Urteil des LSG Thüringen vom 26.06.2008

LSG Fst: juristische person, psychische störung, geeignete stelle, wahrscheinlichkeit, versorgung, arthrose, arthritis, familie, form, anerkennung

Thüringer Landessozialgericht
Urteil vom 26.06.2008 (rechtskräftig)
Sozialgericht Gotha S 4 VH 999/02
Thüringer Landessozialgericht L 5 VH 512/04
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 5. Mai 2004 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Anerkennung weiterer Erkrankungen als Folge zu Unrecht erlittener Haft sowie die Gewährung
höherer Versorgungsbezüge.
Im November 1996 beantragte sie die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem Ersten Gesetz zur
Bereinigung von SED-Unrecht (1. SED-UnBerG) wegen "Rheuma am ganzen Körper, Asthma,
Durchblutungsstörungen, Stirnhöhlenerkrankung, Unterleibs¬erkrankung, Bandscheiben". Sie gab an, die
Körperschäden seien auf die Haftbedingungen, Kälte, Arrest, Ackerbau-Tätigkeiten und Bedienung von Maschinen bei
ihren Inhaf¬tierungen vom 1. Oktober 1971 bis 22. Dezember 1972 in H. sowie von Mai 1974 bis 27. Januar 1977 in
Q. zurückzuführen. Bereits vor der Haft habe eine Unterleibs¬erkrankung bestanden, derentwegen sie auch behandelt
worden sei.
Nach dem Beschluss der 5. Kammer für Rehabilitierungssachen des Landgerichts Erfurt vom 15. Februar 1994 hat die
Klägerin vom 1. Oktober 1971 bis 19. Dezember 1972 sowie vom 15. Mai 1974 bis 27. Januar 1975 unschuldig
Freiheits¬entziehung erlitten. Die Verurteilung wegen ungesetzlichen Grenzübertritts (Urteil des Kreisgerichts Erfurt-
Nord vom 17. August 1971) wurde für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben; der auf das Urteil des Kreisgerichts
Erfurt-Nord vom 18. Juli 1974 gerichtete Antrag sei hingegen unbegründet. Der Beklagte zog die medizinischen
Unterlagen aus der Gefangenenpersonalakte der Klägerin bei der Justiz¬vollzugs¬anstalt (JVA) V. zu beiden
Haftzeiträumen, Versicherungs¬ausweise der Klägerin sowie verschiedene Befundberichte behandelnder Ärzte und
des Landesfach¬krankenhauses für Psychiatrie und Neurologie S. bei und ließ die Klägerin im März 1998
versorgungs¬ärztlich untersuchen. Dr. H. stellte eine Alkohol¬krankheit mit Leber- und Nerven¬schädigung, eine
chronisch obstruktive Bronchitis, ein vertebragenes Schmerzsyndrom der Wirbelsäule, eine ausgeheilte chronische
Eierstockentzündung sowie rezidivierende Nierenbeckenentzündungen fest. Für eine rheumatische Erkrankung,
Stirn¬höhlenerkrankung, Durchblutungsstörungen bzw. Band¬scheiben¬schädigungen gebe es keine Hinweise. Auch
die festgestellten Gesundheits¬störungen könnten nicht auf die Haft¬bedingungen zurückgeführt werden. Die
schädigenden Einflüsse während der mehr¬jährigen Inhaftierung seien nicht geeignet gewesen, eine chronische
Atemwegs- und Wirbelsäulenerkrankung hervorzurufen. Die Unterleibs¬erkrankungen habe bereits vor der Haft
bestanden und sei auch während der Haft adäquat behandelt worden. Die übrigen geltend gemachten
Gesundheitsstörungen seien zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr nachweisbar. - Daraufhin lehnte der Beklagte mit
Bescheid vom 4. Mai 1998 den Antrag der Klägerin ab.
Auf den dagegen eingelegten Widerspruch zog der Beklagte weitere medizinische Unterlagen bei. Mit Schreiben vom
Oktober 1999 machte die Klägerin (erstmals) geltend, sie habe während der Haftzeit in Q. an einer schweren
Depression gelitten und sei deshalb von 1975 bis Oktober 1976 von dem Gefängnisarzt und nach der Haft wegen
Depression, Angstzuständen und Alpträumen weiterhin neurologisch/psychiatrisch behandelt worden. Der Versuch
des Beklagten, hierzu medizinische Unterlagen zu erlangen, blieb erfolglos. Er zog sodann die vollständigen
Strafakten der Klägerin aus den Jahren 1971 und 1974 sowie ihre Patientenunterlagen aus dem
Landesfach¬krankenhaus für Psychiatrie und Neurologie S. zu einer stationären Entzugs¬behandlung bei und
veranlasste ein psychologisch-ärztliche Begutachtung zur Frage einer psychischen Gesund¬heits¬störung als
Haftfolge durch Prof. Dr. Dr. M. Dieser diagnostizierte in dem Gutachten vom August 2001: posttraumatische
Belastungsstörung in mäßiger bis mittel¬schwerer Form, Agoraphobie ohne Anamnese von Panikanfällen,
generalisiertes Angst¬syndrom, schweres depressives Syndrom bis zur Zeit unmittelbar nach der Haftentlassung,
Abhängigkeitssyndrom bei gegenwärtiger Abstinenz. Wesentlich durch die Inhaftierungen mitverursacht seien die
posttraumatische Belastungs¬störung, die Agoraphobie, das schwere depressive Syndrom und die
Alkoholabhängigkeit. Die generalisierte Angststörung sei schädigungsunabhängig. Gegenwärtig sei eine haft¬bedingte
Minderung der Erwerbs¬fähigkeit (MdE) von 40 v. H. festzustellen. Für den Zeitraum Januar 1976 bis Februar 1977
habe die MdE bei Vorliegen eines schweren depressiven Syndroms 70 v. H. betragen. Der Gutachter ging bei seiner
Beurteilung von einem Druckfehler in dem Rehabilitierungs¬beschluss des Landgerichts Erfurt aus, wonach die
Rehabilitierungszeit 1975 ende, obwohl die Haftzeit nach allen Unterlagen bis 1977 angedauert habe.
Im September 2001 gingen bei dem Beklagten ein Attest des Prof. Dr. Dr. M. über die Herkunft verschiedener
Tätowierungen der Klägerin (in Zwangssituation während rechtsstaatswidriger Haft entstanden) sowie der
Ablehnungsbescheid der AOK – Die Gesundheitskasse in Thüringen vom 7. September 2001 zu dem Antrag auf
Kosten¬übernahme für die Entfernung der Körpertätowierungen ein. Am 28. Januar 2002 erteilte der Beklagte einen
Abhilfebescheid, mit dem er den Bescheid vom 4. Mai 1998 änderte. Als Schädigungsfolge wurde nunmehr eine
psychische Störung anerkannt, die durch schädigende Einwirkungen im Sinne des § 21 des Strafrechtlichen
Rehabilitierungsgesetzes (StrRehaG) hervorgerufen worden sei. Die Klägerin habe ab dem 1. Oktober 1999 (Beginn
den Antragsmonats) Anspruch auf Beschädigtenversorgung nach § 21 StrRehaG in Verbindung mit den § 9 ff. des
Bundes¬versorgungsgesetzes (BVG). Durch die Schädigungsfolge sei sie in ihrer Erwerbsfähigkeit um 40 v. H.
gemindert.
Die Klägerin teilte sodann mit, dass sie ihren Widerspruch auch nach Erhalt des Abhilfe¬bescheides aufrechterhalte.
Sie mache weiterhin Arthritis und Arthrose (anstelle der medizinisch nicht bestätigten Rheumaerkrankung), eine
chronische Bronchitis sowie zahlreiche Tätowierungen als Haftschäden geltend. Sie führe die Gelenkerkrankung und
die Bronchitis auf schwere Haft- und Arbeitsbedingungen sowie ihre Unterbringung in einer Arrestzelle und die
Bronchitis zudem auf den Umgang mit Lötzinn und Trie zurück, mit denen sie habe arbeiten müssen. Die
Tätowierungen habe sie sich anbringen lassen müssen, um nicht als Außenseiter den Repressalien der anderen
Mithäftlinge ausgesetzt zu sein. Den Antrag hinsichtlich der ursprünglich geltend gemachten Stirnhöhlenerkrankung
und Unterleibserkrankung ziehe sie zurück.
Der Beklagte zog einen orthopädischen Befundbericht aus einem Schwerbehinderten¬verfahren der Klägerin bei und
wies sodann mit Widerspruchsbescheid vom 25. April 2002 den Widerspruch zurück, soweit er über den
Abhilfebescheid vom 28. Januar 2002 hinausging. Die Diagnosen Arthritis und Arthrose fänden sich in keinem der
aktenkundigen Befundberichte und seien daher nicht belegt. Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule bei chronisch
vertebragenem Schmerzsyndrom der Hals- und Lenden¬wirbel¬säule sowie Gonalgie beidseits basierten auf alters-
und anlagebedingten, degenerativen Verschleißerscheinungen und stünden nicht mit Wahrscheinlichkeit in einem
ursächlichen Zusammenhang mit der Haft. Die geltend gemachte chronische Bronchitis sei im Wesentlichen
konstitutionell und insbesondere durch langjähriges Rauchen bedingt; Belege über Art und Umfang von Einwirkungen
chemischer Substanzen fehlten. Bei den Tätowierungen handele es sich nicht um eine gesundheitliche Schädigung im
Sinne des Gesetzes; darüber hinaus sei nicht bewiesen, dass die geltend gemachten Tätowierungen tatsächlich
während der Inhaftierungen und auf Grund von ausgeübtem psychischem Druck durch andere Gefangene entstanden
seien.
Dagegen hat die Klägerin bei dem Sozialgericht Gotha Klage erhoben. Ihre behandelnde Rheumatologin habe die
Diagnosen Arthritis und Arthrose bestätigt. Diese wie die anderen Gesundheitsstörungen seien auf die langjährigen
Freiheitsentziehungen und die schwere körperliche Arbeit sowie den mehrfachen Arrest zurückzuführen. Wegen der
während der Haft und unter psychischem Druck der Mitgefangenen angefertigten Tätowierungen könne sie im Sommer
nicht mit kurzer Kleidung aus dem Haus gehen; daraus entwickelten sich weitere Depressionen.
Das Sozialgericht hat diverse Befundberichte von die Klägerin behandelnden Ärzten beigezogen und die Klage mit
Urteil vom 5. Mai 2004 abgewiesen. Die geltend gemachten Gesundheitsstörungen könnten nicht mit
Wahrscheinlichkeit auf die zu Unrecht erkannte Haft zurückgeführt werden. Es müsse darauf hingewiesen werden,
dass die Klägerin nicht während der gesamten Haftzeit, sondern bloß bis zum 27. Januar 1975 rehabilitiert worden sei.
Die Wirbelsäulen- und Knieerkrankungen seien in Analogie zur Berufskrankheiten¬verordnung zu beurteilen; die dort
vorausgesetzten langjährigen und erheblichen Belastungen lägen nicht vor. Eine aktuelle rheumatische Erkrankung
sei nirgendwo diagnostiziert. Die Atemwegserkrankung sei nachweislich erstmals 1984 als akute Bronchitis und
Bronchiolotis und ab 1986 als chronische Bronchitis aufgetreten, so dass eine Nachwirkung der Einwirkung von
Gasen im Sinne von Lötzinn und Trichloriden hoch unwahrscheinlich sei. Die Tätowierungen seien keine Erkrankung
im Rechtssinne; wenn man sie als Schädigungsfolge ansehen wollte, müsste man sie wie Narben behandeln, die eine
MdE von 0 v. H. bedingten. Soweit sich die Klägerin dadurch psychisch belastet sehe, sei dies bereits in der
anerkannten psychischen Störung berücksichtigt.
Mit der dagegen eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie legt Bescheinigungen der
behandelnden Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. W. vom Juni 2004 und Juni 2008, worin die psychische
Beeinträchtigung und Minderung des Selbst¬wertgefühls in Folge der Tätowierungen aus psychiatrischer Sicht
bescheinigt werden, einen Befundbericht der röntgenologischen Praxis Dr. G. und Kollegen vom Juni 2008 (Lumbalgie
und Lumboischialgie beidseits), sowie weitere, ältere medizinische Unterlagen vor und trägt vor, die Tätowierungen
seien bei der Festsetzung der MdE durch Prof. Dr. Dr. M. seinerzeit nicht berücksichtigt worden. Die Klägerin
beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 5. Mai 2004 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 4. Mai 1998,
abgeändert durch Abhilfebescheid vom 28. Januar 2002, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. April
2002 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin unter Anerkennung von Wirbel¬säulenveränderungen,
einer Arthritis und einer Arthrose, einer Atemwegserkrankung und Tätowierungen als Haftfolge Versorgungsbezüge
nach einem Grad der Schädigung von mindestens 50 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verweist auf die Gründe der Verwaltungsentscheidungen und des sozialgerichtlichen Urteils.
Mit Beschluss vom 4. Januar 2005 hat der Senat den Antrag der Klägerin, ihr für das Berufungsverfahren
Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung ihrer Bevollmächtigten zu bewilligen, mangels hinreichender
Erfolgsaussicht abgelehnt. Auf die Gründe dieser Entscheidung wird verwiesen.
Der beklagte Freistaat wurde bis zum 30. April 2008 durch das Landesamt für Soziales und Familie, Abteilung 3 –
Versorgung und Integrationsamt – vertreten. Dieses Amt wurde durch § 1 Abs. 1 der Anordnung über die Auflösung
des Landesamtes für Soziales und Familie und der Versorgungsämter und Thüringer Verordnung zur Änderung der
Zuständig¬keiten in der Versorgungs- und Sozialverwaltung (ThürVersorgAmtAuflAO) vom 1. April 2008 aufgelöst.
Seine Aufgaben – mit Ausnahme derjenigen nach dem Thüringer Blinden¬geldgesetz und des
Schwer¬behinderten¬feststellungsverfahrens – werden nach § 2 Abs. 1 der Vorschrift von dem
Landes¬verwaltungs¬amt (LVwA) wahrgenommen. In dem LVwA ist nunmehr die neu gebildete Abteilung VI –
Versorgung und Integration – für das soziale Entschädigungs¬recht zuständig.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Gerichts- sowie der Verwaltungsakte verwiesen, der
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
A.
Der Senat konnte trotz Abwesenheit eines Beklagtenvertreters in dem Termin zur mündlichen Verhandlung
entscheiden, weil der Beklagte auf diese Möglichkeit in der Ladung hingewiesen worden war (§ 110 Abs. 1 Satz 2 des
Sozialgerichtsgesetzes – SGG).
Die Berufung ist zulässig; der Senat konnte daher in der Sache entscheiden. Insbesondere ist der beklagte Freistaat
auch nach der Auflösung des Landesamtes für Soziales und Familie und der Übertragung der Zuständigkeit unter
anderem in Angelegenheiten zur Durchführung der §§ 21, 22 StrRehaG auf das Landesverwaltungsamt prozessfähig
im Sinne des § 71 Abs. 1 SGG und ordnungs¬gemäß vertreten im Sinne des § 71 Abs. 5 SGG.
Als juristische Person ist der Freistaat Thüringen nur prozessfähig, wenn er durch eine natürliche Person gesetzlich
vertreten wird. Nach § 71 Abs. 5 SGG (in der Fassung des 6. SGG-Änderungs¬gesetzes vom 17. August 2001,
BGBl. I S. 2144) wird ein Land in Angelegen¬heiten des sozialen Entschädigungsrechts, zu denen die Regelungen der
§§ 21, 22 StrRehaG zählen, durch das Landesversorgungsamt oder durch die Stelle, der dessen Aufgaben übertragen
worden sind, vertreten. Da "das Landesversorgungsamt" oder "die Stelle" als solche nicht handeln können, müssen
sie ihrerseits durch eine hierzu berechtigte natürliche Person vertreten werden. Nach § 71 Abs. 3 SGG handeln für
Behörden ihre gesetzlichen Vertreter, Vorstände oder besonders Beauftragte.
Die Aufgaben des Landesversorgungsamts wurden durch § 2 Abs. 1 ThürVersorgAmt¬AuflAO dem LVwA übertragen.
Dieses wird mangels besonderer Beauftragter durch seinen Präsidenten vertreten.
Das LVwA ist auch geeignete "Stelle" im Sinne des § 71 Abs. 5 SGG. Diese muss – im Gegensatz zur früheren
Rechtslage (vgl. hierzu vor allem das Urteil des Bundes¬sozial¬gerichts (BSG) vom 12. Juni 2001 – Az.: B 9 V 5/00
R; nach juris) den Anforderungen des Gesetzes über die Errichtung der Verwaltungs¬behörden der
Kriegs¬opfer¬versorgung (KOV-ErrG) nicht mehr entsprechen. Infolge der mit der Föderalismusreform 2006 (Gesetz
zur Änderung des Grund¬gesetzes vom 28. August 2006 (BGBl. I S. 2034)) vorgenommenen Änderung des Art. 84
Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ist es den Ländern nunmehr unbenommen, die für die Durchführung der
Kriegsopferversorgung und damit nach § 25 Abs. 4 Satz 1 StrRehaG auch für die hier streitige Gewährung von
Leistungen nach §§ 21 und 22 StrRehaG zuständigen Behörden selbst – und auch abweichend von den
bundesgesetzlichen Bestimmungen des KOV-ErrG – zu regeln. Zur näheren Begründung wird auf das Urteil des
Senats vom selben Tage (Az. L 5 VH 1055/06; zur Veröffentlichung vorgesehen) Bezug genommen.
Die Berufung ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt worden.
B.
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die angegriffenen
Bescheide des Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Nach §§ 3 Abs. 1, 16 Abs. 1 und 3 des Gesetzes über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern
rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitritts¬gebiet (Strafrecht¬liches Rehabilitierungsgesetz –
StrRehaG – verkündet als Artikel I des Ersten Gesetzes zur Bereinigung von SED-Unrecht – 1. SED-UnBerG – vom
29. Oktober 1992) in Verbindung mit (i. V. m.) § 1 Abs. 1 StrRehaG begründet die Aufhebung eines Straf¬urteils im
Beitrittsgebiet als rechtsstaatswidrig (so genannte Rehabilitierung) einen Anspruch auf soziale Ausgleichsleistungen
unter anderem in Form einer Beschädigten¬versorgung nach Maßgabe der §§ 21 bis 24 StrRehaG. Nach § 21 Abs. 1
Satz 1 StrRehaG erhält ein Betroffener, der infolge einer rechtsstaats¬widrigen Freiheits¬ent¬ziehung eine
gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirt¬schaftlichen Folgen dieser Schädigung
auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des BVG.
§ 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG geht dabei von einer dreigliedrigen Kausalkette aus. Das erste Glied ist der schädigende
Vorgang, das zweite Glied bildet die durch den schädigenden Vorgang hervorgerufene Schädigung (Primärschaden),
das dritte Glied stellt die Folge der gesund¬heit¬lichen Schädigung (Schädigungsfolge) dar, also das
Versorgungs¬leiden, dessen Feststellung ein Antragsteller durch die Versorgungsverwaltung begehrt (vgl. zu der in
gleicher Weise aufgebauten Vorschrift des § 1 Abs. 1 BVG Fehl in Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Auflage
1992, BVG § 1 Rdnr. 61).
Diese drei Glieder der Kausalkette bedürfen als anspruchs¬begründende Tatsachen des Vollbeweises. Das heißt,
dass der schädigende Vorgang, der Primärschaden und die Schädigungsfolge grundsätzlich nachgewiesen werden
müssen. Für den Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen.
Ausreichend, aber auch erforderlich ist indes ein so hoher Grad an Wahrschein¬lichkeit, dass bei Abwägung des
Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch noch zweifelt, das
heißt, dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt. Dabei können nach § 15 des Gesetzes über das
Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung – KOVVfG – die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der
Schädigung in Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, in den Fällen, in denen Unterlagen nicht mehr
vorhanden oder nicht mehr zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen
verloren gegangen sind, der Entscheidung zu Grunde gelegt werden, soweit sie nach den Umständen des Falles
glaubhaft erscheinen. Diese Beweiserleichterung ist auch im Bereich der sozialen Entschädigung nach strafrechtlicher
Rehabilitierung anwendbar, denn soweit die Verwaltungs¬behörden der Kriegs¬opfer¬versorgung zuständig sind,
richtet sich nach § 25 Abs. 4 Satz 2 StrRehaG das Verfahren nach den für die Kriegs¬opferversorgung geltenden
Vorschriften. Nach § 25 Abs. 4 Satz 1 StrRehaG sind für die Gewährung von Leistungen nach den §§ 21 und 22 die
Behörden zuständig, denen die Durchführung des BVG obliegt. Die Beweiserleichterung gilt nicht nur im Verwaltungs-,
sondern auch im gerichtlichen Verfahren (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 31. Mai 1989 – Az.: 9 RVg 3/89;
nach juris). Während der Beweis grundsätzlich die Vermittlung richterlicher Überzeugung von der Wahrheit der –
streitigen – Behauptung erfordert, tritt bei der Glaub¬haft¬machung an die Stelle des Vollbeweises die Feststellung
überwiegender Wahrscheinlichkeit.
Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt nach § 21 Abs. 5 Satz 1 StrRehaG
dagegen schon die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammen¬hangs. Wahrscheinlich ist jede Möglichkeit, der
nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches
Über¬gewicht zukommt (vgl. BSG, Urteil vom 22. September 1977 – Az.: 10 RV 15/77 in SozR 3900 § 40 BVG Nr. 9;
ständige Rechtsprechung, vgl. auch BSG, Urteil vom 5. Mai 1993 – Az.: 9/9a RV 1/92 in SozR 3-3100 § 38 BVG Nr.
2). Diese wird auch als hinreichende Wahrscheinlichkeit bezeichnet (vgl. Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz mit
Erläuterungen, 8. Auflage, 2005, § 118 Rdnr. 5 a).
Dies zugrunde gelegt hat die Klägerin keinen Anspruch auf Feststellung der weiteren geltend gemachten
Erkrankungen Wirbelsäulenveränderungen, Arthritis und Arthrose, Atemwegserkrankung und Tätowierungen als Folgen
zu Unrecht erlittener Haft.
Von der weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird in entsprechender Anwendung des § 153 Abs. 2 SGG
abgesehen. Der Senat verweist insoweit auf die ausführliche Begründung des Beschlusses zur Ablehnung des
Prozesskostenhilfe-Antrags vom 4. Januar 2005. Er hat diese Gründe in seiner neuen, aus dem Rubrum ersichtlichen
Besetzung umfassend geprüft und schließt sich ihnen aus eigener Überzeugung an.
Lediglich im Hinblick auf die Entstehungszeit der Tätowierungen weicht der erkennende Senat – geringfügig – von den
Ausführungen in dem PKH-Beschluss wie folgt ab: Aus den in der Verwaltungsakte befindlichen Skizzen über die im
Dezember 1972, somit zum Ende der ersten Haftzeit, festgestellten Tätowierungen ergibt sich zumindest, dass diese
bereits vor dem Beginn intensiveren Alkoholmissbrauchs nach dem Ende dieser Haft vorgelegen haben. Allerdings
ergibt sich aus der weiteren Skizze der zu Beginn der zweiten Haftzeit festgestellten Tätowierungen, dass
zwischenzeitlich weitere Bilder hinzu¬gekommen waren. Aus der Skizze Prof. Dr. Dr. M. zu seinem Attest vom
August 2001 ist zu ersehen, dass später noch weitere Tätowierungen entstanden sind. Eine Tätowierungs¬skizze
zum Ende der rehabilitierten oder auch nur der zweiten Haftzeit insgesamt ist nicht akten¬kundig.
Diese Abweichung im tatsächlichen Bereich führt jedoch nicht zu einer anderen rechtlichen Wertung. Es käme darauf
nämlich zum einen nur an, wenn man die Tätowierungen als solche überhaupt als Gesundheitsschädigung anerkennen
wollte. Nur dann wäre zwischen während der – rehabilitierten – Haftzeit und außerhalb dieser Zeit entstandenen
Hautveränderungen zu unterscheiden. Zum anderen ergäben sich auch in diesem Falle aus dem Umstand, dass die
Klägerin offensichtlich auch außerhalb der Haftzeit Tätowierungen hat vornehmen lassen, erhebliche Zweifel daran,
dass die während der Haft entstandenen Bilder ausschließlich auf Grund des herrschenden Gruppenzwangs
angebracht wurden. Vielmehr besteht angesichts dieser Tatsache eine gute Möglichkeit, dass sie sich auch im
Übrigen, zum Beispiel aus einer Protesthaltung heraus, freiwillig tätowieren ließ. Aufklärbar sind diese Umstände
heute nicht mehr. Das Attest Prof. Dr. Dr. M. hierzu ist nicht überzeugend, da er sich bereits mit den nachweislich
zwischen den beiden Haftzeiträumen entstandenen Bildern nicht auseinandersetzt. Er lässt auch außer Acht, dass die
Entstehungszeit der nach Juni 1974 (Beginn der zweiten Haftzeit) hinzu¬gekommenen Tätowierungen in keiner Weise
geklärt ist. Weder kann festgestellt werden, welche Bilder überhaupt während der zweiten Inhaftierung entstanden –
möglich ist ebenso, dass sich die Klägerin erneut nach ihrer Entlassung tätowieren ließ – noch kann ermittelt werden,
welche Bilder gegebenenfalls in dem nur bis Januar 1975 dauernden Rehabilitationszeitraum gefertigt wurden. Ebenso
wenig aussagekräftig sind insoweit die Bescheinigungen der die Klägerin behandelnden Nervenärztin Dr. W., die zur
Herkunft der Tätowierungen lediglich das Vorbringen der Klägerin wiedergeben; jegliche Ausein¬andersetzung damit
fehlt. Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammen¬hangs zwischen zu Unrecht erlittener Haft
und der Entstehung der Tätowierungen lässt sich nach alldem nicht nachweisen; die bloße Möglichkeit dessen genügt
nicht. Ob die Tätowierungen als solche als Gesundheitsschäden eingestuft werden könnten und gegebenenfalls
welche konkreten, ausschließlich während der rehabilitierten Haftzeit entstandenen Bilder davon betroffen wären,
muss daher nicht entschieden werden.
Ihre psychischen Folgen sind jedenfalls bereits – wie in dem PKH-Beschluss ausgeführt – in der Bewertung der
psychischen Folgeschäden der Haft mit enthalten. Insoweit ist allerdings ebenfalls darauf hinzuweisen, dass fraglich
ist, ob der schädigungs¬bedingte Anteil der psychischen Schäden als Haftfolge überhaupt richtig bewertet wurde,
nachdem Prof. Dr. Dr. M. von einer vollständigen Rehabilitierung statt der lediglich im Hinblick auf das Urteil aus dem
Jahr 1971 erfolgten ausging. Eine Auseinandersetzung mit der Frage, zu welchen Teilen die Schädigung gerade auf
rehabilitierter Haftzeit (bis 27. Januar 1975) beruht, ist deshalb unterblieben. Ob nicht die Klägerin infolgedessen
ohnehin bereits begünstigt ist, ist jedoch nicht zu entscheiden. Es bedarf auch keiner weiteren Aufklärung. Eine
Rücknahme kommt insoweit nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Absatz 1 SGG und folgt dem Ergebnis der Hauptsache.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil Gründe hierfür nach § 160 Absatz 2 SGG nicht vorliegen.