Urteil des LSG Schleswig-Holstein vom 15.03.2017

LSG Schleswig-Holstein: strafverfahren, notwehr, versorgung, unbestimmter rechtsbegriff, beleidigung, entziehen, angriff, fahrzeug, entschädigung, gefahr

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Gericht:
Schleswig-
Holsteinisches
Landessozialgericht
2. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 2 VG 33/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 1 OEG, § 2 OEG
Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem
Opferentschädigungsgesetz
Tenor
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Ka. vom
31. Januar 2007 und der Bescheid des beklagten Landes vom 18. September 2003
in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 9. Januar 2004 aufgehoben.
Das beklagte Land wird verurteilt, bei dem Kläger wegen der Folgen der
Gewalttat vom 26. August 1999 folgende Gesundheitsstörungen als
Schädigungsfolge anzuerkennen:
- leichtgradige posttraumatische Hirnleistungsminderung mit
Einschränkung der Umstellungs- und Konzentrationsfähigkeit sowie
Zeitgitterstörungen,
- vollständiger Verlust des Riechvermögens und Einschränkung des
Geschmacksinnes,
- bis zum 30. November 2006:
posttraumatisches cerebrales Anfallsleiden
und dem Kläger für die Zeit vom 1. August 1999 bis zum 30. November
2006 Versorgung nach einem GdS von 60 und für die Zeit seit dem 1. Dezember
2006 Versorgung nach einem GdS von 40 zu gewähren.
Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Das beklagte Land trägt 9/10 der außergerichtlichen Kosten des Klägers im
gesamten Verfahren.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem
Opferentschädigungsgesetz (OEG).
Den späteren Schädiger, Y. K., erreichte gegen Anfang des Jahres 1998 über CB-
Funk ein Funkspruch, mit dem er als „Hurensohn“ bezeichnet wurde. Da ihm als
Absender des Funkspruchs ein „M. aus der W.“ genannt wurde, nahm er an, dass
der 1974 geborene Kläger, den er lediglich vom Sehen kannte, Absender dieses
Funkspruchs gewesen sei. Im Februar oder März des Jahres 1998 konnte der
Kläger einem Zusammentreffen mit dem späteren Schädiger auf der S.Straße in
Ka. ausweichen, indem er an der Wohnungstür eines Bekannten, Kb. A., klingelte,
wo er eingelassen wurde. Einige Monate danach kam es zu einem
Zusammentreffen des Klägers mit Y. K., als der Kläger als Beifahrer in dem
Fahrzeug eines anderen Bekannten, Ma. B., den T.Ring befuhr. Y. K., der mit seiner
Schwester unterwegs war, fuhr mit seinem Fahrzeug neben dem Fahrzeug des Ma.
B.. Die Schwester des Y. K. machte mit der Hand eine horizontale Bewegung an
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B.. Die Schwester des Y. K. machte mit der Hand eine horizontale Bewegung an
ihrem Hals und rief dazu „Du bist tot“. Als dann der spätere Schädiger eine
Gaspistole aus dem offenen Fahrerfenster seines Fahrzeugs auf den Kläger
richtete, nahm dieser seinerseits aus dem Handschuhfach die Gaspistole seines
Bekannten, Ma. B., und richtete sie auf Y. K.. Zu einem Schusswechsel kam es
nicht.
In der Nacht vom 25. auf den 26. August 1999 kam es zu einem zufälligen
Zusammentreffen des Klägers mit dem Y. K. auf dem Gelände der D.-Tankstelle
an der G.Straße in Ka.. An dieser Tankstelle hielt sich der Kläger zusammen u. a.
mit seinem Bekannten Ma. B. auf. Danach fuhr der spätere Schädiger mit seinem
Fahrzeug auf das Gelände der Tankstelle und begab sich zu dem Kläger. Es kam
zu einer kurzen verbalen Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und dem
späteren Schädiger, bei der es um den Funkspruch aus dem Jahr 1998 ging. Als
sich der Kläger vom Schädiger abwandte, schlug Y. K. den Kläger mit der Faust auf
die linke Kopfseite. Der Kläger fiel zu Boden und schlug mit dem Hinterkopf auf.
Am 26. Mai 2000 beantragte der Kläger bei dem beklagten Land die Gewährung
von Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz. Das beklagte Land zog
Akten des Amtsgerichts Ka. zum Aktenzeichen 32 Ls Jug 568 Js 717/00 HW sowie
Akten des Landgerichts Ka. zum Aktenzeichen 6 U 323/02 bei. Die Akten des
Amtsgerichts Ka. haben ein Strafverfahren gegen Y. K. wegen der Tat am 26.
August 2008 zum Nachteil des Klägers begangenen Tat zum Gegenstand. Y. K.
wurde deshalb mit Urteil des Amtsgerichts Kiel vom 4. Juli 2001 zu 30 Stunden
gemeinnütziger Arbeit sowie 2.000,00 DM Schmerzensgeld, zu zahlen an den
Kläger, verurteilt. Dieses Urteil ist nicht rechtskräftig geworden, nachdem Y. K., der
Berufung eingelegt hatte, durch das Landgericht Ka. in einem Zivilrechtsstreit
(Verfahren zum Aktenzeichen 6 U 323/02) zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in
Höhe von 23.000,00 € verurteilt worden war. Das Strafverfahren wurde daraufhin
mit Beschluss der 2. Großen Strafkammer des Landgerichts Ka. vom 28. Juli 2003
mit der Begründung eingestellt, dass der im strafrechtlichen Verfahren erkannte
Schmerzensgeldbetrag auf den wesentlich höheren Betrag aus dem Zivilurteil
anzurechnen sei und dass es deshalb keiner weiteren strafrechtlichen
Sanktionierung bedürfe. Das beklagte Land zog Entlassungsberichte des
Städtischen Krankenhauses Ka. vom 26. August 1999 und des
Universitätsklinikums Ka. vom 14. September 2000 bei. Außerdem holte das
beklagte Land Auskünfte zu Vorstrafen des Klägers und des Ma. B. zu möglichen
Vorstrafen aus dem Bundeszentralregister ein. Beim Arbeitsamt Ka. zog das
beklagte Land das arbeitsamtsärztliche Gutachten der Dr. Ba. vom 28. März 2001
bei und veranlasste schließlich das Gutachten der Ärztin für Neurologie Dr. P. vom
27. März 2002 mit einer ergänzenden Stellungnahme vom 19. Juni 2002 sowie das
Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. Bb. vom 20. November
2002. Ferner holte das beklagte Land Befund- und Behandlungsberichte des
Arztes für Allgemeinmedizin Ga. vom 14. August 2003 und des Arztes für
Neurologie und Psychiatrie Dr. Gb. vom 26. August 2003 ein. Weitere medizinische
Unterlagen lagen dem beklagten Land aufgrund der beigezogenen Akten des
Amtsgerichts Ka. und des Landgerichts Ka. vor.
Mit Bescheid vom 18. September 2003 lehnte das beklagte Land den Antrag des
Klägers ab und führte zur Begründung im Wesentlichen aus: Herr K. habe in der
Hauptverhandlung vor dem Jugendgericht in Ka. angegeben, er und der Kläger
hätten sich gestritten. Der Kläger habe zuschlagen wollen. Sein Freund H. habe ihn
weggezogen. Der Kläger sei wieder auf Herrn K. zugekommen. Bevor der Kläger
diesen geschlagen habe, habe Herr K. den Kläger auf die rechte Seite seines
Kiefers geschlagen. Dann sei der Kläger umgefallen. Auf Nachfrage habe Herr K.
angegeben, der Kläger sei „durchgedreht“ und habe „gezappelt“. Der Kläger sei
wieder auf ihn zugekommen und habe die Arme schnell bewegt. Man habe
gesehen, dass der Kläger habe zuschlagen wollen. Der Zeuge H. Ta. habe in der
Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht erklärt, er habe gesehen, wie die rechte
Hand des Klägers habe zuschlagen wollen. Er, H. Ta., habe Herrn K. zur Seite
gezogen. Der Kläger habe noch einmal versuchen wollen, Herrn K. zu schlagen.
Herr K. sei aber schneller gewesen und habe dem Kläger „mit links eine gelangt“.
In dem nicht rechtskräftig gewordenen Urteil vom 4. Juli 2001 sei das Amtsgericht
Ka. davon ausgegangen, dass der Kläger nach einem Funkspruch des Klägers mit
der Faust auf die linke Kopfseite geschlagen worden sei. Der Kläger sei „wie ein
Brett“ zu Boden gegangen und mit dem Hinterkopf aufgeschlagen. In dem
anschließenden Berufungsverfahren vor der Großen Strafkammer des
Landgerichts Ka. sei das Verfahren durch Beschluss vom 28. Juli 2003 eingestellt
worden. Die Einlassung des Beschuldigten, in Notwehr gehandelt zu haben, sei ihm
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worden. Die Einlassung des Beschuldigten, in Notwehr gehandelt zu haben, sei ihm
nicht widerlegt worden. Das Landgericht Ka. habe im Zivilverfahren gegen Herrn K.
festgestellt, dass über den weiteren Hergang des Geschehens nach dem
Zusammentreffen am 25. August 1999 bei der D.-Tankstelle zwischen den
Parteien Streit herrsche. In der Folge sei es jedoch unstreitig dazu gekommen,
dass Herr K. dem Kläger ins Gesicht geschlagen habe, so dass dieser mit dem
Hinterkopf auf den Betonboden aufgeschlagen und bewusstlos geworden sei. Von
Amts wegen sei eine weitere Aufklärung des Sachverhalts nicht möglich. Damit
stehe zum konkreten Hergang des schädigenden Vorganges Aussage gegen
Aussage. Auch wenn es in der Folge dazu gekommen sei, dass Herr K. den Kläger
ins Gesicht schlug, so sei nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen, dass
der Kläger Herrn K. durch sein eigenes Verhalten provoziert habe oder dass Herr
K., wie von ihm behauptet, in Notwehr bzw. Putativ-Notwehr gehandelt habe.
Darüber hinaus sei nach dem Ergebnis der Ermittlungen auch nicht feststellbar, ob
der Kläger es unterlassen habe, eine sich zuspitzende Situation erhöhter
Gefahrgeneigtheit zu meiden, obwohl ihm dies nach den Gesamtumständen des
Hergangs möglich und auch zumutbar gewesen wäre und ob nicht unter
Würdigung aller Umstände des Einzelfalles ein Anspruch auf Versorgung nach § 2
Abs. 1 OEG zu versagen wäre. Diese Beweislosigkeit gehe nach dem Grundsatz
der objektiven Beweislast zu Lasten des Klägers, so dass der Antrag abgelehnt
werden müsse.
Den dagegen eingelegten Widerspruch wies das beklagte Land mit
Widerspruchsbescheid vom 9. Januar 2004 im Wesentlichen aus den Gründen des
angefochtenen Bescheides zurück.
Dagegen hat sich der Kläger mit der am 6. Februar 2004 bei dem Sozialgericht Ka.
erhobenen Klage gewandt und sich zur Begründung auf die vom Inhalt der
angefochtenen Bescheide abweichenden Feststellungen des Amtsgerichts Ka. aus
dem Urteil vom 4. Juli 2001 sowie der 6. Zivilkammer des Landgerichts Ka. aus
dem Urteil vom 22. März 2003 bezogen. Entgegen der Auffassung des beklagten
Landes habe er weder die Schädigung verursacht noch habe es sonstige in seinem
Verhalten liegende Gründe gegeben, die zur Unbilligkeit der Entschädigung führen
würden. Zur Einstellung des Strafverfahrens durch das Landgericht sei es nicht
etwa deshalb gekommen, weil von einer Notwehr- oder Putativ-Notwehr-Situation
ausgegangen worden sei, sondern allein, weil im zivilrechtlichen Verfahren bereits
eine Verurteilung des Schädigers zu einem Schmerzensgeld in erheblicher Höhe
ergangen sei. Der Vortrag des Schädigers K., wonach dieser in Notwehr bzw.
Putativ-Notwehr gehandelt habe, sei stets eine reine Schutzbehauptung gewesen.
Tatsächlich gebe es dafür keinerlei Anhaltspunkte. Die entsprechenden
Bekundungen des Zeugen Ta. seien widersprüchlich. Er habe den Sachverhalt im
Strafverfahren und im Zivilverfahren unterschiedlich geschildert. Er, der Kläger,
habe keinerlei Anlass für eine Auseinandersetzung gegeben. Die angebliche
Beleidigung des Herrn K., die ohnehin nicht von ihm stamme, habe einen weit vor
der Tat liegenden Zeitraum betroffen. Das Aufeinandertreffen bei der D.-Tankstelle
sei rein zufällig erfolgt. Er, der Kläger, habe noch versucht klarzustellen, dass er
jenen Funkspruch niemals abgesetzt habe. Er habe sich abgewandt, um einer
Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen. Er sei unmittelbar darauf geschlagen
worden und zu Boden gegangen. Dabei habe er ein Schädelhirntrauma erlitten. Es
bestehe eine Hirnleistungsminderung, ein Anfallsleiden sowie der Verlust des
Riechvermögens. Wegen des Anfallsleidens habe er seine Umschulung zum
Dachdecker abbrechen müssen. Seitdem sei er arbeitslos und schwerbehindert
und habe ganz erhebliche Schwierigkeiten bei der Berufswahl.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid des beklagten Landes vom 18. September 2003 in der
Fassung des Widerspruchsbescheides vom 9. Januar 2004 aufzuheben und das
beklagte Land zu verpflichten, ihm wegen einer am 26. August 1999 erlittenen
Verletzung Beschädigtenversorgung nach dem Gesetz über die Entschädigung für
Opfer von Gewalttaten (OEG) zu bewilligen.
Das beklagte Land hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sich das beklagte Land auf den Inhalt der angefochtenen
Bescheide bezogen.
Mit Urteil vom 31. Januar 2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur
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Mit Urteil vom 31. Januar 2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur
Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Gewährung einer Entschädigung an
den Kläger wäre angesichts der gesamten Situation des Geschehens unbillig im
Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG. Deshalb seien Leistungen nach diesem Gesetz
zu versagen. Das Gericht folge den überzeugenden Ausführungen des beklagten
Landes im Bescheid vom 18. September 2003 und sehe insoweit von einer
wiederholenden Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 136 Abs. 3 SGG
ab. Die Unbilligkeit folge nach Auffassung des Gerichts bereits daraus, dass der
Kläger in der Tatnacht jedenfalls eine Situation erhöhter Gefahrgeneigtheit hätte
vermeiden können und müssen. Zwischen den Beteiligten sei zwar streitig, ob der
Kläger lediglich überraschend von Herrn K. geschlagen worden sei oder ob der
Kläger selbst zuvor versucht habe, den „Zeugen K.“ ebenfalls zu schlagen und ob
damit eine Notwehrsituation bestanden habe. Dies ergebe sich im Einzelnen aus
den in den beigezogenen Akten enthaltenen Zeugenaussagen. Es sei jedoch nicht
erforderlich, die dort gehörten Zeugen in der mündlichen Verhandlung nochmals
zu dem Geschehen anzuhören. Der „Zeuge K.“ habe am 2. August 2000 im
Strafverfahren angegeben, dass der Kläger durchgedreht und auf ihn
zugekommen sei. Dies sei durch den Zeugen Ta. in derselben Verhandlung
bestätigt worden. Dieser habe gesehen, wie der Kläger mit der rechten Hand habe
zuschlagen wollen und dies nochmals habe versuchen wollen. Der Kläger habe dies
in der Sitzung bestritten. Die Zeugen Pa. und B. hätten die Auseinandersetzung
nicht im Einzelnen gesehen. Der Zeuge Ab. habe nur angegeben, dass die
Beteiligten Streit gehabt hätten. Die übrigen befragten Zeugen hätten jeweils zu
dem Sachverhalt auf dem Gelände der Tankstelle nichts aussagen können. Für die
Kammer sei dies jedoch nicht weiter aufzuklären, weil unstreitig die Beteiligten seit
1998 bereits im Zusammenhang mit den Geschehnissen um den CB-Funkspruch
und einer behaupteten Beleidigung sowie in der S.Straße und auf dem T.Ring eine
Auseinandersetzung führten, die ein Spannungsverhältnis zwischen den
Beteiligten aufgebaut habe. Die Geschehnisse um den CB-Funkspruch, der
Hergang in der S.Straße sowie auf dem T.Ring seien grundsätzlich zwischen den
Beteiligten nicht streitig. Als der Kläger vor diesem Hintergrund am 26. August
1999 auf dem Gelände der Tankstelle nachts den „Zeugen K.“ angetroffen habe,
habe aus Sicht des Gerichts mindestens angesichts der bisherigen
Vorkommnisse, unabhängig von dem genauen Ablauf einer erst wörtlichen und
später tätlichen Auseinandersetzung, eine Situation wirklich erhöhter
Gefahrgeneigtheit bestanden. Der Kläger habe schon beim Befahren des
Tankstellengeländes und dem Erkennen des Herrn K. aus den vorherigen
Auseinandersetzungen gewusst, dass sich dieser mit ihm auch körperlich habe
auseinandersetzen wollen. Dem Kläger habe angesichts der Aggressivität der
Beteiligten schon nach der Schilderung der vorherigen Geschehnisse bewusst sein
müssen, dass eine möglicherweise zunächst beabsichtigte nur wörtliche
Aussprache auch jederzeit in eine tätliche Auseinandersetzung, insbesondere mit
Herrn K., einmünden könnte. In dieser Situation stehe für das Gericht die erhöhte
Gefahrgeneigtheit fest. Der Kläger hätte ausweichen können und müssen. Allein
deshalb erweise sich die Gewährung einer Opferentschädigung an den Kläger als
unbillig.
Gegen das ihm am 26. Juni 2007 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit der
am 20. Juli 2007 beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht
eingegangenen Berufung, zu deren Begründung er sein Vorbringen aus dem
erstinstanzlichen Verfahren wiederholt und vertieft. Das Sozialgericht sei zu
Unrecht davon ausgegangen, dass er sich wissentlich in eine Situation erhöhter
Gefahrgeneigtheit begeben habe, als er auf das Tankstellengelände gefahren sei.
Das Sozialgericht habe nicht geprüft, ob seinerzeit eine Ausweichmöglichkeit
bestanden habe. Es habe ohne entsprechende Anhaltspunkte unterstellt, dass er
schon beim Einfahren in die Tankstelle gewusst und gesehen habe, dass dort der
spätere Schädiger auf ihn warten würde. Tatsächlich sei er, der Kläger, jedoch
zunächst auf dem Tankstellengelände gewesen und dort ausgestiegen, um sich
Getränke zu kaufen. Zu diesem Zeitpunkt habe er nicht ahnen können, dass der
Schädiger dort auftauchen würde. Er habe zudem geringe Einflussmöglichkeiten
gehabt, da er von einem Bekannten mitgenommen worden und nicht selbst
gefahren sei. Aus diesem Grunde habe er zum Zeitpunkt des Auftauchens des
späteren Schädigers keine Möglichkeit mehr gehabt, einer Begegnung mit diesem
auszuweichen. Dieser sei aus dem Fahrzeug ausgestiegen, auf ihn zugekommen
und habe begonnen, ihn anzupöbeln. Er habe darauf nur erwidert, man möge ihn
in Ruhe lassen und sich umgedreht. In diesem Moment habe der Schädiger völlig
unvermittelt zugeschlagen, so dass er zu Boden gegangen sei und sich dabei die
bekannten erheblichen Verletzungen zugezogen habe. Dieser Geschehensablauf
ergebe sich auch aus den Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft. Aus dem
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ergebe sich auch aus den Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft. Aus dem
Urteil des Amtsgerichts werde zudem ersichtlich, dass der Schädiger nicht in
Notwehr gehandelt habe. Er sei völlig schuldlos in die Situation geraten und habe
keinerlei Ausweichmöglichkeiten gehabt. Die jederzeit bestehende Gefahr eines
zufälligen Zusammentreffens mit dem Schädiger hätte er nur vermeiden können,
wenn er sich ständig zu Hause aufgehalten hätte. Das wäre ihm nicht zumutbar
gewesen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 31. Januar 2007 sowie den Bescheid
des beklagten Landes vom 18. September 2003 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 9. Januar 2004 aufzuheben und das beklagte Land
zu verurteilen bei ihm als Folgen der Gewalttat vom 25./26. August 1999 als
Schädigungsfolgen anzuerkennen:
- leichtgradige posttraumatische Hirnleistungsminderung mit
Einschränkung der Umstellungs- und Konzentrationsfähigkeit und
Zeitgitterstörungen
- vollständiger Verlust des Riechvermögens und Einschränkung des
Geschmacksinnes
- für die Zeit bis zum 30. November 2006: posttraumatisches
cerebrales Anfallsleiden
und ihm für die Zeit vom 1. August 1999 bis November 2006
Entschädigungsleistungen nach einem GdS von 60 zu gewähren und für die Zeit
danach Entschädigungsleistungen nach einem GdS von 50 zu gewähren.
Das beklagte Land beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung bezieht sich das beklagte Land auf die Entscheidungsgründe des
sozialgerichtlichen Urteils und führt ergänzend aus: Auch unter Zugrundelegung
des im Urteil des Amtsgerichts Ka. vom 4. Juli 2001 geschilderten Sachverhalts
wäre es dem Kläger möglich gewesen, die sich zuspitzende Situation erhöhter
Gefahrgeneigtheit zu meiden. Ihm sei bekannt gewesen, dass der spätere
Schädiger ihn seit längerer Zeit gesucht habe, da er eine Beleidigung gegen
dessen Mutter ausgesprochen habe. Bei dieser Sachlage könne die staatliche
Gemeinschaft für die vom Kläger erlittene Gesundheitsstörung nicht einstehen, da
der Kläger den Angriff durch sein eigenes vorausgegangenes Verhalten zumindest
mit verursacht habe. Daher seien die Leistungen nach § 2 Abs. 1 OEG zu
versagen.
Die den Kläger betreffenden Verwaltungsakten des beklagten Landes, die Akten
des Landgerichts Ka. zum Aktenzeichen 6 O 323/02 sowie die Akten des
Amtsgerichts Ka. zum Aktenzeichen 32 Ls Jug 568 Js 717/00 HW sowie die Akten
des Sozialgerichts Ka. zum Aktenzeichen S 10 SB 22/04 haben dem Senat ebenso
wie die Prozessakte vorgelegen. Diese sind Gegenstand der mündlichen
Verhandlung und Beratung gewesen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf ihren
Inhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die statthafte (§ 143 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) und fristgerecht (§ 151 SGG)
eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist auch begründet. Der Kläger
hat Anspruch auf Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) wegen
des Ereignisses vom 26. August 1999.
Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält in entsprechender Anwendung der
Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) auf Antrag Versorgung, wer
im Geltungsbereich dieses Gesetzes infolge eines vorsätzlichen rechtswidrigen
Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige
Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Diese Voraussetzungen sind
im vorliegenden Fall erfüllt.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts Ka. aus dem Urteil vom 4. Juli 2001,
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Nach den Feststellungen des Amtsgerichts Ka. aus dem Urteil vom 4. Juli 2001,
denen sich der Senat in vollem Umfang anschließt, hat der Schädiger, Y. K., den
Kläger angegriffen, indem er ihn mit der Faust gegen die linke Seite des Kopfes
geschlagen hat. Der Kläger ist daraufhin zu Boden gegangen und mit dem
Hinterkopf aufgeschlagen. Der Senat geht ebenfalls in Übereinstimmung mit der
genannten Entscheidung des Amtsgerichts Ka. davon aus, dass der Angriff
rechtswidrig war und dass insbesondere keine Notwehr im Sinne des § 32
Strafgesetzbuch (StGB) vorgelegen hat. Das Amtsgericht Ka. ist für den Senat in
jeder Hinsicht nachvollziehbar davon ausgegangen, dass es sich bei der
Schilderung einer Notwehrsituation durch den einschlägig vorbestraften Y. K.
(Angeklagter des dortigen Verfahrens) um eine Schutzbehauptung handelt und
dass die Aussage des Zeugen Ta. den Versuch darstellt, diesen entgegen des
wahren Geschehensablaufs zu schützen. Die Angaben des Angeklagten und des
Zeugen Ta. in dem Verfahren vor dem Amtsgericht Ka. waren widersprüchlich.
Anders als der Zeuge Ta. hat der Angeklagte nicht angegeben, dass es bereits
Schläge von Seiten des Klägers gegeben habe, bevor er, Y. K., sich durch einen
Faustschlag zur Wehr gesetzt habe, sondern vielmehr habe der Kläger seine Arme
nur in einer Weise bewegt, dass er, Y. K., habe fürchten müssen, dass der Kläger
im nächsten Moment zuschlagen werde. Er habe den Kläger deshalb zur Abwehr
eines insofern vorgestellten Angriffs geschlagen. Diese Angaben standen im
Widerspruch zu der Aussage des Zeugen Ta., der davon berichtet hatte, dass es
erst einen Schlag des Klägers gegeben und dieser dann sogar noch einen zweiten
Schlag ausgeführt habe, bevor es zur Gegenwehr des Y. K. gekommen sei. Im
Übrigen standen die Angaben des Y. K., er habe den Geschädigten mit der linken
Faust auf die rechte Gesichtshälfte geschlagen im Widerspruch zu dem Ergebnis
der Ermittlungen des Amtsgerichts auf medizinischem Gebiet. Der medizinische
Sachverständige hat vor dem Amtsgericht dargelegt, dass die Verletzungen durch
einen Schlag auf die linke Gesichtshälfte entstanden sein müssten. Der Umstand,
dass die Schlagverletzungen nachweislich auf der linken Gesichtshälfte des
Geschädigten stattgefunden haben, spricht für die Darstellung des Klägers, nach
der der Schlag erst in dem Moment erfolgt ist, in dem er sich abgewandt hat. Nur
so ist auch erklärlich, dass ein mit der linken Hand geführter Schlag bei einem
gegenüberstehenden Kontrahenten die linke Gesichtshälfte trifft. Auch dass der
Kläger nach dem Schlag „wie ein Brett umgefallen“ ist, spricht dafür, dass ihn der
Schlag unvorbereitet getroffen hat. Vor diesem Hintergrund ist das Amtsgericht
nachvollziehbar davon ausgegangen, dass sich der Sachverhalt so zugetragen
hat, wie er vom Kläger geschildert worden ist. Danach ist es nicht der Kläger
gewesen, der auf Y. K. zugegangen ist. Ferner geht der Senat in Übereinstimmung
mit den Feststellungen des Amtsgerichts davon aus, dass Y. K. den Kläger auf
dem Gelände der Tankstelle gesehen hat, noch bevor der Kläger auf Y. K.
aufmerksam geworden war.
Dass die Beweiswürdigung durch das Amtsgericht Ka. nicht zu beanstanden ist,
wird auch in dem den Antrag des Schädigers auf Prozesskostenhilfe ablehnenden
Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 18. November
2002 (11 W 42/02) bestätigt.
Damit im Einklang stehen die Feststellungen der 6. Zivilkammer des Landgerichts
Ka. aus dem rechtskräftigen Urteil vom 27. Mai 2003. Danach ist dem Angriff des
Schädigers kein Angriff des Klägers vorausgegangen. Die davon abweichenden
Angaben, die der auch vor dem Landgericht Ka. als Zeuge vernommene H. Ta.
gemacht hat, waren widersprüchlich. So hat der Zeuge Ta. vor dem Landgericht
zunächst angegeben, im Auto sitzengeblieben zu sein. Erst auf Vorhalt seiner
Aussage aus dem Strafverfahren gegen den Schädiger hat er angegeben, es
könne auch so gewesen sein, dass er aus dem Auto ausgestiegen sei. Sobald dem
Zeugen konkrete Vorhalte gemacht worden sind, hat er sich bei seiner
Vernehmung vor dem Landgericht Ka. nur vage dahin geäußert, dass dies möglich
gewesen sei und er sich an nichts Konkretes mehr erinnern könne.
Abweichend von den Feststellungen, die das Amtsgericht Ka. in dem oben
genannten Strafverfahren getroffen hat und auch abweichend von den
Feststellungen der 6. Zivilkammer des Landgerichts Ka. hat das beklagte Land
seinen Feststellungen zum Sachverhalt die Aussagen des Angeklagten aus dem
Strafverfahren und seines Bekannten, des Zeugen H. Ta. zugrunde gelegt. Das
beklagte Land ist damit von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen.
Entsprechendes gilt für die Angabe in dem Bescheid des beklagten Landes vom
18. September 2003, nach der das Strafverfahren gegen den Schädiger mit der
Begründung eingestellt worden sein soll, dass ihm die Einlassung, in Notwehr
gehandelt zu haben, nicht widerlegt worden sei. Aus den Gründen des
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gehandelt zu haben, nicht widerlegt worden sei. Aus den Gründen des
Einstellungsbeschlusses der Großen Strafkammer des Landgerichts Ka. vom 28.
Juli 2003 geht eindeutig hervor, dass das Strafverfahren allein deshalb eingestellt
worden ist, weil der Kläger durch das rechtskräftige Urteil des Landgerichts Ka.
bereits zu einem wesentlich höheren Schmerzensgeld verurteilt worden war als in
dem Strafverfahren vor dem Amtsgericht Ka.. Für die dem entgegenstehende
Auffassung des beklagten Landes, dass das Verfahren eingestellt worden sei, weil
das Vorliegen einer Notwehrlage nicht habe widerlegt werden können, enthalten
die vorliegenden Akten keine Grundlage. Dies ist im Berufungsverfahren nach
einem entsprechenden gerichtlichen Hinweis auch von der Beklagten nicht mehr in
Zweifel gezogen worden, die nun ebenfalls vom Vorliegen der Voraussetzungen
des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG und damit auch vom Vorliegen eines gegen den Kläger
gerichteten rechtswidrigen Angriffs ausgeht.
Entgegen der Auffassung des beklagten Landes und der Auffassung des
Sozialgerichts liegen Versagungsgrunde im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG nicht
vor. Nach dieser Vorschrift sind Leistungen zu versagen, wenn der Geschädigte die
Schädigung verursacht hat (erste Alternative) oder wenn es aus sonstigen
Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren (zweite Alternative).
Bei der Mitverursachung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative OEG handelt es sich
um einen Sonderfall der Unbilligkeit. Sie ist in der ersten Alternative abschließend
geregelt, wenn nur die unmittelbare Tatbeteiligung des Geschädigten als
Leistungsausschlussgrund in Betracht kommt (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG,
Urt. v. 6. Dezember 1989 - 9 RVg 2/89, BSGE 66, 115 = SozR 3800 § 2 Nr. 7).
Diese Alternative ist stets zuerst zu prüfen (BSG, Urt. v. 18. April 2001 - B 9 VG
3/00 R, BSGE 88, 96 = SozR 3-3800 § 2 Nr. 10, m. w. N.). Zum Bereich der
Mitursächlichkeit gehören alle unmittelbaren, nach natürlicher Betrachtungsweise
mit dem eigentlichen schädigenden Tatgeschehen insbesondere auch zeitlich eng
verbundenen Umstände, während alle nicht unmittelbaren, lediglich
erfolgsfördernden Umstände, wie typischerweise die Vorgeschichte der
eigentlichen Gewalttat, im Rahmen der Unbilligkeit zu prüfen sind. Ein
Leistungsausschluss nach § 2 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative OEG kommt nur in
Betracht, wenn das Verhalten des Opfers wesentlich mitursächlich im Sinne der im
Versorgungs- und Entschädigungsrecht geltenden Kausalitätsnorm, d. h. in etwa
gleichwertig mit dem Tatbeitrag des Schädigers gewesen ist (BSG, Urt. v. 18. April
2001, a. a. O.). Das ist anzunehmen, wenn sich das Opfer bei seinem
Ursachenbeitrag in ähnlich schwerer Weise gegen die Rechtsordnung vergangen
hat wie der vorsätzlich handelnde Gewalttäter. In Fällen, in denen das Opfer in der
zu beurteilenden Situation selbst einen strafrechtlichen Tatbestand verwirklicht
hat, beurteilt das Bundessozialgericht die Vergleichbarkeit nach der
strafrechtlichen Einordnung der Tatbeiträge von Opfer und Angreifer (vgl. BSG, Urt.
v. 15. August 1996 - 9 RVg 6/94, BSGE 79, 87 = SozR 3-3800 § 2 Nr. 5; BSG, Urt.
v. 6. Dezember 1989 - 9 RVg 2/89, BSGE 66, 115 = SozR 3-3800 § 2 Nr. 7). Auch
wenn das Opfer der Gewalttat nicht selbst einen Straftatbestand erfüllt hat, kann
ein Leistungsausschluss wegen Mitverursachung in Betracht kommen, wenn sich
der Geschädigte etwa durch Provokation entweder grob fahrlässig (leichtfertig)
oder gar vorsätzlich (bewusst) der Gefahr einer Gewalttat ausgesetzt und dadurch
selbst gefährdet hat (vgl. BSG, Urt. v. 21. Oktober 1998 - B 9 VG 6/97 R - BSGE 83,
62 = SozR 3-3800 § 2 Nr. 9). In diesem Zusammenhang ist nach der
Rechtsprechung des BSG zu prüfen, ob der Angriff nach Art und Schwere der
Provokation - objektiv - verhältnismäßig war und ob der Geschädigte - subjektiv -
mit einer so schweren Gewalttat hätte rechnen müssen (BSG, Urt. v. 1.
September 1999 - B 9 VG 3/97 R -; BSG, Urt. v. 15. August 1996, a. a. O.; BSG,
Urt. v. 21. Oktober 1998 - B 9 VG 2/97 R - SozR 3-1500 § 128 Nr. 12).
Für eine diesen Maßstäben entsprechende Mitverursachung des Klägers in
unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Tat gibt es vorliegend keine
Anhaltspunkte. Der Auffassung des Sozialgerichts, nach der sich der Kläger in eine
Situation erhöhter Gefahrgeneigtheit begeben habe, liegt offenbar die
unzutreffende Annahme zugrunde, dass sich der Kläger auf das Gelände der D.-
Tankstelle begeben habe, nachdem sich der späterer Schädiger, Y. K., dort bereits
eingefunden hatte. Davon abweichend und in Übereinstimmung mit den
Feststellungen, die das Amtsgericht Ka. seiner Entscheidung vom 4. Juli 2001
zugrunde gelegt hat, geht der Senat davon aus, dass sich der Kläger zuerst auf
dem Tankstellengelände befunden hat und dass es nicht der Kläger war, der sich
zu dem späteren Schädiger begeben hat, sondern dass umgekehrt der Schädiger,
Y. K., von anderen Personen auf den Kläger aufmerksam gemacht worden war,
dass sich Y. K. dann zum Kläger begeben und diesen angesprochen hat. Der
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dass sich Y. K. dann zum Kläger begeben und diesen angesprochen hat. Der
Kläger weist nach Auffassung des Senats im Übrigen zutreffend darauf hin, dass er
zu diesem Zeitpunkt kaum noch eine Möglichkeit gehabt haben dürfte, sich einem
Zusammentreffen mit dem Y. K. zu entziehen. In diesem Zusammenhang ist auch
darauf hinzuweisen, dass der Kläger nach seinen nachvollziehbaren und mit den
Zeugenaussagen im Strafverfahren übereinstimmenden Angaben lediglich als
Beifahrer des Ma. B. auf das Gelände der Tankstelle gekommen ist und dass der
Fahrer, Ma. B., weggelaufen war, unmittelbar nachdem er das Erscheinen des Y. K.
bemerkt hatte.
Auch ein Fall der Unbilligkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1, 2. Alternative OEG
liegt nicht vor. Der Begriff der Unbilligkeit ist als unbestimmter Rechtsbegriff so zu
konturieren, dass die darauf beruhende Gegennorm den Leistungsausschluss
gegenüber dem Rechtsanspruch aus § 1 OEG rechtfertigt (BSG, Urt. v. 7.
November 1979 - 9 RVg 2/78, BSGE 49, 104, 107 = SozR 3800 § 2 Nr. 1; BSG, Urt.
v. 21. Oktober 1998 - B 9 VG 6/97 R - BSGE 83, 62, 65 = SozR 3-3800 § 2 Nr. 9).
Nach ständiger Rechtsprechung des BSG führen nur solche Gründe zur
Unbilligkeit, die dem in der 1. Alternative des § 2 Abs. 1 OEG genannten Fall der
Mitverursachung an Bedeutung annähernd gleichkommen (BSG, Urt. v. 7.
November 2001 - B 9 VG 2/01 R, BSGE 89, 75 = SozR 3-3800 § 2 Nr. 11, m. w. N.).
Der Maßstab hierfür ergibt sich aus dem gesetzlichen Zweck der
Gewaltopferentschädigung, aus verfassungsrechtlichen Wertungen, aus Prinzipien
der Gesamtrechtsordnung und aus viktimologischen Erkenntnissen. Im Rahmen
der zweiten Alternative sind insbesondere auch die lediglich mittelbaren Ursachen
der Gewalttat wie typischerweise die Vorgeschichte zu prüfen. Ein Tatbeitrag des
Gewaltopfers, der unter der Schwelle der versorgungsausschließenden
Mitverursachung bleibt, kann zusammen mit anderen Ursachen die Gewährung
von Leistungen als unbillig erscheinen lassen. Gefordert ist dann, dass die
„sonstigen Umstände“ zusammen mit dem für sich genommen nicht
ausreichenden Tatbeitrag dem in der ersten Alternative genannten Grund der
Mitverursachung an Bedeutung annähernd gleichkommen (BSG, Urt. v. 6. Juli 2006
- B 9a VG 1/05 R, SozR 4-3800 § 2 Nr. 1; BSG, Urt. v. 29. März 2007 - B 9a VG 2/05
R, zur Veröffentlichung vorgesehen für BSGE und SozR 4).
Zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Unbilligkeit im Sinne der
zweiten Alternative des § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG hat das BSG in ständiger
Rechtsprechung vier Fallgruppen gebildet (vgl. zuletzt BSG, Urt. v. 29. März 2007,
a. a. O.):
1. eine im Vorfeld der Tat liegende rechtsfeindliche Betätigung, mit der sich
das spätere Opfer außerhalb der staatlichen Gemeinschaft stellt;
2. die sozialwidrige mit speziellen Gefahren verbundene Zugehörigkeit zum
Kreis der Alkohol- oder Drogenkonsumenten, wenn die Tat aus diesem Milieu
entstanden ist;
3. das bewusste oder leichtfertige Eingehen einer Gefahr, der sich das Opfer
ohne Weiteres hätte entziehen können, es sei denn für dieses Verhalten läge ein
rechtfertigender Grund vor und
4. eine durch die Versorgung entstehende Begünstigung des Täters.
Für eine im Vorfeld der Tat liegende rechtsfeindliche Betätigung des Klägers, wozu
nach ständiger Rechtsprechung insbesondere die Zugehörigkeit zum Bereich der
organisierten Kriminalität gezählt wird, bestehen auch unter Berücksichtigung der
Verurteilung des Klägers wegen Computerbetrugs in drei Fällen und Hehlerei mit
Urteil des Amtsgerichts Ka. vom 5. November 1997 wegen einer zuletzt am 19.
Juni 1995 begangenen Tat (vgl. den von der Beklagten eingeholten Auskunft aus
dem Zentralregister und aus dem Erziehungsregister, Bl. 86 der Verwaltungsakte)
keine Anhaltspunkte. Entsprechendes gilt für die o.g. 4. Fallgruppe. Die Tat ist auch
nicht aus dem Milieu der Alkohol- und Drogenkonsumenten heraus verübt worden
und der Kläger war zum Zeitpunkt der Tat nicht einem solchen Milieu zuzuordnen.
Der Kläger kannte den Schädiger zum Zeitpunkt der Tat nur flüchtig. Für eine
Zugehörigkeit des Klägers zum Kreis der Alkohol- oder Drogenkonsumenten zum
Zeitpunkt der Tat bestehen keine Anhaltspunkte. Der Kläger hat auch in der
mündlichen Verhandlung nachvollziehbar dargelegt, dass es zu einem
vorübergehenden übermäßigen Alkoholkonsum und dem „Herumtreiben“ in
Kneipen erst nach der Gewalttat gekommen ist. Die Tatsache, dass bei dem
Kläger unmittelbar nach der Tat eine Blutalkoholkonzentration von 0,88 ‰
gemessen worden ist, spricht nicht für eine Zugehörigkeit zum Kreis der Drogen-
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gemessen worden ist, spricht nicht für eine Zugehörigkeit zum Kreis der Drogen-
oder Alkoholkonsumenten und einem Entstehen der Tat aus einem solchen Milieu
heraus.
Entgegen der Auffassung der Beklagten und auch des Sozialgerichts liegt auch
keine Unbilligkeit wegen bewussten oder leichtfertigen Eingehens einer Gefahr vor,
der sich das Opfer ohne Weiteres hätte entziehen können. Dem steht bereits
entgegen, dass eine Möglichkeit des Klägers, sich der Gefahr ohne Weiteres zu
entziehen, nicht erkennbar ist, weil es - wie oben dargelegt - nicht der Kläger war,
der sich zu dem Y. K. begeben hat. Vielmehr ist der spätere Schädiger, Y. K., nach
dem Kläger auf dem Tankstellengelände eingetroffen und hat sich zu dem Kläger
begeben, und es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser zu diesem
Zeitpunkt noch eine Möglichkeit gehabt hätte, sich einem Zusammentreffen mit
dem Y. K. zu entziehen. Ferner kann dem Kläger nicht entgegengehalten werden,
dass er den Schädiger durch eine vorangegangene Beleidigung provoziert habe.
Abgesehen davon, dass es sich bei einer Beleidigung - gerade wenn sie wie im
vorliegenden Fall bereits mehr als ein Jahr zurückliegt - keinesfalls um einen
gleichwertigen Tatbeitrag des Opfers einer Gewalttat gehandelt haben kann, kann
die Beleidigung des späteren Schädigers dem Kläger nicht entgegengehalten
werden, weil nicht festgestellt werden kann, dass er den Funkspruch mit dem
beleidigenden Inhalt abgegeben hat. Bei der Vernehmung vor dem Amtsgericht
Ka. haben sich der Kläger und der Ma. B. gegenseitig beschuldigt, den Funkspruch
abgesetzt zu haben. Auch die Vernehmung weiterer Zeugen hat keine Klarheit zu
der Frage erbracht, wer den Funkspruch abgesetzt hat. Vor diesem Hintergrund
hat das Amtsgericht diese Frage offen gelassen. Auch der Senat sieht keine
Möglichkeit, diese Frage - inzwischen mehr als zehn Jahre nach dem angeblichen
Funkspruch - aufzuklären. Die Beteiligten haben dazu auf ausdrückliches Befragen
zu weiteren für erforderlich gehaltenen Ermittlungen keine Einwände erhoben.
Entgegen der Auffassung, die das beklagte Land in dem angefochtenen Bescheid
vom 18. September 2003 vertreten hat, hat nach dem auch im sozialgerichtlichen
Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast nicht der Kläger,
sondern das beklagte Land die Beweislast bezogen auf das Vorliegen von
Versagungsgründen nach § 2 OEG zu tragen (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG,
Urt. v. 18. Juni 1996 - 9 RVg 7/94 - SozR 3-3800 § 2 Nr. 4 = BSGE 78, 270; BSG,
Urt. v. 25. März 1999 - B 9 VG 5/97 R -, juris Rz. 12). Daher kann dem Kläger auch
nicht die - nicht beweisbare - Beleidigung des Schädigers entgegengehalten
werden.
Feststeht allerdings, dass sich der Schädiger und der Kläger aus dem fahrenden
Kraftfahrzeug heraus mit Gaspistolen gegenseitig bedroht haben. Dabei hat der
Kläger eine Gaspistole des Ma. B. verwendet. Diese Konfrontation zwischen dem
Kläger und dem späteren Schädiger stellt nach Auffassung des Senats nach Art
und Schwere keine Provokation dar, die die mehrere Monate später verübte
Gewalttat objektiv verhältnismäßig erscheinen lassen würde und die den Kläger
hätte veranlassen müssen, auch noch nach diesem Zeitablauf mit der Gewalttat
zu rechnen. Im Übrigen kann - wie oben dargelegt - nicht festgestellt werden, dass
der Kläger eine Möglichkeit gehabt hätte, sich dem Zusammentreffen mit Y. K. in
der Nacht vom 25. auf den 26. August 1999 ohne Weiteres zu entziehen.
Da die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erfüllt sind und der
Entschädigung auch kein Versagungsgrund entgegensteht, hat der Kläger
Anspruch auf Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des
Bundesversorgungsgesetzes. Der Kläger hat Anspruch auf Versorgung für die Zeit
seit Beginn des Monats, in dem die Voraussetzungen erfüllt sind und damit seit
dem 1. August 1999, weil er den Antrag innerhalb eines Jahres gestellt hat (§ 60
Abs. 1 Satz 1, Satz 2 BVG). Für die Zeit vom 1. August 1999 bis zum 30.
November 2006 hat der Kläger Anspruch auf Versorgung nach einem Grad der
Schädigungsfolgen (GdS) von 60 und für die Zeit seit dem 1. Dezember 2006 nach
einem GdS von 40.
Gemäß § 30 Abs. 1 BVG ist der GdS nach den allgemeinen Auswirkungen der
Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten
körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in
allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der GdS ist nach Zehner-Graden von 10 bis
100 zu bemessen; ein bis zu 5 Grad geringerer GdS wird vom höheren Zehner-
Grad mit umfasst. Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu
berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum von bis zu sechs Monaten.
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Der GdS ist als Ausmaß der Behinderung unter Heranziehung der Anhaltspunkte
für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem
Schwerbehindertenrecht (AHP) in ihrer jeweils geltenden Fassung festzulegen (zur
Bemessung des GdB vgl. BSG, Urt. v. 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4
Nr. 19, m. w. N.; Bundesverfassungsgericht, Beschl. v. 6. März 1995 - 1 BvR 60/95
- SozR 3-3870 § 3 Nr. 6). Zwar beruhen die AHP weder auf Gesetz noch auf einer
Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften, sodass sie keinerlei
Normqualität haben. Dennoch sind sie als antizipierte Sachverständigengutachten
anzusehen, deren Beachtlichkeit im konkreten Verwaltungs- und Gerichtsverfahren
sich zum einen daraus ergibt, dass eine dem allgemeinen Gleichheitssatz
entsprechende Rechtsanwendung nur dann gewährleistet ist, wenn die
verschiedenen Behinderungen nach gleichen Maßstäben beurteilt werden; zum
anderen stellen die AHP 2008 - ebenso wie ihre Vorgänger - ein geeignetes, auf
Erfahrungswerten der Versorgungsverwaltung und Erkenntnissen der
medizinischen Wissenschaft beruhendes Beurteilungsgefüge zur Einschätzung des
GdS dar (zur Bemessung des GdB vgl. BSG, Urt. v. 18. September 2003 - B 9 SB
3/02 R - BSGE 91, 205 = SozR 4-3250 § 69 Nr. 2, m. w. N.). Die zur Bemessung
des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch
(SGB IX) ergangenen Entscheidungen des Bundessozialgerichts sind auch für das
soziale Entschädigungsrecht maßgebend, da sich die Begriffe „GdB“ und „GdS“
einander in der Regel entsprechen (BSG, Beschl. v. 24. April 2008 - B 9 VJ 7/07 B).
Der Kläger hat als Folge der Gewalttat vom 26. August 1999 sein Riechvermögen
vollständig verloren und es ist zu der damit verbundenen Beeinträchtigung der
Geschmackswahrnehmung gekommen. Daraus folgt unter Zugrundelegung der
Maßstäbe aus den AHP in der Fassung des Jahres 2008, Seite 62 und den damit
insoweit übereinstimmenden Fassungen der AHP aus den Jahren seit 1996 ein GdS
von 15. Darüber hinaus besteht bei dem Kläger als Folge der Gewalttat eine
posttraumatische Einschränkung der hirnorganischen Leistungsfähigkeit. Der
Kläger hat als Folge der Gewalttat vom 26. August 1999 ein Schädelhirntrauma
mit kontusioneller (substantieller) Hirnbeteiligung erlitten. Hinweise auf eine
hirnorganisch bedingte Leistungsminderung, die auf die Gewalttat zurückgeführt
werden kann, fanden sich bereits bei der Untersuchung des Klägers durch den
Diplom-Psychologen Dr. N. am 3. September 1999 (Arztbrief des Dr. N. vom 3.
September 1999), wobei zu diesem Zeitpunkt noch eine Besserung erwartet
werden konnte. Bei einer weiteren neuro-psychologischen Untersuchung vom 14.
Juni 2001 (Arztbrief des Dr. W. vom 15. Juni 2001) wurde ebenfalls eine Störung der
Aufmerksamkeit festgestellt, die von dem untersuchenden Arzt ursächlich auf das
Schädelhirntrauma von 1999 zurückgeführt wurde. Allerdings handelte es sich
nach Auffassung des Dr. W. zu diesem Zeitpunkt nur noch um eine „als allenfalls
leicht zu qualifizierende Störung der Aufmerksamkeit“. Unter Bezugnahme auf
diesen Befund ist auch Dr. P. in ihrem auf Veranlassung des beklagten Landes
erstatteten Gutachten vom 27. März 2002 ebenso wie in dem auf Veranlassung
des Amtsgerichts Ka. erstatteten Gutachten des Prof. Dr. Da. und der Dr. P. vom
16. Juni 2001 vom Vorliegen einer leichten Hirnleistungsschwäche ausgegangen,
die ursächlich auf die Gewalttat vom 26. August 1999 zurückzuführen ist. Diese
Einschätzung ist im Grundsatz auch durch das fachpsychologische Gutachten des
Prof. Dr. Gerber und des Dr. N. vom 24. Juli 2006 bestätigt worden, das auf
Veranlassung des Sozialgerichts Ka. in dem Verfahren zum Az. S 10 SB 22/04
erstattet worden ist. Dieser Einschätzung hat sich Prof. Dr. Hb. in seiner auf
Veranlassung des Sozialgerichts Ka. in dem o. g. Verfahren erstatteten
ergänzenden Stellungnahme vom 30. August 2006 angeschlossen und schließlich
ist auch Dr. Kc. in seinem auf Veranlassung des Senats erstatteten insoweit
überzeugenden Gutachten vom 14. August 2008 vom Vorliegen einer
leichtgradigen posttraumatischen Hirnleistungsminderung ausgegangen, die
ursächlich auf die Gewalttat vom 26. August 1999 zurückzuführen ist.
Mit der Feststellung, dass bei dem Kläger ein auf die Gewalttat vom 26. August
1999 ursächlich zurückzuführender Hirnschaden mit geringer
Leistungsbeeinträchtigung vorliegt, folgt der Senat den überzeugenden
Ausführungen in den o. g. Gutachten und ärztlichen Stellungnahmen. Der Senat
folgt dagegen nicht der Beurteilung des Dr. Bb. in seinem auf Veranlassung des
beklagten Landes erstatteten Gutachten vom 20. November 2002. Insbesondere
unter Berücksichtigung der in dem Gutachten der Prof. Dr. Gerber und des Dr. N.
vom 24. Juli 2006 erhobenen testpsychologischen Untersuchungsbefunde, die zum
Zeitpunkt der Erstattung des Gutachtens des Dr. Bb. noch nicht vorlagen, ist vom
Vorliegen von Hirnschäden auszugehen, die als „Hirnschäden mit geringer
Leistungsbeeinträchtigung“ nach den AHP mit einem GdS von 30 bis 40 zu
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Leistungsbeeinträchtigung“ nach den AHP mit einem GdS von 30 bis 40 zu
bewerten sind. Die Hirnschäden sind nicht so geringfügig, dass dies einer
Bewertung mit dem in den AHP vorgesehenen Mindestwert von 30 v.H.
entgegenstehen würde.
Bezogen auf die Frage, ob die beim Kläger vorliegenden Hirnschäden mit geringer
Leistungsbeeinträchtigung innerhalb des in den AHP vorgesehenen Rahmen mit
einem GdS von 30 oder mit einem GdS von 40 zu bewerten sind, enthalten die
vorliegenden Gutachten keine einheitliche Bewertung. Das auf Veranlassung des
beklagten Landes erstattete Gutachten der Dr. P. vom 27. März 2002 und deren
ergänzende Stellungnahme vom 19. Juni 2002 enthalten keine Angabe zum Einzel-
GdS für die Hirnleistungsminderung. Dr. P. schlägt eine Gesamt-MdE von 75 für die
Hirnleistungsminderung, den Verlust des Riechvermögens und das Anfallsleiden
sowie eine Bewertung mit 60 v. H. ohne das Anfallsleiden vor. Die Gutachterin
stellt jedoch keinen Bezug zu den Maßstäben aus den AHP her und dieser ist aus
Sicht des Senats auch nicht zu erkennen. Prof. Dr. Hb. geht in seiner auf
Veranlassung des Sozialgerichts erstatteten ergänzenden Stellungnahme vom 30.
August 2006 von einer Bewertung der Hirnleistungsminderung mit dem in den AHP
vorgesehenen Mindestwert von 30 aus. Abweichend davon bewertet der
Sachverständige Dr. Kc. unter Bezugnahme auf die gutachtliche Aussage des Prof.
Dr. Hb. die Hirnleistungsminderung mit einem Einzel-GdS von 40. Daran hat Dr.
Kc. auch auf Befragen in der mündlichen Verhandlung festgehalten. Die
Ausführungen des Dr. Kc. konnten den Senat vor dem Hintergrund der Bewertung
durch Prof. Dr. Hb., auf den sich Dr. Kc. mit seiner Bewertung ausdrücklich
bezogen hat, jedoch nicht in vollem Umfang überzeugen.
Im Ergebnis konnte der Senat diese Frage jedoch dahingestellt lassen. Auch wenn
die Hirnschädigung des Klägers mit geringer Leistungsbeeinträchtigung nicht nur
mit dem in den AHP vorgesehenen Mindestwert von 30 zu bewerten wären,
sondern der GdS von 40 gerade noch erreicht würde, würde daraus - entgegen der
Einschätzung des Dr. Kc. - unter Einbeziehung des Verlustes des Riechvermögens
(GdS 15) kein Gesamt-GdS von mehr als 40 folgen. Dabei geht der Senat in
Übereinstimmung mit den Maßstäben aus den AHP 2008, Seite 24 ff., davon aus,
dass die einzelnen Werte bei der Ermittlung des Gesamt-GdS nicht addiert werden
dürfen. Maßgebend ist vielmehr die Auswirkung der einzelnen
Funktionseinschränkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer
wechselseitigen Beziehungen zueinander. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdS ist
in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten
Einzel-GdS bedingt. Im Hinblick auf die vorliegenden weiteren
Funktionsbeeinträchtigungen ist zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß
der Behinderung größer wird. Zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur
einen GdS-Grad von 10 bedingen, führen - von Ausnahmefällen abgesehen - nicht
zu einer Zunahme des Ausmaßes der Beeinträchtigung, die bei der
Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte (AHP 2008, S. 26). In
Übereinstimmung mit der dazu ergangenen Rechtsprechung des BSG (BSG, Urt.
v. 13. Dezember 2000 - B 9 V 8/00 R - SozR 3-3870 § 4 Nr. 28) geht der Senat
davon aus, dass dieses „Erhöhungsverbot“ auch dann gilt, wenn die weiteren, nur
geringfügigen Funktionsstörungen sich unabhängig voneinander in verschiedenen
Lebensbereichen auswirken. Bezogen auf den Ausfall des Riechvermögens gilt ein
solches „Erhöhungsverbot“ zwar nicht, weil dafür eine Bewertung mit 15 und nicht
lediglich mit 10 vorgesehen ist. Auf der anderen Seite ist jedoch zu
berücksichtigen, dass es selbst bei Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdS-
Grad von 20 vielfach nicht gerechtfertigt ist, auf eine wesentliche Zunahme des
Ausmaßes der Behinderung zu schließen (AHP, a.a.O.). Unter Zugrundelegung
dieser Maßstäbe ist davon auszugehen, dass ein GdS von 40 für die
Hirnschädigung, der nach Auffassung des Senats allenfalls gerade eben erreicht
wird, unter weiterer Berücksichtigung des mit einem Einzel-GdS von 15 zu
bewertenden Verlusts des Riechvermögens nicht zu einer Zunahme des
Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führt, die die Bewertung mit einem
Gesamt-GdS von 50 rechtfertigen würde. Daher geht der Senat von einem
Gesamt-GdS von 40 für die Zeit seit dem 1. Dezember 2006 aus.
In der Zeit seit der Schädigung im August 1999 und bis zum 30. November 2006
bestand bei dem Kläger neben den o.g. Gesundheitsstörungen (aufgehobenes
Riechvermögen, Hirnleistungsminderung) ein posttraumatisches cerebrales
Anfallsleiden, das ursächlich auf die Gewalttat vom 26. August 1999
zurückzuführen ist. Zu einem ersten generalisierten epileptischen Anfall ist es bei
dem Kläger am 8. August 2000 gekommen. Einen weiteren generalisierten Anfall
hat der Kläger im November 2003 erlitten. Aufgrund der überzeugenden
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hat der Kläger im November 2003 erlitten. Aufgrund der überzeugenden
Darlegungen des Dr. Kc. in der mündlichen Verhandlung am 9. September 2008
geht der Senat davon aus, dass auch dieser zweite Anfall ursächlich auf die
Gewalttat vom 26. August 1999 zurückzuführen ist. Zwar hat der Kläger in der Zeit
nach der Gewalttat in erheblichem Maße Alkohol konsumiert, sodass ein
Entzugskrampf nicht ganz auszuschließen ist. Sehr viel wahrscheinlicher ist nach
den überzeugenden Darlegungen des Dr. Kc. jedoch, dass der im November 2003
erlittene generalisierte Krampfanfall ursächlich auf die Gewalttat vom 26. August
1999 zurückzuführen ist. Dafür spricht insbesondere, dass Anfälle infolge eines
Alkoholmissbrauchs regelmäßig erst ein Spätsymptom nach einem längeren
übermäßigen Alkoholkonsum darstellen. Zu Entzugskrämpfen kommt es danach
regelmäßig im Zusammenhang mit anderen durch den langjährigen
Alkoholmissbrauch bedingten gesundheitlichen Störungen, die bei dem Kläger
jedoch nicht festzustellen sind.
Danach ist beim Kläger vom Vorliegen sehr seltener großer epileptischer Anfälle
auszugehen, die nach den AHP 2008 (und damit übereinstimmenden
Formulierungen in vorangegangenen Fassungen der AHP) mit einem Einzel-GdS
von 40 zu bewerten sind. Da ein Anfallsleiden erst als abgeklungen gilt, wenn ohne
Medikation drei Jahre Anfallsfreiheit besteht, ist das bei dem Kläger bestehende
Anfallsleiden bis einschließlich November 2006 mit einem GdS von 40 zu
bewerten. Eine antikonvulsive Behandlung ist - wie der Kläger auf Nachfrage in der
mündlichen Verhandlung bestätigt hat - nach dem Krampfanfall im November
2003 nicht durchgeführt worden, sodass sich der in den AHP vorgesehene
Zeitraum von drei Jahren nicht verlängert. Unter weiterer Berücksichtigung der mit
einem GdS von 30 bis 40 zu bewertenden Hirnleistungsminderung und dem mit
einem GdS von 15 zu bewertenden Verlust des Riechvermögens ist der Gesamt-
GdS nach Auffassung des Senats in Übereinstimmung mit den Gutachten des Dr.
Kc. für die Zeit vom 1. August 1999 bis zum 30. November 2006 mit 60 zu
bewerten.
Auch bezogen auf die Bezeichnung der Schädigungsfolgen folgt der Senat dem
Gutachten des Sachverständigen Dr. Kc. und dessen ergänzenden Ausführungen
in der mündlichen Verhandlung.
Die Voraussetzungen dafür, dass der GdS aufgrund einer besonderen beruflichen
Betroffenheit des Klägers höher zu bewerten wäre, liegen nach Auffassung des
Senats nicht vor. Gemäß § 30 Abs. 2 BVG ist der GdS höher zu bewerten, wenn
der Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen in seinem vor der
Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, in seinem nachweisbar
angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen ist, den er nach Eintritt der
Schädigung ausgeübt hat oder noch ausübt. Das ist besonders der Fall, wenn
a) auf Grund der Schädigung weder der bisher ausgeübte, begonnene oder
nachweisbar angestrebte noch ein sozial gleichwertiger Beruf ausgeübt werden
kann,
b) zwar der vor der Schädigung ausgeübte oder begonnene Beruf weiter
ausübt wird oder der nachweisbar angestrebte Beruf erreicht wurde, Beschädigte
jedoch in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen in einem wesentlich
höheren Ausmaß als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert sind, oder
c) die Schädigung nachweisbar den weiteren Aufstieg im Beruf gehindert hat.
Der Kläger hat vor der Schädigung keine Berufsausbildung abgeschlossen und im
Baubereich, insbesondere als Malerhelfer gearbeitet, soweit er nicht ohne
Beschäftigung war. Eine im August 2000 begonnene Umschulung zum Dachdecker
musste er nach einer Woche aufgrund des aufgetretenen ersten großen
epileptischen Anfalls abbrechen. Zwar ist unter Berücksichtigung des von dem
beklagten Land beigezogenen arbeitsamtsärztlichen Gutachtens der Dr. Ba. vom
28. März 2001 davon auszugehen, dass der Kläger jedenfalls in der Zeit, in der das
Anfallsleiden vorlag, weder als Malerhelfer noch als Dachdecker arbeiten konnte.
Es bestehen aber keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger durch die
Unfähigkeit, weiter als Malerhelfer zu arbeiten, wirtschaftliche Einbußen in Gestalt
eines Minderverdienstes erlitten hat. Insbesondere ist davon auszugehen, dass
der Kläger gesundheitlich noch in der Lage ist, durch vollschichtigen Einsatz seiner
Arbeitskraft weiterhin das gleiche Einkommen wie zuvor als Malerhelfer zu erzielen.
Von einem solchen vollschichtigen Leistungsvermögen geht auch das o. g.
arbeitsamtsärztliche Gutachten aus. Nach den beigezogenen Unterlagen des
Arbeitsamtes ist davon auszugehen, dass der Kläger auch schon vor dem
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Arbeitsamtes ist davon auszugehen, dass der Kläger auch schon vor dem
schädigenden Ereignis immer wieder für längere Zeiten arbeitslos war. Das einzige
Beschäftigungsverhältnis des Klägers, das mehr als ein Jahr angedauert hat, hat
danach in der Zeit von September 1991 bis Dezember 1993 bestanden. Vor
diesem Hintergrund kann ein Minderverdienst in Gestalt erheblicher finanzieller
Einbußen, die als sozialer Abstieg zu bewerten wären und zur Erhöhung des GdS
wegen besonderer beruflicher Betroffenheit führen könnten, nicht ermittelt werden.
Es kann auch nicht festgestellt werden, dass ein vor der Schädigung nachweisbar
angestrebter Beruf schädigungsbedingt nicht erreicht wurde. Auf Befragen in der
mündlichen Verhandlung hat der Kläger nachvollziehbar dargelegt, dass er den
Beruf des Dachdeckers erst nach der Schädigung im Rahmen der beruflichen
Neuorientierung angestrebt hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 SGG liegen nicht vor.