Urteil des LSG Schleswig-Holstein vom 22.10.2007

LSG Shs: aufschiebende wirkung, versorgung, rechtskraft, rechtsschutz, anfechtungsklage, facharzt, vertragsarzt, beendigung, verwaltungsakt, beratung

Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht
Beschluss vom 22.10.2007 (rechtskräftig)
Sozialgericht Kiel S 14 KA 50/07 ER
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht L 4 B 583/07 KA ER
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 20. August 2007 wird
zurückgewiesen. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der
Beigeladenen im Beschwerdeverfahren sind nicht erstattungsfähig. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren
auf 74.985, 00 EUR festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt die Feststellung, dass sein Widerspruch und seine Klage gegen Beschlüsse/Bescheide über
die Beendigung seiner Zulassung aufschiebende Wirkung haben.
Der 1939 geborene Antragsteller war als Facharzt für Allgemeinmedizin und als Facharzt für psychotherapeutische
Medizin in H zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Mit Beschluss vom 14. Februar 2007 lehnte der
Zulassungsausschuss für Ärzte in Schleswig-Holstein den auf die weitere Teilnahme des Antragstellers an der
vertragsärztlichen Versorgung gerichteten Antrag ab und stellte fest, dass die Zulassung des Antrag¬stel¬lers am 31.
März 2007 ende. Den Widerspruch des Antrag¬stellers wies der Antragsgegner durch Beschluss/Bescheid vom 24.
Mai 2007/19. Juni 2007 zurück. Hiergegen hat der Antragsteller am 9. Juli 2007 bei dem Sozialgericht Kiel Klage
erhoben (S 14 KA 100/07), über die noch nicht entschieden worden ist.
Den von dem Antragsteller am 6. März 2007 gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (S 14 KA
14/07 ER) hat das Sozialgericht Kiel durch Beschluss vom 23. März 2007 abgelehnt. Die dagegen gerichtete
Beschwerde (L 4 B 406/07 KA ER) des Antragstellers hat das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht durch
Beschluss vom 25. Mai 2007 zurückgewiesen.
Am 2. August 2007 hat der Antragsteller bei dem Sozialgericht Kiel die Feststellung der aufschiebenden Wirkung
seines Widerspruchs und seiner Klage gegen die Entscheidungen der Zulassungsgremien beantragt. Zur Begründung
hat er sich auf den Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts vom 28. März 2007 (L 12 B 835/06 KA ER)
bezogen, in dem dargelegt sei, dass dem Widerspruch bzw. der Klage gegen Feststellungsbeschlüsse der
Zulassungsgremien auf der Grundlage des § 95 Abs. 7 Satz 3 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch, (SGB V) i.V.m. § 28
Abs. 1 Satz 3 Zulassungsverordnung-Ärzte gemäß § 86a Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) aufschiebende
Wirkung zukomme. In Anbe¬tracht der umstrittenen Rechtslage bedürfe es der klärenden Feststellung durch das
Gericht, dass sein Widerspruch und seine Klage aufschiebende Wirkung hätten. Die Eilbedürftigkeit folge daraus,
dass er gegenwärtig einen Großteil seiner Patienten nicht weiterversorgen könne, da die Krankenkassen die Kosten
hierfür nicht übernähmen bzw. die Patienten nicht in der Lage seien, die Kosten privat aufzubringen. Zudem sei ihm
seit fast vier Monaten die Möglichkeit zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung sowie zur Abrechnung
gegenüber der Beigeladenen zu 1) genommen.
Das Sozialgericht ist von dem Antrag des Antragstellers ausgegangen,
festzustellen, dass sein Widerspruch vom 16. April 2007 gegen den Beschluss des Antragsgegners (richtig: des
Zulassungsausschusses) sowie die Klage vom 6. Juli 2007 gegen den Beschluss (richtig: des Antragsgegners) vom
19. Juni 2007 aufschiebende Wirkung haben.
Der Antragsgegner hat keinen Antrag gestellt.
Die Beigeladene zu 1) hat keinen Antrag gestellt. Sie hat im Wesentlichen geltend gemacht, die Rechtsfolge des § 95
Abs. 7 Satz 3 SGB V trete kraft Gesetzes ein. Beschlüsse des Antragsgegners hätten lediglich deklaratorischen
Charakter. Selbst wenn Widerspruch und Klage aufschiebende Wirkung haben sollten, könne der Antragsteller
demnach sein Ziel, bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren vertragsärztliche Leistungen abrechnen zu können,
nicht erreichen.
Das Sozialgericht hat den Antrag durch Beschluss vom 20. August 2007 abgelehnt. Der Antrag sei zulässig, aber
nicht begründet. Die in § 86a Abs. 1 S. 1 und 2 SGG geregelte aufschiebende Wirkung von Widerspruch und
Anfechtungsklage auch bei feststellenden Verwaltungsakten habe lediglich Bedeutung, soweit es sich um originär
belastende Regelungen im Sinne des § 31 SGB X handele, nicht hingegen insoweit, als nur festgestellt werde, dass
ein Vornahmeanspruch (kraft Gesetzes) nicht bestehe. Wolle der Antragsteller gegen einen derartigen (sog.
deklaratorischen) Verwaltungsakt vorgehen, so entspreche sein Interesse nicht demjenigen des einen Eingriff
abwehrenden, sondern demjenigen des eine Besserstellung (etwa die Verlängerung einer befristeten
Leistungsgewährung) erstrebenden Verfahrensbeteiligten. Dies hat das Sozialgericht insbesondere mit Hinweis auf die
Gesetzessystematik in Abgrenzung zu dem Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts vom 28. März 2007
(a.a.O.) im Einzelnen näher begründet. Die Konsequenz des Beschlusses des Bayerischen Landessozialgerichts,
dass nämlich die Altersgrenze des § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V real nicht exis¬tent wäre, weil jeder Vertragsarzt die
Möglichkeit hätte, sie mittels Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe auf Jahre hinaus zu
schieben, würde dem gesetzgeberischen Willen klar zuwiderlaufen.
Gegen den ihm am 24. August 2007 zugestellten Beschluss richtet sich die am 21. September 2007 bei dem
Sozialgericht Kiel eingegangene Beschwerde des Antragstellers, zu deren Begründung er seine Argumentation
wiederholt, wonach die Regelung des § 86a Abs. 1 Satz 2 SGG, dass auch der Widerspruch gegen einen
feststellenden Verwaltungsakt aufschiebende Wirkung hat, eindeutig sei.
Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 20. August 2007 aufzuheben und festzustellen, dass sein Widerspruch
vom 16. April 2007 gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses vom 14. Februar 2007 (Bescheid vom 5. April
2007) sowie die Klage vom 6. Juli 2007 gegen den Beschluss des Antragsgegners vom 24. Mai 2007 (Bescheid vom
19. Juni 2007) aufschiebende Wirkung haben.
Der Antragsgegner und die Beigeladenen haben sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang des Antragsgegners Bezug
genommen, die auch Grundlage der Beratung des Senats gewesen sind.
II.
Die statthafte (§ 172 SGG) und fristgerecht (§ 173 Abs. 1 Satz 1 SGG) eingelegte Beschwerde ist unbegründet. Der
Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs und der Anfechtungsklage S 14 KA 100/07
gegen die Beschlüsse/Bescheide des Zulassungsausschusses bzw. des Antragsgegners ist unzulässig. Dies folgt
aus der Rechtskraft des Beschlusses des Sozialgerichts Kiel vom 23. März 2007 (S 14 KA 14/07 ER), die mit der
Zustellung des Beschlusses des Senats vom 25. Mai 2007 (L 4 B 406/07 KA ER) eingetreten ist. Ein
Abänderungsantrag ist – die Zulässigkeit unterstellt - in der konkreten Verfahrenslage jedenfalls nicht begründet.
Der Streitgegenstand des jetzigen Verfahrens mit dem Ziel der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist identisch
mit demjenigen des Verfahrens S 14 KA 14/07 ER (L 4 B 406/07 KA ER). Bereits in jenem Verfahren ging es um die
Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes mit dem Ziel der Feststellung, dass der Antragsteller über den 31. März
2007 hinaus zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen bleibt. Durch den ablehnenden Beschluss des
Sozialgerichts Kiel vom 23. März 2007 und die Zurückweisung der hiergegen gerichteten Beschwerde durch den
Beschluss des Senats vom 25. Mai 2007 steht fest, dass der Antragsteller nicht für die Dauer des
Hauptsacheverfahrens vorläufig weiter vertragsärztlich tätig sein und abrechnen darf. Diese Entscheidung bindet die
Beteiligten und steht der erneuten Entscheidung des Senats entgegen, da auch Beschlüsse im einstweiligen
Rechtsschutz in Rechtskraft erwachsen (hinsichtlich Terminologie und Umfang im Einzelnen umstritten, im Kern aber
allgemeine Meinung: vgl. Schoch, Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Kommentar zur VwGO, Loseblattsamml.,
Stand Februar 2007, § 80 Rz. 358; § 123 Rz. 168; Clausing, a.a.O., § 121 Rz. 16; Keller in Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 8. Aufl. 2005, § 86b Rz. 44 mit Hinweis auf Meyer-Ladewig, a.a.O., §
141 Rz. 5, § 142 Rz. 3a m.w.N.).
Die Rechtskraft der genannten Beschlüsse umfasst auch die Feststellung, dass einstweiliger Rechtsschutz – hier nur
- über § 86b Abs. 2 SGG gewährt wird, d. h. es sich nicht um einen Fall des § 86a Abs. 1 SGG handelt. Das
Sozialgericht hat in seinem Beschluss vom 23. März 2007 auf S. 4 dargelegt, dass verfahrensrechtliche Grundlage
des erstrebten vorläufigen Rechtsschutzes § 86b Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 SGG seien. Auf S. 5 des Beschlusses ist
weiter dargelegt, dass das Begehren des Antragstellers auszulegen sei als Antrag auf die einstweilige Feststellung,
dass er auch über den 31. März 2007 als zugelassener Vertragsarzt tätig sein dürfe. Weiter hat das Sozialgericht auf
die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts verwiesen, wonach es sich insoweit um ein Feststellungsbegehren
handele. Der Senat hat in seinem Beschluss vom 25. Mai 2007 wegen der prozessualen Voraussetzungen auf die
sozialgerichtliche Entscheidung Bezug genommen. Damit beinhalten die genannten Beschlüsse eine verbindliche
Aussage - auch - zu der Frage, auf welchem Weg gegenüber Beschlüssen der Zulassungsgremien über die kraft
Gesetzes eingetretene Beendigung der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung einstweiliger Rechtsschutz zu
gewähren ist. Dies folgt im Übrigen auch ohne nähere Begründung durch das Gericht bereits aus der Anwendung des
§ 86b Abs. 2 SGG, der in Satz 1 gerade voraussetzt, dass ein Fall des Absatzes 1 (der nur im Falle einer
Anfechtungsklage gilt) nicht vorliegt. Dies beinhaltet erst recht, dass ein Fall des § 86a Abs. 1 SGG nicht vorliegt. Mit
seinem jetzigen Antrag begehrt der Antragsteller demnach eine Feststellung, die bereits in dem früheren Verfahren
einstweiligen Rechtsschutzes rechtskräftig abgelehnt worden ist.
Sofern man den Antrag - hilfsweise - als Antrag auf Abänderung der rechtskräftigen Entscheidung des Senats auslegt,
ist bereits fraglich, ob ein solcher Antrag statthaft ist. Die Regelung des § 86b Abs. 1 Satz 4 SGG, die eine
jederzeitige Änderung oder Aufhebung auf Antrag vorsieht, gilt unmittelbar nur für Entscheidungen im Sinne des § 86b
Abs. 1 SGG und nur im Falle einer vorherigen stattgebenden Entscheidung ("Maßnahmen") des Gerichts. Insofern
wäre eine doppelt analoge Anwendung des § 86b Abs. 1 Satz 4 SGG notwendig, wollte man auch in dem Fall einer
vorherigen ablehnenden Entscheidung des Gerichts nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG eine Änderungsbefugnis
annehmen (vgl. LSG Berlin, Beschl. v. 10. Juli 2002 - L 15 B 39/02 KR ER - veröffentl. in juris). Ob ein solcher Antrag
statthaft wäre, kann jedoch dahinstehen, da hier Gründe für eine Abänderung des Beschlusses des Senats vom 24.
Mai 2007 weder von dem Antragsteller dargelegt worden sind noch sie sich aus den Umständen ergeben. Eine
Änderung der Sach- und/oder Rechtslage ist gegenüber dem früheren Antrag nicht eingetreten; Derartiges trägt der
Antragsteller selbst nicht vor. Der Antragsteller macht auch keine Umstände geltend, die bereits zum Zeitpunkt der
Entscheidung des Senats vom 24. Mai 2007 vorlagen, jedoch nicht berücksichtigt wurden. Er bezieht sich, wie
dargelegt, lediglich auf einen gerichtlichen Beschluss in einem weiteren Einzelfall, in dem die Auffassung vertreten
wird, einstweiliger Rechtsschutz sei in Fällen der vorliegenden Art nicht über § 86b Abs. 2 SGG, sondern über § 86a
Abs. 1 SGG i.V.m. § 86b Abs. 1 SGG zu gewähren. Mit dieser Rechtsauffassung haben sich das Sozialgericht und
der Senat jedoch, wie dargelegt, in dem früheren Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes bereits abschließend und
verbindlich - auseinandergesetzt und sind zu einem anderen Ergebnis gelangt. Allein der Umstand, dass ein anderes
Gericht in einer Beschwerdeentscheidung eine abweichende Auffassung vertritt, ist kein hinreichender Anlass, unter
Durchbrechung der Rechtskraft des früheren Beschlusses nunmehr in eine erneute Überprüfung einzutreten. So ist für
den Bereich der VwGO anerkannt, dass eine Entscheidung nach § 80 Abs. 7 VwGO (früher § 80 Abs. 6 VwGO), dem
die Regelung in § 86b Abs. 1 Satz 4 SGG im Wesentlichen entspricht, nicht im Ergebnis auf ein zusätzliches
Rechtsmittel gegen eine (hier gemäß § 177 SGG) unanfechtbare Entscheidung hinauslaufen darf (vgl. BVerwG,
Beschluss vom 04. Juli 1988 - 7 C 88/87 – BVerwGE 80, 16: "Die Entscheidung nach § 80 Abs. 6 VwGO ist keine
Rechtsmittelentscheidung gegen eine [ ] getroffene Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO"; Schmidt in Eyermann,
Kommentar zur VwGO, 12. Aufl. 2006, § 80 Rz. 101).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.
Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, da diese sich jeweils nicht mit einem
eigenen Sachantrag an dem Kostenrisiko des Verfahrens beteiligt haben (§§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).
Der Streitwert ist in gleicher Höhe festgesetzt worden wie in dem Verfahren L 4 B 406/07 KA ER (Beschl.v. 28. Juni
2007).
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.
Arndt Kampe Rademacker Vorsitzender Richter am Landessozialgericht Richterin am Landes- sozialgericht Richter
am Landes- sozialgericht