Urteil des LSG Schleswig-Holstein vom 29.04.2009

LSG Shs: versicherungspflicht, deklaratorische wirkung, grobe fahrlässigkeit, nebentätigkeit, konstitutive wirkung, zusammenrechnung, beitragspflicht, sozialversicherung, arbeitsentgelt

Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht
Urteil vom 29.04.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Itzehoe S 1 KR 40/07
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht L 5 KR 79/08
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 11. Juni 2008 aufgehoben. Die Klage
wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten beider Rechtszüge. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung der Klägerin zur Beitragszahlung für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 30.
September 2006.
Der Beigeladene ist seit dem 1. Januar 2005 bei der Klägerin geringfügig beschäftigt. Er leistet dort Nachtbereitschaft
und erhielt in dem streitgegenständlichen Zeitraum monatlich 121,43 bis 125,15 EUR. Einschließlich einer
Sonderzuwendung erhielt er im Jahr 2005 1.575,07 EUR und vom 1. Januar bis 30. September 2006 1.123,13 EUR.
Der Beigeladene übt seit Juni 2002 ferner eine Nebenbeschäftigung bei der B. S.-H. gGmbH aus; von dieser bezieht
er 300,00 EUR abzüglich einer Aufwandsentschädigung von 154,00 EUR monatlich, insgesamt 1.937,16 EUR jährlich.
Außerdem übt der Beigeladene eine Hauptbeschäftigung bei der A. U. gGmbH aus; dort arbeitet er 21 Stunden
wöchentlich.
Die Klägerin meldete die geringfügige Beschäftigung des Beigeladenen bei der Beklagten an. Diese lehnte mit
Bescheid vom 27. September 2006 die Anerkennung einer versicherungsfreien geringfügigen Beschäftigung mit der
Begründung ab, die Entgelte einer Haupt- und Nebentätigkeit seien zusammenzurechnen, lediglich die erste
geringfügige Beschäftigung sei versicherungsfrei. Sie führte aus, die Beitragspflicht beginne grundsätzlich mit der
Feststellung der Versicherungspflicht; lediglich wenn die Meldung vorsätzlich oder grob fahrlässig unterblieben sei,
beginne die Beitragspflicht mit Aufnahme der geringfügigen Tätigkeit. Hierzu forderte die Beklagte die Klägerin auf,
den Einstellungsbogen oder entsprechende Belege vorzulegen. Die Klägerin übersandte daraufhin den
Einstellungsbogen vom 1. März 2005. Daraus ergibt sich, dass der Beigeladene auf die Nebentätigkeit bei der B. S.-
H. hingewiesen hatte. Mit Schreiben vom 20. Oktober 2006 bat die Klägerin ferner um Aufklärung im Hinblick darauf,
dass der Arbeitslohn aus allen Nebenbeschäftigungen die Geringfügigkeitsgrenze nicht überschreite. Dieses
Schreiben wertete die Beklagte als Widerspruch. Mit weiterem Bescheid vom 25. November 2006 nahm sie eine grobe
Fahrlässigkeit bei der unterbliebenen Meldung der Tätigkeit des Beigeladenen zum 1. Januar 2005 an und stellte die
Versicherungspflicht zu diesem Zeitpunkt fest. Auch dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein und machte erneut
geltend, die Einnahmen des Beigeladenen aus allen Nebentätigkeiten lägen unterhalb der Grenze zur
Versicherungsfreiheit von 4.800,00 EUR jährlich. Die Beklagte wies die Widersprüche mit Widerspruchsbescheid vom
13. Februar 2007 zurück, in dem sie erneut die Rechtslage hinsichtlich der Verknüpfung mehrerer geringfügiger und
nicht geringfügiger Beschäftigungen darlegte. Die Einnahmen aus einer Haupt- und Nebenbeschäftigung seien
grundsätzlich zusammenzurechnen. Lediglich eine, und zwar die zuerst aufgenommene, geringfügig entlohnte
Beschäftigung sei von der Zusammenrechnung ausgenommen. Die Klägerin habe grob fahrlässig gehandelt, denn sie
habe versäumt, den Sachverhalt hinsichtlich der versicherungsrechtlichen Beurteilung der Beschäftigungsverhältnisse
weiter aufzuklären. Sie habe eine unzutreffende versicherungsrechtliche Beurteilung vorgenommen, obwohl alle
entscheidungserheblichen Tatsachen und Rechtsnormen bekannt gewesen seien.
Gegen die Entscheidung hat die Klägerin am 16. März 2007 beim Sozialgericht Itzehoe Klage erhoben, mit der sie
sich gegen den Vorwurf grob fahrlässigen Verhaltens gewandt hat. Ihre zuständige Sachbearbeiterin sei davon
ausgegangen, dass geringfügige Beschäftigungen bei der Versicherungs- und Beitragspflicht unberücksichtigt blieben,
solange die daraus bezogenen Einkommen zusammengerechnet die Grenze von monatlich 400,00 EUR nicht
überstiegen. Sie habe jedoch nicht gewusst, dass auch geringfügige Beschäftigungen mit einer Hauptbeschäftigung
zusammengerechnet würden. Sie habe den Beigeladenen am 3. April 2005 nach den Vorschriften der
Datenerhebungs- und übertragungsverordnung (DEÜV) angemeldet, ohne dass dies von der Beklagten beanstandet
worden sei. Diese hätte einen Datenabgleich durchführen müssen. Eine grobe Missachtung der Sorgfaltspflicht liege
in ihrem Verhalten nicht. Die Bestimmungen über geringfügige Beschäftigungen seien mehrfach geändert worden und
die Fallkonstellation mit einer Haupt- und mehreren Nebenbeschäftigungen sei äußerst selten. Der Fehler sei daher
kaum vermeidbar gewesen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Bescheide der Beklagten vom 27. September 2006 und 25. November 2006 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 13. Februar 2007 insoweit aufzuheben, als die Versicherungspflicht des Beigeladenen
aufgrund seiner Beschäftigung bei ihr ab 1. Januar 2005 für den Zeitraum vor dem 30. Sep¬tember 2006 festgestellt
worden ist.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat ausgeführt, die grobe Fahrlässigkeit der Klägerin liege darin, dass sie zwar die richtigen Tatsachen ermittelt,
jedoch daraus die falschen Schlussfolgerungen gezogen habe, obwohl der Gesetzeswortlaut eindeutig sei. Es sei
hierbei zu berücksichtigen, dass die Versicherungsfreiheit der ersten geringfügigen Beschäftigung Kernpunkt der
Reform zum 1. April 2003 gewesen sei.
Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Das Sozialgericht Itzehoe hat mit Urteil vom 11. Juni 2008 die Bescheide im Rahmen der Antragstellung aufgehoben.
Zur Begründung der Entscheidung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Versicherungspflicht beginne bei der
Zusammenrechnung mehrerer geringfügiger oder geringfügiger und nicht geringfügiger Beschäftigungen mit der
Mitteilung der Versicherungspflicht. Eine Regelung, nach der bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit die
Versicherungspflicht schon mit Aufnahme der Beschäftigung einsetze, sehe das Gesetz nicht vor. Diese Regelung
habe der Gesetzgeber bewusst getroffen, um einen Anreiz zu geben, geringfügige Beschäftigungen anzuzeigen, ohne
dass Arbeitgeber oder Arbeitnehmer Gefahr liefen, mit Beitragsnachzahlungen überzogen zu werden. Eine Regelung
über eine rückwirkende Versicherungspflicht sei in § 7b Nr. 3 Sozialgesetzbuch, Viertes Buch (SGB IV; alte, bis
31.12.2007 geltende Fassung) aufgenommen; im Umkehrschluss sei zu entnehmen, dass für § 8 SGB IV eine
derartige Regelung nicht gelte. Zwar sähen die Geringfügigkeitsrichtlinien in Ziff. 5.3 Satz 3 vor, dass eine
rückwirkende Versicherungspflicht bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Säumnis eintrete. Die
Geringfügigkeitsrichtlinien seien jedoch lediglich eine Verwaltungsvorschrift, durch die die gesetzliche Regelung nicht
abgeändert werden könne.
Gegen die ihr am 30. Juli 2008 zugestellte Entscheidung richtet sich die vom Sozialgericht zugelassene Berufung der
Beklagten, die am 8. August 2008 beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangen ist. Zur
Begründung trägt sie vor, die einschränkende Auslegung des § 8 Abs. 2 Satz 3 SGB IV entsprechend den
Geringfügigkeitsrichtlinien sei gerechtfertigt. Ziel des Gesetzes sei die Motivation für Arbeitgeber und Beschäftigte
gewesen, die Beschäftigungen aus der Illegalität herauszuführen. Das Gesetzeswerk habe insgesamt die
Bekämpfung von Schwarzarbeit zum Gegenstand gehabt. Von dieser Zielsetzung hätten jedoch solche Arbeitgeber
und Arbeitnehmer nicht profitieren sollen, die vorsätzlich oder grob fahrlässig eine Beschäftigung nicht angezeigt
hätten. Grob fahrlässig sei es dabei, wenn bereits zu Beginn der Beschäftigung die Arbeitnehmereigenschaft nicht
sorgfältig geprüft worden sei. Im Übrigen sei § 8 Abs. 2 SGB IV zum 1. Januar 2008 um Satz 4 ergänzt worden, in
dem gerade diese Rechtslage bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit geregelt worden sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 11. Juni 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie schließt sich der Rechtsauffassung des Sozialgerichts an und trägt vor, die Unterscheidung nach grob
fahrlässigem oder vorsätzlichem Verhalten beschränke sich auf eine selbstständige Tätigkeit, nicht jedoch auf die
Geringfügigkeit. Die Beklagte beziehe sich zu Unrecht auf § 7b Nr. 3 SGB IV a.F., denn dort sei ein aktives Handeln
im Sinne einer Selbstanzeige nicht gefordert. Eine Sanktionsregelung könne in den Wortlaut des § 8 Abs. 2 SGB IV
nicht hineininterpretiert werden. Im Übrigen habe sie nicht grob fahrlässig gehandelt. Sie sei eine kleine
Kirchengemeinde und es sei ihr nicht vorzuwerfen, dass ihre Mitarbeiterin den Sachverhalt fehlerhaft interpretiert und
sie keinen rechtlichen Rat eingeholt habe.
Der Beigeladene stellt keinen Antrag.
Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge der Beklagten und die Verfahrensakte vorgelegen. Zur Ergänzung wird
darauf Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 11. Juni 2008 ist zulässig. Sie ist
insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG) eingegangen und infolge der Zulassung durch
das Sozialgericht (§ 144 Abs. 1 SGG) statthaft im Sinne des § 143 SGG. Sie ist auch begründet. Zu Unrecht hat das
Sozialgericht die angefochtenen Beitragsbescheide insoweit aufgehoben, als darin eine Beitragsverpflichtung der
Klägerin für die Vergangenheit, nämlich die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 30. September 2006, festgestellt wurde. Die
Beitragsbescheide sind rechtmäßig, denn auch in dieser Zeit unterlag die Beschäftigung des Beigeladenen der
Beitragspflicht und war die Klägerin zur Zahlung der Beiträge verpflichtet.
Personen, die im Sinne des § 7 SGB IV gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 und
§ 3 Nr. 1 SGB IV regelmäßig der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Sozialversicherung. Für die einzelnen
Zweige der Sozialversicherung folgt dies spezialgesetzlich ferner aus § 24 Abs. 1, § 25 Abs. 1 Sozialgesetzbuch,
Drittes Buch (SGB III) für den Bereich der Arbeitsförderung, aus § 5 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch
(SGB V) für die gesetzliche Krankenversicherung, aus § 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch (SGB VI)
für die gesetzliche Rentenversicherung und aus § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Halbsatz 1 Sozialgesetzbuch, Elftes Buch
(SGB XI) für die soziale Pflegeversicherung. Zwischen den Beteiligten besteht zu Recht kein Streit darüber, dass der
Beigeladene bei der Klägerin eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV ausübt, denn
die Tätigkeit erfüllt ihrer Art nach sämtliche Merkmale einer nicht selbstständigen Arbeit, der Beigeladene ist in den
Betrieb der Klägerin eingegliedert und unterliegt deren Weisungsrecht.
Eine Sozialversicherungspflicht und in der Folge dazu eine Beitragspflicht besteht jedoch dann nicht, wenn ein
Beschäftigungsverhältnis nur geringfügig ist. Für den Bereich der Arbeitsförderung folgt dies aus § 27 Abs. 2 Satz 1
SGB III, für die gesetzliche Krankenversicherung aus § 7 Abs. 1 SGB V, für die gesetzliche Rentenversicherung aus
§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI und für die gesetzliche Pflegeversicherung aus § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB XI. Die
Merkmale einer geringfügigen Beschäftigung ergeben sich aus § 8 Abs. 1 SGB IV. Geringfügigkeit in diesem Sinne
liegt dann vor, wenn das Arbeitsentgelt aus der Beschäftigung regelmäßig im Monat 400,00 EUR nicht übersteigt (Nr.
1) oder die Beschäftigung innerhalb eines Kalenderjahres auf längstens zwei Monate oder 50 Arbeitstage nach ihrer
Eigenart begrenzt zu sein pflegt oder im Voraus vertraglich begrenzt ist, es sei denn, dass die Beschäftigung
berufsmäßig ausgeübt wird und ihr Entgelt 400,00 EUR im Monat übersteigt (Nr. 2). Die beiden Beschäftigungen des
Beigeladenen bei der Klägerin und bei der B. S.-H. gGmbH erfüllen die Voraussetzungen der Nr. 1, indem das
Arbeitsentgelt aus jeder einzelnen Beschäftigung und aus beiden Beschäftigungen zusammen 400,00 EUR nicht
übersteigt. Zwar erhält der Beigeladene von der Brücke monatlich 300,00 EUR, hierin ist aber eine
Aufwandsentschädigung von 154,00 EUR monatlich enthalten, so dass auch beide Nebentätigkeiten
zusammengenommen unterhalb der Geringfügigkeitsgrenze liegen.
Allerdings bestimmt § 8 Abs. 2 Satz 1 SGB IV, dass bei der Anwendung des Absatzes 1 mehrere geringfügige
Beschäftigungen nach Nr. 1 oder Nr. 2 sowie geringfügige Beschäftigungen nach Nr. 1 mit Ausnahme einer
geringfügigen Beschäftigung nach Nr. 1 und nicht geringfügige Beschäftigungen zusammenzurechnen sind. Es kann
hier dahingestellt bleiben, ob die Ausnahmeregelung "mit Ausnahme einer geringfügigen Beschäftigung nach Nr. 1"
sich nur auf die Fallkonstellation bezieht, dass neben der nicht geringfügigen Beschäftigung überhaupt nur eine
geringfügige Beschäftigung ausgeübt wird oder sich auch darauf bezieht, dass – wie hier – neben der nicht
geringfügigen Beschäftigung mehrere geringfügige Beschäftigungen ausgeübt werden. Zwar stellt sich in der zweiten
Auslegungsvariante die gesetzlich nicht beantwortete Frage, welche der mehreren geringfügigen Beschäftigungen von
der Zusammenrechnung ausgenommen werden sollen. Es liegt nahe, hierfür die erste der mehreren geringfügigen
Beschäftigungen heranzuziehen; dies wäre hier die Nebenbeschäftigung bei der B. S.-H. gGmbH, die der Beigeladene
bereits seit Juni 2002 ausübt. Denn ein anderes als das zeitliche Auswahlkriterium findet keine sachliche Begründung.
Selbst wenn man dem Arbeitnehmer insoweit jedoch ein Wahlrecht unter den mehreren geringfügigen Beschäftigungen
zugesteht (so Schlegel in jurisPK-SGB IV, § 8 Rz. 60), führt dies hier zu keinem anderen Ergebnis, da der
Beigeladene eine derartige Wahl nicht getroffen hat. Zu Recht ist daher zwischen den Beteiligten außer Streit, dass
die Beschäftigung des Beigeladenen bei der Klägerin infolge der Zusammenrechnung mit der Haupttätigkeit nicht mehr
im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV geringfügig ist. Fraglich ist allein der Zeitpunkt, von dem an die
Versicherungspflicht eintritt.
Die Versicherungspflicht in den Zweigen der gesetzlichen Sozialversicherung tritt regelmäßig bereits dann ein, wenn
die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale erfüllt sind (Wietek in LPK-SGB IV, § 2 Rz. 4; Bayer in Krauskopf, Soziale
Krankenversicherung/Pflegeversicherung, § 2 SGB IV Rz. 5). Dies entspricht der Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 1
SGB IV, nach dem die Beitragsansprüche der Versicherungsträger entstehen, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund
eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen, sowie der Regelung des § 7a Abs. 6 Satz 1 SGB IV, nach
dem die Deutsche Rentenversicherung Bund ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis feststellt; dies ist
keine Begründung eines Pflichtversicherungsverhältnisses, sondern setzt voraus, dass dieses bereits eingetreten ist
(BSG, Urteil vom 11. März 2009, B 12 R 11/07 R, abgedruckt in juris, zur Veröffentlichung vorgesehen). Der
Begründung durch einen Verwaltungsakt bedarf es daher nicht, die Verwaltungsentscheidung der Einzugsstelle oder
des Rentenversicherungsträgers hat lediglich eine deklaratorische Wirkung. Von diesem Grundsatz macht § 8 Abs. 2
Satz 3 SGB IV eine Ausnahme. Wird bei der Zusammenrechnung nach Satz 1, d. h. zwischen geringfügigen oder
geringfügigen mit nicht geringfügigen Beschäftigungen, festgestellt, dass die Voraussetzungen einer geringfügigen
Beschäftigung nicht mehr vorliegen, tritt die Versicherungspflicht erst mit dem Tag der Bekanntgabe der Feststellung
durch die Einzugsstelle oder einem Träger der Rentenversicherung ein. In dem Fall hat die Verwaltungsentscheidung
des Versicherungsträgers nicht nur deklaratorische Wirkung, sondern erlangt eine konstitutive Wirkung mit dem Inhalt,
dass eine Versicherungspflicht der Nebentätigkeit vom Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung an besteht und dass in
der Zeit vor Erlass der Verwaltungsentscheidung keine Versicherungspflicht bestand (Schlegel, a.a.O., Rz. 67). § 8
Abs. 2 Satz 3 SGB IV erweitert den Grundsatz über den Eintritt der Sozialversicherungspflicht insoweit, als es nicht
nur auf die tatbestandlichen Merkmale der einzelnen Sozialgesetzbücher für den Eintritt der Sozialversicherung
ankommt, sondern die gesetzlichen Voraussetzungen für den Eintritt der Sozialversicherungspflicht erfordern in dem
Fall der Zusammenrechnung zusätzlich die Verwaltungsentscheidung des Versicherungsträgers. Besonderheit erlangt
diese Verwaltungsentscheidung darüber hinaus insoweit, als sie lediglich Wirkung für die Zukunft, nicht jedoch für die
Vergangenheit hat.
Es kann im Fall des Beigeladenen dahinstehen, ob die Regelung des § 8 Abs. 1 Satz 3 SGB IV in allen Fällen der
Zusammenrechnung heranzuziehen ist (vgl. Landessozialgericht Baden-Würt¬temberg, Urteil vom 9. April 2008, L 5 R
2125/07, abgedruckt in juris, sowie Bayerische Landessozialgericht, Urteil vom 22. Oktober 2008, L 13 KN 16/08,
abgedruckt in juris, anhängig beim BSG, Az. B 12 R 5/08 R) oder ob die Regelung dann nicht heranzuziehen ist, wenn
die Beteiligten vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt haben, wie dies in den Geringfügigkeitsrichtlinien der
Spitzenverbände der Krankenkassen, der Deutschen Rentenversicherung Bund und der Bundesagentur für Arbeit vom
24. August 2006, Nr. 4.3, geregelt ist. Denn die tatbe¬standlichen Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 Satz 3 SGB IV
sind nicht erfüllt. Die Vorschrift stellt darauf ab, dass sich die Verhältnisse innerhalb der mehreren Beschäftigungen
geändert haben. Diese Auslegung gebietet der Wortlaut der Vorschrift. Es ist dort geregelt, dass festgestellt worden
sei, dass die Voraussetzungen einer geringfügigen Beschäftigung "nicht mehr" vorlägen. Diese Regelung knüpft an
den Wortlaut des Satzes 2 an, nach dem eine geringfügige Beschäftigung "nicht mehr" vorliegt, sobald die
Voraussetzungen des Absatzes 1 "entfallen". Diese Gesetzesformulierungen geben wieder, dass in den tatsächlichen
Verhältnissen eine Entwicklung stattfinden muss in der Weise, dass zunächst einmal keine Versicherungspflicht
bestanden hat und diese erst nachträglich eingetreten ist. Zwar mag eine Auslegung auch in der Weise möglich sein,
dass die Formulierung "nicht mehr" an die abstrakten tatbestandlichen Voraussetzungen anknüpft und nicht den
konkreten zu entscheidenden Einzelfall vor Augen hat. Jedoch ist dies eine sehr weite Auslegung des
Gesetzeswortlauts. Angesichts der Tatsache, dass die Regelung von dem allgemeinen Grundsatz über den Eintritt
der Sozialversicherungspflicht abweicht und insofern Ausnahmecharakter hat, ist demgegenüber eine enge
Wortlautauslegung geboten (vgl. Larenz, Methodenlehre, II Kapitel 4 Abschnitt 4a zu der grundsätzlichen engen
Auslegung von Ausnahmeregelungen und der dabei bestehenden Problematik). Diese Auslegung entspricht auch der
Absicht des Gesetzgebers. Die Regelung ist in § 8 SGB IV durch das Zweite Gesetz für moderne Dienstleistungen
am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002 (BGBl. I, S. 4621) zum 1. April 2003 eingefügt. Der Gesetzgeber hatte die
Absicht, die Arbeitgeber vor weitreichenden Beitragsnachforderungen zu schützen, wenn die Beschäftigten mehrere
geringfügige Beschäftigungen ausübten; dies sollte die Motivation fördern, die Beschäftigung der Sozialversicherung
zu melden und aus der Illegalität herauszuführen (BT Druck¬sache 15/26, S. 23). Dieser Gesetzeszweck ist jedoch
nur berührt, wenn die Entgelte zweier dem Grunde nach geringfügiger Beschäftigungen (Nebentätigkeiten)
zusammengerechnet werden, nicht aber dann, wenn die Entgelte einer nicht geringfügigen (Haupt-)Beschäftigung und
einer Nebentätigkeit zusammengerechnet werden. Denn in dem Fall tritt eine Änderung der Verhältnisse nicht ein,
sondern die Versicherungspflicht der Nebentätigkeit besteht vorbehaltlich des Ausschlusses der ersten Nebentätigkeit
von Anfang an. Die erste Nebentätigkeit bleibt auch immer die erste Nebentätigkeit, die zweite ebenso immer die
zweite Tätigkeit, so dass auch insofern keine Änderung der Verhältnisse eintritt.
Der Senat kommt damit zu dem Ergebnis, dass die Auslegung des § 8 Abs. 2 Satz 3 SGB IV nicht heranzuziehen ist
und daher keine Versicherungs- und Beitragspflicht erst mit der Feststellung durch die Beklagte eintritt, sondern dass
es bei dem allgemeinen Grundsatz bleibt, dass die Versicherungspflicht bereits in dem Moment eintritt, in dem die
materiellen, in den Sozialgesetzbüchern speziell festgelegten tatbestandlichen Voraussetzungen für die
Versicherungspflicht erfüllt sind. Daher besteht die Versicherungs- und Beitragspflicht bereits mit Aufnahme der
Tätigkeit des Beigeladenen bei der Klägerin.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
Der Senat hat die Revision zugelassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG erfüllt sind. Die Frage, ob § 8
Abs. 2 Satz 3 SGB IV nur im Fall einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse heranzuziehen ist, ist
höchstrichterlich nicht entschieden. Wenn man diese Frage verneint, gelangt man zu der umstrittenen Frage, ob die
Regelung – wie die Geringfügigkeitsrichtlinien dies vorsehen – nicht bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit
heranzuziehen ist, die beim BSG unter dem Aktenzeichen B 12 R 5/08 R anhängig ist.
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