Urteil des OLG Brandenburg vom 25.09.2008

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht
Kartellsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
Kart W 4/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 3 Nr 22 EnWG, § 36 Abs 1
EnWG
Energiewirtschaft: Verpflichteter zur Grundversorgung mit
elektrischer Energie; Netzbetreiber als Grundversorger
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichts
Frankfurt (Oder) vom 2.6.2008 – 11 O 173/08 – wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Beschwerdewert wird auf 6.300,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist Mieter einer Teilfläche auf dem Grundstück … Weg 24 in G.. Den
dort von ihm abgestellten gemieteten Wohnwagen nutzt er mehrere Tage in der Woche
als Wohnung. Darin befinden sich elektrische Geräte, darunter ein Tiefkühlschrank und
ein Kühlschrank.
Die Antragsgegnerin ist Stromversorgerin. Sie gab das Informationsblatt
"Preisanpassung Strom und Änderung der Ergänzenden Bedingungen zur
Stromgrundversorgungsverordnung vom 1.1.2008" heraus.
Bis zum 7.4.2008 war der Wohnwagen des Antragstellers an das Netz der
Antragsgegnerin angeschlossen. Er wurde dabei über seine Vermieterin, die Firma h…
Verwaltungen, versorgt. Am 7.4.2008 wurde die Zuleitung unterbrochen, so dass der
Antragsteller seitdem ohne Stromanschluss ist.
Am selben Tag beantragte der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Verfügung
beim Amtsgericht Zossen, mit der der Antragsgegnerin untersagt werden sollte, die
Stromzufuhr zu unterbrechen, und mit der ihr aufgegeben werden sollte, die bereits
unterbrochene Stromzufuhr unverzüglich wieder herzustellen. Diesen Antrag wies das
Amtsgericht Zossen durch am 22.4.2008 verkündetes Urteil (Az.: 7 C 94/08) zurück. Zur
Begründung hat es ausgeführt, es bestehe weder ein vertraglicher Anspruch gegen die
Antragsgegnerin noch ein Anspruch wegen verbotener Eigenmacht. Soweit der
Antragsteller einen Anspruch gemäß § 36 EnWG geltend mache, sei hierfür nicht das
Amtsgericht zuständig. Ausschließlich zuständig seien vielmehr die Landgerichte.
Der Antragsteller forderte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 22.4.2008 zur
Grundversorgung des Grundstücks auf. Die Antragsgegnerin teilte ihm mit Schreiben
vom 28.4.2008 mit, dass sie das Grundstück nicht mit Energie beliefere. Sie bat den
Antragsteller, sich mit seinem Anliegen an seinen Vermieter zu wenden.
Der Antragsteller hat vorgetragen, zur Wiederherstellung der Stromversorgung sei
lediglich das Legen einer Leitung von circa fünf Metern notwendig. Die Antragsgegnerin
sei gemäß § 36 EnWG verpflichtet, ihn als Haushaltskunden mit Energie zu versorgen.
Eine Versorgung über die Firma h… Verwaltungen sei nicht mehr möglich, weil diese in
rechtlichen Auseinandersetzungen mit dem Grundversorger liege.
Für den Fall, dass die Streitverkündete zu 1.) für die Stromversorgungszuleitungen
zuständig sein sollte, hat der Antragsteller erklärt, dass er ihr vorsorglich den Streit
verkünde.
Der Antragsteller hat mit Schriftsatz vom 16.5.2008 beim Landgericht Potsdam einen
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gestellt, das das Verfahren mit
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Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gestellt, das das Verfahren mit
Beschluss vom 22.5.2008 an das Landgericht Frankfurt (Oder) verwiesen hat.
Der Antragsteller hat beantragt,
der Antragsgegnerin zu gebieten, auf dem Grundstück … Weg 24, G., die
Stromversorgung wieder herzustellen.
Diesen Antrag hat das Landgericht Frankfurt (Oder) mit Beschluss vom 2.6.2008
zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Antrag sei unzulässig, weil die
verlangte Maßnahme zur Befriedigung des Antragstellers führe. In dem Verfahren der
einstweiligen Verfügung könnten nur solche Maßnahmen angeordnet werden, die den
Anspruch sicherten, ohne die Entscheidung in der Hauptsache vorwegzunehmen. Zwar
könne der Kunde sein Recht auf Wiederherstellung eines unterbrochenen
Versorgungsanschlusses durch einstweilige Verfügung durchsetzen. Dies setze jedoch
voraus, dass er auf eine Erfüllung dringend angewiesen sei. Dies habe der Antragsteller
nicht glaubhaft gemacht. Nach eigenem Vorbringen nutze er den Wohnwagen nicht
ständig, sondern nur zeitweilig als Wohnung. Darüber hinaus habe der Antragsteller nicht
glaubhaft gemacht, dass ihm ein Anspruch gegen die Antragsgegnerin zustehe. Er habe
als Nichtkunde keinen Anspruch gegen die Antragsgegnerin. Sei die Vermieterin alleinige
Vertragspartnerin, fehle dem Mieter der Verfügungsanspruch. Der Antragsteller habe
nicht dargelegt, warum eine Versorgung über die Vermieterin nicht gewährleistet werden
könne. Schließlich habe der Antragsteller einen Verfügungsgrund nicht glaubhaft
gemacht. Er habe mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung einen
Monat seit Erlass des Urteils des Amtsgerichts Zossen zugewartet.
Gegen diesen Beschluss, ihm zugestellt am 5.6.2008, hat der Antragsteller mit bei
Gericht am 19.6.2008 eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt und das
Rechtsmittel mit Schriftsatz vom 26.6.2008 begründet.
Der Antragsteller macht geltend, er sei als Frührentner besonders auf eine ruhige und
stressfreie Umgebung angewiesen. Eine gleichartige Erholungsmöglichkeit biete ihm
seine Stadtwohnung in B. nicht. Eine Stromversorgung über seine Vermieterin sei nicht
möglich, weil diese gleichfalls ohne Strom sei. Er habe auch nicht einen Monat
zugewartet, bevor er die einstweilige Verfügung beantragt habe. Das Urteil des
Amtsgerichts Zossen sei ihm erst am 22.4.2008 zugestellt worden.
Das Landgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 30.6.2008 nicht abgeholfen und
sie dem Brandenburgischen Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Das Oberlandesgericht hat den Antragsteller darauf hingewiesen, dass es seit dem
1.9.2008 einen neuen Grundversorger gebe. Der Antragsteller hat erklärt, dass er dieser
Gesellschaft den Streit verkünde.
Hierzu trägt er vor, es sei ihm objektiv nicht möglich, die Antragsgegnerin zweifelsfrei zu
benennen. Er habe sich mittlerweile an verschiedene Gesellschaften innerhalb des
Konzerns, dem die Antragsgegnerin angehöre, gewandt, um die begehrte
Stromversorgung als Endverbraucher durchzusetzen. Er sei bislang an der
undurchsichtigen Gesellschaftsstruktur des Konzerns gescheitert, der aus mindestens
28 separaten Gesellschaften bestehe. Auf sämtliche Anfragen an verschiedene
Gesellschaften innerhalb des Konzerns reagiere grundsätzlich die Antragsgegnerin.
Soweit diese sich als Sach- und Streitherr geriere, müsse sie sich auch gefallen lassen,
allein oder vorrangig in Anspruch genommen zu werden.
Der Anspruchsteller trägt weiter vor, die Stromversorgung sei auf dem Grundstück
selbst, nicht auf dem Nachbargrundstück unterbrochen worden. Dort befinde sich der
Anschlusskasten. Die Antragsgegnerin habe die Stromversorgung in die vorhandene
Zähleranschlusssäule bereits aufgenommen, sich jedoch geweigert, mit ihm, dem
Antragsteller, einen Stromlieferungsvertrag als Grundversorger einzugehen. Es handele
sich nicht um ein privilegiertes Stromnetz, sondern um eine Endverbraucherstelle. Er
könne als Mieter nicht über den Vermieter zum Eintritt in eine Einkaufsgemeinschaft mit
allen anderen Mietern gezwungen werden. Er müsse die Möglichkeit haben, unter den in
Deutschland vorhandenen 800 Stromlieferanten frei auszuwählen.
II.
Die gemäß den §§ 567 Abs. 1 Nr. 2, 569 ZPO zulässige sofortige Beschwerde des
Antragstellers war zurückzuweisen.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig, aber unbegründet.
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Der Antrag ist zulässig.
Zwar ist der ausdrücklich formulierte Antrag sprachlich so gefasst, dass er auf
Befriedigung und damit auf die Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet ist. Der
Antragsteller hat jedoch in seinem Vortrag zum Ausdruck gebracht, dass er auch mit
einer einstweiligen Verfügung zufrieden gestellt werden würde, mit der die
Antragsgegnerin verpflichtet wird, ihm vorläufig bis zum Abschluss des
Hauptsacheverfahrens Strom zu liefern. Das ist ein „Weniger“ als die Hauptsache. Eine
derart verstandenes Rechtsschutzziel ist zulässig (vgl. Hempel/Franke, Recht der
Energie- und Wasserversorgung, EnWG, § 36 Rn 227).
Das Gericht kann in einem derartigen Fall die begehrte einstweilige Verfügung dem
Rechtsschutzziel entsprechend fassen, weil es im Verfahren der einstweiligen Verfügung,
anders als im Hauptsacheverfahren, nicht streng an die Anträge gebunden ist. Es kann
nach freiem Ermessen bestimmen, welche Anordnungen zur Erreichung des Zweckes
erforderlich sind, § 938 Abs. 1 ZPO. Wenn wie hier der Antragsteller sein Rechtsschutzziel
angibt, kann das Gericht die insoweit notwendigen Maßnahmen anordnen.
Der Antrag ist jedoch nicht begründet.
Entgegen der Ansicht des Landgerichts kann zwar nicht davon ausgegangen werden,
dass ein Verfügungsgrund gefehlt hat. Der Antragsteller hat nicht in einer Weise mit der
Geltendmachung seiner Ansprüche zugewartet, dass ihm das Bedürfnis, seine
Ansprüche im Verfahren der einstweiligen Verfügung vorläufig zu sichern, abgesprochen
werden kann. Der Antragsteller hat am Tage der Stromunterbrechung beim Amtsgericht
Zossen eine einstweilige Verfügung beantragt. Über Ansprüche wegen behaupteter
verbotener Eigenmacht der Antragsgegnerin hat das Amtsgericht durch am 22.4.2008
verkündetes Urteil entschieden. Der Antragsteller hat dieses Urteil offenbar zum Anlass
genommen, am selben Tag erneut an die Antragsgegnerin heranzutreten und diesmal
unter Hinweis auf § 36 EnWG einen Anschluss an das Stromversorgungsnetz zu
begehren. Dies ergibt sich aus dem Schreiben der Antragsgegnerin vom 28.4.2008, mit
dem diese explizit die Belieferung mit Strom ablehnte. Zwischen diesem Zeitpunkt und
dem Tag des Eingangs des erneuten Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung
beim Landgericht am 16.8.2008 lag weniger als ein Monat. Durch ein derartig kurzes
Zuwarten ist die Annahme der Dringlichkeit nicht widerlegt.
Es besteht jedoch kein Verfügungsanspruch gemäß § 36 EnWG. Nach dieser Norm
haben Energieversorgungsunternehmen für Netzgebiete, in denen sie die
Grundversorgung von Haushaltskunden durchführen, Allgemeine Bedingungen und
Allgemeine Preise für die Versorgung in Niederspannung oder Niederdruck öffentlich
bekannt zu geben und im Internet zu veröffentlichen und zu diesen Bedingungen und
Preisen jeden Haushaltskunden zu versorgen.
Es ist davon auszugehen, dass der Antragsteller Haushaltskunde i. S. der Legaldefinition
des § 3 Nr. 22 EnWG ist und damit grundsätzlich Anspruchsberechtigter i. S. von § 36
EnWG.
Ob der Umstand allein, dass bisheriger Stromkunde sein Vermieter und er selbst
lediglich Mieter ist, den Anspruch hindert, erscheint zweifelhaft. Seit der Normierung
einer allgemeinen Anschluss- und Versorgungspflicht in § 10 EnWG 1998 bzw. nunmehr
in § 36 EnWG kann die verbreitete Rechtsprechung nicht ohne weiteres Bestand haben,
nach der der Mieter, wenn der Vermieter alleiniger Vertragspartner des
Versorgungsunternehmens ist, grundsätzlich keinen Anspruch auf Wiederherstellung
eines unterbrochenen Versorgungsanschlusses hat (so z. B. LG Frankfurt (Oder), NJW-RR
2002, 803 ohne § 36 EnWG zu erwähnen, kritisch auch Zöller/Vollkommer, ZPO, 26. Aufl.
§ 940 Rn 8 Stichwort "Energielieferung"). Der Wortlaut des § 3 Nr. 22 i. V. m. § 36 EnWG
gibt eine solche Beschränkung der Rechte des Haushaltskunden nicht her. Diese Frage
braucht hier jedoch nicht entschieden zu werden.
Es muss auch nicht entschieden werden, ob es sich bei dem Stromnetz, an das der
Antragsteller angeschlossen werden möchte, um ein privilegiertes Stromnetz gemäß §
110 EnWG handelt, bei dem Ansprüche gemäß § 36 EnWG ausgeschlossen sind. Aus
dem Vortrag des Antragstellers erschien es immerhin denkbar, dass er über ein
derartiges Netz versorgt wird. Diese Frage muss jedoch nicht abschließend geklärt
werden.
Jedenfalls ist die Antragsgegnerin nicht passiv legitimiert. Denn sie ist nicht mehr
Grundversorgerin.
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Zur Versorgung gemäß § 36 Abs. 1 EnWG verpflichtet ist lediglich derjenige, der die
Grundversorgung von Haushaltskunden durchführt, die allgemeinen Bedingungen und
Preise öffentlich bekannt gibt und im Internet veröffentlicht.
Wie sich aus dem vom Antragsteller vorgelegten Preisblatt mit Stand zum 1.1.2008
ergibt, war die Antragsgegnerin zu Jahresbeginn Grundversorgerin. Sie war deshalb nach
dem Gesetz verpflichtet, alle Haushaltskunden im Netzgebiet des Konzerns zu
versorgen. Die Streitverkündete zu 1.) kam dagegen nicht als Anspruchsschuldnerin in
Betracht, weil sie - wie ihre Firma erkennen lässt - ein Netz betreibt. Wegen des
Entflechtungsgebotes kommen Netzbetreiber als Grundversorger nicht in Betracht
(Salje, EnWG 2006, § 36 Rn 8).
Die Antragsgegnerin ist jedoch seit dem 1.9.2008 nicht mehr Grundversorgerin. Im
Internet ist auf der Seite …, aufzurufen unter der Internetseite … unter dem Link
"Bekanntgabe der Grundversorgungs- und Ersatzversorgung", ein Dokument
veröffentlicht, aus dem hervorgeht, dass die Streitverkündete zu 2.) ab dem 1.9.2008
von der Antragsgegnerin die Versorgung von Haushaltskunden in Niederspannung und
Niederdruck übernimmt. Die Streitverkündete zu 2.) gibt darin bekannt, dass ein
Wechsel des Grundversorgers von der Antragsgegnerin auf sie selbst erfolgt ist. Damit
können Ansprüche aus § 36 Abs. 1 EnWG nur noch gegen die Streitverkündete zu 2.)
geltend gemacht werden. Eine Art „Rechtsscheinhaftung" der Antragsgegnerin sieht das
Gesetz nicht vor. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass es nicht möglich
wäre, aus öffentlich zugänglichen Quellen zweifelsfrei festzustellen, wer Grundversorger
ist. Dem Gericht ist dies schließlich auch gelungen.
Trotz eines entsprechenden Hinweises des Senates hat der Antragsteller den jetzigen
Grundversorger nicht als Antragsgegner in Anspruch genommen, sondern ihm lediglich
den Streit verkündet. Gegen Streitverkündete kann das Gericht keine einstweilige
Verfügung erlassen.
Es kommt deshalb auch nicht darauf an, ob der Antrag in der gestellten Form Erfolg
haben kann, insbesondere ob der Antragsteller die Wiederherstellung der Versorgung
des gesamten Grundstücks verlangen kann, obwohl er nur einen Teil nutzt, oder ob sein
Anspruch nicht vielmehr dahin geht, dass der Grundversorger seinen Wohnwagen auf
dem Grundstück zu den bekannt gegebenen Bedingungen mit Strom zu versorgen hat.
Soweit der Antragsteller in seinem letzten Schriftsatz sich erstmalig auch auf einen
Anspruch wegen verbotener Eigenmacht beruft, kann dies dem Verfügungsantrag nicht
zum Erfolg verhelfen. Über einen entsprechenden Anspruch hat im Eilverfahren bereits
das Amtsgericht Zossen entschieden, so dass insoweit bereits eine rechtskräftige
Entscheidung vorliegt.
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