Urteil des OLG Brandenburg vom 05.10.2006

OLG Brandenburg: geschäftsführer, fahrzeug, beschädigung, gefährdung, gefahr, verkehr, aufklärungspflicht, unfallflucht, unverzüglich, quelle

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht
12. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 U 205/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 1 Abs 1 S 1 VVG, § 6 Abs 3
VVG, § 7 Art 1 Abs 2 Nr 1 AKB, §
142 Abs 1 StGB
Aufklärungsobliegenheit bzgl. eines Verkehrsunfalls gegenüber
dem Versicherer
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 5. Oktober 2006 verkündete Urteil der 2.
Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Potsdam, Az.: 2 O 99/06, abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
1. Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und
begründet worden, §§ 511, 513, 517, 519, 520 ZPO. Die Berufungsbegründung genügt
den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO. Die Beklagte stützt ihr Rechtsmittel unter
anderem darauf, das Landgericht habe zu Unrecht eine Obliegenheitsverletzung der
Klägerin und damit eine Leistungsfreiheit nicht angenommen, obwohl der
Geschäftsführer der Klägerin den Tatbestand des § 142 StGB verwirklicht habe, da schon
nach dem Vortrag der Klägerin von einer nicht lediglich unerheblichen Beschädigung der
Leitplanke auszugehen sei. Die Beklagte zeigt damit eine Rechtsverletzung auf, auf der
das Urteil beruhen kann, §§ 513, 546 ZPO.
2. Auch in der Sache hat die Berufung Erfolg. Ein Anspruch der Klägerin gegen die
Beklagte aus §§ 1 Abs. 1 Satz 1 VVG, 12 Nr. 1 II. e) AKB in Verbindung mit dem von den
Parteien geschlossenen Versicherungsvertrag besteht nicht. Die Beklagte ist nach § 7 I
Abs. 2 Nr. 1, V Abs. 4 AKB in Verbindung mit § 6 Abs. 3 VVG von ihrer Verpflichtung zur
Leistung frei geworden.
Der Klägerin fällt eine Verletzung der Aufklärungspflicht aufgrund des ihr gem. § 31 BGB
zuzurechnenden (vgl. hierzu Prölss in Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz,
Kommentar, 27. Aufl., § 6 VVG, Rn. 44) Verstoßes ihres Geschäftsführers gegen § 142
Abs. 1 StGB zur Last. Auch ohne ausdrückliche vertragliche Vereinbarung umfasst die
vertragliche Aufklärungsobliegenheit die strafrechtlich sanktionierte Rechtspflicht aus §
142 StGB. Das Verlassen der Unfallstelle stellt daher immer dann eine
Aufklärungsobliegenheit dar, wenn dadurch der Tatbestand des § 142 StGB erfüllt ist.
Der Senat folgt hingegen nicht der von der Beklagten zitierten Auffassung (OLG
Saarbrücken NJW-RR 1998, S. 816), dass auch ohne Verstoß gegen § 142 StGB das
Entfernen vom Unfallort eine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit des
Versicherungsnehmers darstellen kann. Ist daher ein Dritter weder am Unfall beteiligt
noch dadurch geschädigt, scheidet § 142 StGB und mangels entsprechender
vertraglicher Vereinbarung - § 7 III AKB sieht lediglich die Einschaltung der Polizei bei
Diebstahl-, Brand- oder Wildschäden ab eines bestimmten Betrages vor - eine
Verletzung der Aufklärungspflicht aus (so auch BGH NJW 1987, S. 2374; VersR 2000, S.
222; OLG Köln VersR 1999, S. 963; OLG Hamm VersR 2003, S. 1297; Knappmann in
Prölss/Martin, a.a.O., § 7 AKB, Rn. 17 und 24). Ein Fremdschaden ist dann nicht gegeben,
wenn der Schaden so gering ist, dass mit Ansprüchen Dritter nicht gerechnet werden
muss. Ein Bagatellschaden in diesem Sinne ist jedenfalls bei Beträgen über 100,00 DM
zu verneinen (Knappmann, a. a. O., Rn. 25, m. w. N.). Das Vorliegen eines nicht lediglich
belanglosen Schadens ist dabei nach objektiven Kriterien ex ante zu beurteilen, sodass
die Warte- und Anzeigepflichten schon bestehen, wenn zweifelhaft ist, ob ein größerer
Schaden entstanden ist oder sich entwickeln wird (OLG Düsseldorf VM 1974, S. 76;
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Schaden entstanden ist oder sich entwickeln wird (OLG Düsseldorf VM 1974, S. 76;
Cramer/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, Kommentar, 26. Aufl., § 142, Rn.
13). Ein solcher Fall ist vorliegend gegeben. Das Fahrzeug der Klägerin ist mehrfach mit
der Leitplanke kollidiert. Gerade bei einem mehrmaligen Aufprall war aber mit einer nicht
lediglich belanglosen Beschädigung der Leitplanke zu rechnen, da jedenfalls die erste
Kollision mit einer solchen Anstoßenergie erfolgt ist, dass das Fahrzeug weiter
geschleudert wurde. Zudem war eine Beschädigung an den verschiedenen Anstoßstellen
möglich. Bereits aus diesem Grund bestand grundsätzlich die Wartepflicht für den
Geschäftsführer der Klägerin nach § 142 Abs. 1 StGB, ohne dass es darauf ankommt, ob
eine Beschädigung der Leitplanke tatsächlich eingetreten ist. Der Geschäftsführer der
Klägerin hat sich auch nicht davon überzeugt, dass ein Schaden an der Leitplanke nicht
entstanden ist, wie er in seinem Schreiben an die Autobahnmeisterei Z. vom Unfalltag
selbst mitgeteilt hat. Soweit der Geschäftsführer versucht hat diese Angaben im Termin
vor dem Senat zu relativieren, hält der Senat die Ausführungen nicht für glaubhaft.
Gegen eine Überprüfung der Unfallstelle spricht neben dem bereits erwähnten Schreiben
vom Unfalltag auch der Umstand, dass der Geschäftsführer einen Verbleib an der
Unfallstelle für zu gefährlich hielt, eine Überprüfung der Anstoßstellen jedoch das -
ohnehin so nicht behauptete - Verlassen des Fahrzeuges und Abgehen der Unfallstelle
erfordert hätte.
Der Geschäftsführer der Klägerin hat sich auch nicht berechtigt oder entschuldigt im
Sinne von § 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB von der Unfallstelle entfernt. Ein berechtigtes
Entfernen vom Unfallort liegt vor, wenn für das Verhalten einer der gesetzlich normierten
Rechtfertigungsgründe eingreift oder die Unfallstelle verlassen wird, um eine
Gefahrenquelle zu beseitigen (Cramer/Sternberg-Lieben, a. a. O., § 142, Rn. 52; Geppert
in Leipziger Kommentar, StGB, 11. Aufl., § 142, Rn. 127). Ein entschuldigtes Verlassen
der Unfallstelle ist gegeben bei Vorliegen von Entschuldigungsgründen im
strafrechtsdogmatisch engen Sinne, aber auch wenn der Täter sich der Gefahr schwerer
Verletzungen oder gesundheitlicher Schäden ausgesetzt sieht (Cramer/Sternberg-
Lieben, a. a. O., Rn. 54; Geppert, a. a. O., Rn. 129). Eine solche Situation ist vorliegend
nicht gegeben. Soweit die Klägerin anführt, beim Verbleib am Unfallort hätten ihrem
Geschäftsführer wegen des nachfolgenden Verkehrs Gefahren für die Gesundheit
gedroht, ist ihr nicht zu folgen. Der Geschäftsführer der Klägerin hätte diese Gefahr
dadurch vermeiden können, dass er das Fahrzeug verlassen und sich hinter die
Leitplanke gestellt hätte. Auch die Witterungsverhältnisse standen dem nicht entgegen
(in diesem Sinne auch OLG Hamm VersR 2003, S. 1297). Zu berücksichtigen ist dabei
insbesondere das Aufklärungsinteresse des Unfallgegners, dass bei der möglichen
Beschädigung einer Leitplanke im Regelfall nur dann gewahrt ist, wenn Feststellungen
unmittelbar vor Ort getroffen werden, weil nachträglich bereits der genaue Unfallort
häufig nicht mehr zweifelsfrei festgestellt werden kann. Nicht nachvollziehbar ist
schließlich das Vorbringen der Klägerin, ihr Geschäftsführer habe die Unfallstelle räumen
wollen, um den nachfolgenden Verkehr nicht zu gefährden. Da sich das Fahrzeug der
Klägerin nach deren Angaben auf dem Standstreifen befand, ist eine Gefährdung für den
fließenden Verkehr nicht ersichtlich. Anhaltspunkte dafür, dass Unfälle an der Stelle zu
besorgen waren, an der das Fahrzeug der Klägerin zum Stehen gekommen war, hat die
Klägerin nicht nachvollziehbar dargetan. Da bereits ein Verstoß des Geschäftsführers der
Klägerin gegen § 142 Abs. 1 StGB vorliegt, kann auch dahinstehen, ob dieser die
Feststellungen gem. § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB durch das Schreiben vom 23.05.2005
unverzüglich nachträglich ermöglicht hat, § 142 Abs. 2 StGB.
Die Obliegenheitsverletzung des Geschäftsführers der Klägerin ist schuldhaft erfolgt. Die
Klägerin hat die insoweit greifende Vorsatzvermutung des § 6 Abs. 3 VVG nicht widerlegt
(vgl. hierzu BGH VersR 2002, S. 173; OLG Düsseldorf VersR 2001, S. 1019; Prölls, a. a.
O., § 6 VVG, Rn. 124). Der Beklagten ist auch nicht nach § 6 Abs. 3 VVG verwehrt, sich
auf diese Obliegenheitsverletzung zu berufen. Vorsätzlich folgenlose Verstöße führen
zwar nur bei versicherungsrechtlicher Relevanz zur Leistungsfreiheit, d. h. bei genereller
Eignung, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden, ohne dass es auf den
konkreten Fall ankommt (Knappmann, a. a. O., § 7 AKB, Rn. 79). Eine solche Eignung der
Gefährdung der Interessen des Versicherers ist im Falle einer Unfallflucht jedoch
gegeben, da der Versicherer das berechtigte Interesse hat, durch Feststellungen vor Ort
die Angaben des Versicherten zum Unfallhergang zu überprüfen und auch in Erfahrung
zu bringen, ob der Versicherungsnehmer zum Unfallzeitpunkt fahrtüchtig gewesen ist o.
ä. (vgl. hierzu BGH VersR 2000, a. a. O.; OLG Hamm, a. a. O.). Solche Feststellungen
sind nachträglich regelmäßig jedoch nur eingeschränkt möglich, insbesondere wenn sich
- wie vorliegend - der genaue Unfallort nicht ermitteln lässt.
Schließlich hat die Klägerin auch das Fehlen eines erheblichen Verschuldens im Sinne
der Relevanzrechtssprechung nicht dargetan. Die Benachrichtigung der
Autobahnmeisterei Z. knapp eine Stunde nach dem Unfall führt nicht zu einer
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Autobahnmeisterei Z. knapp eine Stunde nach dem Unfall führt nicht zu einer
Entlastung der Klägerin, da sich zu diesem Zeitpunkt die Interessen der Beklagten an
einer umfassenden Aufklärung des Unfallherganges - insbesondere im Hinblick auf den
genauen Unfallort und den Fahrer des Fahrzeuges - nicht mehr verwirklichen ließen.
3. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 708 Nr. 10,
711 Satz 1, 713 ZPO.
Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO rechtfertigen würden,
sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft,
ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der
Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des
Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des
Revisionsgerichts.
Wert der Beschwer für die Klägerin: 11.529,25 €.
Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 11.529,25 € festgesetzt, § 47 Abs. 1
GKG.
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