Urteil des LSG Thüringen vom 13.10.2005

LSG Fst: freiwillige versicherung, eidesstattliche erklärung, hauptsache, versicherungspflicht, stundenlohn, arbeitsentgelt, erlass, vergütung, auskunft, thüringen

Thüringer Landessozialgericht
Beschluss vom 13.10.2005 (rechtskräftig)
Sozialgericht Nordhausen S 1 KR 952/05 ER
Thüringer Landessozialgericht L 6 KR 522/05 ER
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Nordhausen vom 30. Juni 2005
aufgehoben und der Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Der Beschluss ist unanfechtbar.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Feststellung der Versicherungspflicht in der
Kranken- und Pflegeversicherung bei der Antragsgegnerin für den Zeitraum ab 1. Januar 2005.
Die Antragstellerin ist seit dem 1. Januar 1991 Mitglied der Antragsgegnerin und seit dem 1. Juli 1992 im
Gemischtwarenhandel ihres Ehemannes als Verkäuferin beschäftigt. Im Zeitraum vom 1. Juli 1992 bis 31. Mai 2001
bestand ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis. Während des Bezugs von Arbeitslosengeld und
Arbeitslosenhilfe in der Zeit vom 1. Juni 2001 bis 31. Dezember 2004 war die Antragstellerin als geringfügig
Beschäftigte im Gemischtwarenhandel ihres Ehemannes tätig und pflichtversichertes Mitglied bei der
Antragsgegnerin. Am 1. Januar 2005 schloss sie mit ihrem Ehemann einen Arbeitsvertrag, wonach sie bei einer
durchschnittlichen regelmäßigen Arbeitszeit von 30 Stunden in der Woche zu einem Bruttomonatsentgelt von 401,-
Euro als Verkäuferin eingestellt wurde und meldete sich bei der Antragsgegnerin als versicherungspflichtige
Arbeitnehmerin im Gemischtwarenhandel ihres Ehemannes an.
Im Ergebnis der daraufhin veranlassten versicherungsrechtlichen Prüfung und in Auswertung der von der
Antragstellerin zur versicherungsrechtlichen Beurteilung eines Beschäftigungsverhältnisses zwischen Angehörigen am
10. März 2005 gemachten Angaben, lehnte die Antragsgegnerin die Feststellung der Versicherungspflicht in der
Kranken- und Pflegeversicherung mit Bescheid vom 31. März 2005 mit der Begründung ab, laut Arbeitsvertrag sei
eine monatliche Bruttovergütung in Höhe von 401,00 Euro vereinbart. Dies entspreche einem Stundenlohn von 3,08
Euro Der tarifliche Stundenlohn liege jedoch bei 11,84 Euro Da der Tariflohn erheblich vom vereinbarten Stundenlohn
abweiche, könne letzterer nicht als angemessenes Gehalt bezeichnet werden. Somit sei eine Grundvoraussetzung für
die Sozialversicherungspflicht nicht erfüllt.
Der Widerspruch der Antragstellerin vom 11. April 2005 wurde von der Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid
vom 13. Juli 2005 im Wesentlichen mit der Begründung zurückgewiesen, dass eine abhängige Beschäftigung der
Antragstellerin nicht nachgewiesen sei und sich die Nichterweislichkeit nach dem Grundsatz der objektiven
Beweislast zu Lasten der Antragstellerin auswirke. Da festgestellt worden sei, dass der Antrag der Antragstellerin auf
"Arbeitslosengeld II" am 10. Dezember 2004 durch die "Arbeitsgemeinschaft SGB II" des Landkreises Nordhausen
wegen fehlender Bedürftigkeit abgelehnt worden sei, dränge sich vielmehr der Verdacht auf, dass die Antragstellerin
mit ihrem Ehemann ein Scheinarbeitsverhältnis begründet habe, um zu einem sehr günstigen Beitrag zu Lasten der
Solidargemeinschaft Krankenversicherungsschutz einschließlich kostenfreier Familienversicherung für ihre Tochter zu
erhalten.
Mit Schreiben vom 7. Juni 2005 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag der Antragstellerin auf Aussetzung der
sofortigen Vollziehung vom 30. Mai 2005 ab und wies darauf hin, dass es der Antragstellerin unbenommen bleibe,
einen Antrag auf freiwillige Fortsetzung der Mitgliedschaft ab 1. Januar 2005 zu stellen.
Mit am 8. Juni 2005 beim Sozialgericht Nordhausen eingegangenem Antrag hat die Antragstellerin um vorläufigen
Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung hat sie geltend gemacht, dass ein Anordnungsanspruch vorliege, da für
das Arbeitsverhältnis mit ihrem Ehemann kein Tarifvertrag einschlägig sei. Der Tarifvertrag für den Einzelhandel in
Thüringen sei nicht allgemeinverbindlich und ihr Ehemann nicht tarifgebunden. Nach der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts (BSG) sei deshalb der ortsübliche Lohn als Vergleichsmaßstab zugrunde zu legen. Ihr
Einkommen sei für die Gemeinde B. ortsüblich; zum Beweis hierfür hat sie eine "eidesstattliche Erklärung" der V. M.
vom 7. Juni 2005 vorgelegt, in der diese bestätigt, dass sie von ihrem "Arbeitgeber in B. einen ortsüblichen
Stundenlohn von 3,60 Euro gezahlt bekomme". Auch ein Anordnungsgrund sei gegeben, da sie und ihre Tochter
derzeit keinerlei Krankenversicherungsschutz hätten und es ihr aufgrund des geringen Einkommens nicht möglich sei,
eine freiwillige Versicherung abzuschließen. Der monatliche Beitrag für eine freiwillige Krankenversicherung würde
etwa ein Drittel ihres Einkommens ausmachen und zudem wären für einen rückwirkenden
Krankenversicherungsschutz etwa 760,- Euro an Beiträgen nachzuzahlen.
Mit Beschluss vom 30. Juni 2005 hat das Sozialgericht Nordhausen (SG) im Wege der einstweiligen Anordnung
festgestellt, dass die Antragstellerin aufgrund ihrer Beschäftigung bei ihrem Ehemann versicherungspflichtig in der
gesetzlichen Krankenversicherung sowie in der gesetzlichen Pflegeversicherung sei. In der Begründung hat das SG
ausgeführt, dass ein Anordnungsgrund bestehe, da es der Antragstellerin nach ihrem glaubhaften Vorbringen aus
wirtschaftlichen Gründen unmöglich sei, sich freiwillig gegen Krankheit zu versichern. Der Anordnungsanspruch sei
deshalb zu bejahen, weil die Antragstellerin zur Überzeugung des Gerichts bei ihrem Ehemann abhängig beschäftigt
sei und das gezahlte Entgelt nicht derart gravierend von den ortsüblichen Stundenlöhnen in vergleichbaren Branchen
im Bereich der neuen Bundesländer abweiche, dass allein deshalb ein versicherungspflichtiges
Beschäftigungsverhältnis nicht mehr angenommen werden könne. Selbst bei einer unterstellten erheblichen
Abweichung von der ortsüblichen Bezahlung sei nach der Rechtsprechung des BSG dennoch Versicherungspflicht
anzunehmen, da nicht auf das tatsächlich gezahlte, sondern auf das dem Arbeitnehmer zustehende Arbeitsentgelt
abzustellen sei.
Gegen den ihr am 4. Juli 2005 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 22. Juli 2005 Beschwerde erhoben,
der das SG mit Verfügung vom 1. September 2005 nicht abgeholfen hat. Sie begründet ihre Beschwerde im
Wesentlichen damit, dass es sich bei dem Arbeitsverhältnis der Antragstellerin entgegen der Auffassung des SG
lediglich um familiäre Mithilfe handeln könne, da das gezahlte Entgelt im Missverhältnis zur Arbeitsleistung stehe.
Auch in den neuen Bundesländern weiche ein aus dem vereinbarten Monatslohn errechneter Stundenlohn in Höhe von
ca. 3,08 Euro gravierend von den ortsüblichen Stundenlöhnen in vergleichbaren Branchen ab. Es sei vielmehr von
ortsüblichen Stundenlöhnen zwischen 7,- und 10,- Euro auszugehen.
Der Berichterstatter des erkennenden Senats hat den Beteiligten einen Auszug aus dem Statistischen Bericht des
Thüringer Landesamts für Statistik vom April 2005 zu den Verdiensten und Arbeitszeiten im Produzierenden Gewerbe
und im Dienstleistungsbereich Thüringens, u.a. den durchschnittlichen Bruttomonatsverdienst der Arbeitnehmer im
April 2005 im Einzelhandel betreffend, übersandt. Er hat des Weiteren eine Auskunft des Einzelhandelsverbands des
Freistaats Thüringen/Verband Thüringer Kaufleute e.V. vom 28. September 2005 eingeholt und den Beteiligten zur
Kenntnis gegeben. Dort erklärt der Geschäftsführer für Arbeits- und Sozialrecht des Verbands im Wesentlichen, dass
nach dortigen Erkenntnissen bei einem Verdienst von etwa 3,10 Euro je Stunde nicht von einer ortsüblichen
Vergütung gesprochen werden könne. Selbst in einem kleineren Ort und in einem Kleinbetrieb sei ein Lohn von 4,50
bis 5,- Euro noch üblich.
Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Nordhausen vom 30. Juni 2005 aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin auf
Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hat am 15. August 2005 vor dem SG Klage in der Hauptsache erhoben und ergänzt ihren erstinstanzlichen
Vortrag. Dabei führt sie aus, dass die Zeugin M. ebenfalls im Einzelhandel tätig und nicht mit ihrem Arbeitgeber
verwandt sei. Die vom Einzelhandelsverband noch für üblich gehalten Entlohnung beziehe sich auf ausgebildete
Fachverkäuferinnen. Sie sei jedoch als Ungelernte in einem kleinen Gemischtwarengeschäft tätig, weshalb die ihr
gewährte Vergütung nicht wesentlich von der durch den Einzelhandelsverband noch für üblich gehaltenen Vergütung
entfernt sei.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichts- und
der beigezogenen Behördenakte Bezug genommen.
II.
Die nach §§ 172 Abs. 1, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte und zulässige Beschwerde der
Antragsgegnerin ist begründet. Der Beschluss des Sozialgerichts war deshalb aufzuheben und der Antrag der
Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Dies ergibt sich aus Folgendem:
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur
Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung
zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint, wobei der Antrag nach Absatz 2 schon vor Klageerhebung
zulässig ist (§ 86b Abs. 3 SGG).
Voraussetzung für eine solche Regelungsanordnung des Gerichts ist gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920
Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) die Glaubhaftmachung des durch die einstweilige Anordnung zu sichernden
Anspruchs (sog. Anordnungsanspruch) und des Grundes, weshalb eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher
Nachteile nötig erscheint (sog. Anordnungsgrund).
Dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entspricht es jedoch, dass das Gericht grundsätzlich nur
vorläufige Regelungen treffen und der Antragstellerin nicht schon im vollen Umfang, wenn auch nur auf beschränkte
Zeit und unter dem Vorbehalt einer entsprechenden Entscheidung in der Hauptsache, das gewähren darf, was sie
sonst nur mit der Hauptsacheklage erreichen könnte (sog. Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache; vgl.
Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 13. Auflage 2003, § 123 Rdnr. 13 sowie Keller in Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 8. Auflage 2005, § 86b Rdnr. 31). Dabei ist unter Vorwegnahme der
Hauptsache auch die vorläufige Vorwegnahme zu verstehen, bei der die Entscheidung aus rechtlichen oder
tatsächlichen Gründen nach der Hauptsacheentscheidung wieder rückgängig gemacht werden kann, d.h. wenn damit
keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden (h.M. in der Rechtsprechung; vgl. die Nachweise bei Kopp/Schenke,
a.a.O., § 123 Rdnr. 14b Fn. 57 sowie bei Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 86b Rdnr. 31). Der
Ansicht (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 123 Rdnr. 14b und Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 86b Rdnr.
31), die nur die vollendete Tatsachen schaffende Anordnung als Vorwegnahme der Hauptsache verstanden wissen
will, ist nicht zu folgen, da auch die vorläufige Vorwegnahme entgegen dem Rechtscharakter der einstweiligen
Anordnung die Hauptsacheentscheidung vorwegnimmt. Den Unterschieden zwischen der vorläufigen und der
endgültigen Vorwegnahme ist vielmehr mit der Rechtssprechung bei der Zulassung von Verbotsausnahmen und damit
bei den an den Anordnungsanspruch und den Anordnungsgrund zu stellenden Anforderungen Rechnung zu tragen (vgl.
Kopp/Schenke, a.a.O., § 123 Rdnr. 14b am Ende).
Im vorliegenden Falle will die Antragstellerin mit der begehrten einstweiligen Anordnung erreichen, dass vorläufig das
Bestehen der Versicherungspflicht festgestellt wird, um bei der Antragsgegnerin pflichtversichert werden zu können.
Das Rechtsschutzziel ihrer mittlerweile erhobenen Hauptsacheklage deckt sich dabei – mit Ausnahme der
Vorläufigkeit – völlig mit dem des Einstweiligen Rechtsschutzverfahrens, weshalb letzteres auf eine Vorwegnahme
der Hauptsache gerichtet ist. Die rechtlichen und tatsächlichen Folgen, die mit dem Erlass der begehrten Anordnung
verbunden sind, können allerdings bei einem für die Antragstellerin nachteiligen Ausgang des Hauptsacheverfahrens
nachträglich wieder beseitigt werden, so dass die Vorwegnahme der Hauptsache zwar lediglich als vorläufig zu
bezeichnen ist, gleichwohl aber unter das grundsätzliche Verbot fällt.
Im Hinblick auf das in Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes zum Ausdruck kommende Gebot der Gewährung effektiven
Rechtsschutzes gilt das grundsätzliche Verbot einer Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung allerdings dann
nicht, wenn eine bestimmte Regelung notwendig erscheint, um die sonst zu erwartenden unzumutbaren und im
Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigenden Nachteile für die Antragstellerin zu vermeiden, und gleichzeitig ein
hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache spricht (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 123 Rdnr.
14 m.w.N.). Für eine Ausnahme vom Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache bedarf es mit anderen Worten erhöhter
Anforderungen an das Vorliegen sowohl des Anordnungsanspruchs als auch des Anordnungsgrundes.
Zu dem allein relevanten Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 123 Rdnr. 27) ist
bereits kein für ein Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache erforderlicher qualifizierter Anordnungsgrund erkennbar.
Die Antragstellerin hat keine Notwendigkeit für den Erlass der begehrten Anordnung glaubhaft gemacht. Die
Möglichkeit der einstweiligen freiwilligen Versicherung bei der Antragsgegnerin stellt nach Auffassung des Senats
keinen für die Antragstellerin unzumutbaren und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigenden Nachteil dar.
Dies wäre nur dann der Fall, wenn sie hierdurch in eine existentielle Notlage käme. Dies kann ihrem Vortrag jedoch
nicht entnommen werden. Dass sich die Versicherungsbeiträge in der freiwilligen Versicherung auf etwa ein Drittel
ihres Arbeitslohnes belaufen würden, erscheint plausibel, lässt jedoch nicht den Schluss zu, dass sie deshalb in ihrer
wirtschaftlichen Existenz gefährdet wäre. Zum einen ist ihr Ehemann der Familie gegenüber ebenfalls
unterhaltspflichtig. Zwar belegen die vorgelegten Einkommenssteuerbescheide ihres Ehemannes der letzten
Kalenderjahre ein wechselndes und überwiegend schlechtes Betriebsergebnis seines
Gemischtwarenhandelsgeschäfts, doch wird diesbezüglich kein drohender Konkurs vorgetragen, noch ist er sonst für
das Gericht ersichtlich.
Aber selbst bei Annahme einer weitgehenden Leistungsunfähigkeit ihres Ehemannes im Hinblick auf dessen
Unterhaltsverpflichtungen könnte die Antragstellerin zum anderen auf die Inanspruchnahme von Arbeitslosengeld II
verwiesen werden. Allerdings ist der Umstand, dass ihr diesbezüglicher Antrag am 10. Dezember 2004 wegen
mangelnder Bedürftigkeit abgelehnt wurde, ein starkes Indiz dafür, dass bei der Antragstellerin eben keine
existenzielle Notlage besteht und auch nicht durch die Beiträge für eine freiwillige Krankenversicherung zu befürchten
ist. Dem Einwand der Antragstellerin, es kämen dann auch die Beiträge für die zurückliegende Zeit in Höhe von etwa
720,- Euro (Stand: 15. Juni 2005) auf sie zu, ist zu entgegnen, dass für eine rückwirkende freiwillige Versicherung von
Seiten des Senats kein Anlass gesehen wird.
Darüber hinaus liegt aber auch kein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg der inzwischen von der
Antragstellerin erhobenen Hauptsacheklage vor. Im Ergebnis der erforderlichen aber auch ausreichenden
summarischen Prüfung (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 86b Rdnr. 37; Kopp/Schenke, a.a.O.,
§ 123 Rdnr. 23 und 24) ist vielmehr der Anordnungsanspruch nicht ausreichend glaubhaft gemacht. Entgegen den
Ausführungen des Sozialgerichts steht zur Überzeugung des Senats gerade nicht fest, dass die Antragstellerin nach §
5 Abs. 1 Nr. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) als gegen Arbeitsentgelt beschäftigte Angestellte
versicherungspflichtig ist.
Ob ein solches Beschäftigungsverhältnis gegen Arbeitsentgelt vorliegt, bestimmt sich nach den Vorschriften der §§ 7
Abs. 1, 14 Abs. 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV). Danach ist unter Beschäftigung die
nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis, zu verstehen, aus der laufende oder einmalige
Einnahmen erzielt werden, wobei als Anhaltspunkte das Vorliegen einer Tätigkeit nach Weisungen und eine
Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers gelten.
Hierzu hat die Rechtsprechung folgende weiteren Kriterien aufgestellt: Arbeitnehmer ist hiernach, wer von einem
Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Persönliche Abhängigkeit erfordert Eingliederung in den Betrieb und Unterordnung
unter das Weisungsrecht des Arbeitgebers in Bezug auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsausführung. Der Annahme
eines Beschäftigungsverhältnisses steht dabei grundsätzlich nicht entgegen, dass die Abhängigkeit unter Ehegatten
im Allgemeinen weniger stark ausgeprägt und deshalb das Weisungsrecht möglicherweise mit gewissen
Einschränkungen ausgeübt wird. Die Grenze zwischen einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis mit
Entgeltzahlung und einer nicht versicherungspflichtigen Mitarbeit auf Grund einer familienhaften Zusammengehörigkeit
ist nur unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalls zu ziehen. Dabei kommt der Höhe des
Entgelts lediglich Indizwirkung zu. Für die Feststellung, ob die einem mitarbeitenden Verwandten gewährte Leistung
Entgelt für die geleistete Arbeit darstellt, sind insbesondere die Höhe der gewährten Leistung sowie ihr Verhältnis zu
Umfang und Art der im Betrieb verrichteten Tätigkeit von Bedeutung. Wird dem im Haushalt des Betriebsinhabers
lebenden und im Betrieb tätigen Verwandten nur freier Unterhalt einschließlich eines geringfügigen Taschengeldes
gewährt und stellten diese Bezüge keinen Gegenwert für die Arbeit dar, so wird man das Vorliegen eines entgeltlichen
Beschäftigungsverhältnisses verneinen können. Dagegen ist die Zahlung nicht geringfügiger, laufender Bezüge,
insbesondere in Höhe des ortsüblichen oder des tariflichen Lohnes, ein wesentliches Merkmal für das Bestehen eines
entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses (vgl. BSG, Urteil vom Urteil vom 17. Dezember 2002 – Az: B 7 AL 34/02 R,
m.w.N., nach juris).
Die Antragstellerin hat zwar zusammen mit ihrem Arbeitgeber und Ehemann in dem der Antragsgegnerin übersandten
Feststellungsbogen angegeben, dass sie in dem Betrieb ihres Ehemanns eingegliedert und dessen Weisungsrecht in
Bezug auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsausführung untergeordnet ist. Auch besteht ihre Entlohnung nicht nur im
freien Unterhalt einschließlich eines geringen Taschengeldes. Der Senat hat jedoch trotzdem Zweifel am Bestehen
eines entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses. Dies folgt zum einen aus dem Umstand, dass der Arbeitsvertrag
zwischen der Antragstellerin und ihrem Ehemann unmittelbar nach der Ablehnung des von ihr beantragten
Arbeitslosengeldes II abgeschlossen wurde. Solange die Antragstellerin Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe bezog
und damit gleichzeitig pflichtversichert war, übte sie bei ihrem Ehemann lediglich eine geringfügige Beschäftigung
aus. Nach der Ablehnung des Antrags auf Arbeitslosengeld II wegen mangelnder Bedürftigkeit und mit der Einstellung
der Zahlung von Arbeitslosenhilfe wäre aber trotz ihrer geringfügigen Beschäftigung die Versicherungspflicht entfallen
(vgl. § 7 SGB V i.V.m. § 8 SGB IV), so dass sich die Antragstellerin hätte freiwillig versichern müssen. Dieser
auffällige zeitliche Zusammenhang erweckt nach Auffassung des Senats Zweifel daran, dass das geringfügige
Beschäftigungsverhältnis auch tatsächlich in ein versicherungspflichtiges entgeltliches Beschäftigungsverhältnis
umgewandelt wurde.
Diese Zweifel werden durch die Höhe des zwischen der Antragstellerin und ihrem Ehemann vereinbarten
Arbeitsentgeltes noch verstärkt. So liegt zum einen das vereinbarte monatliche Arbeitsentgelt mit 401,- Euro genau
einen Euro über der Geringfügigkeitsgrenze des § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV. Zum anderen dürfte die aus der
angegebenen Anzahl der monatlichen Arbeitsstunden zur errechnende Höhe des Stundenlohnes von ca. 3,10 Euro
nicht das mangels Tarifgebundenheit maßgebliche ortsübliche Entgelt widerspiegeln; jedenfalls hat die Antragstellerin
dies nicht zur Überzeugung des Senats glaubhaft gemacht. Sie hat hierfür lediglich – allerdings ohne nähere
Begründung – auf die ländlichen Verhältnisse im Beitrittsgebiet, insbesondere im Nordthüringer Raum verwiesen und
eine "Eidesstattliche Erklärung" einer zu einem etwa 15 v.H. höheren Stundenlohn Beschäftigten vorgelegt. Letzterer
ist jedoch ebenso wenig zu entnehmen, in welchem Betrieb die erklärende V. M. arbeitet, wie der mit übersandten
Gehaltsbescheinigung. Selbst wenn man von dem Vortrag der Antragstellerin, die Zeugin M. sei ebenfalls im
Einzelhandel tätig, ausgeht, stellt sich immer noch die Frage, was deren Tätigkeit dort genau umfasst. Somit fehlt der
"Eidesstattlichen Erklärung" jegliche Aussagekraft für das vorliegende Verfahren. Völlig ohne Belang ist darüber
hinaus die in der Erklärung enthalte Einschätzung, dass es sich bei dem gezahlten Stundenlohn um ein ortsübliches
Entgelt handele, da eine Begründung hierfür gänzlich fehlt.
Gewichtige Hinweise auf die fehlende Ortsüblichkeit ergeben sich demgegenüber vielmehr zum einen aus dem vom
Senat beigezogenen Statistischen Bericht des Thüringer Landesamts für Statistik vom April 2005 zu den Verdiensten
und Arbeitszeiten im Produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich Thüringens, aus dem sich u.a. ein
durchschnittlicher Bruttomonatsverdienst der weiblichen Arbeitnehmer des Thüringer Einzelhandels im April 2005 in
Höhe von 1.760,- Euro (ca. 10,50 Euro pro Stunde bei durchschnittlich 167 Stunden im Monat) ergibt. Zum anderen
spricht auch die Auskunft des Einzelhandelsverbands des Freistaats Thüringen/Verband Thüringer Kaufleute e.V.
vom 28. September 2005 deutlich gegen die Ortsüblichkeit des Arbeitsentgeltes der Antragstellerin. In dieser
Auskunft erklärt der Geschäftsführer für Arbeits- und Sozialrecht des Verbands im Wesentlichen, dass nach dortigen
Erkenntnissen bei einem Verdienst von etwa 3,10 Euro je Stunde nicht von einer ortsüblichen Vergütung gesprochen
werden könne. Selbst in einem kleineren Ort und in einem Kleinbetrieb sei ein Lohn von 4,50 bis 5,- Euro gerade noch
üblich. Dem Einwand der Antragstellerin, dies gelte nur für ausgebildete Fachverkäuferinnen, ist zu widersprechen, da
dies aus der Auskunft nicht zu entnehmen und bei den genannten Einzelhandelsgeschäften in kleineren Orten und bei
kleiner Geschäftsgröße auch nicht wahrscheinlich ist.
Schließlich ist diesbezüglich des Hinweises des Sozialgerichts auf das Urteil des BSG vom 14. Juli 2004 (Az.: B 12
KR 1/04 R, BSGE 93, S. 119), wonach nicht auf das tatsächlich gezahlte, sondern auf das dem Arbeitnehmer
zustehende Arbeitsentgelt abzustellen sei, zu entgegnen, dass diese Entscheidung nicht auf den vorliegenden Fall
übertragen werden kann, weil es in dem vom BSG entschiedenen Fall zum einen gerade um die Vermeidung der
Versicherungspflicht durch weit untertarifliche Bezahlung trotz allgemeinverbindlicher Tarifverträge ging, während
vorliegend der Arbeitgeber und Ehemann der Antragstellerin nicht tarifgebunden ist, es auch keinen
allgemeinverbindlichen Tarifvertrag gibt und die Feststellung der Versicherungspflicht begehrt wird und die
Antragstellerin zum anderen nach dem vorgelegten Arbeitsvertrag mit dem tatsächlich gezahlten auch das ihr
zustehende Arbeitsentgelt erhält.
Die Antragstellerin hat somit auch die Voraussetzungen für das Bestehen der Versicherungspflicht nicht zur
Überzeugung des Senats glaubhaft gemacht. Der Klärung der am Vorliegen eines Anordnungsanspruchs bestehenden
Zweifel durch das Gericht steht allerdings der summarische Charakter des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens
entgegen und ist deshalb der Sachverhaltsermittlung im Rahmen des Hauptsacheverfahrens vorbehalten.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).