Urteil des LSG Thüringen vom 30.04.2007

LSG Fst: vollmacht, beschränkung, mandat, rente, auflage, zivilprozessordnung, erwerbsunfähigkeit, irrtum, wechsel, original

Thüringer Landessozialgericht
Urteil vom 30.04.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Meiningen S 9 RJ 440/98
Thüringer Landessozialgericht L 6 R 917/06
Bundessozialgericht B 4 R 295/07 B
Das Berufungsverfahren (Az.: L 6 RJ 65/03) ist durch die Annahme des Vergleichsangebots der Beklagten seitens
des damaligen Bevollmächtigten der Klägerin am 24. August 2006 beendet.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Im vorliegenden Verfahren streiten die Beteiligten darüber, ob sich das ursprünglich auf die Gewährung einer Rente
wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise Berufsunfähigkeit gerichtete Berufungsverfahren (Az.: L 6 RJ 65/03) durch die
Annahme eines Vergleichsvorschlags der Beklagten seitens des damaligen Bevollmächtigten der Klägerin erledigt
hat.
Hinsichtlich der Einzelheiten des Sachverhalts wird gemäß § 153 Abs. 1 i.V.m. § 136 Abs. 2 des
Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf eine weitere Darstellung verzichtet und insoweit auf Teil I der Gründe des den
Beteiligten bekannten Beschlusses des Senats vom 19. September 2005 (Az.: L 6 RJ 65/03) Bezug genommen.
Aufgrund des Gutachtens des Dr. B. vom 12. Januar 2006 hat die Beklagte unter dem 28. Februar 2006 ein
Vergleichsangebot unterbreitet, unter dem 27. April 2006 erweitert (Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 1. Juni
2003 bis 31. März 2008; Erstattung der notwendigen Kosten zur Hälfte) und unter dem 15. August 2006 bestätigt, das
der damalige Bevollmächtigten der Klägerin, Rechtsanwalt W., nach Erhalt einer ergänzenden Stellungnahme des
Sachverständigen mit beim Gericht am 24. August 2006 eingegangen Schriftsatz vom selben Tage angenommen und
den Rechtstreit im Übrigen für erledigt erklärt hat.
Mit Schreiben vom 28. August 2006 hat die Klägerin dem Senat mitgeteilt, den Vergleichsvorschlag der Beklagten
nicht annehmen zu wollen, weshalb das Verfahren fortzusetzen sei. Sie hat Rechtsanwalt W. mit Schreiben vom 21.
September 2006 das Mandat entzogen und dies mit Schriftsatz vom selben Tage dem Senat mitgeteilt.
Zur Begründung ihres Antrags hat sie im Wesentlichen geltend gemacht, dass sie das Mandat von Rechtsanwalt W.
beschränkt habe. Mit Schreiben vom 1. November 2005 habe sie ihm aufgegeben, ihr jeden an den Senat gerichteten
Schriftsatz vorher zur Zustimmung vorzulegen. Nach § 73 Abs. 4 SGG könne eine Vollmacht auch für einzelne
Prozesshandlungen erteilt werden. Die Einschränkung des Mandats habe sie nur deshalb nicht dem Senat gegenüber
mitgeteilt, weil der ihr mit Verfügung vom 20. September 2005 untersagt habe, sich unmittelbar schriftsätzlich an das
Gericht zu wenden. Rechtsanwalt W. habe das Vergleichsangebot eigenmächtig und ohne ihr Wissen angenommen.
Wie bereits ihrem an ihn gerichteten Schreiben vom 14. Juni 2006 zu entnehmen sei, habe sie eine Annahme des
Vergleichsangebots immer abgelehnt. Diese sei deshalb gemäß § 116 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)
unwirksam. Zudem fechte sie die Erklärung, die im Übrigen nicht einmal ausdrücklich "Namens und in Vollmacht der
Klägerin" abgegeben worden sei, gemäß §§ 119, 120, 123 BGB an. Mit Schreiben vom 17. Juli 2006 habe sie dem
Senat mitgeteilt, dass sie sich durch Rechtsanwalt W. nicht mehr ordnungsgemäß vertreten fühle und deshalb das
Anwalt-Mandantenverhältnis unzumutbar sei. Sie habe deshalb dem Gericht gegenüber den Wunsch geäußert, sich im
Rahmen der Prozesskostenhilfe(PKH)-Gewährung durch einen anderen Rechtsanwalt vertreten lassen zu wollen.
Hierauf habe der Senat nicht reagiert und damit den Untersuchungsgrundsatz verletzt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 20. August 2002 abzuändern und die Beklagte unter Änderung ihres
Bescheides vom 12. August 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. April 1998 zu verurteilen, ihr Rente
wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1. Februar 1997 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Senat hat der Klägerin auf ihren Antrag mit Beschluss vom 15. Januar 2007 im Rahmen der gewährten PKH
Rechtsanwalt A. S. unter Beschränkung seines Gebührenanspruchs auf die von den zuvor beigeordneten
Rechtsanwälten nicht geltend gemachten Gebühren beigeordnet. Insoweit wird auf den Inhalt der Gründe des den
Beteiligten bekannten Beschlusses verwiesen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakten des
vorliegenden Verfahrens, der Verfahrensakte mit dem Az.: L 6 RJ 65/03 sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der
Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Antrag ist unzulässig, denn die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 20.
August 2002 (Az.: L 6 RJ 65/03) ist durch die Annahme des Vergleichsangebots der Beklagten seitens des damaligen
Bevollmächtigten der Klägerin am 24. August 2006 (und die damit verbundene Hauptsacherledigung) wirksam und
rechtlich nicht zu beanstanden beendet worden. Eine Fortsetzung des Berufungsverfahrens kommt daher unter
keinem rechtlichen Gesichtspunkt in Betracht.
Die Annahme des Vergleichsangebots durch Rechtsanwalt W., dem damaligen Bevollmächtigten der Klägerin, ist
wirksam erfolgt. Unstreitig war er am 24. August 2006 noch von der Klägerin bevollmächtigt. Es bedurfte
offensichtlich nicht, wie die Klägerin annimmt, des ausdrücklichen Hinweises, dass die Annahme "namens und in
Vollmacht der Klägerin" erfolge. Dem Senat lag zu diesem Zeitpunkt die schriftliche Vollmacht vor und Rechtsanwalt
W. ist der Klägerin außerdem ausdrücklich durch Senatsbeschluss vom 19. September 2005 beigeordnet worden.
Eine Begründung, weshalb der Hinweis gleichwohl erforderlich gewesen sein soll, ist die Klägerin schuldig geblieben.
Ob die Klägerin, wie von ihr behauptet, das Mandat von Rechtsanwalt W. tatsächlich eingeschränkt hat, kann
dahinstehen, denn eine solche Beschränkung konnte dem Senat gegenüber nicht wirksam erfolgen. Die gemäß § 83
Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) eröffnete Möglichkeit der Beschränkung der Prozessvollmacht (u.a.)
hinsichtlich der Befugnis zum Abschluss eines Prozessvergleichs oder der Annahme eines Anerkenntnisses gilt
gemäß § 73 Abs. 4 Satz 1 SGG, der § 83 ZPO nicht für anwendbar erklärt, im Umkehrschluss nicht für das
sozialgerichtliche Verfahren (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 8. Auflage 2005, §
73 Rdnr. 15a).
Etwas anderes folgt auch nicht aus der Rechtsansicht der Klägerin, gemäß § 73 Abs. 4 Satz 2 SGG könne eine
Vollmacht auch für einzelne Prozesshandlungen erteilt werden, deshalb sei auch eine Beschränkung zulässig. Aus
der Vorschrift folgt allein, dass eine Vollmacht beschränkt auf einzelne Prozesshandlungen, die ausdrücklich in der
Vollmacht zu bezeichnen sind, erteilt werden kann, nicht jedoch, dass umgekehrt aus einer umfänglichen Vollmacht
einzelne Prozesshandlungen ausgeschlossen werden können.
Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass eine solche Beschränkung dem Gericht gegenüber auch eindeutig
erklärt hätte werden müssen (vgl. Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann; Zivilprozessordnung, 65.
Auflage 2007, § 83 Rdnr. 1). Eine entsprechende eindeutige Erklärung ist dem Senat jedoch vor Annahme des
Vergleichsangebots nicht zugegangen. Er hatte bis zu diesem Zeitpunkt keine Kenntnis von dem Schreiben der
Klägerin an Rechtsanwalt W. vom 1. November 2005, mit dem diese die Vollmacht eingeschränkt haben will. Dieses
hat sie dem Senat erstmals als Anlage zum Schreiben vom 21. September 2006 – damals noch unvollständig -
übersandt.
Zudem enthält es offensichtlich keine wirksame Beschränkung i.S.d. § 83 Abs. 1 ZPO. Die dort enthaltene Weisung,
Schriftstücke erst nach Genehmigung durch die Klägerin an das Gericht zu übersenden, fällt nicht unter die in der
genannten Vorschrift abschließend aufgezählten Fälle zulässiger Beschränkungen und hätte dem Senat gegenüber
selbst bei einer Übersendung vor der Annahme des Vergleichsangebots keine rechtliche Wirkung entfaltet. Insoweit
kommt es bereits deshalb nicht auf den – im Übrigen unzutreffenden – Vortrag der Klägerin an, ihr sei vom Senat
verboten worden, sich mit Schreiben direkt, d.h. nicht über ihren Prozessbevollmächtigten, an ihn zu wenden. Dass
dies auch die Klägerin im Übrigen selbst nicht so aufgefasst hat, beweist ihr Schreiben vom 17. Juli 2006, das sie
unmittelbar per Fax an das Gericht übersandt hat.
Auch aus diesem folgt weder eine Mandatsbeschränkung noch eine Mandatsbeendigung. Zwar teilte die Klägerin dort
mit, dass sie mit dem Mandatsverhältnis unzufrieden sei. Eine Anzeige über eine bereits erfolgte Beendigung oder
Beschränkung des Mandats kann der Senat darin jedoch nicht erkennen. Eine Reaktion hierauf war nicht angezeigt,
da es nicht Aufgabe des Senats sein kann, auf ein bestehendes Anwalt-Mandantenverhältnis einzuwirken. Auch dass
die Bitte der Klägerin, sie durch einen anderen Anwalt vertreten zu lassen, unbeantwortet blieb, begründet - entgegen
der Auffassung der Klägerin - bereits mangels Ursächlichkeit keine Unwirksamkeit der Annahme des
Vergleichsangebots. Der Senat hätte ihr nach dem damaligen Sach- und Streitstand allenfalls mitteilen können, dass
eine weitere unbeschränkte Beiordnung eines anderen Rechtsanwalts nicht erfolgen könne, weil bereits der Wechsel
der ursprünglich beauftragten Rechtsanwältin L. mutwillig gewesen war (vgl. Beschluss vom 19. September 2005) und
im Übrigen auch Grund zur Annahme bestand, dass der beabsichtigte weitere Anwaltswechsel ebenfalls als mutwillig
zu qualifizieren war, da jedenfalls die in dem Schreiben geltend gemachten Gründe kein Fehlverhalten von
Rechtsanwalt W. belegen. Es ist gerade nicht Aufgabe eines Rechtsanwalts, Schreiben seines Mandanten im Original
quasi als bloßer Übermittlungsbote an das Gericht weiterzuleiten. Vielmehr soll er aus den Schilderungen des von ihm
Vertretenen das rechtlich und tatsächlich Bedeutsame herausfiltern und dem Gericht als sachdienlichen
Prozessvortrag übersenden.
Selbst wenn der Senat auf die Bitte der Klägerin die Zulässigkeit einer weiteren unbeschränkten Beiordnung bestätigt
hätte (für die es keinen Anhalt gibt), kann nicht festgestellt werden, dass die Klägerin Rechtsanwalt W. vor dem
Zeitpunkt der Annahme des Vergleichsangebots das Mandat entzogen und dieses dem Gericht gegenüber mitgeteilt
hätte.
Gemäß § 73 Abs. 4 Satz 1 SGG i.V.m. § 85 ZPO bindet die am 24. August 2006 durch den (damals noch)
bevollmächtigten Rechtsanwalt W. abgegebene Annahmeerklärung die Klägerin. Ihr entgegenstehender Wille war
damals weder für den Senat noch für die Beklagte erkennbar und bleibt deshalb für die Frage der Wirksamkeit ohne
Auswirkungen. Dass sie die Annahme des Vergleichsangebots der Beklagten mit ihrem Schreiben vom 14. Juni 2006,
dem Senat am 18. bzw. 20. Juli 2006 zugegangen, abgelehnt hatte, ist unerheblich, da sich die Annahme des
Vergleichsangebots der Beklagten durch Rechtsanwalt W. auf die – danach ergangene – ergänzende Stellungnahme
des von der Klägerin ausgewählten Sachverständigen Dr. B. vom 15. August 2006 stützt und nach dieser kein
entgegenstehender Wille der Klägerin mehr erkennbar war. § 116 Satz 2 BGB ist in diesem Zusammenhang bereits
deshalb nicht einschlägig, da Rechtsanwalt W. erkennbar keinen geheimen Vorbehalt hatte, die Annahme nicht zu
wollen; zum anderen fehlte es an der entsprechenden Kenntnis des Senats sowie der Beklagten.
Schließlich liegen die Anfechtungsgründe nach den §§ 119, 120 und 123 BGB (Irrtum, falsche Übermittlung sowie
Täuschung oder Drohung) offenkundig nicht vor. Überdies sind die bürgerlich-rechtlichen Grundsätze über die
Anfechtbarkeit auf Prozesshandlungen nicht einmal sinngemäß anwendbar (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 16.
Dezember 1992 – Az.: XII ZB 144/92, nach juris; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann; a.a.O.,
Grundz. § 128 Rdnr. 56).
Weitere Gründe für eine Unwirksamkeit der Annahme des Vergleichsangebots seitens des vormaligen
Bevollmächtigten der Klägerin sind für den Senat nicht erkennbar.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.