Urteil des LSG Schleswig-Holstein vom 12.12.2005

LSG Shs: sozialhilfe, reinigungsmittel, wohnung, behandlung, suchterkrankung, wohngemeinschaft, sicherstellung, psychotherapie, deckung, heizung

Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht
Beschluss vom 12.12.2005 (rechtskräftig)
Sozialgericht Schleswig S 11 SO 151/05 ER
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht L 9 B 306/05 SO ER
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Schleswig vom 6. Oktober 2005 wird
zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
Die am 13. Oktober 2005 eingelegte Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts
Schleswig vom 6. Oktober 2005 ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz SGG -), aber nicht begründet.
Das Sozialgericht hat den von ihm sinngemäß angenommenen Antrag der Antragstellerin,
dem Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung aufzugeben, der Antragstellerin einen erhöhten Regelsatz
nach dem SGB XII zu gewähren,
zu Recht abgelehnt und in dem angefochtenen Beschluss unter Darlegung der maßgeblichen Prüfungsgrundsätze im
Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens gemäß § 86b Abs. 2 SGG zutreffend ausgeführt, dass ein
Anordnungsanspruch seitens der Antragstellerin für die von ihr begehrte Erhöhung des Regelsatzes um monatlich
200,00 &8364; für die Beschaffung von Reinigungsmitteln und 30,00 &8364; für die Wiederbeschaffung von
Kleidungsstücken nicht besteht.
Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, dass die Antragstellerin an einer schweren chronischen
Zwangsstörung mit einem ausgeprägten Putz- und Reinigungszwang leide. Weiter heißt es dann in dem Beschluss:
"Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB XII wird der gesamte Bedarf des notwendigen Lebensunterhaltes außerhalb von
Einrichtungen mit den definierten Ausnahmen nach Regelsätzen erbracht. Gesamtbedarf ist alles zur Ermöglichung
eines menschenwürdigen Lebens mit Ausnahme von Leistungen für Unterkunft und Heizung und der Sonderbedarf.
Hierzu zählen u.a. auch die Ausgaben für Reinigungsmittel von Wohnung und Wäschepflege wie auch
Körperpflegeartikel. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin den Eckregelsatz eines Haushaltsvorstandes in Höhe
von 345,00 &8364; bewilligt, so dass von einer Deckung des Bedarfs für die genannten Reinigungs- und
Körperpflegemittel auszugehen ist. Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII werden die Bedarfe abweichend festgelegt,
wenn im Einzelfall ein Bedarf ganz oder teilweise anderweitig gedeckt ist oder unabweisbar seiner Höhe nach
erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Eine Besonderheit des Einzelfalles liegt dann vor, wenn der
Hilfesuchende einen laufenden, nicht nur einmaligen Bedarf geltend macht, der bei der generalisierenden Bemessung
der laufenden Leistung zum Lebensunterhalt nicht berücksichtigt worden ist, atypische Bedarfslagen werden erfasst
(vgl. Grube/Wahrendorf SGB XII § 28 Anm. 11). Hierbei sind an die abweichende Bemessung zu Gunsten des
Hilfesuchenden hohe Anforderungen zu stellen. Der Hilfesuchende muss darlegen, dass der geltend gemachte
zusätzliche Bedarf durch die Bedarfsgruppen nicht erfasst wird (Grube/Wahrendorf a.a.O. Anm. 13). Hiernach stellt
der von der Antragstellerin geltend gemachte zusätzliche Mehrbedarf an Reinigungsmitteln, insbesondere für die
Desinfektion der Wohnung und der Wäsche, keinen zusätzlichen Bedarf dar; denn der geltend gemachte Bedarf wird
von den Bedarfsgruppen gedeckt. Ein höherer Bedarf besteht tatsächlich nicht, weil Wohnung und Wäsche nicht in
dem von der Antragstellerin vorgenommenen Umfang gereinigt und desinfiziert werden müssen. Eine andere
Bewertung ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der in § 9 SGB XII niedergelegten Maßstäbe. Denn der dort
verankerte Individualisierungsgrundsatz konkretisiert den sozialhilferechtlichen Bedarfsdeckungsgrundsatz, indem er
dessen Zielsetzung auf die Besonderheiten des Einzelfalles lenkt. Dabei kann die Individualisierung als objektive
Leitvorstellung nicht von der subjektiven Bewertung des einzelnen Hilfesuchenden bestimmt werden. Die Individualität
der Sozialhilfeleistungen im Sinne eines ausschließlich auf die eigene Person formulierten Leistungsanspruches ist in
SGB XII nicht verankert (vgl. Grube/Wahrendorf SGB XII § 9 Anm. 3 ff.)."
Diesen Ausführungen des Sozialgerichts schließt sich der Senat an und nimmt hierauf entsprechend § 153 Abs. 2
SGG zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug.
Mit ihrer Beschwerde weist die Antragstellerin darauf hin, dass das Sozialgericht nicht berücksichtigt habe, dass die
Leistungen nach der Besonderheit des Einzelfalls zu erbringen seien. Des Weiteren stützt sie sich auf eine
Stellungnahme des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. R vom 29. November 2005,
wonach es zur Zeit keine Möglichkeit gebe, der Antragstellerin therapeutisch zu helfen. Durch die Bereitstellung von
zusätzlichen finanziellen Mitteln werde der Antragstellerin die Möglichkeit gegeben, ein einigermaßen lebenswertes
Leben zu führen. Dies führe nicht zu einem Aufrechterhalten der Krankheit.
Auch im Hinblick auf dieses Vorbringen ist ein Anspruch der Antragstellerin auf einen abweichenden (erhöhten)
Regelbedarf nicht gegeben. An einen solchen Bedarf gemäß § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII werden hohe Anforderungen
gestellt. Eine abweichende Bemessung des Bedarfs für Reinigungsmittel und Kleidung ist hier nicht objektiv
notwendig, sondern die von der Antragstellerin geltend gemachten höheren Kosten sind allein bedingt durch ihre
Zwangserkrankung. Dieser Bedarf ist deshalb nicht vergleichbar mit einem erhöhten Bedarf, der auf Grund der
Behandlung einer Erkrankung entsteht. Die Übernahme der Kosten für Reinigungsmittel und Kleidung trägt nicht zur
Behandlung der Zwangserkrankung der Antragstellerin bei. Sie wird im Gegenteil vielmehr dadurch aufrechterhalten.
Ähnlich wie für eine Suchterkrankung können dafür keine Mittel aus der Sozialhilfe bereitgestellt werden. Das
entspräche nicht dem Sinn und Zweck von § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII, durch den atypische Bedarfslagen erfasst
werden sollen, damit in jedem Einzelfall ein menschenwürdiges Leben sichergestellt ist. Sozialhilfeempfänger, die auf
Grund einer Gesundheitsstörung wie z.B. Sucht oder Zwangserkrankung den monatlichen Regelsatz nicht
zweckentsprechend verwenden, bedürfen ärztlicher Hilfe bzw. sozialer Betreuung und nicht der Erhöhung des
Regelsatzes zur Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens. Dies gilt auch dann, wenn wie von Dr. R
bescheinigt - gegenwärtig keine Therapiemöglichkeit besteht. Wenn die Antragstellerin krankheitsbedingt allein auf
sich gestellt nicht für sich sorgen kann - und dazu gehört auch die zweckentsprechende Verwendung der Sozialhilfe -,
muss sie Hilfestellung erhalten (z.B. therapeutische Wohngemeinschaft, Betreuung). Dies gilt im Übrigen generell und
kann deshalb im Bereich der Sozialhilfe nicht anders sein. Auch beispielsweise Rentenempfänger, die auf Grund einer
Zwangserkrankung für die notwendigen Kosten des täglichen Lebens nicht mehr aufkommen können, haben keinen
Anspruch auf (ergänzende) Sozialhilfe, sondern nur auf therapeutische und betreuende Hilfen.
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung von § 193 Abs. 1, Abs. 4 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).