Urteil des LSG Thüringen vom 21.02.2005

LSG Fst: nachforderung von beiträgen, verwaltungsakt, besondere härte, wirtschaftliche leistungsfähigkeit, arglistige täuschung, grobe fahrlässigkeit, krankenversicherung, einkünfte, rücknahme

Thüringer Landessozialgericht
Urteil vom 21.02.2005 (rechtskräftig)
Sozialgericht Altenburg S 13 KR 296/02
Thüringer Landessozialgericht L 6 KR 907/02
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 30. Juli 2002 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte rückwirkend für die Zeit vom 1. Dezember 1999 bis zum 28.
Februar 2002 die Beiträge der Klägerin zur freiwilligen Krankenversicherung und zur Pflegeversicherung nach dem
Einkommen der Klägerin im Jahr 1999 festsetzen konnte und einen Nachzahlungsanspruch in Höhe von 1474,93 EUR
hat.
Die Klägerin nahm am 21. Juni 1999 eine selbstständige Tätigkeit auf und beantragte die Aufnahme in die freiwillige
Krankenversicherung und Pflegeversicherung bei der Beklagten. Angaben zu ihren Einkommensverhältnissen machte
sie nicht.
Mit Bescheid 29. Juli 1999 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie sei auf Grund ihrer Einkommensangaben ab dem
21. Juni 1999 in der Beitragsklasse 808 versichert. Der Einstufung seien die beitragspflichtigen Einnahmen zu Grunde
gelegt worden, die sich aus den erbrachten Nachweisen ergeben. Diese sei befristet bis zum Eingang der aktuellen
Bescheide. In der vorgenannten Beitragsklasse betrage der Beitrag zur Krankenversicherung 386,76 DM und zur
Pflegeversicherung 47,30 DM. Die Bezugsgröße für das Jahr 1999 betrage 3.710 DM, die
Beitragsbemessungsgrundlage 5.400 DM.
Im November 1999 gab die Klägerin auf dem Formblatt "Einkommenserklärung" an, ihr monatliches Bruttoeinkommen
betrage 2.500 DM. Nachweise fügte sie nicht bei.
Mit Bescheid vom 29. November 1999 teilte die Beklagte der Klägerin mit, auf Grund ihrer Einkommensangaben sei
sie ab dem 1. Dezember 1999 in der Beitragsklasse O-808 versichert. Der Einstufung seien die beitragspflichtigen
Einnahmen zu Grunde gelegt, die sich aus der Einkommenserklärung (Schätzung) ergeben. Die Beitragseinstufung
gelte lediglich unter Vorbehalt. Die Beitragshöhe werde überprüft, sobald zur selbstständigen Tätigkeit der erste
Einkommensteuerbescheid vorliege. Sollte sich aus dem Steuerbescheid ein höheres als das geschätzte Einkommen
ergeben, würden Beiträge nacherhoben. Bei geringeren Einkünften würden Differenzbeträge erstattet, es sei denn auf
Grund der bisherigen Beitragseinstufung seien Barleistungen (Kranken-/Mutterschaftsgeld) erbracht. Der Einstufung
seien allerdings mindestens beitragspflichtige Einnahmen in Höhe von 75 Prozent der monatlichen Bezugsgröße (im
Jahr 1999 2782,50 DM/1422,67 EUR) zugrunde zu legen. Das Verfahren der Beitragseinstufung unter Vorbehalt gelte
ausschließlich für die Zeit ab dem 1. Dezember 1999.
Am 4. Januar 2001 kündigte die Klägerin ihre Mitgliedschaft bei der Beklagten in der freiwilligen Krankenversicherung
und Pflegeversicherung zum 28. Februar 2001.
Auf Anforderung der Beklagten legte sie im August 2001 ihren Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1999 vom 20.
April 2001 vor, wonach sie Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 25.324 DM erzielt hat, sowie eine
Bescheinigung der Steuerberaterin W. vom 26. Juli 2001 (im Jahre 2000 Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von
11.320,96 DM).
Mit Bescheid vom 8. August 2001 teilte die Beklagte mit, vom 1. Dezember 1999 bis zum 28. Februar 2001 betrage
der Beitragssatz in der Beitragsklasse 988 nach beitragspflichtigen Einnahmen in Höhe von 4.019,68 DM monatlich,
in der Krankenversicherung 563,00 DM, in der Pflegeversicherung 68,86 DM monatlich. Abzüglich der gezahlten
Beiträge ergebe sich eine Nachforderung in Höhe von 2.884,72 DM (1.474, 93 EUR).
Auf den Widerspruch änderte die Beklagte den angefochtenen Bescheid mit Bescheid vom 5. September 2001
teilweise ab, forderte jedoch weiterhin Beiträge in Höhe von 2884,72 DM nach. Mit Schreiben vom 12. November 2001
erläuterte die Beklagte der Klägerin die Beitragsberechnung und räumte ihr Gelegenheit zur Äußerung ein.
Diese bat um Überprüfung der Beitragsnachforderung, da ihrer Ansicht nach einer Änderung der Beitragseinstufung
frühestens nach Vorlage des Einkommenssteuerbescheides, d. h. zum 1. Mai 2001 möglich gewesen wäre. Mit
Schreiben vom 20. Dezember 2001 erläuterte die Beklagte erneut die Rechtslage und räumte Gelegenheit zur
Stellungnahme ein. Der Beitragsbescheid vom 29. November 1999 sei mit einem Widerrufsvorbehalt nach § 32 Abs. 2
Nr. 3 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) versehen worden. Nach Erhalt des
Einkommensteuerbescheides sei die Einstufung für die Zeit vom 1. Dezember 1999 bis zum 28. Februar 2001 mit
Bescheid vom 8. August 2001 endgültig festgelegt worden. Die höheren Einnahmen hätten zu einer höheren
Einstufung geführt. Hiermit verbunden sei die Nachforderung von Beiträgen. Der Bescheid vom 29. November 1999
sei damit als rechtswidrig begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 SGB X anzusehen, welcher mit dem Bescheid
vom 8. August 2001 mit Wirkung ab dem 1. Dezember 1999 aufgehoben worden sei. Da der Bescheid vom 29.
November 1999 hinsichtlich der Einstufung in die Beitragsklasse O-808 mit einem Widerrufsvorbehalt versehen war,
sei der Klägerin bekannt gewesen, dass die Geschäftsstelle die Einstufung prüfe, sobald der
Einkommenssteuerbescheid vorliege. Eine besondere Härte hinsichtlich der Beitragsnachforderung sei nicht
ersichtlich. Der rechtswidrig begünstigende Verwaltungsakt sei nach alledem zutreffend mit Bescheid vom 8. August
2001 konkludent aufgehoben worden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Januar 2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung verweist
sie unter anderem darauf, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Feststellung der
Höhe variabler Einkünfte (z. B. Arbeitseinkommen aus einer selbstständigen Tätigkeit) nur amtliche Unterlagen, wie z.
B. der letzte Einkommensteuerbescheid dienen können. Das Bundesversicherungsamt habe insoweit eine Anweisung
erteilt, die Einstufung nur auf dieser Grundlage festzulegen. Als Existenzgründer habe sie zu Beginn ihrer
selbstständigen Tätigkeit naturgemäß über keinen entsprechenden amtlichen Einkommensnachweis verfügt. Insoweit
könnten die vorgenannten Grundsätze nicht greifen. Der Beitragseinstufung werde deshalb zunächst das geschätzte
erwartete Arbeitseinkommen zu Grunde gelegt. Die darauf basierende Beitragserhebung sei jedoch solange als
vorläufig anzusehen, bis ein entsprechender Steuerbescheid vorliege. Dieser Vorbehalt werde hinsichtlich der
Beitragseinstufung im Beitragsbescheid der Kasse ausdrücklich erwähnt. Diese Verfahrensweise sei im Rahmen des
§ 32 Abs. 1 SGB X zulässig.
Mit Urteil vom 30. Juli 2002 hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 8. August 2001 i.d.F. des
Änderungsbescheides vom 5. September 2001 sowie des "Änderungsbescheides vom 20. Dezember 2001" in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Januar 2002 aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt,
unabhängig davon, ob der Bescheid vom 29. November 1999 von Anfang an rechtswidrig gewesen sei, sei auch bei
einem zulässigen Widerrufsvorbehalt die Rücknahme des Verwaltungsaktes nur mit Wirkung für die Zukunft zulässig.
Folglich hätte der Bescheid vom 29. November 1999 frühestens mit Wirkung vom 1. Mai 2001 auf der Grundlage des
Einkommensteuerbescheides für 1999 geändert werden können. Zu diesem Zeitpunkt habe die Mitgliedschaft der
Klägerin jedoch nicht mehr bestanden
Mit der Berufung trägt die Beklagte vor, da ohne den entsprechenden Nachweis eine einkommensabhängige
Einstufung ausscheide, sei grundsätzlich nur eine Einstufung im Rahmen des § 240 Abs. 4 Satz 2 des Fünften
Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze in der Krankenversicherung möglich. Die
von dem Gericht der ersten Instanz angesprochene Verfahrensweise, die Einstufung von Existenzgründern habe auf
der Grundlage eines glaubhaft gemachten voraussichtlichen Einkommens zu erfolgen, sei in der Vergangenheit so
praktiziert worden. Diese Verfahrensweise sei aber von der zuständigen Aufsichtsbehörde unter Hinweis auf § 89 des
Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) beanstandet worden, da hierbei der zwingend erforderliche amtliche
Nachweis des Einkommens fehle. Sie habe mit der Einführung eines Widerrufsvorbehaltes bei dem ersten
Beitragsbescheid eine praxisorientierte Verfahrensweise der Einstufung entwickelt. Es werde sichergestellt, dass
entsprechend dem amtlichen Nachweis bei der Beitragsfestsetzung die tatsächliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit
berücksichtigt werden könne.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 30. Juli 2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin verweist zur Begründung auf die Gründe des in erster Instanz ergangenen Urteils. Nach § 240 Abs. 4
Satz 3 SGB V seien Beitragskorrekturen bei Ausübung einer hauptberuflich selbstständigen Erwerbstätigkeit
grundsätzlich nur ab dem ersten Monat nach Vorlage des Einkommensnachweises (hier: Einkommensteuerbescheid)
möglich.
Die Beklagte hat das Schreiben des Bundesversicherungsamtes vom 6. Februar 2001 vorgelegt.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Prozess- und der beigezogenen Verwaltungsakte der
Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 30. Juli 2002 verletzt die Beklagte nicht in ihren Rechten. Zur
Klarstellung wird darauf hingewiesen, dass es sich bei dem Schreiben vom 20. Dezember 2001 nicht um einen
Verwaltungsakt handelt. Einer Aufhebung bedurfte es daher nicht.
Der Bescheid der Beklagten vom 8. August 2001, abgeändert durch Bescheid vom 5. September 2001 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 11. Januar 2001 ist rechtswidrig und wurde zu Recht durch das Urteil des
Sozialgerichts Altenburg aufgehoben. Es besteht keine gesetzliche Grundlage für die zu Lasten der Klägerin erfolgte
Änderung der Beitragseinstufung für die Vergangenheit sowie die Beitragsnachforderung.
Der Bescheid der Beklagten vom 29. November 1999 enthält eine endgültige - nicht nur eine einstweilige -
Entscheidung bezüglich der Beitragseinstufung der Klägerin ab dem 1. Dezember 1999.
Maßstab der Auslegung des Verwaltungsaktes ist der "Empfängerhorizont" eines verständigen Beteiligten, der die
Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde nach ihrem wirklichen Willen erkennbar in ihre Entscheidung
einbezogen hat. Wollte die Beklagten die Wirkungen ihres Verwaltungsaktes durch Zusätze einschränken, müssen
diese inhaltlich bestimmt, klar, verständlich und widerspruchsfrei sein; Unklarheiten gehen zu Lasten der Verwaltung
(vgl. Bundessozialgericht (BSG) vom 28. Juni 1990 - Az.: 4 RA 57/89, nach juris). Soll ein Verwaltungsakt nur
einstweilig wirken (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB X) müssen dem Adressaten Inhalt und Umfang der Vorläufigkeit
hinreichend bestimmt (§ 33 Abs. 1 SGB X) mitgeteilt werden, das heißt, es muss für ihn ersichtlich sein, dass der
Bescheid nur vorläufig und nur für eine Übergangszeit gilt (vgl. BSG, a.a.O., m.w.N.).
Eine solch vorläufige Regelung bezüglich der Beitragseinstufung lässt sich dem Bescheid vom 29. November 1999
nicht hinreichend bestimmt entnehmen. Mit ihm wird der Klägerin zunächst mitgeteilt, dass sie ab dem 1. Dezember
1999 in der Beitragsklasse O-808 versichert ist.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem dem Bescheid beigefügten Vorbehalt. Ein ausdrücklicher Vorbehalt der
endgültigen Entscheidung ist nicht erfolgt. Einem Zusatz wie er hier erfolgt ist, kann auch aus allgemeinen Gründen
nicht der behördliche Wille entnommen werden, nur eine einstweilige Regelung zu treffen. Er zeigt allenfalls an, dass
die Beklagte die Sache für sich noch nicht als in jeder Hinsicht abgeschlossen erachtet. Eindeutig gesagt wird aber
lediglich, dass eine Überprüfung des Bescheides erfolgen soll und gegebenenfalls Beiträge nachgefordert oder
erstattet werden. Für den Fall, dass die getätigten Angaben zu den Einkommensverhältnissen mit den
Einkommensverhältnissen nach dem Steuerbescheid übereinstimmen, wird im Bescheid keine Aussage getroffen.
Auch aus diesem Grund geht der Senat davon aus, dass eine endgültige Entscheidung verlautbart wurde und nur die
Möglichkeit eines Eingriffs in die Wirksamkeit oder den Regelungsinhalt des Bescheides in Aussicht gestellt wurde.
Diese besteht in den gesetzlich geregelten Fällen (§§ 44 bis 49 SGB X) ohnehin, ohne dass deswegen die
abschließende Natur des Bewilligungsbescheides fraglich ist.
Im Übrigen wäre eine lediglich vorläufige Regelung rechtswidrig gewesen, weil § 240 Abs. 4 SGB V eine endgültige
Regelung vorsieht, die mit der hier getroffenen vorläufigen Regelung nicht übereinstimmt. Eine
Ermächtigungsgrundlage für eine lediglich vorläufige Regelung enthält § 240 Abs. 4 SGB V nicht. Die Ausübung eines
solchen - rechtswidrigen - Vorbehalts wäre daher rechtswidrig, auch wenn der Bescheid vom 29. November 1999
bindend geworden ist (vgl. BSG, a.a.O., m.w.N.).
Nach § 240 Abs. 4 Satz 2 SGB V in der bis zum 31. Dezember 1999 gültigen Fassung gilt für freiwillige Mitglieder, die
hauptberuflich selbstständig erwerbstätig sind, als beitragspflichtige Einnahmen für den Kalendertag der dreißigste
Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze (§ 223 SGB V), bei Nachweis niedrigerer Einnahmen jedoch
mindestens der vierzigste Teil der monatlichen Bezugsgröße. Veränderungen der Beitragsbemessung aufgrund eines
vom Versicherten geführten Nachweises können nur zum ersten Tag des auf die Vorlage dieses Nachweises
folgenden Monats wirksam werden.
Der Personenkreis der selbstständig Erwerbstätigen hat daher von vornherein den Höchstbeitrag zu entrichten,
solange nicht niedrigere beitragspflichtige Einnahmen nachgewiesen sind. Die Beklagte kann von diesen fiktiven
beitragspflichtigen Einnahmen ohne Prüfung der Einkünfte des Mitglieds ausgehen. Sie hat aufgrund ihrer Beratungs-
und Belehrungspflicht bei Verwaltungskontakten das freiwillige Mitglied bei einer förmlichen Festsetzung der
beitragspflichtigen Einnahmen oder in einem Beitragsbescheid, dem fiktiven beitragspflichtige Einnahmen in Höhe der
Beitragsbemessungsgrenze zugrunde liegen, darauf hinzuweisen, dass bei Nachweis niedrigerer Einnahmen der
Beitrag reduziert werden kann (vgl. Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, Kommentar,
München 2004, § 240 Rdnr. 31).
Eine Beitragskorrektur zu Gunsten des Versicherten kann nach § 240 Abs. 4 Satz 2 SGB V, abweichend von § 48
Abs. 1 Nr. 1 SGB X nur für die Zukunft erfolgen. Sind Beiträge rechtswidrig zu niedrig festgestellt worden, bedarf es
einer Rücknahme bzw. Aufhebung des Beitragsbescheides nach den §§ 45, 48 SGB X.
Eine Ausnahmeregelung für Existenzgründer sieht § 240 Abs. 4 SGB V in der bis zum 31. Dezember 1999 gültigen
Fassung nicht vor. Als Nachweis niedrigerer Einnahmen kommt jedenfalls auch bei Existenzgründern der in dem
Schreiben des Bundesversicherungsamtes vom 6. Februar 2001 angesprochene, vom Finanzamt zu erstellende
"Vorauszahlungsbescheid über Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag" in Betracht. Die Beklagte
hat jedoch einen solchen Nachweis von der Klägerin nicht gefordert.
Obwohl diese daher weder niedrigere Einnahmen nachgewiesen hat, noch von ihr ein solcher Nachweis gefordert
wurde, erfolgte mit Bescheid vom 29. November 1999 keine Einstufung unter Berücksichtigung fiktiver Einnahmen bis
zur Beitragsbemessungsgrenze, sondern eine Einstufung lediglich unter Berücksichtigung niedrigerer (geschätzter)
Einnahmen.
Der Bescheid vom 29. November 1999 war daher von Anfang an rechtswidrig. Ein solcher Bescheid kann nur nach §
45 Abs. 1 SGB X unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden. Für einen Vorbehalt zur
Korrektur möglicher anfänglicher Fehler des Verwaltungsaktes (Rücknahmevorbehalt als Unterfall des
Widerrufsvorbehalts) ist kein Raum. Andernfalls könnte die Behörde § 45 SGB X ins Leere laufen lassen (vgl. BSG,
a.a.O., m.w.N., Waschull in Sozialgesetzbuch X, Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz, Lehr- und
Praxiskommentar, 1. Auflage 2004, § 32 Rdnr. 15).
Bei endgültigen Bescheiden ist auch kein Raum für einen Widerrufsvorbehalt nach §§ 32 Abs. 2 Nr. 3, 47 Abs. 1 Nr. 1
SGB X. Er könnte nur zum Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes mit Wirkung für die Zukunft dienen (vgl.
Engelmann in von Wulffen, SGB X, 4. Auflage 2001, § 32 Rdnr. 21). Hierfür gibt es, solange der Bescheid rechtmäßig
ist, keinen Grund. Es besteht die Möglichkeit einer Aufhebung nach § 48 SGB X, wenn der Bescheid wegen Änderung
der Verhältnisse nachträglich rechtswidrig wird. Aus § 45 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 SGB X, der die Frist für die Rücknahme
rechtswidriger Bescheide auf 10 Jahre verlängert, wenn u. a. der Verwaltungsakt mit einem zulässigen
Widerrufsvorbehalt erlassen wurde, lässt sich schon deswegen gegenteiliges nicht herleiten, weil er die Zulässigkeit
des Widerrufsvorbehalts nach anderen (spezialgesetzlichen) Vorschriften voraussetzt, nicht begründet (vgl. BSG,
a.a.O., m.w.N.).
Nach § 45 Abs. 1 und Abs. 4 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 Satz 2 SGB X kann ein rechtswidrig
begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Vergangenheit nur zurückgenommen werden,
wenn Wiederaufnahmegründe nach § 580 der Zivilprozessordnung (ZPO) bestehen oder wenn der Begünstigte sich auf
Vertrauen schlechthin nicht berufen kann. Dies ist der Fall, so weit er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung,
Drohung oder Bestechung erwirkt hat (Nr. 1), der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich
oder grobfahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (Nr. 2), oder er die
Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit
liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin sich nach § 45 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 3 SGB X auf Vertrauen schlechthin nicht
berufen kann, liegen nicht vor. Sie hat zwar in ihrer "Einkommenserklärung" im November 1999 objektiv falsche
Angaben getätigt, es ist aber nicht ersichtlich, dass dies vorsätzlich bzw. grobfahrlässig erfolgte. Des Weiteren beruht
die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 29. November 1999 nicht auf diesen Angaben, sondern darauf, dass die
Beklagte die Vorschrift des § 240 Abs. 4 SGB V nicht angewandt hat. Im Übrigen fehlt es auch an einer
Ermessensausübung der Beklagten hinsichtlich der Rücknahme des Bescheides vom 29. November 1999.
Ausführungen hierzu finden sich im Widerspruchsbescheid vom 11. Januar 2002 nicht, weil die Beklagte offenbar
davon ausgegangen ist, sie sei auf Grund des Widerrufsvorbehalts unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen
des § 45 SGB X zur nachträglichen Korrektur der Beitragsforderung berechtigt.
Eine andere Rechtsgrundlage für die nachträgliche Abänderung des Bescheides vom 29. November 1999 ist nicht
ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.