung, vgl. statt vieler: Beschluss vom 8. Mai
2006 - 1 Ws 85/06 -; Beschluss vom 26. Januar 2007 - 1 Ws 5/07 - ; Beschluss vom 26.
Februar 2007 - 1 Ws 13/07; Beschluss vom 16. Januar 2008 – 1 Ws 310/07).
Die Ausführungen im Klageerzwingungsantrag sollen den erkennenden Senat in die Lage
versetzen, zu prüfen, ob die Staatsanwaltschaft unter Verstoß gegen das
Legalitätsprinzip das Verfahren gegen den Beschuldigten eingestellt hat anstatt
öffentliche Klage zu erheben. Der Antrag muss es dem zur Entscheidung berufenen
Gericht deshalb ermöglichen, allein aufgrund seines Inhalts und ohne Rückgriff auf die
Ermittlungsakten sowie etwa vorhandener Beiakten oder Beistücke oder Anlagen eine
dahingehende Schlüssigkeitsprüfung vorzunehmen, ob er in zulässiger Weise – auch
fristgemäß – gestellt worden ist und ob nach dem Vorbringen des Antragstellers ein für
die Erhebung der öffentlichen Klage hinreichender Tatverdacht gegeben ist (vgl. OLG
Stuttgart a.a.O.; OLG Karlsruhe, Die Justiz 2001, S. 166 f.).
Diesen skizzierten Vorgaben wird der Klageerzwingungsantrag nicht gerecht. Es fehlt
bereits an einer in sich geschossenen Sachverhaltsdarstellung. Da der Antragsteller
dem Beschuldigten die Begehung eines Meineides vorwirft, bedarf es einer Schilderung
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dem Beschuldigten die Begehung eines Meineides vorwirft, bedarf es einer Schilderung
des zugrunde liegenden Strafverfahrens gegen Ralf P., dessen Ausgang durch die
vermeintlich vorsätzliche falsche Aussage, deren Wahrheit durch den Beschuldigten
beschworen wurde, beeinflusst worden sein soll. Daran fehlt es hier, so dass unklar ist,
worum es in den Verfahren, in denen der Beschuldigte als Zeuge aufgetreten ist, ging.
Des Weiteren beschränkt sich die Wahrheitspflicht eines Zeugen auf den
Vernehmungsgegenstand (vgl. BGHSt 7, 127; BGHSt 25, 244, 246, Geppert Jura 2002,
173, 174 f.). Ausführungen zum Beweisthema bzw. zum Vernehmungsgegenstand sind
der Antragsschrift – wie auch schon der Strafanzeige vom 12. März 2007 – ebenfalls
nicht zu entnehmen. Vor diesem Hintergrund ist die in der Strafanzeige vom 12. März
2007 und in der Antragsschrift vom 2. September 2009 wiedergegebene, aus dem
Zusammenhang gerissene, Aussage des hier Beschuldigten vor dem Amtsgerichts
Perleberg vom 14. Mai 2004 hinsichtlich des Sinngehalts und des Kontextes nicht
nachvollziehbar. Soweit den – teils konfusen und wenig systematischen – Ausführungen
in der Antragsschrift entnommen werden kann, dass es offenbar um die Anzahl von
Fahrzeugen am Tatort ging (wobei die Bedeutung dessen weiter unklar bleibt) und dem
Beschuldigten durch den Antragsteller offenbar vorgeworfen wird, nicht auch einen
Notarztwagen erwähnt zu haben, wird dies gerade durch das Protokoll über die
Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Perleberg am 14. Mai 2004 widerlegt, wonach
der hier Beschuldigte in derselben Vernehmung, wenige Zeit vorher, auch den
Notarztwagen erwähnt (vgl. Bl. 16 des Protokolls, Bl. 315 R Sonderband).
Soweit der Antragsteller einen (weiteren) Meineid darin sieht, dass der Beschuldigte
unterschiedliche Aussagen zur Ausrichtung abgestellter Kraftfahrzeuge gemacht haben
will, bleibt auch hier die Bedeutung der Aussage für das Verfahren unklar, da der
Verfahrensgegenstand bzw. die dem damals Angeklagten P. vorgeworfene Straftat nicht
mitgeteilt wird. Es fehlen auch Angaben zur Tatzeit hinsichtlich der dem damals
angeklagten P. vorgeworfenen Tat, so dass für den erkennenden Senat nicht
nachprüfbar ist, ob möglicherweise Erinnerungslücken Grund für die behaupteten
unterschiedliche Aussagen des Beschuldigten sein können, was einem Meineid
entgegenstehen würde. Schließlich sind die Angaben zur Ausrichtung abgestellter
Fahrzeuge je nach Blickwinkel des Betrachters auslegungsfähig, so dass sich daraus
nicht zwingend Rückschlüsse auf eine bewusste Falschaussage ergeben.
Soweit der Antragsteller der Antragsschrift zahlreiche Kopien aus Akten beifügt, kann
dies den eigenen Sachvortrag nicht ersetzen und ist unzulässig (vgl. OLG Hamm VRS
197, S. 197; OLG Koblenz NJW 1977, S. 1461). Dies gilt jedenfalls so weit, als erst durch
die Kenntnisnahme von Inhalten dieser Anlagen bzw. Aktenbestandteile die erforderliche
geschlossene Sachdarstellung erreicht wird (vgl. KG NStE, Nr. 28; OLG Düsseldorf StV
1983, S. 498; OLG Saarbrücken wistra 1995, S. 36; OLG Schleswig SchlHA 1988, S 109;
ständige Senatsrechtsprechung, vgl. statt vieler: Beschluss vom 26. Mai 2008, 1 Ws
34/08).
III.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
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