Urteil des OLG Brandenburg vom 13.03.2017

OLG Brandenburg: treu und glauben, verwirkung, unterhalt, beschwerdeschrift, behandlung, auffordern, quelle, selbstbehalt, sammlung, link

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 2.
Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 WF 113/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 242 BGB, § 1615l BGB, § 76
Abs 1 FamFG, § 114 ZPO
Unterhalt: Erfolgsaussicht eines Unterhaltsanspruchs bei
eingewendeter Verwirkung
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht
zurückverwiesen.
Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 76 Abs. 2 FamFG, 567 ff., 127 Abs. 2 S. 2 ZPO
zulässig. Insbesondere ist entgegen der Auffassung des Antragsgegners die
Beschwerdefrist eingehalten. Denn die Notfrist zur Einlegung der Beschwerde beträgt in
Abweichung von § 569 Abs. 1 S. 1 ZPO nicht zwei Wochen, sondern gemäß § 127 Abs. 2
S. 3 ZPO einen Monat.
II.
Die sofortige Beschwerde führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen
Entscheidung. Der Antragstellerin kann Verfahrenskostenhilfe nicht aus den vom
Amtsgericht angegebenen Gründen versagt werden.
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Das Amtsgericht ist davon ausgegangen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine
hinreichende Aussicht auf Erfolg biete, §§ 76 Abs. 1 FamFG, 114 ZPO, da die
Antragstellerin den geltend gemachten Unterhaltsanspruch gemäß § 242 BGB verwirkt
habe. Eine solche Verwirkung kann aber auf der Grundlage des tatsächlichen
Vorbringens der Antragstellerin in der Beschwerdeschrift nicht angenommen werden.
a)
Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ausgangspunkt des Amtsgerichts im
angefochtenen Beschluss. Das Amtsgericht hat insoweit zutreffend die Grundsätze
wiedergegeben, die bei der Frage von Bedeutung sind, ob sich die Geltendmachung
rückständigen Unterhalts unter dem Gesichtspunkt illoyal verspäteter Rechtsausübung
nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB als unzulässig darstellt. Diese Grundsätze
entsprechen der ständigen Rechtsprechung des BGH (vgl. NJW 2007, 1273) und des
Senats (vgl. NJW-RR 2002, 870).
In diesem Zusammenhang kommt es entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht
darauf an, ob der Unterhaltsschuldner den Einwand der Verwirkung geltend macht, denn
die Verwirkung nach § 242 BGB ist anders als die Verjährung, die nur auf Einrede
berücksichtigt werden kann, von Amts wegen zu berücksichtigen (vgl.
Palandt/Grüneberg, BGB, 69. Aufl., § 242, Rz. 90). Im Übrigen hat sich der Antragsgegner
mit Schriftsatz vom 18.1.2010 auf Verwirkung berufen, wobei aus der Akte allerdings
nicht ersichtlich ist, ob der Antragstellerin Abschriften dieses Schriftsatzes zugeleitet
worden sind.
b)
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Mit Rücksicht auf den Sachvortrag in der Beschwerdeschrift ist aber bei summarischer
Prüfung im Verfahren der Verfahrenskostenhilfe (vgl. hierzu Zöller/Geimer, ZPO, 28.
Aufl., § 114, Rz. 19; Verfahrenshandbuch Familiensachen-FamVerf-/Gutjahr, 2. Aufl., § 1,
Rz. 167) davon auszugehen, dass der geltend gemachte Unterhaltsanspruch nach §
1615 l BGB nicht verwirkt ist.
Auf der Grundlage des von der Antragstellerin in der Beschwerdeschrift
wiedergegebenen Schriftwechsels zwischen den Beteiligten lässt sich eine Lücke von
mehr als einem Jahr, die für die Erfüllung des sogenannten Zeitmoments erforderlich
wäre, wenn man allein auf die Schreiben der Antragstellerin und ihres
Verfahrensbevollmächtigten abstellt, nur zwischen den Schreiben vom 20.1.2005 und
vom 29.5.2006 sowie vom 29.5.2006 und vom 18.6.2007 feststellen. Insoweit kann aber
nicht angenommen werden, dass auch das Umstandsmoment gegeben ist.
Zu Recht hat das Amtsgericht am Ende der angefochtenen Entscheidung darauf
hingewiesen, dass es dann keiner besonderen Feststellungen dazu bedürfe, dass der
Unterhaltsschuldner sich tatsächlich auf den Fortfall der Unterhaltsforderungen
eingerichtet hat, wenn Anhaltspunkte dafür, dass es im zu entscheidenden Fall anders
lag, nicht ersichtlich seien (BGH, FamRZ 1988, 370, 373). Solche Anhaltspunkte sind
vorliegend gegeben. Mit Anwaltsschreiben vom 18.6.2007 hat die Antragstellerin den
Antragsgegner aufgefordert, Jahresabschlüsse bezüglich des Jahres 2005 bis zum
25.6.2007 vorzulegen. Hierauf hat der Antragsgegner erklärt, dass, soweit die
Antragstellerin weiterhin einen aus seiner Sicht mehr als fraglichen Anspruch auf
Unterhalt geltend mache, sie entsprechende Nachweise zu den Einkommens-,
finanziellen und wirtschaftlichen Verhältnissen bis zum 20.7.2007 erbringen müsse.
Damit hat der Antragsgegner hinreichend zu erkennen gegeben, dass er zu diesem
Zeitpunkt noch nicht davon ausgegangen ist, auf Unterhalt nach § 1615 l BGB nicht
mehr in Anspruch genommen zu werden.
Mit Anwaltsschreiben vom 18.6.2007 hat die Antragstellerin den Antragsgegner
aufgefordert, Jahresabschlüsse bezüglich des Jahres 2005 bis zum 25.6.2007 vorzulegen.
In der Folgezeit ist es zu einer zeitlichen Lücke von einem Jahr und mehr nicht mehr
gekommen. Dies gilt insbesondere auch für den Zeitraum vor Einleitung des
vorliegenden Verfahrens.
Nach dem in der Beschwerdeerwiderung nicht bestrittenen Vortrag der Antragstellerin
hat diese beim Amtsgericht Wedding einen Mahnbescheid hinsichtlich des Unterhalts
von Oktober 2004 bis Dezember 2005 erwirkt, der dem Antragsgegner am 21.1.2009
zugestellt worden ist. Durch diese Zustellung ist dem Antragsgegner klar vor Augen
geführt worden, dass die Antragstellerin nach wie vor Unterhalt geltend macht.
Im Verfahrenskostenhilfeverfahren ist zugunsten der Antragstellerin auch davon
auszugehen, dass dem Antragsgegner dabei hinreichend deutlich sein musste, dass
auch der Unterhalt für die Zeit von Januar 2006 bis April 2007, wie er im vorliegenden
Verfahren im Streit steht, weiterhin beansprucht wird.
c)
Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet auch im Übrigen hinreichende Aussicht auf
Erfolg. Jedenfalls für den geltend gemachten Zeitraum bis zur Vollendung des dritten
Lebensjahres des Kindes hat die Antragstellerin dem Grunde nach einen Anspruch auf
Basisunterhalt nach § 1615 l BGB. Der Unterhaltsbedarf beläuft sich jedenfalls auf den
geltend gemachten Mindestbedarf in Höhe des Existenzminimums, der
unterhaltsrechtlich mit dem notwendigen Selbstbehalt eines Nichterwerbstätigen von
zurzeit 770 € pauschaliert werden darf (BGH, Urteil vom 16.12.2009, XII ZR 50/08 –
BeckRS 2010 01715).
Von einem solchen Mindestbedarf von 770 € anstelle eines solchen von 710 € ist in
Berlin aufgrund der Berliner Tabelle bereits ab 1.7.2005 auszugehen, während nach den
„Unterhaltsleitlinien“ des Brandenburgischen Oberlandesgerichts noch bis einschließlich
31.12.2007 von einem solchen Mindestbedarf von 710 € auszugehen wäre (Nr. 21.2 der
Unterhaltsleitlinie des Brandenburgischen Oberlandesgerichts, Stand 1.7.2005 und
1.7.2007). Zugunsten der Antragstellerin kann im Verfahrenskostenhilfeverfahren
angenommen werden, dass sie während des gesamten Unterhaltszeitraumes in Berlin
gewohnt hat.
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Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben und die Sache zur anderweitigen
Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Denn dort sind
noch Feststellungen zu der Frage zu treffen, ob und ggf. in welchem Umfang die
Antragstellerin nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen in der Lage
ist, die Kosten der Verfahrensführung aufzubringen, § 114 ZPO. Denn bislang liegt
lediglich eine Erklärung der Antragstellerin über ihre persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnisse vom 29.12.2009 vor. Das Amtsgericht wird die Antragstellerin auffordern,
eine aktuelle Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst
Belegen vorzulegen und auf dieser Grundlage erneut über den Antrag der Antragstellerin
unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats entscheiden.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 76 Abs. 2 FamFG, 127 Abs. 4 ZPO.
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