Urteil des LSG Schleswig-Holstein vom 12.08.2009

LSG Shs: nichteheliche lebensgemeinschaft, gebühr, gespräch, aussichtslosigkeit, vergütung, rücknahme, beweiswürdigung, gerichtsverhandlung, einsichtsfähigkeit, billigkeit

Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht
Beschluss vom 12.08.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Lübeck S 1 SK 80/08
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht L 1 B 141/09 SF E
Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers vom 29. Juni 2009 wird der Beschluss des Sozialgerichts Lübeck vom
29. Mai 2009 aufgehoben. Der Beschwerdeführer ist mit 755,65 EUR zu vergüten. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
Der Beschwerdeführer war in dem Verfahren S 25 AS 794/08 ER im Wege der Prozesskostenhilfe dem Antragsteller
beigeordnet (Beschluss vom 4. August 2008). Es ging in diesem Verfahren darum, ob der Antragsteller eine
nichteheliche Lebensgemeinschaft führte und infolge dessen in einer Bedarfsgemeinschaft lebte. Nach der
Zeugenvernehmung im Erörterungstermin vom 5. August 2008 unterbrach die Richterin die Verhandlung, um dem
Beschwerdeführer Gelegenheit zu geben, sich mit dem Antragsteller zu beraten. Vorausgegangen war ein Hinweis der
Kammervorsitzenden, dessen Wortlaut nicht im Protokoll enthalten ist. Die Unterbrechung der Verhandlung dauerte
acht Minuten. Danach erklärte der Beschwerdeführer im Einvernehmen mit dem Antrag¬steller das Verfahren für
erledigt und nahm auch den Widerspruch gegen den Versagungsbescheid vom 6. Mai 2008 zurück.
Mit der Kostenrechnung vom 6. August 2008 machte der Beschwerdeführer u. a. eine Erledigungsgebühr nach Nr.
1006, 1005 VV RVG in Höhe von 190,00 EUR (Mittelgebühr) geltend. Insgesamt forderte er 772,37 EUR.
Im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 27. August 2008 kürzte die Kostenbeamtin die Dokumentenpauschale. Eine
Erledigungsgebühr erkannte sie nicht an. Sie bewilligte 529,55 EUR.
Mit Schriftsatz vom 5. September 2008 bat der Beschwerdeführer um gerichtliche Festsetzung. Er habe seinen
Mandanten in der Verhandlungspause dazu bewegt, sein Begehren aufzugeben.
Mit Beschluss vom 29. Mai 2009 hat das Sozialgericht Lübeck die Vergütung auf 529,55 EUR festgesetzt, weil keine
besondere Mitwirkung des Beschwerdeführers an der unstreitigen Erledigung erforderlich gewesen sei. Diese Leistung
habe der Beschwerdeführer nicht erbracht. Das Gespräch mit seinem Mandanten über die Zeugenvernehmung reiche
als qualifizierte Mitwirkung nicht aus.
Hiergegen hat der Beschwerdeführer rechtzeitig Beschwerde eingelegt. Er wiederholt, dass der Antragsteller zunächst
die Fortsetzung des Verfahrens gewünscht habe. Erst infolge des achtminütigen Beratungsgespräches habe sich der
Antragsteller anders entschlossen.
Auf die ergangenen Beschlüsse und den Schriftwechsel sowie auf die Akte S 25 AS 794/08 ER wird im Übrigen
Bezug genommen.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
In dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 7. November 2006 – B 1 KR 13/06 R - ist in vollem Umfang
überzeugend dargelegt, dass die Erledigungsgebühr nach Nr. 1005 VV RVG eine qualifizierte anwaltliche Mitwirkung
bei der Erledigung voraussetzt. Dieser Rechtsprechung hat sich der Senat zuletzt in dem Beschluss vom 28. Februar
2007 - L 1 B 467/06 SK - angeschlossen. Grundsätzlich bleibt der Senat bei seiner Auffassung.
Vorliegend ist jedoch ein gewisser Unterschied zum Urteil des BSG zu beachten. Der vom BSG entschiedene Fall
hatte seine Besonderheit darin, dass die bloße Annahme eines Anerkenntnisses nicht als qualifizierte Mitwirkung des
Anwalts angesehen wurde. Hier stellt sich aber die Frage, ob ein Gespräch des Anwalts mit seinem Mandanten von
acht Minuten Dauer aufgrund eines richterlichen Hinweises die Rücknahme des Antrags und eines Widerspruchs
verursacht hat. Bei dieser Prüfung ist der Kostenbeamte auf die Angabe des Anwalts angewiesen. Sie geht dahin,
dass der Kläger die Rücknahme zunächst nicht gewollt hat, dann aber der anwaltlichen Beratung folgte. Diese Angabe
wird durch die Prozesssituation objektiviert. Das Verhandlungsprotokoll weist aus, dass die als Zeugin vernommene
Mitbewohnerin im Wesentlichen die Angaben des Antragstellers über eine Wohngemeinschaft bestätigt hatte. Dieser
Aussage stand aber das Ergebnis einer Wohnungsbesichtigung durch die Mitarbeiter der Arge entgegen. Der Inhalt
des richterlichen Hinweises ist nicht bekannt. Nach der Prozesssituation hat zumindest ein Hinweis auf den
Grundsatz der objektiven Beweislast des Antragstellers und damit auf einen für den Kläger negativen Ausgang des
Verfahrens nahegelegen. Wenn dann eine Verhandlungspause gerade deshalb protokolliert wurde, um dem
Beschwerdeführer die Möglichkeit eines Gesprächs mit seinem Mandanten einzuräumen, muss der Beschwerdeführer
dem Mandanten in dem achtminütigen Gespräch nicht nur eine Beweiswürdigung aus seiner Sicht gegeben haben,
sondern ihn auch von der Aussichtslosigkeit des weiteren Verfahrens überzeugt haben. Eine qualifizierte anwaltliche
Mitwirkung an der Erledigung und damit an einem unstreitigen Ausgang des Verfahrens ist deshalb zu bejahen.
Ist somit grundsätzlich die Gebühr nach Nr. 1006 VV RVG angefallen, steht aber noch nicht fest, ob diese auch in
Höhe der Mittelgebühr gerechtfertigt ist. Die Gebühr nach Nr. 1006 VV RVG ist eine Rahmengebühr, die nach den
Kriterien des § 14 RVG auf ihre Billigkeit zu überprüfen ist. Die Maßstäbe, die bei der Festsetzung der Gebühren nach
den Nummern 3103 und 3106 VV RVG für den Kostenbeamten ausschlaggebend waren, sind dabei nicht blindlings
übertragbar. Jede Rahmengebühr ist für sich zu prüfen (so auch Beschluss des Senats vom 12. September 2006 – L
1 B 320/05 SF SK). Bei dieser Prüfung ist der Sinn und Zweck der Gebühr zu beachten. Die Gebühr nach Nr. 1006
VV RVG soll unstreitige Erledigungen fördern, damit Rechtsfrieden schaffen und die Gerichte von Arbeit entlasten.
Demnach sind besonders intensive oder zeitaufwändige Bemühungen des Anwalts um die Streitbeilegung mit einem
höheren Gebührenansatz zu honorieren. Die Schwierigkeit der Streitbeilegung wiederum hängt von der Mentalität des
Antragstellers und besonders von der Prozesslage ab. Auch die Bedeutung des Verfahrens für den Antragsteller ist
individuell verschieden und dementsprechend unterschiedlich zu berücksichtigen.
Vorliegend war die Verfahrenslage, dass ein positiver Ausgang des Verfahrens für den Antragsteller nach der
Beweisaufnahme mehr als fraglich war. Einerseits hatte die Zeugin für ihn ausgesagt. Andererseits gab es aber einen
richterlichen Hinweis zu seinen Lasten. Dass er sich trotz der Bedeutung des Verfahrens, nämlich dem vollständigen
Verlust seines Anspruchs nach dem SGB II, in acht Minuten von der Aussichtslosigkeit überzeugen ließ, deutet auf
eine gewisse Einsichtsfähigkeit beim Antrag¬steller hin. Die Dauer von acht Minuten für ein Beratungsgespräch im
Verlaufe einer Gerichtsverhandlung entspricht in etwa dem Üblichen.
Bei einer Gesamtwürdigung aller Kriterien des § 14 RVG ist daher im vorliegenden Fall die Mittelgebühr vertretbar. Da
die Kürzung der Dokumentenpauschale nach Nr. 7000 VV RVG nicht umstritten ist, ist die Vergütung des
Beschwerdeführers auf 755,65 EUR festzusetzen.
Diese Entscheidung ergeht gerichtskosten- und gebührenfrei.
Der Beschluss ist nach § 177 SGG unanfechtbar.