Urteil des LSG Schleswig-Holstein vom 02.08.2007
LSG Shs: geistig behinderter, anspruch auf bewilligung, schule, kostenbeitrag, begriff, schulbesuch, schulpflicht, verfügung, anleitung, behinderung
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht
Beschluss vom 02.08.2007 (rechtskräftig)
Sozialgericht Schleswig S 16 SO 489/05
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht L 9 B 349/07 SO PKH
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Schleswig vom 14. November 2006 wird
zurückgewiesen.
Gründe:
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die von dem Kläger be-antragte und vom Sozialgericht Schleswig mit
Beschluss vom 14. November 2006 versagte Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren S 16 SO
489/05, in welchem der Kläger begehrt, die ihm gewährte Eingliederungshilfemaßnahme als eine solche nach § 40
Abs. 1 Ziff. 4 Bundessozialhilfegesetz (BSHG), nämlich als Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung einzustufen.
Nach § 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 114 Zivilpro-zessordnung (ZPO) ist den Beteiligten eines
sozialgerichtli-chen Verfahrens Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn - neben hier nicht zweifelhaften
Voraussetzungen - die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
Hinreichende Erfolgsaussicht ist dann anzunehmen, wenn dass Gericht aufgrund summarischer Prüfung der Sach-
und Rechtslage den Rechtsstandpunkt des Antragstellers für zumindest vertret-bar hält und in tatsächlicher Hinsicht
von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist. Dabei dürfen die Anforderungen an die tatsächlichen und
rechtlichen Erfolgsaussichten nicht überspannt werden (vgl. Philippi in: Zöller, Kommentar zur ZPO, § 114, Rdnr. 19
m.w.N.). Es ist zu berücksichtigen, dass das Prozesskostenhilfeverfahren den Rechtsschutz, den der
Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern lediglich zugänglich machen will. Dem genügt § 114
Satz 1 ZPO dadurch, dass er die Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht erst bei sicherer, sondern bereits bei
hinreichender Erfolgs¬aussicht vorsieht. Deren Feststellung soll mithin nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung selbst
in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses anstelle des Hauptsacheverfahrens treten
zu lassen. Das bedeutet anderer-seits zugleich, dass Prozesskostenhilfe verweigert werden darf, wenn der Erfolg in
der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (vgl. BVerfGE
81, S. 341; BSG, SozR 3-1500, § 62 Nr. 19).
Danach hat der Kläger hier keinen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, weil es an einer hinreichenden
Erfolgsaus-sicht für das Klageverfahren fehlt. Die am 21. Dezember 2006 gegen den dem Kläger am 21. November
2006 zugestellten Be-schluss vom 14. November 2006 erhobene Beschwerde hat daher keinen Erfolg. Zutreffend hat
nämlich das Sozialgericht Schleswig in dem angegriffenen Beschluss ausgeführt, dass es sich bei der dem Kläger
gewährten Eingliederungshilfemaßnahme nicht um eine solche nach § 40 Abs. 1 Ziff. 4 BSHG - Hilfe zu einer
angemessenen Schulbildung - handelt, sondern um eine solche nach § 40 Abs. 1 Ziff. 8 BSHG - Leistungen zur
Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft - und sich somit der Kostenbei-trag des Vaters des Klägers nicht lediglich an
der häuslichen Ersparniss orientiert, sondern sich nach § 43 Abs. 1 BSHG i.V.m. §§ 79, 84 BSGH in der seitens des
Beklagten auch tat-sächlich rechtmäßigerweise gefordert Höhe. Nach Überprüfung der Sach- und Rechtslage macht
der Senat sich diese Einschät-zung zu Eigen und verweist daher gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG auf die Gründe
dieses Beschlusses.
Im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen ist zu ergänzen: Auch die im Beschwerdeverfahren vorgelegten
Förderpläne der F -Schule in F , in der der Kläger eingeschult ist, sprechen nicht dafür, dass die Betreuung im Hort,
die dem Kläger im Rahmen der Eingliederungshilfe seitens des Beklagten gewährt wird, eine Maßnahme nach § 40
Abs. 1 Ziff. 4 BSHG - Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung - ist. Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung
umfasst nach § 12 Eingliederungshil-feverordnung heilpädagogische sowie sonstige Maßnahmen zuguns-ten
körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendli-cher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem
behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern
bzw. Maßnahmen der Schulbildung zugunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die
Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen eine im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht
üblicherweise erreichbare Bildung zu ermöglichen. Allerdings wird bei geistig und seelisch zurück-gebliebenen Kindern
der Begriff der Schulbildung sehr weit ge-fasst (vgl. Schellhorn, Kommentar zum BSHG, § 40 Rdnr. 41). Zielrichtung
ist daher gemäß § 4 Abs. 3 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch(SGB IX), die weitgehende Integration von behin-derten
und nichtbehinderten Menschen in gemeinsamen Bildungs-einrichtungen. Dem muss durch unterstützende Hilfe
seitens der Sozialhilfe Rechnung getragen werden, indem z. B. Nachhilfeun-terricht bzw. Privatunterricht gewährt wird
oder Integrations-helfer zur Verfügung gestellt werden. Da der Begriff der Schulbildung bei geistig behinderten Kindern
weit zu verstehen ist, kann darunter auch der Besuch eines heilpädagogischen Kinderhortes gehören, sofern in
diesem Maßnahmen erfolgen, die den Schulbesuch erleichtern, wie z. B. Hausaufgabenbetreuung, nämlich Anleitung,
Hilfestellung und Kontrolle der Hausaufga-benerledigung (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 13.
Januar 2003 - 12 CE 02.2494 -, recherchiert bei ju-ris). Ausgangspunkt ist dabei aber immer, dass die Betreuung
speziell auf die schulischen Maßnahmen abgestimmt ist und zu einer noch zu erreichenden gewissen Schulbildung
führt.
Das ist hier nicht der Fall. In mehreren Stellungnahmen des Gesundheitsamtes und den regelmäßigen
Entwicklungsberichten des Kinderhortes, den der Kläger nachmittags besucht, ist je-weils aufgeführt, dass die
Betreuungsmaßnahmen dort das Ziel haben, die gering ausgeprägten lebenspraktischen Fähigkeiten des Klägers zu
fördern. Auch die Betreuung der Schule ist im Wesentlichen auf diese Ziele ausgerichtet. Der Kläger ist nicht in der
Lage, in der Schule ansatzweise die Lerninhalte zu erwerben, die unter "allgemeiner Schulbildung" zu verstehen sind.
Auch unter Berücksichtigung dessen, dass bei einer Viel-zahl behinderter Kinder diese Lerninhalte nicht verwirklicht
werden können, muss bei die Schule begleitenden Maßnahmen doch ein Mindestmaß an Lernfähigkeit im Hinblick auf
schulische Lerninhalte gegeben sein. Das ist bei dem Kläger nicht der Fall. Dem Grad seiner Behinderung trägt
vielmehr die Schule dadurch Rechnung, dass sie ihre Ziele ebenfalls ausschließlich auf lebenspraktische Fähigkeiten
erstreckt, weil der Kläger zum Erlernen anderer Inhalte nicht fähig ist. Reduziert aber die Schule ihre Lerninhalte
lediglich auf die geringfügige Verbesserung der lebenspraktischen Fähigkeiten und passt sich somit den
Eingliederungshilfemaßnahmen nach § 40 Abs. 1 Ziff. 8 BSHG - Leistungen zur Teilhabe am Leben in der
Gemeinschaft - an, kann eine weiter gehende Eingliederungshilfemaßnahme am Nachmittag - hier der Besuch des
Kinderhortes -, der sich e-benfalls auf die Verbesserung der lebenspraktischen Fähigkei-ten bezieht, nicht als
Maßnahme zur angemessenen Schulbildung angesehen werden.
Demzufolge richtet sich der vom Vater des Klägers zu leistende Kostenbeitrag nach § 43 Abs. 1 i.V.m. §§ 79, 84
BSHG mit der Folge, dass der vom Beklagten geforderte Kostenbeitrag nicht zu beanstanden ist. Ein verminderter
Kostenbeitrag nach § 43 Abs. 2 BSHG, der bei Hilfe zur angemessenen Schulbildung ein-greifen würde, und dies
dürfte auch das tatsächliche Interesse dieses Rechtsstreits ausmachen, liegt hier nicht vor.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Wendel Selke Dr. Namgalies