Urteil des LSG Thüringen vom 30.09.2009

LSG Fst: arbeitsmarkt, rente, erwerbsunfähigkeit, berufsunfähigkeit, zumutbare tätigkeit, erwerbsfähigkeit, gefährdung der gesundheit, versicherter, leistungsfähigkeit, krankheit

Thüringer Landessozialgericht
Urteil vom 30.09.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Gotha S 11 R 711/07
Thüringer Landessozialgericht L 3 R 365/08
Bundessozialgericht B 5 R 78/09 R
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 4. März 2008 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt eine Rente wegen Erwerbsminderung.
Der 1964 geborene Kläger erlernte von September 1981 bis Juni 1983 den Beruf eines Instandhaltungsmechanikers.
Von 1994 bis zum Jahre 2004 war er als LKW-Fahrer für eine italienische Firma beschäftigt. Am 9. Januar 2004 kam
es mit dem LKW in Spanien zu einem Verkehrsunfall, der zur Amputation des linken Unterarms des Klägers führte.
Der Kläger bezieht aufgrund dieses Unfalles eine Rente des Unfallversicherungsträgers.
Am 31. August 2004 stellte er einen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung. Er sehe sich aufgrund des Verlustes
seiner linken Hand als erwerbsgemindert. Die Beklagte nahm daraufhin medizinische Ermittlungen auf. Mit Bescheid
vom 17. August 2005 lehnte sie den Antrag des Klägers ab. Nach den ärztlichen Feststellungen werde seine
Erwerbsfähigkeit durch einen Zustand nach Amputation des linken Unterarms im oberen Drittel mit
Prothesenversorgung und einem Zustand nach Herzinfarkt bei koronarer Eingefäßerkrankung, chirurgisch versorgt,
beeinträchtigt. Er sei noch in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens
sechs Stunden täglich leichte Arbeiten ohne häufiges Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten, ohne
Schichtbedingungen, ohne besonderen Zeitdruck, ohne volle Gebrauchsfähigkeit des linken Armes und ohne
besondere Anforderung an die nervliche Belastbarkeit auszuüben. Anspruch auf Rente wegen teilweiser
Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit bestehe nicht.
Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24. Januar 2007 zurück.
Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben. Das Sozialgericht hat ein internistisches Gutachten des Dr. K. vom 5.
November 2007 eingeholt. Dr. K. stellte folgende Diagnosen: (1) Chronischer Nikotinabusus, (1.1) koronarer 1-
Gefäßerkrankung mit 75%iger Stenose im Bereich der LAD, Vorderwandmyokardinfarkt am 9. März 2004, Zustand
nach PTCA mit Stentimplantation der LAD am 5. März 2004, Zustand nach Vorderwandmyokardinfarkt am 4. März
2004, intermittierender AV-Block III. Grades, Zustand nach Lysetherapie; (1.2) Atherosklerose im Bereich der
hirnversorgenden Arterien, Zustand nach transitorisch-ischämischer Attacke 11/2004 mit Hemisymptomatik rechts;
(1.3) chronische Bronchitis mit geringgradiger Verminderung des maximal ventilierbaren Volumens; (2) essentielle
arterielle Hypertonie, Schweregrad II WHO; (3) Hyperlipidämie; (4) Alkoholabhängigkeit mit regelmäßigem
Trinkverhalten (Delta-Typ nach Jellinek); (4.1) fremdanamnestisch beschriebener alkoholentzungsbedingter
epileptischer Krampfanfall 1993; (5) Zustand nach traumatischer Amputation des linken Unterarms im Rahmen eines
Verkehrsunfalls 01/2004, (5.1) chronisch rezidivierender Phantomschmerz; (6) lokales Lumbalsyndrom; (7)
zervikocraniales Syndrom und (8) Tinnitus. Der Kläger sei aus internistischer Sicht in der Lage, an fünf Tagen in der
Woche täglich sechs bis acht Stunden Arbeiten mit Einschränkungen zu verrichten. Unter Berücksichtigung der
genannten Erkrankungen ergäben sich Arbeitsplatzbesonderheiten, insbesondere im Zusammenhang mit der
Unterarmamputation links sowie mit der geschilderten belastungsabhängig zunehmenden Schmerzsymptomatik im
Bereich der Lendenwirbelsäule und der Halswirbelsäule. Tätigkeiten mit längeren Zwangshaltungen, Überkopfarbeiten,
häufigem Klettern oder Gehen auf unebenen Böden, Tätigkeiten mit Absturzgefahr auf Leitern und Gerüsten sowie
lang anhaltende Vibrationen und Erschütterungen seien nicht tolerabel. Aufgrund der koronaren Herzerkrankung sowie
des arteriellen Hypertonus erschienen Nachtschichten und Überstunden, Tätigkeiten mit besonderer Verantwortung für
Mensch und Technik, besonderen geistigen und seelischen Beanspruchungen sowie auch taktgebundene Arbeiten
unter Zeitdruck nicht akzeptabel. Während der Berufstätigkeit solle ein Zugang zu alkoholischen Getränken nicht
ermöglicht werden können. Tätigkeiten mit besonderen manuellen Anforderungen bzw. bimanuelle Tätigkeiten seien
nicht möglich. Der Kläger sei in der Lage, zumutbar in ununterbrochener Zeit einen Weg von mehr als 500 m ohne
erhebliche Schmerzen, ohne übermäßige körperliche Anstrengung und insbesondere ohne Gefährdung der Gesundheit
zurückzulegen. Öffentliche Verkehrsmittel könnten auch während der Hauptverkehrszeit genutzt werden. Der Kläger
verfüge über einen Führerschein und fahre auch selbst PKW. Unter Berücksichtigung der genannten
Arbeitsplatzmerkmale seien während eines achtstündigen Arbeitstages keine zusätzlichen betriebsunüblichen Pausen
erforderlich. Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könnten ausgeübt werden. Das festgestellte
Leistungsvermögen des Klägers bestehe vermutlich seit Beendigung der Rekonvaleszenzzeit nach
Unterarmamputation links. Der Vorderwandmyokardinfarkt vom März 2004 führe passager zu einer weiteren
Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit, wenngleich der Kläger gegenwärtig diesbezüglich keine bedeutsameren
Beeinträchtigungen bemerke. Eine Verbesserung der gesundheitlichen Situation wäre insbesondere durch einen
Nikotinverzicht sowie durch eine zunehmende Mobilisierung und gegebenenfalls schmerztherapeutische Optimierung
zu erzielen. Die Durchführung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme zur Verbesserung der gesundheitlichen
Situation erscheine erfolgversprechend. Die Begutachtung auf einem anderen ärztlichen Fachgebiet als in der
Vergangenheit erfolgt, einschließlich der jetzigen internistischen gutachterlichen Untersuchung, werde gegenwärtig
nicht für erforderlich gehalten.
Mit Urteil vom 4. März 2008 hat das Sozialgericht die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 17. August
2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Januar 2007 verurteilt, dem Kläger Rente wegen voller
Erwerbsminderung befristet für die Zeit vom 1. Februar 2005 bis zum 31. Januar 2009 in gesetzlicher Höhe zu zahlen.
Das Sozialgericht ist dem Gutachten des Dr. K. gefolgt. Danach sei der Kläger zwar noch in der Lage, leichte
Tätigkeiten sechs bis acht Stunden täglich mit Einschränkungen zu verrichten. Einschränkungen hinsichtlich des
Weges zur Arbeitsstelle bestünden beim Kläger nicht. Betriebsunübliche Pausen seien nicht erforderlich. Im Fall des
Klägers läge jedoch eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor, da er seinen linken Arm im Hinblick auf den
Zustand nach Amputation des Unterarmes allenfalls als Beihand einsetzen könne. Dem Kläger könne eine
Verweisungstätigkeit nicht benannt werden.
Gegen die der Beklagten am 20. März 2008 zugestellte Entscheidung hat sie am 10. April 2008 Berufung eingelegt.
Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass dem Kläger als Verweisungstätigkeit die Tätigkeit eines Pförtners an einer
Nebenpforte benannt werden könne.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 4. März 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist im Wesentlichen der Auffassung, dass die erstinstanzliche Entscheidung zutreffend sei. Die von der Beklagten
benannte Tätigkeit stehe auf dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und den
Akteninhalt Bezug genommen. Die den Kläger betreffende Verwaltungsakte der Beklagten lag vor und ist Gegenstand
der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist auch begründet. Der Kläger
hat keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung.
Nach § 43 Abs.1 Satz 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der ab 1. Januar 2001 geltenden
Fassung (§ 43 SGB VI n.F) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen
teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie (1.) teilweise erwerbsgemindert sind, (2.) in den letzten fünf Jahren vor Eintritt
der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und (3.) vor
Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Nach Satz 2 des § 43 Abs. 1 SGB VI sind
teilweise erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande
sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich
erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit
oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen
Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Der Kläger ist aufgrund seiner Erkrankungen und Behinderungen gleichwohl in der Lage, mindestens sechs Stunden
täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes eine Tätigkeit zu verrichten. Der Senat stützt
seine Überzeugung - wie schon das Sozialgericht - auf das Gutachten des Dr. K. vom 5. November 2007. Dr. K. hat
folgende Diagnosen gestellt: (1) Chronischer Nikotinabusus, (1.1) koronarer 1-Gefäßerkrankung mit 75 %iger Stenose
im Bereich der LAD, Vorderwandmyokardinfarkt am 9. März 2004, Zustand nach PTCA mit Stenimplantation der LAD
am 5. März 2004, Zustand nach Vorderwandmyokardinfarkt am 4. März 2004, intermittierender AV-Block III. Grades,
Zustand nach Lysetherapie; (1.2) Atherosklerose im Bereich der hirnversorgenden Arterien, Zustand nach
transitorisch-ischämischer Attacke 11/2004 mit Hemisymptomatik rechts; (1.3) chronische Bronchitis mit
geringgradiger Verminderung des maximal ventilierbaren Volumens; (2) essentielle arterielle Hypertonie, Schweregrad
II WHO; (3) Hyperlipidämie; (4) Alkoholabhängigkeit mit regelmäßigem Trinkverhalten (Delta-Typ nach Jellinek); (4.1)
fremdanamnestisch beschriebener alkoholentzungsbedingter epileptischer Krampfanfall 1993; (5) Zustand nach
traumatischer Amputation des linken Unterarms im Rahmen eines Verkehrsunfalls 01/2004, (5.1) chronisch
rezidivierender Phantomschmerz; (6) lokales Lumbalsyndrom; (7) zervikocraniales Syndrom und (8) Tinnitus. Dr. K.
zieht aus diesen Diagnosen - für den Senat schlüssig und nachvollziehbar - den Schluss, dass der Kläger gleichwohl
noch vollschichtig leistungsfähig ist. Der Kläger hat seinen Rentenantrag mit dem Unfall vom 9. Januar 2004
begründet. Eine Selbsteinschätzung bezüglich des Restleistungsvermögens hat er im Rentenantrag nicht formuliert.
Die Hauptbeeinträchtigung erfährt der Kläger im Zusammenhang mit dem Verlust des linken Unterarmes sowie im
Zusammenhang mit einer Schmerzsymptomatik im Bereich der Lendenwirbelsäule sowie auch der Halswirbelsäule.
Diesbezüglich würden - so der Kläger in der Anamnesenerhebung durch den Sachverständigen - die Schmerzen
insbesondere auch nach rechtsokzipidal ausstrahlen. Die Gebrauchsfähigkeit der rechten Hand ist vollständig
erhalten. Beeinträchtigungen der groben Kraft sowie feinmotorische Defizite bestehen nicht. Die im Jahr 2004
geschilderte transitorisch-ischämische Attacke hatte sich im weiteren Verlauf nicht wiederholt. Neurologische
Residualsymptome sind zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. K. nicht erkennbar. Anhand der körperlichen
Untersuchung des Klägers am 5. November 2007 gestaltete sich das Ab- und Anlegen der Kleidung unproblematisch.
Mobilitätsbeeinträchtigungen im Zusammenhang mit den Beschwerden von Seiten des Bewegungsapparates bzw. der
Wirbelsäule waren nicht zu beobachten. Eine standardisierte Gehstreckenmessung am Laufband war problemlos
durchführbar. In einer Zeit von 12 min und 6 sec. konnte der Kläger eine Wegstrecke von 500 m ohne Schmerzen
bewältigen. Unterbrechungen waren nicht erforderlich. Kardiopulmonal war er stabil und fahrradergometrisch bis zur
Leistungsstufe mit 125 Watt belastbar. Danach gab er eine Dyspnoesituation an. Die fahrradergometrische
Untersuchung wurde unterhalb des Submaximaltestniveaus abgebrochen. Es ist aber von einer Dauerleistungsgrenze
für Belastungen zwischen 75 und 100 Watt auszugehen. In der Leistungsstufe mit 125 Watt erreichte die
Laktatkonzentration einen aeroben/anaeroben Übergangsbereich. Echokardiographisch ließen sich
Wandstärkenzunahmen der linken Herzkammer dokumentieren. Die Kontraktionsamplitude lag im Normbereich. Die
Veränderungen entsprachen zwar einer beginnenden konzentrisch linksventrikulären Hypertonie. Der Blutdruck wurde
jedoch am Untersuchungstag im Normbereich gemessen. Im Zusammenhang mit den Nikotinabusus ließen die
Lungenventilationsparamenter eine Verminderung des maximal ventilierbaren Volumens erkennen. Atherosklerotische
Wandveränderungen zeigten sich im Bereich der hirnversorgenden Arterien, wenngleich hieraus keine hämodynamisch
relevanten Stenosierungen resultierten. Auch im Bereich der beinversorgenden Arterien zeigten sich keine
hämodynamisch relevanten Perfusionseinschränkungen. Die kardiale Situation erschien stabil. Bei anamnestisch
beschriebener Alkoholabhängigkeit liege gegenwärtig der Alkoholkonsum nach den eigen anamnestischen Angaben
bei vier bis sechs Flaschen Bier am Wochenende. Ein Alkoholfoetor bzw. ein Tremor war am Untersuchungstag nicht
zu beobachten. Auf der Grundlage der kardiopulmonalen Leistungsfähigkeit könnte der Kläger demnach körperlich
mittelschwere Tätigkeiten übernehmen. Es kann von einer Dauerbelastungsgrenze für Belastungen zwischen 75 und
100 Watt ausgegangen werden. Im Hinblick auf die Unterarmamputation links sowie die glaubhaft geschilderte
Schmerzsymptomatik im Bereich der Lendenwirbelsäule sowie der Halswirbelsäule muss allerdings die
Arbeitsschwere auf körperlich leichte Arbeiten begrenzt werden. Unter Berücksichtigung von Einschränkungen ist der
Kläger aber in der Lage, sechs Stunden und mehr arbeitstäglich tätig zu werden. Der Sachverständige hat die von
dem Kläger beschriebenen orthopädischen Leiden und Schmerzzustände in seine Beurteilung einbezogen. Er ist zu
dem Ergebnis gekommen, dass im Bereich der Lendenwirbelsäule und der Halswirbelsäule Tätigkeiten mit längeren
Zwangshaltungen, Überkopfarbeiten, häufigem Klettern oder Gehen auf unebenen Böden, Tätigkeiten mit
Absturzgefahr auf Leitern und Gerüsten sowie lang anhaltende Vibrationen und Erschütterungen nicht tolerabel wären.
Aufgrund der koronaren Herzerkrankung sowie des arteriellen Hypertonus sind allenfalls Nachtschichten und
Überstunden, Tätigkeiten mit besonderer Verantwortung für Mensch und Technik, besondere geistige und seelische
Beanspruchungen sowie auch taktgebundene Arbeiten oder Arbeiten unter Zeitdruck nicht akzeptabel. Wegen der
Alkoholerkrankung sollte auch der Zugang zu alkoholischen Getränken während der Arbeitszeit nicht ermöglicht
werden. Tätigkeiten mit besonderen manuellen Anforderungen bzw. bimanuelle Tätigkeiten sind dem Kläger ebenfalls
nicht möglich. Insgesamt hat der Sachverständige jedoch nur qualitative nicht jedoch quantitative Einschränkungen
im Hinblick auf eine Tätigkeit beschrieben. Die von dem Sachverständigen beschriebenen qualitativen
Einschränkungen schließen eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter den üblichen Bedingungen nicht
aus. Insbesondere kann der Kläger eine zumutbare Wegstrecke zurücklegen. Er benötigt ferner keine zusätzlichen
betriebsunüblichen Pausen.
Dem Kläger ist eine konkrete Verweisungstätigkeit nicht zu benennen. Dabei ist hier schon fraglich, ob eine schwere
spezifische Leistungsbehinderung vorliegt. Während noch in älteren Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG)
im Zusammenhang mit dem Vorliegen einer schweren spezifischen Leistungseinschränkung ohne nähere
Ausführungen unter anderem auch der Beispielsfall der Einarmigkeit benannt worden ist, wurden in späteren
Entscheidungen die Umstände des Einzelfalles betont (vgl. BSG SozR 4 - 2600 § 43 Nr. 9). Neben der Einarmigkeit
wären hier mithin auch die koronare Herzerkrankung und die orthopädischen Leiden zu würdigen, die durchaus den
Schluss auf eine schwere spezifische Leistungseinschränkung zulassen. Einer Entscheidung diesbezüglich bedarf es
aber nicht.
Die Rechtsprechung des BSG zur Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder schwerer spezifischer
Leistungsbehinderungen (vgl. BSGE 80, 24) ist bei der Feststellung, ob ein Versicherter Anspruch auf Rente wegen
Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI n.F hat, nicht zu prüfen und festzustellen.
Dies ergibt sich aus Folgendem: Die Rechtsprechung zur Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen
oder schweren spezifischen Leistungsbehinderungen im Zusammenhang mit der Feststellung, ob ein Versicherter
Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit hat (nachfolgend Summierungsrechtsprechung genannt),
ist, wie auch das so genannte Mehrstufenschema, in dessen Zusammenhang die Summierungsrechtsprechung zu
sehen ist, vom BSG entwickelt worden. Ursprung der Rechtsprechung ist die Prüfung und Feststellung von
Rentenansprüchen wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit. Es handelt sich mithin um Richterrecht. Weder das so
genannte Mehrstufenschema noch Begriffe wie "Verschlossenheit des Arbeitsmarktes" verwendet das Gesetz (vgl.
BSG 80, 24 ff.). Gleichwohl handelt es sich nicht um willkürliche Festlegungen des BSG, vielmehr beruhte diese
Rechtsprechung ursprünglich auf den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) zur Berufs- bzw.
Erwerbsunfähigkeit; §§ 1246, 1247 RVO (zur Entwicklung vgl. Offczors, Abschied von der gesetzlichen
Invalidenversicherung, SGb 1997, S. 293 ff.). Sie ist später auch auf das Angestelltenversicherungsgesetz (AVG)
übertragen worden (vgl. §§ 23, 24 AVG).
Ausgangspunkt der Rechtsprechung waren aber die gesetzlichen Bestimmungen der RVO. Nach § 1246 Abs. 2 RVO
ist ein Versicherter berufsunfähig, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder
Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig
gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist.
Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle
Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des
Umfanges seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen
Berufstätigkeit zugemutet werden können. Nach dem Wortlaut der Bestimmung wird eine Verknüpfung hergestellt
zwischen der individuellen Leistungsfähigkeit (dem individuellen Gesundheitszustand) und der individuellen
Berufskompetenz einerseits und dem Arbeitsmarkt andererseits. Individuelle Leistungsfähigkeit auf gesundheitlichem
und beruflichem Gebiet war demnach der Ausgangspunkt der Auswahl einer für die Versicherten zumutbaren Tätigkeit
auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Das BSG hat aus der Bestimmung das (grundsätzliche) Gebot einer konkreten
Betrachtungsweise abgeleitet: ein Versicherter kann danach nur dann auf seine verbliebene Erwerbsfähigkeit
verwiesen werden, wenn in der Arbeitswelt, wie sie sich gerade darstellt, eine reale Chance für ihre Verwirklichung
besteht, und nicht nur eine theoretische Möglichkeit vorhanden ist, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten
(vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 110;. anschließend hat die Rechtsprechung eine erhebliche Anzahl von Ausnahmen
geschaffen, ein System von Regel, Ausnahme und Rückausnahme, vgl. hierzu Offczors, aaO., S. 297).
Auch der Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 1247 RVO setzte eine individualisierte
Betrachtungsweise voraus: Nach § 1247 Abs. 2 RVO ist erwerbsunfähig der Versicherte, der infolge von Krankheit
oder anderen Gebrechen oder vom Schwächen seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf absehbare Zeit eine
Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben oder nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte durch
Erwerbstätigkeit erzielen kann. Es stand mithin auch hier der Versicherte und dessen Leistungsvermögen im
Vordergrund und nicht der Arbeitsmarkt. Entscheidend ist, dass die Vorschrift des § 1246 RVO (Rente wegen
Berufsunfähigkeit) einerseits und § des 1247 RVO (Rente wegen Erwerbsunfähigkeit) andererseits in einem engen,
nicht zu trennenden systematischen Zusammenhang standen und deshalb sowohl die Rechtssprechung zum
Mehrstufenschema als auch der Summierung auf diesem Zusammenhang und auf beiden Bestimmungen fußten.
Nach den Vorschriften war der Versicherte auch stets mit seiner Leistungsfähigkeit und seiner Berufskompetenz in
nicht zu trennendem Zusammenhang zu beurteilen.
Es handelte sich regelmäßig bei der Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit um ein Verhältnis von Haupt- und Hilfsanspruch
("eine Art Stufenverhältnis", vgl. zu §§ 43,44 SGB VI Schulin, Sozialrecht, 5. Aufl. 1993, Rdnr. 516): der Versicherte
begehrte regelmäßig die Bewilligung einer (gegenüber der Berufsunfähigkeitsrente höheren) Rente wegen
Erwerbsunfähigkeit, deren Voraussetzungen aber schwieriger zu erfüllen sind. Dass aber beide Ansprüche
"teilidentisch" sind, zeigt § 1247 Abs. 5 RVO. Danach wurde neben einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit eine Rente
wegen Berufsunfähigkeit nicht gewährt. Beide Vorschriften standen mithin in einem engen, nicht zu trennenden
systematischen Zusammenhang.
Die Rechtsprechung zur Summierung ist ursprünglich für die Rente wegen Berufsunfähigkeit (nach § 1246 RVO) und
dort im Zusammenhang mit dem Mehrstufenschema entwickelt worden (vgl. hierzu Apidopoulos, Summierung
ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder schwerer spezifische Leistungsbehinderung auch bei
Erwerbsminderungsrenten, SGb 2006, S. 720 ff). Die Rechtsprechung zum Mehrstufenschema erfolgte schrittweise,
der Ursprung ist älter; die Summierungsrechtsprechung war ein Teilbereich hiervon. Wegen des beschriebenen
Zusammenhanges war sie auch bei der Erwerbsunfähigkeit zu berücksichtigen.
Für die Prüfung von Berufsunfähigkeit war nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG SozR 4-2600 § 44
Nr. 1) der bisherige Beruf, den der Versicherte ausgeübt hat, der Ausgangspunkt. Konnte der Versicherte diesen Beruf
nicht mehr ausüben, war er aber noch nicht berufsunfähig. Dies war vielmehr erst dann der Fall, wenn es nicht
zumindest eine andere berufliche Tätigkeit gab, die ihm sozial zumutbar und für die er sowohl gesundheitlich als auch
fachlich geeignet war. Die soziale Zumutbarkeit einer solchen anderen Tätigkeit, eine sogenannte
Verweisungstätigkeit, richtete sich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufes. Zur Erleichterung dieser Beurteilung
hatte das BSG das erwähnte Mehrstufenschema entwickelt und die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt.
Diese Berufsgruppen sind, ausgehend von der Bedeutung, die Dauer und Umfang der Ausbildung eines Berufs haben,
unterteilt worden. Danach bildete (beispielsweise für die Berufsgruppe der Arbeiter) die oberste Stufe die Gruppe der
Leitberufe des Vorarbeiters bzw. des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, anschließend des Facharbeiters,
dann des angelernten Arbeiters und schließlich des ungelernten Arbeiters. Dieses Mehrstufenschema hatte zunächst
zwei Konsequenzen: Grundsätzlich durfte ein Versicherter in die nächst niedrigere Gruppe verwiesen werden (vgl.
BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 5), d.h. ein Beruf der nächst niedrigeren Gruppe war für diesen sozial zumutbar.
Zweitens war einem Versicherten grundsätzlich zumindest eine Tätigkeit konkret zu benennen, die er noch ausüben
konnte (vgl. BSG SozR 80, 24 ff).
Die Rechtsprechung zur Summierung ist entwickelt worden, weil die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit
in der Regel nicht erforderlich war, wenn ein auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ungelernter Tätigkeiten verweisbarer
Versicherter zwar nicht mehr zu körperlich schweren, aber doch vollschichtig zu mittelschweren oder leichten Arbeiten
in der Lage war (nachfolgend ungelernter Versicherter genannt). Diese Prüfung ist systematisch zwar bei der
Berufsunfähigkeit durchzuführen, einen Beruf in diesem Sinne haben diese ungelernten Versicherten aber nicht. Eine
andere Situation ergab sich nur bei Vorliegen einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer
schweren spezifischen Leistungsbehinderung. Für solche Versicherte stellte sich die Frage, ob ohne weiteres davon
ausgegangen werden konnte, dass auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für die an sich noch mögliche Vollzeittätigkeit
eine ausreichende Zahl von Arbeitsplätzen vorhanden ist, oder ob ernstliche Zweifel daran aufkommen mussten, ob
der Versicherte mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen in einen Betrieb einsetzbar ist. Sind solche ernstlichen
Zweifel aufgekommen, war auch solchen ungelernten Versicherten eine Verweisungstätigkeit zu benennen. Konnte
keine Verweisungstätigkeit gefunden werden, waren sie, da keine Tätigkeit mehr möglich war - nicht nur
berufsunfähig, sondern zwangsläufig erwerbsunfähig. Auch diese Ausführungen beweisen die enge Verzahnung der
Ansprüche auf Rente wegen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit. Bei der Prüfung von Rentenansprüchen wegen
Erwerbsunfähigkeit führte die Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische
Leistungsbehinderung ebenfalls zu einer Benennungspflicht, die sich aber nicht nach den Kriterien einer sozialen
Zumutbarkeit richtete. Im Übrigen war das BSG bei dieser Prüfung zurückhaltend und sprach sich aus
sozialpolitischen Gründen gegen eine Ausweitung aus (vgl. BSG 80, 24 ff.).
Ab dem 1. Januar 1992 ist das SGB VI in Kraft getreten. Der Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit findet sich
nunmehr in § 43 SGB VI. Dabei entspricht die Definition der Berufsunfähigkeit im § 43 Abs. 2 SGB VI im
Wesentlichen der Formulierung des § 1246 Abs. 2 RVO. Berufsunfähig sind Versicherte deren Erwerbsunfähigkeit
wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden
Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der
Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren
Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfanges ihrer Ausbildung
sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden
können (§ 43 Abs. 2 SGB VI). Auch der Wortlaut des § 44 SGB VI, Renten wegen Erwerbsunfähigkeit, entspricht - mit
geringen sprachlichen Anpassungen - der Vorgängervorschrift des § 1247 RVO. Nach § 44 Abs. 2 SGB VI sind
erwerbsunfähig Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine
Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel der
monatlichen Bezugsgröße übersteigt. Es gab damit keinerlei Anlass, vom Mehrstufenschema oder der
Summierungsrechtsprechung Abstand zu nehmen.
1995 wurde eine grundsätzliche Neuordnung der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom Gesetzgeber
diskutiert (vgl. BT. - Drucks. 7/2590). Von einer grundlegenden Neuregelung wurde jedoch abgesehen.
Allerdings wurde mit dem 2. Gesetz zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch vom 2. Mai 1996 (BGBl. I
S. 659, 2. SGB VI Änderungsgesetz) die Formulierung in § 43 Abs. 2 Satz 4 SGB VI eingeführt, wonach
berufsunfähig nicht ist, wer eine zumutbar Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige
Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. § 44 Abs. 2 wurde durch Satz 2 Nr. 2 SGB VI ergänzt, wonach
erwerbsunfähig nicht ist, wer eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht
zu berücksichtigen.
Der Große Senat hatte sich in seinem Beschluss vom 19. Dezember 1996 (BSG SozR 3-2600 § 44 Nr. 8 = BSGE 80,
24 ff.) damit zu befassen, ob sich durch diese Gesetzesänderung oder aufgrund der Arbeitsmarktlage eine Änderung
der Rechtsprechung zur Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen
Leistungsbehinderung ergibt. Hierzu hat das Bundessozialgericht ausgeführt, dass die Fallgruppen, bei denen das
BSG in der Rentenversicherung bisher die erhebliche Gefahr einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes angenommen
hat, nicht mit Rücksicht auf ältere arbeitslose ungelernte Versicherte oder ältere arbeitslose angelernte Versicherte
des unteren Bereichs zu erweitern sind, die vollschichtig nur noch körperlich leichte Arbeiten mit weiteren
Einschränkungen verrichten können. Für die Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit sei die konkrete Benennung von
Verweisungstätigkeiten auch dann nicht erforderlich, wenn der Versicherte körperlich leichte Tätigkeiten vollschichtig
nur mit weiteren Einschränkungen verrichten kann; die konkrete Bezeichnung von Verweisungstätigkeiten sei
erforderlich, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische
Leistungsbehinderung vorliege. Gleiches gelte für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit Versicherter mit dem Leitbild
des angelernten Arbeiters im unteren Bereich und der Gruppe mit dem Leitbild des ungelernten Arbeiters (BSG aaO).
Sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur (vgl. Knispel, Zur Bedeutung des 2. SGB VI-ÄndG für Renten
wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, NZS 1996, S. 513 ff.) bestand Einigkeit, dass durch den Zusatz in den §§ 43,
44 SGB VI, wonach "berufsunfähig bzw. erwerbsunfähig nicht ist, wer eine (zumutbare) Tätigkeit vollschichtig
ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen", keine Änderung der Rechtslage
eingetreten ist.
Insbesondere der Entscheidung des Großen Senates (BSGE 80, 24 ff.) ist unzweifelhaft zu entnehmen, dass der
Ausgangspunkt der Summierungsrechtsprechung die jeweilige gesetzliche Formulierung gewesen ist (und sein muss).
Das BSG hat ausführlich dargelegt, dass bis zum Zeitpunkt der Entscheidung keine grundlegende Reform
stattgefunden hatte. Das heißt mit anderen Worten, dass eine Änderung dieser gesetzlichen Formulierungen
Auswirkungen auf die Summierungsrechtsprechung haben kann. Ferner hat das BSG ausgeführt, dass sich die
dogmatische Grundlage (bis 1996) nicht geändert hatte, wobei das BSG nur die §§ 1247 RVO bzw. 44 SGB VI
vergleicht. Eine Änderung hat das BSG auch nicht durch das 2. SGB VI - Änderungsgesetz gesehen. Nach der
Überzeugung des BSG war die Summierungsrechtsprechung weder zu erweitern noch einzuschränken.
Eine grundsätzliche Änderung hat sich jedoch nach der Überzeugung des Senates mit der Reform der Rente wegen
verminderter Erwerbsfähigkeit ab dem 1. Januar 2001 durch das EM-Reformgesetz vom 20. Dezember 2000 (BGBl. I,
S 18, 27) ergeben. Dass eine grundlegende Reform beabsichtigt war, ist der Begründung des Gesetzesentwurfs zu
entnehmen (vgl. BT. - Drucks. 14/4230 St. 1). In Fachkreisen und in der Wissenschaft, aber auch im politischen
Raum - so die Begründung - bestehe weitgehend Einigkeit über die Notwendigkeit einer Reform der Renten wegen
verminderter Erwerbsfähigkeit. Ein Kritikpunkt sei insbesondere die Tatsache, dass die Rentenversicherung bei einem
beträchtlichen Teil der Versicherten nicht nur das Invaliditätsrisiko, sondern auch das Arbeitsmarktrisiko trage. Als
Maßnahme sei die Ersetzung der bisherigen Renten wegen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit durch eine zweistufige
Erwerbsminderungsrente vorgesehen.
Bis auf den Übergangstatbestand des § 240 SGB VI (dort bleibt es bei der Dogmatik zur Berufs- und
Erwerbsunfähigkeit einschließlich des Mehrstufenschemas und der Summierungsrechtsprechung) gibt es
dementsprechend seit dem 1. Januar 2001 keine Rente wegen Berufsunfähigkeit mehr. Weder das Mehrstufenschema
noch die Rechtsprechung zur Summierung haben noch eine dogmatische Grundlage. Das Mehrstufenschema hat
ohne Berufsunfähigkeit keinen sachlichen Anwendungsbereich. Für die Summierungsrechtsprechung gibt es keine
Rechtfertigung mehr. Eine konkrete Verweisungstätigkeit ist keinem Versicherten, auch nicht den Versicherten, mit
einem Beruf, zu benennen. Mit der Neufassung wurde auch die enge Verknüpfung zwischen (gesundheitlicher)
Leistungsfähigkeit und Berufskompetenz aufgegeben. Der Gesetzgeber führt hierzu aus (vgl. BT. - Drucks. 14/4230
St. 25): "Die subjektive Zumutbarkeit einer Tätigkeit unter dem Gesichtspunkt der Ausbildung und des Status der
bisherigen beruflichen Tätigkeit ist ohne Bedeutung. Zu berücksichtigen sind allein die körperliche und geistige
Leistungsfähigkeit des Versicherten sowie eventuell zusätzliche Einschränkungen, die sich aus der ärztlichen
Begutachtung ergeben".
Der Senat ist davon überzeugt, dass der Gesetzgeber grundsätzlich das Erfordernis der Benennung von
Verweisungstätigkeiten im Zusammenhang mit Rentenansprüchen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit abschaffen
wollte.
Eine konkrete, d. h. individualisierte Betrachtungsweise lässt sich durch die Neufassung des Gesetzes jedenfalls
nicht mehr auslegen, auch wenn dies im Einzelfall angebracht wäre. Der Wortlaut spricht vielmehr für das Gegenteil,
eine generalisierende Betrachtungsweise anhand eines objektiven Maßstabes. Durch die Reform hat ein
Paradigmenwechsel stattgefunden, soweit diese Formulierung in diesem Zusammenhang verwendet werden kann.
Die nunmehr maßgebliche Vorschrift des § 43 Abs. 1 SGB VI (n.F.) lautet: "Teilweise erwerbsgemindert sind
Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen
Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein". § 43 Abs. 2
SGB VI lautet: "Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare
Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden
täglich erwerbstätig zu sein". Die Bestimmung enthält keine individuelle Verknüpfung mehr zwischen dem
Gesundheitszustand und der Berufskompetenz des Versicherten einerseits, mit den Bedingungen des Arbeitsmarktes
andererseits. Im Gegensatz zu den vorher geltenden Bestimmungen der §§ 1246, 1247 bzw. 43, 44 SGB VI (a.F.)
stehen nicht mehr der individuelle Versicherte und dessen Leistungseinschränkung und Berufskompetenz im
Vordergrund, sondern eindeutig die "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes", in die sich der
Versicherte einfügen muss. Die Bedingungen, unter denen noch eine Erwerbstätigkeit ausgeübt werden kann, setzt
nach der Formulierung des Gesetzes nicht mehr der Versicherte mit seinem Gesundheitszustand und seiner
Berufskompetenz sondern der allgemeine Arbeitsmarkt mit seinen "üblichen Bedingungen".
Auch der Gesetzesbegründung lässt sich - entgegen der Auffassung des BSG (vgl. SozR 4 - 2600 § 43 Nr. 5) - nicht
eindeutig entnehmen, dass die Summierungsrechtsprechung bei Erwerbsminderungsrenten Bedeutung haben soll,
zumal das BSG pauschal auf die Gesetzesbegründung verwiesen hat und seine Rechtsauffassung nicht näher
begründet. Abgesehen davon, dass jede Auslegung eines Textes mit dem Wortsinn beginnt (vgl. Larenz/Canaris,
Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, St. 141), der hier nur für eine objektivierte Betrachtung spricht,
ist auch die Gesetzesbegründung in sich widersprüchlich. Die Formulierung, wonach die konkrete Betrachtungsweise
beibehalten werde (vgl. BT. - Drucks. 14/4230 St. 25), begründet die Fortgeltung der Summierungsrechtsprechung
nicht. Der Gesetzgeber versteht unter der Bezeichnung "konkrete Betrachtungsweise" arbeitsmarktbedingte
Erwerbsminderungsrenten von Versicherten, die noch mindestens drei, aber nicht sechs Stunden täglich
leistungsfähig sind, mithin nicht vollschichtig Leistungsfähige (vgl. BT. - Drucks. 14/4230 St. 23). Es ist der
Gesetzesbegründung nach Abschaffung der Rente wegen Berufsunfähigkeit im Einzelnen daher nicht zu entnehmen,
ob und ggf. in welchem Umfang eine konkrete Betrachtung einschließlich der Summierungsrechtsprechung noch
Geltung haben sollte. Zwar hat die Summierungsrechtsprechung grundsätzlich nicht nur bei der Frage der
Berufsunfähigkeit, sondern auch der Erwerbsunfähigkeit eine Rolle gespielt, beide Anspruchsgrundlagen sind aber
nicht zu trennen und wurden vom BSG auch nicht getrennt gesehen.
Die Gesetzesbegründung (vgl. BT. - Drucks. 14/4230 St. 25) lautet wörtlich wie folgt: "Maßstab für die Feststellung
des Leistungsvermögens ist die Erwerbsfähigkeit des Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, d. h. in jeder
nur denkbaren Tätigkeit, die es auf dem Arbeitsmarkt gibt." Schon hier fragt sich, ob die Summierungsrechtsprechung
damit gegenstandlos geworden ist. Denn der Gesetzgeber meint mit dem "allgemeinen Arbeitsmarkt" nach neuem
Recht "jede nur denkbare Tätigkeit", während das BSG im Rahmen der Summierungsrechtsprechung einen anderen
Begriff des "allgemeinen Arbeitsmarktes" meint, nämlich einen Arbeitsmarkt, der nur körperlich leichte und fachlich
einfache Arbeiten umfasst (beispielhaft BSG Urteil vom 23. 5. 2006, Az: B 13 RJ 38/05 R: "Im Hinblick auf den
Umfang der Leistungseinschränkungen der Klägerin und insbesondere die vorliegende funktionelle Einäugigkeit mit der
Folge eingeschränkten räumlichen Sehvermögens hätte das LSG nähere Feststellungen treffen müssen, ob die
Klägerin noch zu körperlich leichten und fachlichen Arbeiten, wie sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt angeboten
werden, und häufig einen Einsatz am Fließband oder im Akkord bedingen ( ), fähig ist."). Kommt es nicht mehr auf die
Berufskompetenz an und ist nun mit allgemeinem Arbeitsmarkt das gesamte Spektrum der Erwerbstätigkeiten
gemeint, könnte ein Versicherter nach neuem Recht auf alle denkbaren Tätigkeiten verwiesen werden, die ihm
gesundheitlich zumutbar sind, auch wenn ihm hierzu die beruflichen Fähigkeiten fehlen. Eine solche
Verweisungspraxis wäre sinnlos.
Die zitierte Gesetzesbegründung deckt sich jedenfalls mit dem Wortlaut, wonach der allgemeine Arbeitsmarkt die
Bedingungen bestimmt und nicht auf der Grundlage der Einschränkungen der Versicherten zu beurteilen ist. Weiter
heißt es: "Allerdings kommen dabei nur Tätigkeiten in Betracht, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt üblich sind".
Diese Formulierung bezieht sich auf objektive, vom Versicherten unabhängige Verhältnisse und Bedingungen. Im
Umkehrschluss scheiden aus dem "allgemeinen Arbeitsmarkt" unübliche Tätigkeiten aus (besser gesagt Tätigkeiten
unter unüblichen Bedingungen), gleichgültig, ob diese nur für bestimmte Versicherte unübliche Bedingungen bedeuten.
Das Wort "üblich" bezeichnet keine Ausnahmesituation, sondern den für alle geltenden Regelfall. Auch das Wort
"Bedingungen" umschreibt objektive Umstände, d. h. für Jedermann geltende Voraussetzungen, nicht die Frage, ob
ein Einzelner nur noch Tätigkeiten verrichten kann, für den es keinen Arbeitsmarkt gibt. Die folgende Begründung
widerspricht deshalb auf den ersten Blick dem Wortlaut des Gesetzes, sie ist mit diesem nicht in Einklang zu bringen.
Denn, so die Begründung, damit werde sichergestellt, dass für die Feststellung des Leistungsvermögens solche
Tätigkeiten, für die es für den zu beurteilenden Versicherten einen Arbeitsmarkt schlechthin nicht gebe (es wird auf
BSGE 80,24, 34 verwiesen), nicht in Betracht zu ziehen seien. Entweder der Gesetzgeber meint Tätigkeiten, die auf
dem (für alle gleichermaßen zur Verfügung stehenden) allgemeinen Arbeitsmarkt (der alle denkbaren Tätigkeiten
umfasst) für alle Versicherten üblich sind - dies entspricht der Gesetzesfassung - oder der Gesetzgeber wollte (auch)
bei vollschichtiger Leistungsfähigkeit eine individuelle Prüfung, ob es für einen speziellen Versicherten einen
Arbeitsmarkt schlechthin nicht gebe. Das ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Der Gesetzgeber kann nicht in ein und
derselben Formulierung zwei verschiedene "Arbeitsmärkte" meinen.
Es kann im Ergebnis allerdings dahinstehen, ob die Begründung des Gesetzgebers schlüssig ist, denn die
Summierungsrechtsprechung muss diese jedenfalls nicht zwangsläufig meinen. Denn ergibt eine Subsumtion, dass
ein Versicherter nicht mehr unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig sein kann (einen
solchen Fall beschreibt der Gesetzgeber, weil es für den zu beurteilenden Versicherten einen Arbeitsmarkt
schlechthin nicht gebe; es ist schon das Ergebnis einer individuellen Prüfung, der beschriebene Versicherte hat
Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente), ist dieser per se erwerbsgemindert. Das ist aber nicht Inhalt der
Summierungsrechtsprechung. Diese gibt vielmehr auf, eine Prüfung durchzuführen mit offenem Ergebnis, d. h. den
Vergleich zwischen Leistungsvermögen und speziell für den Versicherten in Betracht kommenden Arbeitsmarkt (mit
körperlich leichten und fachlich einfachen Arbeiten), die nicht per se zu einer Erwerbsminderung führt.
So konnte die Summierungsrechtsprechung dazu führen, dass bei Versicherten mit den gleichen
Leistungseinschränkungen, dem einen Versicherten auf Grund seiner Fähigkeiten und Berufskompetenz eine
Verweisungstätigkeit zu benennen war, einem anderen Versicherten jedoch nicht. Ein solches Ergebnis konnte sowohl
bei der Prüfung einer Rente wegen Berufs- als auch wegen Erwerbsunfähigkeit eintreten. Dies ist mit § 43 SGB VI
(nF) nicht zu vereinbaren. Die "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" lassen keinen Raum mehr für
eine individuelle Betrachtung des Gesundheitszustandes und der Berufskompetenz des Versicherten. Versicherte mit
den gleichen Leistungseinschränkungen müssen - ohne Prüfung der individuellen Berufskompetenz - nach denselben
"üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" beurteilt werden.
Verbliebe es im Übrigen bei der Summierungsrechtsprechung, hätten un- bzw. angelernte Versicherte (des unteren
Bereichs) auch einen leichteren Zugang zu Erwerbsminderungsrenten, weil es (ohne das Problem der sozialen
Zumutbarkeit) bei einem gelernten Versicherten auf Grund der größeren Berufskompetenz in der Regel einfacher sein
wird, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine Tätigkeit zu benennen. Das kann nicht vom Gesetzgeber gewollt sein.
Dieses Problem wurde im Übrigen vorher im Rahmen der Berufsunfähigkeit durch das Mehrstufenschema vermieden.
Die Gesetzesbegründung lässt - weil ansonsten widersprüchlich und nicht mit dem Sinn der
Summierungsrechtsprechung vereinbar - den Schluss zu, dass der Gesetzgeber möglicherweise nicht vollschichtig
leistungsfähige Versicherte gemeint haben könnte. Für das Argument, dass der Gesetzgeber mit allen Konsequenzen
die Weitergeltung der Summierungsrechtsprechung wollte, spricht allenfalls der Verweis auf "BSGE 80, 24, 34".
Dieser Verweis genügt aber nicht, um eine gesetzliche Bestimmung gegen den Wortlaut und den Wortsinn
auszulegen.
Die Gesetzesänderung geht nach der Überzeugung des Senates noch einen Schritt weiter: Der Gesetzgeber hat einen
speziellen Zeitfaktor eingeführt, der einen Anspruch auf Erwerbsminderung ausschließt, wenn unter den üblichen
Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes eine Tätigkeit mindestens sechs Stunden ausgeübt werden kann. Auch
dies steht der Summierungsrechtsprechung entgegen. Der Gesetzgeber führt hierzu aus (vgl. BT. - Drucks. 14/4230
St. 25): "Das Leistungsvermögen des Versicherten ist anhand seiner zeitlichen Einsatzfähigkeit zu beurteilen. Um
einen einheitlichen, für alle Versicherten gleichen Maßstab zugrunde legen zu können, wird auf die Stundenzahl
abgestellt". Der Maßstab wird im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit danach nur quantifiziert, nicht aber (im Hinblick
auf Leistungseinschränkungen) qualifiziert. Ein Zeitfaktor war den Vorschriften der §§ 1246, 1247 RVO und §§ 43, 44
SGB VI nicht zu entnehmen, dieser beruhte vielmehr wiederum auf Richterrecht mit der Folge, dass das individuelle
Restleistungsvermögen eines Versicherten vorrangig anhand eines "hochdifferenzierten" Zeitschemas bewertet wurde,
das gestuft wurde in "vollschichtig einsatzfähig", "halb- bis untervollschichtig leistungsfähig", zweistündig bis
unterhalbschichtig leistungsfähig" und in ein unter zweistündiges Restleistungsvermögen" (vgl. Offczors, aaO., S.
297). Da dieses Zeitschema den Vorschriften der §§ 1246, 1247 RVO und §§ 43, 44 SGB VI jedenfalls nicht
widerspricht, erlaubte es auch den Prüfungsschritt im Zusammenhang mit der Summierungsrechtsprechung, ob ein
vollschichtig leistungsfähiger Versicherter nicht doch ausnahmsweise wegen besonderer individueller
Einschränkungen erwerbsunfähig sein kann. Erst mit dem 2. Gesetz zur Änderung des Sechsten Buches
Sozialgesetzbuch wurde durch die Formulierung in § 43 Abs. 2 Satz 4 SGB VI, wonach berufsunfähig nicht ist, wer
eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann (dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu
berücksichtigen), bzw. durch die Ergänzung des § 44 Abs. 2 mit Satz 2 Nr. 2 SGB VI, wonach erwerbsunfähig nicht
ist, wer eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann (dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen),
ein Zeitfaktor eingeführt. Dies änderte nach der Rechtsprechung des BSG zwar nichts an der
Summierungsrechtsprechung, bereits zu diesem Zeitpunkt beabsichtigte der Gesetzgeber aber schon (wenn auch
durch eine untaugliche Formulierung), eine richterrechtliche Ausweitung der konkreten Betrachtungsweise und zwar
wegen einer geplanten grundsätzlichen Neuordnung des Rechts der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu
verhindern (vgl. BT. - Drucks. 13/3694). Nach der Neufassung des Gesetzes (also nach der Neuordnung) kann der
jetzt ausdrücklich normierte Zeitfaktor (mindestens sechs Stunden/ mindestens drei Stunden) im Zusammenhang mit
den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht mehr ohne Konsequenzen auf die
Summierungsrechtsprechung bleiben. Es geht auch nicht mehr um die jeweilige Arbeitsmarktlage oder die Frage nach
einer (zumutbaren Verweisungs-) Tätigkeit, die noch vollschichtig ausgeübt werden kann. Das Gesetz stellt vielmehr
nun ohne Ausnahme fest, dass der Versicherte nicht einmal teilweise erwerbsgemindert ist, wenn er im Stande ist,
mindestens sechs Stunden (nach der Neufassung "vollschichtig") täglich unter den üblichen Bedingungen des
allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein. Nur wenn der Versicherte den objektiven üblichen Bedingungen des
allgemeinen Arbeitsmarktes nicht genügen kann, reicht auch eine mindestens sechsstündige Leistungsfähigkeit für
eine Erwerbsminderung aus. Nach der Gesetzesfassung kann sich nicht die Frage stellen, ob ein "vollschichtig"
Leistungsfähiger wegen einer besonderen gesundheitlichen Konstellation (Summierung ungewöhnlicher
Leistungseinschränkungen oder schwerer spezifischer Leistungsbehinderungen ) ausnahmsweise erwerbsgemindert
ist, wenn man ihm keine Verweisung benennen kann.
Eine andere dogmatische Grundlage zur Beibehaltung der Summierungsrechtsprechung ist dem Senat nicht
ersichtlich, insbesondere weil nach der Überzeugung des Senates der Gesetzgeber den gesamten Komplex der
Benennung von Verweisungstätigkeiten einschränken bzw. abschaffen wollte (anderer Auffassung Mey,
Erforderlichkeit einer "konkreten Betrachtungsweise auch nach der Reform der Erwerbsminderungsrenten" in SGb,
2007, S.217 ff; Mey bleibt allerdings einer Auseinandersetzung mit den dogmatischen Grundlagen schuldig). Auch das
BSG hat die Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder schwerer spezifischer
Leistungsbehinderungen nicht dahingehend erweitert, dass Versicherte mit derartigen Beschränkungen per se von den
üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausgeschlossen sind und Erwerbsminderungsrente erhalten.
Vielmehr erhält der Versicherungsträger in diesen Fällen die Möglichkeit der Benennung von Verweisungen.
Die gesetzliche Bestimmung des § 43 SGB VI (n. F.) rechtfertigt allerdings weiterhin die Rechtsprechung des BSG
zum so genannten Verschlossenheitskatalog (nachfolgend Katalogfälle), weil sich diese Rechtsprechung allein auf die
Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes bezieht und keine individuelle Verknüpfung zu den
Gesundheitseinschränkungen und der Berufskompetenz des Versicherten hergestellt wird (vgl. insgesamt Niesel in
Kassler Kommentar, § 43 SGB VI Rnr. 37). Jedem Versicherten, der an einer der im Katalog genannten
Einschränkungen leidet, ist der Arbeitsmarkt - generell - verschlossen, dies ist der Unterschied zur Summierung.
Eine Verschlossenheit des Arbeitsmarktes liegt nach den Katalogfällen vor (1.) wenn der Versicherte nicht unter den
im Betrieb üblichen Bedingungen, z.B. nur unter nicht betriebsüblichen Arbeitsbedingungen, tätig sein kann, etwa weil
er zusätzliche Pausen benötigt (BSG SozR 2200 § 1247, Nr. 43) oder etwa an ekelerregenden oder ansteckenden
Krankheiten leidet (BSGE 31, 233); (2) wenn aus gesundheitlichen Gründen entsprechende Arbeitsplätze nicht
aufgesucht werden können, d.h. bestimmte Wegstrecken nicht zurückgelegt werden können (BSG SozR 2200 § 1247
Nr. 47; hier belegt Mey, aaO, S. 219, dass er die kritischen Anmerkungen von Apidopoulos, aaO. nicht nachvollzogen
hat. Denn Mey beschreibt einen Versicherten, der auf Grund einer "Summierung" wegeunfähig sei. Die
Wegeunfähigkeit sei eines der bekanntesten Phänomene einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung. Mey
übersieht, dass es sich bei der Wegefähigkeit um einen Katalogfall, d. h. um "übliche Bedingungen des allgemeinen
Arbeitsmarktes" handelt, denn die Fähigkeit, einen Arbeitsplatz zu erreichen, gehört - unabhängig von der individuellen
Erkrankung des Versicherten - zu den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes. Eine eingeschränkte Wegefähigkeit
wird deshalb von § 43 n.F. erfasst. Mey übersieht auch, dass eine eingeschränkte Wegefähigkeit per se zu einem
Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung bzw. Erwerbsunfähigkeit führt (es sei denn die eingeschränkte
Wegefähigkeit kann etwa durch ein Kraftfahrzeug kompensiert werden, dies ist aber eine Definitionsfrage), den
Versicherten mithin dann keine "Verweisungstätigkeit" benannt werden muss, wobei die Auffassung von Mey zu teilen
ist, wonach die Abschaffung der Summierungsrechtsprechung zu problematischen Ergebnissen führen kann). Eine
Verschlossenheit, die auch nach neuem Recht zu berücksichtigen ist, liegt ferner (3) vor, wenn der Versicherte nur in
einem Teilbereich eines Tätigkeitsfeldes eingesetzt werden kann, (4) wenn nur Arbeitsplätze in Betracht kommen, die
als Schonarbeitsplätze üblicherweise nicht an Betriebsfremde vergeben werden (BSG SozR 2600 § 46 Nr. 1), (5) wenn
nur Tätigkeiten in Betracht kommen, die an Berufsfremde nicht vergeben werden, (6) wenn nur Tätigkeiten in Betracht
kommen, die auf Arbeitsplätzen ausgeübt werden, die als Aufstiegspositionen nicht an Betriebsfremde vergeben
werden und schließlich (7) wenn entsprechende Arbeitsplätze nur in ganz geringer Zahl vorkommen. All diese Fälle
beschreiben für alle Versicherten unübliche Arbeitsbedingungen, unabhängig von der konkreten Erkrankung, bei der es
sich auch um die Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schweren spezifischen
Leistungsbehinderung handeln kann. Bei diesen Fallgruppen kommt es auch nicht auf die Berufskompetenz an. War
nach altem Recht ein Seltenheitsfall zu bejahen, lag per se Erwerbsunfähigkeit vor. Liegt nunmehr einer der bisher
schon anerkannten Katalogfälle vor, ist der Versicherte (etwa wegen fehlender Wegefähigkeit) im Sinne des neuen
Rechts nicht mehr in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein
und somit erwerbsgemindert. Auf eine individuelle Festlegung einer möglichen Verweisungstätigkeit oder individuelle
Umstände kommt es beim Vorliegen eines Seltenheitsfalles nicht an.
Ein Seltenheitsfall liegt beim Kläger nicht vor.
Der Auffassung des Senates widerspricht auch nicht die zitierte Entscheidung des Großen Senates des BSG vom 19.
Dezember 1996 (vgl. BSGE 80, 24 ff.). Der Senat sieht sich vielmehr bestätigt. Zwar thematisiert die Entscheidung
die Summierungsrechtsprechung bei Erwerbsunfähigkeitsrenten. Dies liegt aber zunächst an der Fragestellung, mit
der der Große Senat befasst war. Es ging um Rentenansprüche von Versicherten, die einen "Beruf" im Sinne der
Renten wegen Berufsunfähigkeit nicht haben. Für diese kommen naturgemäß nur Rentenansprüche wegen
Erwerbsunfähigkeit in Betracht. Der Entscheidung ist aber unzweifelhaft zu entnehmen, dass die
Summierungsrechtsprechung - wie dargelegt - ihre Grundlage in den Vorschriften über Renten wegen verminderter
Erwerbsfähigkeit (und zwar sowohl 1246 ff. RVO als auch §§ 43 ff. SGB VI) hat, d. h. beide Anspruchsgrundlagen der
§§ 1246, 1247 RVO bzw. §§ 43, 44 SGB VI (a.F). Wörtlich führt das BSG aus: "Veranlassung, den Grundsatz
(gemeint ist die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit) aufzugeben, besteht derzeit auch deshalb nicht, weil
die erwähnte Neufassung der §§ 43 ff. SGB VI (§43 SGB VI regelte die Rente wegen Berufsunfähigkeit) auf die
Beibehaltung der Rechtsprechung abzielt, nach der die Benennung von ungelernten Verweisungstätigkeiten nicht
erforderlich ist ( )". Dementsprechend ist bei jeder Änderung dieser Vorschriften fraglich, ob sich diese auf die
Summierungsrechtsprechung auswirkt. Auch das BSG geht von einer engen Verzahnung der Rentenansprüche wegen
Berufs- und Erwerbsunfähigkeit aus und hierzu von einem nicht zu trennenden Zusammenhang von körperlicher
Leistungsfähigkeit und Berufskompetenz. Der Große Senat verweist selber darauf, dass die
Summierungsrechtsprechung für beide Anspruchgrundlagen von Bedeutung ist (wie schon die Zitierweise zeigt). Das
Abschaffen der Rentenansprüche wegen Berufsunfähigkeit und das Streichen der entsprechenden Vorschrift sowie die
Einführung eines ausdrücklichen Zeitfaktors können mithin auch nach dieser Entscheidung des BSG auf die
Summierungsrechtsprechung nicht ohne Konsequenzen bleiben.
Da die Summierungsrechtsprechung nach der Überzeugung des Senates keine gesetzliche Grundlage mehr hat, ist
dem Kläger mithin keine konkrete Tätigkeit zu benennen; er ist nicht erwerbsgemindert. Der Senat ist auch nicht der
Auffassung, dass dem Kläger "vorsorglich" die in der Sozialgerichtsbarkeit üblichen
"Standardverweisungstätigkeiten", die in beinahe jedem Verfahren als geradezu idealtypisch genannt werden, zu
benennen. Mit einer derartigen Verweisungspaxis wird letztlich der Sinn der Summierungsrechtsprechung des BSG
auch unterlaufen. Der Senat hält eine dogmatische Klärung für sachgerecht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 des Sozialgerichtsgesetzes vorliegen. Die Sache
hat grundsätzliche Bedeutung. Bisher ist nicht abschließend geklärt, ob die Summierungsrechtsprechung des
Bundessozialgerichts auch auf Renten wegen Erwerbsminderung anzuwenden ist bzw. in welchem Umfang diese
Rechtsprechung bei Erwerbsminderungsrenten eine Rolle spielt. Ferner ist von grundsätzlicher Bedeutung die Klärung
der Rechtsfrage, was unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verstehen ist.