Urteil des LSG Thüringen vom 23.01.2008

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Thüringer Landessozialgericht
Beschluss vom 23.01.2008 (rechtskräftig)
Sozialgericht Meiningen S 21 AS 1979/06 ER
Thüringer Landessozialgericht L 9 AS 343/07 ER
Die Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Meiningen vom 26. Februar 2007
wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Eilantrages über die Erteilung einer Zusicherung nach § 22 Abs. 2 a des
Zweiten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Übernahme der Kosten einer neuen Unterkunft.
Die im Jahre 1985 geborene Beschwerdeführerin erlernte den Beruf einer Hauswirtschaftsgehilfin. Im Jahre 1998
verzog sie gemeinsam mit ihren Eltern in die Straße in S. Die Wohnung hat eine Fläche von etwa 52 Quadratmetern
und besteht aus Wohnzimmer, Kinderzimmer, Küche und Bad. Anfang 2004 zog die Beschwerdeführerin zur ihrem
damaligen Freund. Nach der Trennung Ende 2004 kehrte sie zu ihren Eltern zurück und bezog – wie zuvor – das
Kinderzimmer.
Im Anschluss an eine Beschäftigung als Raumpflegerin beantragte sie im Dezember 2005 erstmals Leistungen zur
Grundsicherung nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 18. Januar 2006 lehnte die Beschwerdegegnerin den Antrag ab.
Die Beschwerdeführerin sei nicht hilfebedürftig im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 3 SGB II.
Am 26. Juni 2006 beantragte sie erneut Leistungen zur Grundsicherung nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 21. Juli
2006 bewilligte die Beschwerdegegnerin für Juli 2006 Leistungen in Höhe von 100,80 EUR und für die Zeit vom August
bis Dezember 2006 in Höhe von 215,54 EUR monatlich.
Schon zuvor – am 29. Juni 2006 – hatte die Beschwerdeführerin die Übernahme der Kosten für eine Unterkunft, für
Wohnungsbeschaffungskosten, für die Mietkaution und für eine Erstausstattung der Wohnung beantragt. Sie
beabsichtige, in eine eigene Wohnung zu ziehen. Sie streite sich ständig mit ihren Eltern. Ihr jetziger Freund müsse
um 21:00 Uhr die Wohnung verlassen. In ihrem Zimmer könne sie sich nicht mehr richtig bewegen. Mit Bescheid vom
21. Juli 2006 lehnte die Beschwerdegegnerin die Erteilung der beantragten Zusicherung ab. Der geplante Umzug sei
nach § 22 Abs. 2 SGB II leistungsrechtlich nicht notwendig.
Den Widerspruch, dem die Beschwerdeführerin eine Bescheinigung des behandelnden Lungenfacharztes Dr. L.
(Asthma bronchiale) beilegte, wies die Beschwerdegegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 29. August 2006 zurück.
Die Beschwerdeführerin hat dagegen unter dem 2. Oktober 2006 Klage erhoben (Az.: S 21 AS 1881/06), über die das
Sozialgericht noch nicht entschieden hat, und mit Schriftsatz vom 17. Oktober 2006 den Erlass einer einstweiligen
Anordnung beantragt. Mit Beschluss vom 26. Februar 2007 hat die Vorinstanz diesen Antrag sowie den Antrag auf
Prozesskostenhilfe abgelehnt. Es fehle sowohl am Anordnungsanspruch als auch am Anordnungsgrund. Die
Beschwerdeführerin habe einen Anspruch auf Erteilung der Zusicherung nach § 22 Abs. 2 a SGB II nicht ausreichend
glaubhaft gemacht. Ein Anordnungsgrund sei ebenfalls nicht ersichtlich. Es sei ihr zumutbar, bis zur Entscheidung im
Hauptsacheverfahren bei den Eltern zu wohnen. Im Übrigen würde die begehrte Zusicherung zu einer grundsätzlich
unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache führen.
Gegen den am 19. März 2007 zugestellten Beschluss hat die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 28. März 2007,
der am gleichen Tag beim Sozialgericht eingegangen ist, Beschwerde eingelegt. Das Sozialgericht hat ihr nicht
abgeholfen (Beschluss vom 29. März 2007) und sie dem Thüringer Landessozialgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Die Beschwerdeführerin ist der Meinung, sie habe Anspruch auf den begehrten Erlass der einstweiligen Anordnung.
Die Wohnverhältnisse seien bei nur etwa 51 Quadratmetern und einem Drei-Personen-Haushalt unzumutbar. Als
zumutbar gelte eine Wohnfläche von etwa 75 Quadratmetern. Hinzu komme, dass sie an Asthma leide und in der
Wohnung der Eltern ständig Zigarettenrauch ausgesetzt sei. Dies sei für ihr Krankheitsbild besonders schädlich. Der
Anordnungsgrund sei ebenfalls erfüllt; wegen der beengten Wohnverhältnisse und insbesondere wegen ihres
Gesundheitszustands sei der Umzug sofort notwendig.
Die Beschwerdeführerin beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Meiningen vom 26. Februar 2007 aufzuheben, die Beschwerdegegnerin im Wege
der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr vorläufig eine Zusicherung nach § 22 Abs. 2 a SGB II zu erteilen,
sowie ihr Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt M. zu bewilligen.
Die Beschwerdegegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich im Wesentlichen auf die angefochtenen Bescheide.
Der frühere Berichterstatter des Senats hat am 19. Juli 2007 einen Erörterungstermin durchgeführt; auf die
Niederschrift wird Bezug genommen. Außerdem hat er zwei Auskünfte des behandelnden Lungenfacharztes Dr. L.
vom 22. September und 11. Oktober 2007 eingeholt.
Zur Ergänzung des Tatbestands im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und derjenigen der
Beschwerdegegnerin verwiesen.
II.
Die Beschwerde gegen die Ablehnung der begehrten einstweiligen Anordnung ist zulässig, aber unbegründet. Das
Sozialgericht hat den Antrag zu Recht abgelehnt.
Nach § 86 b Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall von § 86 b
Abs. 1 SGG – wie hier- nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand
treffen, wenn anders die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung
eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen
sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine
solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Nach § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG
gelten die §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend. Das
Gericht entscheidet durch Beschluss (§ 86 b Abs. 4 SGG).
Der Antrag ist dann begründet, wenn das Gericht auf Grund hinreichender Tatsachenbasis durch Glaubhaftmachung (§
86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO) und bzw. oder im Wege der Amtsermittlung (§ 103
SGG) einen Anordnungsanspruch bejahen kann. Er liegt vor, wenn das im Hauptsacheverfahren streitige materielle
Recht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Darüber hinaus muss in Abwägung der für die
Verwirklichung des Rechts bestehenden Gefahr einerseits und der Notwendigkeit einer Regelung andererseits ein
Anordnungsgrund zu bejahen sein.
Für den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung fehlt es bereits am Anordnungsanspruch. Die
Beschwerdeführerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass die Voraussetzungen für die Erteilung der begehrten
Zusicherung nach § 22 Abs. 2 a SGB II vorliegen.
§ 22 Abs. 2a Satz 1 SGB II – zum 1. April 2006 in Kraft getreten – sieht vor, dass Personen, die das 25. Lebensjahr
noch nicht vollendet haben, Leistungen für Unterkunft und Heizung für die Zeit nach einem Umzug bis zur Vollendung
des 25. Lebensjahres nur erbracht werden, wenn der kommunale Träger dies vor Abschluss des Vertrages über die
Unterkunft zugesichert hat. Anders als bei § 22 Abs. 2 SGB II setzt § 22 Abs. 2 a SGB II kein konkretes
Wohnungsangebot voraus. Sind (lediglich) die Voraussetzungen des § 22 Abs. 2a SGB II – so wie hier – im Streit, ist
es nicht notwendig, dass der junge Hilfebedürftige bereits eine neue Unterkunft nachweisen kann (vgl.
Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg, Urteil vom 31. August 2007 - Az.: L 5 AS 29/06 und LSG
Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 30. März 2007- Az.: L 13 AS 38/07 ER, beide nach juris).
Nach der Gesetzesbegründung soll der Zusicherungsvorbehalt den kostenintensiven Erstbezug einer eigenen
Wohnung durch Personen begrenzen, die bisher keinen Anspruch wegen Unterstützung innerhalb einer
Haushaltsgemeinschaft hatten oder als Teil einer Bedarfsgemeinschaft niedrigere Leistungen bezogen hatten.
Grundsätzlich sollen junge Hilfebedürftige unabhängig von bestehenden Unterhaltspflichten in der elterlichen Wohnung
verbleiben. Ihr Auszug soll nicht mit öffentlichen Mitteln finanziert werden und in der Regel nur dann anerkannt
werden, wenn sie für ihren Unterhalt selbst aufkommen können (vgl. Berlit in Lehr- und Praxiskommentar zum SGB II,
2. Auflage, § 22 Rdnr. 79).
In Ausnahme hierzu bestimmt § 22 Abs. 2a Satz 2 SGB II, dass der kommunale Träger zur Zusicherung verpflichtet
ist, wenn
1. der Betroffene aus schwerwiegenden sozialen Gründen nicht auf die Wohnung der Eltern oder eines Elternteiles
verwiesen werden kann,
2. der Bezug der Unterkunft zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt erforderlich ist oder
3. ein sonstiger, ähnlich schwerwiegender Grund vorliegt.
Die 2. Alternative des § 22 Abs. 2a Satz 2 SGB II ist offensichtlich nicht gegeben. Die Beschwerdeführerin hat aber
auch nicht glaubhaft gemacht, dass die 1. oder 3. Alternative vorliegt.
Aus der Formulierung des Gesetzes geht hervor, dass nicht irgendwelche Gründe ausreichen, sondern nur solche von
erheblichem Gewicht. Dies wird auch daran deutlich, dass das der Gesetzgeber in der Begründung ausdrücklich auf
die schwerwiegenden Gründe im Sinne des § 64 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III)
Bezug genommen hat (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 31. August 2007, a.a.O. und LSG Niedersachsen-
Bremen, Beschluss vom 30. März 2007, a.a.O.). Hierzu hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden, dass
schwerwiegende soziale Gründe dann vorliegen, wenn die Eltern und das Kind nach langwährenden, tiefgreifenden
Auseinandersetzungen übereinstimmend das Zusammenleben in einer Wohnung ausschließen (Urteil vom 2. Juni
2004 – Az.: B 7 AL 38/03, nach juris).
Nach der Aktenlage hat der Senat keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines solchen schwerwiegenden sozialen
Grundes. Die Beschwerdeführerin hat diesbezüglich nichts vorgetragen. Allein der Umstand, dass sie sich mit ihren
Eltern öfters streitet – diesen Vortrag hat sie im Übrigen nicht näher konkretisiert – ist für sich nicht geeignet, einen
schwerwiegenden sozialen Grund zu bejahen (vgl. hierzu auch: LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 31. August 2007,
a.a.O.).
Das bestehende Asthma bronchiale begründet ebenfalls keinen Anspruch auf die Zusicherung eines Umzuges. Dabei
kann der Senat offen lassen, ob insoweit an die 1. oder an die 3. Variante des § 22 Abs. 2a Satz 2 SGB II zu denken
ist, denn die sonstigen schweren Gründe müssen jedenfalls an die Qualität der schwerwiegenden sozialen Gründe
heranreichen (vgl. Wieland in Estelmann, Kommentar zum SGB II, § 22 Rdnr. 82 und Berlit in Lehr- und
Praxiskommentar zum SGB II, § 22 Rdnr. 89 zu) und beinhalten insoweit weitestgehend identische
Anspruchsvoraussetzungen. Die Erkrankung ist nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht derart ausgeprägt, dass sie
einen Umzug in eine andere Wohnung dringend erforderlich macht. Sie wurde erstmals im Jahre 2005 – zu diesem
Zeitpunkt lebte die Beschwerdeführerin wieder bei ihren Eltern – diagnostiziert. Nach ihren Angaben, insbesondere im
Erörterungstermin vom 19. Juli 2007 ist der Gesundheitszustand seitdem stabil. Längere Zeiten der Arbeitsunfähigkeit
oder stationäre Aufenthalte liegen nicht vor; medizinische Maßnahmen zur Rehabilitation wurden nicht in Anspruch
genommen. Hieraus kann nicht auf die von § 22 Abs. 2a SGB II geforderte, dringende Notwendigkeit für einen Umzug
geschlossen werden. Aus den Äußerungen des behandelnden Dr. L. ergibt sich nichts anderes. Sein Bericht vom 25.
September 2007 enthält keine Befunde oder Diagnosen, die einen zwingend erforderlichen Umzug begründen können.
Auch seine allgemeinen Ausführungen, insbesondere zum Nichtraucherschutz, begründen ihn nicht. In seiner
Auskunft vom 11. Oktober 2007 hat er seine früheren Angaben überdies dahingehend relativiert, dass eine
unabweisbare medizinische Notwendigkeit für einen Auszug nicht besteht.
Der Senat hat im Übrigen erhebliche Zweifel daran, dass für die Beschwerdeführerin tatsächlich das Asthma
bronchiale ausschlaggebend für den geplanten Umzug ist. Den ursprünglichen Antrag auf Erteilung der Zusicherung
hatte sie noch damit begründet, dass ihr Freund die Wohnung um 21:00 Uhr verlassen müsse und sie öfter mit ihren
Eltern streite; das Asthma bronchiale wird dort nicht erwähnt.
Zudem fehlt es auch an einem Anordnungsgrund. Wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, käme die Erteilung
der Zusicherung einer Vorwegnahme der Hauptsache gleich. Ein Auszug der Beschwerdeführerin aus der in diesem
Fall angemieteten Wohnung bzw. eine Rückabwicklung ist nicht realistisch. Die Vorwegnahme der Hauptsache im
Rahmen des Erlasses einer einstweiligen Anordnung ist grundsätzlich nicht zulässig. Etwas anderes gilt nur dann,
wenn dem Rechtsschutzsuchenden ein weiteres Abwarten nicht zugemutet werden kann, er irreparable Schäden
erleidet und mit einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren sein Rechtschutzziel nicht mehr verwirklichen kann.
Hierzu hat die Beschwerdeführerin ebenso wenig Relevantes vorgetragen wie für die pauschal behauptete
Eilbedürftigkeit. Ihre Wohnverhältnisse haben sich seit 1998 mit einer knapp einjährigen Unterbrechung im Jahre 2004
nicht verändert. Aus welchem Grund ein weiteres Zuwarten jetzt nicht mehr zumutbar ist, und eine sofortige Regelung
zur Abwendung irreparabler Schäden erforderlich sein soll, ist angesichts dieses Zeitablaufs nicht nachvollziehbar.
Soweit die Beschwerdeführerin auf drohende Gesundheitsschäden bei weiterem Verweilen in der Wohnung hinweist,
ist diese Gefahr nicht hinreichend glaubhaft gemacht; insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
III.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren war nach § 73 a SGG in Verbindung
mit § 114 ZPO wegen mangelnder Erfolgaussicht abzulehnen. Zur Begründung wird auf die Ausführungen unter II.
verwiesen.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).