Urteil des LSG Schleswig-Holstein vom 25.11.2009

LSG Shs: aufrechnung, treu und glauben, verwaltungsakt, hessen, rechtsgrundlage, rückzahlung, form, vermieter, leistungsanspruch, verzicht

Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht
Urteil vom 25.11.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Schleswig S 6 AS 546/08
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht L 6 AS 24/09
Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Schleswig vom 29. Januar 2009 wird
zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die Kosten des Klägers für beide Instanzen. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Berechtigung der Beklagten zur Einbehaltung von Tilgungsraten für ein
Mietkautionsdarlehen von laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in der Zeit vom 1. März 2008
bis 31. August 2008.
Der am 1950 geborene Kläger bezog laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten
Sozialgesetzbuch (SGB II). Am 25. Februar 2008 teilte er der Beklagten die Trennung von seiner Ehefrau und seinen
Umzug zum 1. März 2008 in eine von ihm am 22. Februar 2008 angemietete Wohnung in Plön mit. Er beantragte bei
der Beklagten die Übernahme einer Mietkaution für die neue Wohnung in Höhe von 639,00 EUR als rückzahlbares
Darlehen und unterzeichnete eine von der Beklagten vorformulierte Erklärung, mit der er seine Rechte aus dem
Anspruch aus der Mietkaution gegenüber seinem Vermieter an die Beklagte abtrat. Ferner heißt es in der Erklärung
vom 25. Februar 2008: " Das Darlehen ist in Anlehnung an § 23 Abs. 1 SGB II durch monatliche Tilgung in Höhe von
mindestens 10 % der für die Bedarfsgemeinschaft zu zahlenden Regelleistung zu tilgen. Sollte diese monatliche
Tilgung nicht geleistet werden, wird der Gesamtbetrag in einer Summe fällig."
Mit Bescheid vom 4. März 2008 bewilligte die Beklagte die Zahlung der Mietkaution in Höhe von 639,00 EUR als
Darlehen unter Bezugnahme auf § 22 Abs. 3 SGB II. Zugleich teilte sie dem Kläger mit, dass das Darlehen gemäß
der von ihm unterzeichneten Abtretungserklärung durch monatliche Raten in Höhe von 35,00 EUR zu tilgen sei. Sollte
diese monatliche Tilgung nicht geleistet werden, werde der Gesamtbetrag in einer Summe fällig. Der Betrag von 35,00
EUR werde ab dem 1. März 2008 zur Tilgung des Darlehens einbehalten. Mit weiterem Bescheid vom 4. März 2008
gewährte die Beklagte dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für den
Bewilligungszeitraum 1. März 2008 bis 31. Au¬gust 2008 und behielt ab 1. März 2008 35,00 EUR monatlich von den
an den Kläger zu zahlenden Leistungen ein.
Mit seinem dagegen am 8. April 2008 eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, dass die darlehensweise
gewährte Mietkaution nicht während des laufenden Leistungsbezuges zurückverlangt werden dürfe. Die gesetzlichen
Voraussetzungen für eine Aufrechnung lägen nicht vor, eine gegebenenfalls bestehende Rückzahlungsverpflichtung
durch die von ihm unterzeichnete Erklärung sei nichtig und eine etwaige Verzichtserklärung werde vorsorglich
widerrufen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 17. April 2008 änderte die Beklagte den Bewilligungsbescheid vom 4. März 2008 für
die Zeit ab 1. Juni 2008 durch Ermäßigung der Tilgungsrate auf 17,00 EUR monatlich ab. Im Übrigen wies sie den
Widerspruch zurück mit der Begründung, dass sie zur Einbehaltung von Tilgungsbeträgen zur Rückzahlung des dem
Kläger gewährten Darlehens nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II berechtigt sei. Die Einbehaltung von 10 bzw. 5 % der
dem Kläger laufend gewährten Leistungen sei angemessen und verhältnismäßig, weil der belastenden Wirkung der
Einbehaltung das Interesse des Sozialleistungsträgers zur möglichst zeitnahen Rückführung von Darlehen und der
Grundsatz der steuersparsamen Mittelverwendung gegenüberstünden. Würde ganz von einer Einbehaltung
abgesehen, käme dies in einigen Fällen einer Bewilligung der Mietkaution als Zuschuss gleich, da der Leistungsträger
zwar durch die Abtretung einen Anspruch gegen den Vermieter auf Auszahlung der Mietkaution bei Beendigung des
Mietverhältnisses habe, er sich aber auch etwaige Ansprüche des Vermieters aus dem privatrechtlichen
Schuldverhältnis zwischen Vermieter und Mieter entgegenhalten lassen müsse, die teilweise zum Erlöschen des
Auszahlungsanspruchs führten. Dieses Risiko werde durch eine Einbehaltung von den laufenden Leistungen
schrittweise auf den Leistungsempfänger abgewälzt. Dies sei auch sachgerecht, weil es der Mieter in der Hand habe,
ob die Mietkaution wieder an ihn ausgezahlt werde oder nicht.
Hiergegen hat der Kläger am 28. April 2008 beim Sozialgericht Schleswig Klage erhoben und zur Begründung im
Wesentlichen geltend gemacht, dass es für die Handlungsweise der Beklagten keine Rechtsgrundlage gebe. § 23
SGB II greife schon deshalb nicht ein, weil diese Vorschrift sich nur auf Regelleistungen, zu denen eine Mietkaution
nicht gehöre, beziehe. Die Anwendung des § 51 des Ersten Sozialgesetzbuches (SGB I) scheitere an den
Pfändungsfreigrenzen. § 43 SGB II betreffe nur die Aufrechung von zu Unrecht erbrachten Leistungen und der hier
allein einschlägige § 22 SGB II ermächtige im Gegensatz zu § 23 SGB II gerade nicht zur Aufrechnung.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bewilligungsbescheides vom 4. März 2008 in der Form des
Widerspruchsbescheides vom 17. April 2008 zu verurteilen, von den bewilligten Leistungen des Lebensunterhaltes im
SGB II keine Einbehaltung für die Mietkaution vorzunehmen und einbehaltene Leistungen zu erstatten.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sie sich auf die angefochtenen Bescheide bezogen.
Das Sozialgericht hat der Klage mit Gerichtsbescheid vom 29. Januar 2009 stattgegeben und die Beklagte verurteilt,
dem Kläger die mit Bewilligungsbescheid vom 4. März 2008 für den Zeitraum 1. März 2008 bis 31. August 2008
gewährten monatlichen Leistungen ohne Einbehaltung von Teilbeträgen zur Tilgung des dem Kläger gewährten
Darlehens zu zahlen. Das Sozialgericht hat die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen
ausgeführt: Der Kläger habe einen Anspruch auf volle Auszahlung der ihm mit Bescheid vom 4. März 2008 bewilligten
Leistungen. Soweit die Beklagte Teilbeträge zur Tilgung des Darlehens einbehalten habe, sei der Zahlungsanspruch
insoweit nicht untergegangen, denn der mit dem Bescheid begründete Leistungsanspruch des Klägers und der aus
dem Darlehensbescheid vom gleichen Tag resultierende Rückzahlungsanspruch in Höhe von monatlichen Raten à
35,00 EUR stünden sich nicht aufrechenbar gegenüber. Es mangele an einer spezialgesetzlichen
Ermächtigungsgrundlage im SGB II oder anderen sozialrechtlichen Regelungen, die es der Beklagten erlaubten, über
die Begrenzungen des § 51 SGB I hinaus gegen Leistungsansprüche des Klägers aufzurechnen. Die Beklagte sei
deshalb zur ungekürzten Zahlung im Wege der echten Leistungsklage zu verurteilen gewesen. Einer Aufhebung des
Bescheides vom 4. März 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. April 2008 habe es nicht bedurft,
weil es sich bei der vom Leistungsträger erklärten Aufrechnung von Ansprüchen auf Sozialleistungen mit einem dem
Leistungsträger zustehenden Gegenanspruch nicht um einen Verwaltungsakt, der mit der Gestaltungsklage hätte
angefochten werden müssen, handele.
Gegen den am 20. Februar 2009 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich die Beklagte mit ihrer am 10. März 2009
bei dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangenen Berufung. Zur Begründung macht die Beklagte
geltend, dass das Sozialgericht der Klage zu Unrecht stattgegeben habe. Das dem Kläger gewährte
Mietkautionsdarlehen sei ein auch während des laufenden Leistungsbezuges zu tilgendes Darlehen, weil die
Bestimmung des § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II – wie andere Kammern des Sozialgerichts Schleswig in den Verfahren S
9 AS 799/07 ER und S 4 AS 254/08 mit zutreffender Begründung ausgeführt hätten - entsprechend anwendbar sei.
Die angefochtene Entscheidung stehe in Widerspruch zu der vorgenannten Rechtsprechung.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid vom 29. Januar 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf
den Inhalt der Gerichtsakte, der Verwaltungsakte der Beklagten sowie auf die Akte des Sozialgerichts Schleswig S 6
AS 246/08 ER. Der wesentliche Inhalt dieser Unterlagen ist Gegenstand der Berufungsverhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat im Ergebnis zu Recht mit Gerichtsbescheid vom 29.
Januar 2009 der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1. März 2008 bis 31.
August 2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II ohne Einbehaltung von Tilgungsraten
zu gewähren.
Richtige Klagart ist vorliegend – wie das Sozialgericht zutreffend festgestellt hat – die echte Leistungsklage. Einer
Aufhebung der Bescheide vom 4. März 2009 bedurfte es nicht, weil die vom Kläger angegriffenen Einbehaltungen zur
Tilgung des Mietkautionsdarlehens nicht durch Verwaltungsakt erfolgt sind. Die auf die Erklärung des Klägers vom 25.
Februar 2008 gestützte Entscheidung der Beklagten, Teile der laufenden Leistungen nach dem SGB II zur Tilgung des
Darlehens einzubehalten, ist als Aufrechnung anzusehen. Bei der Aufrechnung handelt es sich um die Ausübung
eines schuldrechtlichen Ge¬staltungsrechts im Wege öffentlich rechtlicher Willenserklärung (vgl. Keller in Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz(SGG), 9. Aufl. 2008, Anhang § 54 Rn. 4c). In welcher Form diese
Willenserklärung abgegeben werden kann und ob die Behörde befugt ist, die Aufrechnung durch Verwaltungsakt zu
regeln, braucht hier nicht entschieden zu werden. Gegen die grundsätzliche Einstufung als Verwaltungsakt spricht
jedoch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, wonach die wirksame Aufrechnung allein zum Erlöschen von
Ansprüchen führt, ohne dass das im Verwaltungsakt festgesetzte Recht verändert oder sonst geregelt wird (BSG,
Urteil vom 24. Juli 2003 - B 4 RA 60/02 R, SozR 4 1200 § 52 Nr. 1; nachfolgend LSG Baden-Württemberg, Urteil vom
31. Mai 2005 – L 13 KN 702/ 2005; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19. September 2007 L 19 B 72/07 AS
ER). Die Mitteilung der Beklagten zur Einbehaltung von Tilgungsraten ist schon deshalb nicht als Verwaltungsakt zu
bewerten, weil die Beklagte in ihrem Kautionsbewilligungs -bescheid vom 4. März 2008 lediglich Bezug auf die vom
Kläger unterzeichnete Erklärung vom 25. Februar 2008 genommen hat; im weiteren Bewilligungsbescheid vom 4.
März 2008 hat sie die Tilgungsrate ohne Regelung in einem besonderen Verfügungssatz nur in der als Anlage zu dem
Bescheid beigefügten Bedarfsberechnung von der Summe der laufenden Leistungen in Abzug gebracht, so dass sich
ein verminderter Zahlbetrag ergab. Ein Wille, die Aufrechnung als Verwaltungsakt, d. h. als hoheitlich einseitige
Maßnahme (vgl. § 33 Zehntes Sozialgesetzbuch SGB X) zu regeln, wird damit nicht zum Ausdruck gebracht. Damit
fehlt es an einer als Verwaltungsakt zu qualifizierenden Regelung (wie hier auch LSG Hessen, Beschluss vom
16.1.2008 - L 9 SO 121/07 ER; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 6.9.2006 - L 13 AS 3108/06 ER-B).
Die von der Beklagten erklärte Aufrechnung in Höhe von monatlich 35,00 EUR für die Zeit vom 1. März 2008 bis 31.
Mai 2008 und in Höhe von 17,00 EUR ab 1. Juli 2008 bis 31. August 2008 ist unwirksam, weil dafür keine
Rechtsgrundlage besteht. Der Leistungsanspruch des Klägers ist deshalb nicht durch Aufrechnung in der von der
Beklagten vorgenommenen Höhe erloschen.
Voraussetzungen und Wirkungen einer Aufrechnung beurteilen sich nach § 51 SGB I in Verbindung mit den
zivilrechtlichen Vorschriften der §§ 387 ff. Bürgerliches Gesetzbuch; soweit im SGB II eine Sonderregelung zur
Aufrechnung besteht, findet, sofern einschlägig, auch diese Anwendung. Keine dieser Vorschriften - weder im SGB I
noch Regelungen im SGB II - berechtigen die Beklagte zur Aufrechnung.
Nach § 51 Abs. 1 SGB I kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf Geldleistungen mit Ansprüchen
gegen den Berechtigten aufrechnen, soweit die Ansprüche auf Geldleistungen nach § 54 Abs. 2 und 4 SGB I pfändbar
sind. Daran fehlt es hier. Der in Bezug genommene § 54 Abs. 2 SGB I regelt die Pfändbarkeit von Ansprüchen auf
einmalige Geldleistungen, während – im vorliegenden Fall einschlägig - § 54 Abs. 4 SGB I bestimmt, dass Ansprüche
auf laufende Geldleistungen wie Arbeitseinkommen gepfändet werden können. Selbst beim Bestehen einer
Aufrechnungslage ist danach der für ein Arbeitseinkommen nach den §§ 850 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) geltende
Pfändungsschutz zu beachten. Nach § 850c Abs. 1 Satz 1 ZPO ist Arbeitseinkommen unpfändbar, wenn es in dem
Zeitraum, für den es gezahlt wird, nicht mehr als 930,00 EUR monatlich beträgt. Dies bedeutet, dass die gesamte
Grundsicherungsleistung des alleinstehenden Klägers in Höhe von monatlich 760,00 EUR bis einschließlich 30. April
2008, 746,67 EUR für Mai 2008 und 680,00 EUR für die Zeit von Juni 2008 bis August 2008 unpfändbar war und
deshalb auch keine Aufrechnung nach § 51 Abs. 1 SGB I erklärt werden konnte. Die Beklagte muss bei einer
Aufrechnung den unpfändbaren Grundbetrag gewährleisten; liegen die Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes – wie hier – unter diesem Grundbetrag, ist eine Aufrechnung nicht möglich.
§ 51 Abs. 2 SGB II führt zu keiner anderen Beurteilung. Zum einen bezieht sich die Vorschrift auf – hier nicht
gegebene – Ansprüche auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen bzw. auf Beitragsansprüche. Zum
anderen kann die Aufrechnung nur bis zum Eintritt der Sozialhilfebedürftigkeit oder Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II
erfolgen. Der Kläger ist entsprechend hilfebedürftig.
Weiter findet auch § 43 Satz 1 SGB II keine Anwendung, der eine privilegierte Aufrechnung zulässt, soweit es um
Ansprüche auf Erstattung oder auf Schadenersatz geht, die der Hilfebedürftige durch vorsätzlich oder grob fahrlässig
unrichtige oder unvollständige Angaben veranlasst hat. Auch ein solcher Fall ist hier nicht gegeben.
Die Beklagte stützt die Aufrechnung auf § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II. Auch diese Vorschrift gibt der Beklagten aber
nicht das Recht zur Aufrechnung. § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II ermöglicht es den Leistungsträgern, auf Antrag ein
Darlehen zu bewilligen, wenn im Einzelfall ein von den Regelleistungen umfasster und nach den Umständen
unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes weder durch Vermögen noch auf andere Weise gedeckt
werden kann. Die hier im Streit stehende Mietkaution ist keine Regelleistung im Sinne von § 20 SGB II, sondern sie
gehört zu den in § 22 SGB II geregelten Leistungen für Unterkunft und Heizung. Ausdrücklich heißt es in § 22 Abs. 3
Satz 1 SGB II, dass eine Mietkaution bei vorheriger Zusicherung übernommen werden kann und gemäß § 22 Abs. 3
Satz 3 SGB II als Darlehen erbracht werden soll. Deshalb unterliegt es keinem Zweifel, dass der durch eine
Mietkaution für einen Hilfeempfänger entstehende Bedarf gerade nicht von der Regelleistung abgedeckt wird, sondern
ein Bedarf der Kosten der Unterkunft ist (vgl. so auch LSG Hessen, Beschluss vom 5. September 2007 – L 6 AS
145/07 ER -; LSG Hessen, Beschluss vom 16. Januar 2008 – L 9 SO 121/07 ER – Mietkaution und Umzugskosten im
Bereich des SGB XII; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 6. September 2006 – L 13 AS 3108/06 ER-B).
Demzufolge ist sowohl für die Bewilligung des Darlehens als auch für die Frage der Zulässigkeit der Aufrechnung auf
§ 22 SGB II abzustellen. Diese Vorschrift enthält aber keine § 23 Abs. 1 SGB II entsprechende Regelung über die
Aufrechnung. § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II ist auch nicht – wie die Beklagte meint - als Ausdruck einer allgemeinen
Regelung bei darlehensweiser Leistungsgewährung zu werten und analog auf Mietkautionsdarlehen anzuwenden.
Anhaltspunkte für eine planwidrige Regelungslücke, die allein eine Analogie rechtfertigen könnte, bestehen nach den
Gesetzesmaterialien nicht. In den Gesetzesmaterialien (vgl. Gesetzesbegründung zu § 22 Abs. 3 SGB II, BT-Drucks.
16/1588, S. 14) heißt es, dass der zuständige Leistungsträger eine Mietkaution grundsätzlich in Form eines Darlehens
erbringen soll, weil sich aus der Natur der Mietkaution bereits ergibt, dass diese im Regelfall an den Mieter
zurückfließt. Insofern sei es – so die Materialien- im Regelfall nicht gerechtfertigt, die Kaution dem Hilfebedürftigen
endgültig zu belassen. Die Gesetzesbegründung enthält damit keine ausdrücklichen Hinweise auf die Möglichkeit
einer ratenweisen Tilgung des Darlehens aus den laufenden Leistungen. Sie nimmt auch nicht Bezug auf § 23 SGB II
und die dort vorgesehene Aufrechnung. Dies, der Gesamtzusammenhang der Normen §§ 20 ff SGB II mit ihren
unterschiedlichen Regelungszwecken und die bereits unter Geltung des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) von der
Rechtsprechung (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 27. März 2003 - 12 ME 52/03 m.w.N.; Merkler/Zink, BSHG, 4.
Aufl. § 4 Rn 35) beanstandete Praxis der örtlichen Sozialhilfeträger, Mietkautionsdarlehen ohne explizite gesetzliche
Grundlage durch regelmäßigen Einbehalt von Hilfe zu tilgen, sprechen dafür, dass der Gesetzgeber von einem
tilgungsfreien (und zinsfreien) Darlehen ausgegangen ist (wie hier LSG Hessen aaO; LSG Baden – Württemberg aaO;
LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.8.2007 - L 1 B 37/07 AS;). Auch in der BSHG – Praxis bestanden viele
Sozialhilfeträger auf einer ratenweise Rückzahlung des Kautionsdarlehens; üblich war der Einbehalt eines Betrages
von der laufenden Hilfe. Dies wurde im Darlehensvertrag so vereinbart oder dem Darlehensbescheid als
Nebenbestimmung beigefügt. Faktisch wurde dadurch eine Aufrechnung vorgenommen, die fälschlicherweise auf den
früheren § 25a BSHG gestützt wurde. Danach konnte aber die Hilfe zum Lebensunterhalt bis auf das zum Leben
Unerlässliche nur aufgerechnet werden, wenn der Sozialhilfeträger aufgrund zu Unrecht erbrachter Leistungen einen
öffentlich – rechtlichen Erstattungsanspruch oder einen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch gegen den
Hilfebedürftigen hatte. Gleiches galt, wenn der Sozialhilfeträger wegen zweckwidriger Verwendung von Leistungen der
Sozialhilfe Schulden des Hilfebedürftigen zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren
Notlage nach § 15a BSHG übernommen hatte. Die Rückzahlung einer nach § 15a BSHG als Darlehen übernommenen
Mietkaution wurde jedoch von § 25a BSHG überhaupt nicht erfasst, selbst dann nicht, wenn der Tilgungseinbehalt mit
Einwilligung des Hilfebedürftigen oder aufgrund einer schriftlichen Vereinbarung erfolgte. Die zum BSHG ergangene
Rechtsprechung hat diese Praxis für unzulässig erachtet und die Entscheidung der Sozialhilfeträger zugunsten der
Hilfebedürftigen korrigiert (vgl. OVG Lüneburg aaO m.w.N.; Erwin Ruff, Die Mietkaution im Rahmen von Sozialhilfe
und Arbeitslosengeld II, WuM 2005, S. 177 – 183). Hätte der Gesetzgeber im SGB II im Gegensatz zum BSHG eine
Tilgung durch regelmäßigen Einbehalt von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes gewollt, hätte er dies in
Kenntnis der zum BSHG ergangenen Rechtsprechung durch Schaffung einer Rechtsgrundlage, beispielsweise in § 22
SGB II, ohne weiteres regeln können. Dies hat er aber gerade nicht getan, so dass sich die Beklagte in Ermangelung
einer entsprechenden Rechtsgrundlage für die Aufrechnung eines Mietkautionsdarlehens nicht auf § 23 Abs. 1 SGB II
berufen kann (wie hier LSG Hessen aaO; LSG Baden – Württemberg aaO; LSG Nordrhein- Westfalen, Beschluss vom
21. August 2007 - L 1 B 37/07 AS; ebenso Weth in Info also 2007, S. 105).
Die Beklagte kann sich schließlich auch nicht auf die Erklärung vom 25. Februar 2008 als Rechtsgrund für eine
Aufrechnung berufen. Der Beklagten ist es in Anwendung des in § 242 BGB geregelten und über § 61 Satz 2 SGB X
anwendbaren Grundsatzes von Treu und Glauben verwehrt, sich dann auf eine solche Erklärung als Rechtsgrundlage
für die Aufrechnung zu berufen, wenn sie selbst die Aufnahme der rechtswidrigen Rückzahlungsvereinbarung in die
Erklärung veranlasst hat. Denn dies würde eine unzulässige Rechtsausübung darstellen (vgl. LSG Hessen, Beschluss
vom 16. Januar 2008 – L 9 SO 121/07 ER; LSG Baden-Würt¬temberg, Beschluss vom 6. September 2006 – L 13 AS
3108/06 ER B; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 27.3.2003 – 12 ME 52/03; Lang/Link in Eicher/Spellbrink,
SGB II, 2.Aufl. § 22 Rn. 22)). Gleiches gilt für den Fall, dass in der Tilgungsvereinbarung ein Verzicht im Sinne des §
46 Abs. 1 1. Halbsatz SGB I gesehen wird. Auch hier würde eine unzulässige Rechtsausübung vorliegen, wenn der
Verzicht vom Leistungsträger rechtswidrig herbeigeführt worden wäre. Die Beklagte hat die Mietkaution vorliegend
unter der Bedingung, dass sich der Kläger zur Unterzeichnung der entsprechenden Erklärung verpflichtet, gewährt.
Damit hat sie die Aufnahme der rechtswidrigen Rückzahlungsvereinbarung in die Erklärung veranlasst. Diese
Tatsache steht einer Berufung auf die Erklärung mit der Konsequenz entgegen, dass die Beklagte von Anfang an, d.h.
ab März 2008 keine Tilgungsraten von den laufenden Leistungen einbehalten durfte.
Auf einen Widerruf des (konkludenten) Einverständnisses zu einer Aufrechnung, der nur Wirkung für die Zukunft
entfalten könnte und der hier mit Widerspruch vom 8. April 2008 auch ausdrücklich erklärt worden wäre, kommt es
unter diesen Umständen nicht.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig war aus diesen Gründen zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Wegen grundsätzlicher Bedeutung hat der Senat die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr.1 SGG).