Urteil des LSG Schleswig-Holstein vom 28.02.2007

LSG Shs: therapie, hormonelle störung, eltern, krankheit, behinderung, diagnose, verwaltungsakt, rechtswidrigkeit, durchschnitt, japan

Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht
Urteil vom 28.02.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Lübeck S 5 KR 269/03
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht L 5 KR 97/05
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 25. Juli 2005 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision
wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Übernahme der Kosten für eine Behandlung mit
Wachstumshormonen.
Die 1995 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gegen Krankheit familienversichert. Sie leidet unter einem
Kleinwuchs unklarer Ursache, der mit Wachstumshormonen behandelt wird. Zusammen mit ihrem behandelnden Arzt
Dr. I A von der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Aa Kinderkrankenhauses in H beantragten ihre Eltern für sie
am 16. April 2002 die Übernahme der Kosten für einen Therapieversuch mit pharmakologisch dosierten
Wachstumshormonen. Dr. A führte hierzu aus, im Oktober 2001 sei die Klägerin sechs Jahre und drei Monate alt und
97,2 cm groß gewesen. Dies liege 20,2 cm unter dem alters- und geschlechtsbezogenen Durchschnitt. Die
Wachstumsprognose betrage 147,2 cm und damit 22 cm weniger als der Durchschnitt erwachsener Frauen. Nach der
genetischen Zielgröße liege die Wachstumsprognose bei 160 cm. Eine hormonelle Ursache hierfür sei durch
Untersuchungen ausgeschlossen worden. Dr. A wies darauf hin, dass biosynthetische Wachstumshormone für die
Therapie eines idiopathischen Kleinwuchses nicht zugelassen seien, es bestehe lediglich die Möglichkeit, in
Härtefällen einen individuellen Heilversuch durchzuführen. Ein derartiger Härtefall liege hier vor, denn die Klägerin
werde aufgrund ihres Kleinwuchses ausgegrenzt. Ab einer Körpergröße von ca. 147 cm sei von einer erheblichen
sozialen Benachteiligung und damit von einer Behinderung auszugehen. Die Therapie koste jährlich ungefähr
42.000,00 DM. Regelmäßig werde sie bis zum Verschluss der Wachstumsfugen bzw. bis zum Erreichen des
genetischen Wachstumspotenzials fortgeführt. Die Beklagte holte eine Stellungnahme von Frau Dr. G vom
Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Hamburg (MDK) vom 26. April 2002 ein. Die Gutachterin führte aus,
ein Einsatz der Wachstumshormone außerhalb ihrer Zulassung wäre nur bei einer lebensbedrohlichen oder die
Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden Erkrankung zulässig, die hier aber nicht vorliege. Außerdem
bestehe keine begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg, da für die Behandlung des idiopathischen
Kleinwuchses keine veröffentlichten randomisierten Doppelblindstudien der Phase 3 existierten. Eine andere
Therapieform sei jedoch nicht verfügbar. Mit dieser Begründung wies die Beklagte den Kostenübernahmeantrag mit
Bescheid vom 23. Mai 2002 zurück. Die Eltern der Klägerin legten dagegen am 17. Juni 2002 Widerspruch ein. Sie
trugen vor, dass die Medikamente in Frankreich zugelassen seien, es sei daher nicht einzusehen, dass in
Deutschland die Kosten dafür nicht übernommen würden. Sie stützten sich auf ein Gutachten des Leiters des
Bereichs Endokrinologie und Diabetologie des Universitätsklinikums La Prof. Dr. Ha vom 10. Dezember 2002, der
ausgeführt hatte, die Ursache für den Kleinwuchs sei ungeklärt, es solle eine Therapie mit Wachstumshormonen im
Rahmen eines individuellen Heilversuchs unternommen werden. Die Beklagte holte eine weitere Stellungnahme des
MDK vom 13. Februar 2003 ein, der angesichts unveränderter Aktenlage eine Teilnahme der Klägerin an einer
laufenden Studie empfahl. Dr. A schloss in einem Arztbrief vom 28. April 2003 gegenüber der
Wachstumshormontherapie alternative Behandlungsmöglichkeiten aus. In der Literatur seien Wachstumshormone in
Einzelfällen als wirksam erachtet worden. Zur Zeit mache die Klägerin unter der Therapie ein Aufholwachstum durch.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25. April 2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie
im Wesentlichen aus, die engen Voraussetzungen für eine Anwendung des Arzneimittels außerhalb seines
Zulassungsbereichs seien nicht erfüllt. Dementsprechend habe Dr. A die Zustimmung für die Durchführung eines
individuellen Heilversuchs beantragt.
Gegen die Entscheidung haben die Eltern der Klägerin am 22. Mai 2003 beim Sozialgericht Lübeck Klage erhoben und
ausgeführt, die Klägerin leide von Geburt an unter Kleinwuchs. Ihre Wachstumsprognose von 146,5 cm +/- 8,5 cm
liege 22 cm unter dem Durchschnitt. Auch die Wachstumsrate sei unterdurchschnittlich. Sie haben Arztbriefe von Dr.
A vom 17. De¬zember 2003 und 24. August 2004 vorgelegt und ausgeführt, es bestehe eine ungenaue
Skelettdysplasie. Seit 2002 werde die Klägerin mit dem Wachstumshormonpräparat Somatropin behandelt; die
Therapie spreche gut an. Der Wirkstoff Somatropin sei bei einem gleichgearteten Präparat in Japan zugelassen.
Hierzu haben die Eltern der Klägerin drei Studien vorgelegt. Ein geringes Wachstum stelle eine Krankheit mit
psychosozialen Folgen und Benachteiligungen dar. Eine Körpergröße von maximal 140 cm sei eine Behinderung.
Außerdem sei die Disproportionalität des Körpers zu berücksichtigen. Das Gesetz gebe ein Rahmenrecht auf eine
Arzneimittelbehandlung, das der behandelnde Arzt konkretisiere. Die Krankenkasse könne einem Versicherten ein
notwendiges Arzneimittel nicht vorenthalten. Die Tatsache, dass eine Zulassung für das Arzneimittel für die
Erkrankung der Klägerin fehle, sei unmaßgeblich, denn der Antrag auf Zulassung obliege dem Hersteller. Die
Krankheit sei schwerwiegend, eine andere Therapie sei nicht verfügbar. Die Skelettdysplasie sei eine selten
auftretende komplexe Erkrankung des Knorpel- und Knochensystems mit vielen Ausprägungen. Daher seien für die
Erfolgsaussicht nicht übermäßig strenge Anforderungen zu stellen.
Die Beklagte hat zwei weitere Stellungnahmen des MDK vom 2. März und 12. Juli 2005 vorgelegt und ausgeführt, die
Größenvorausberechnungen seien ungenau. Ein Wirkungszusammenhang zwischen dem Wirkstoff Somatropin und
der Erkrankung der Klägerin sei nicht erkennbar. Eventuell müsse ein molekulargenetisches Gutachten über die bei
der Klägerin gestellte Diagnose Achondroplasie eingeholt werden.
Das Sozialgericht hat Behandlungs- und Befundberichte von dem Arzt für Humangenetik Prof. Dr. M vom 23. März
2005 nebst weiteren Arztbriefen und von Dr. A vom 26. April 2005 eingeholt. Mit Urteil vom 25. Juli 2005 hat es die
Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, Arzneimittel bedürften nach den Vorschriften
des Arzneimittelrechts der Zulassung für die konkrete Erkrankung. Dies entspreche dem allgemeinen
Wirtschaftlichkeitsgebot, nach dem eine Behandlung zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dem Qualitäts- und
Wirksamkeitsstandard der medizinischen Erkenntnisse entsprechen müsse. Arzneimittel mit dem Wirkstoff
Somatropin seien apothekenpflichtige Fertigarzneimittel, die der arzneimittelrechtlichen Zulassung bedürften. Alle
diese Medikamente hätten nicht die Zulassung für die bei der Klägerin festgestellte Krankheit und deren Symptome.
Bei der Klägerin bestehe eine bislang nicht qualifizierbare Skelettdysplasie. Die ursprünglich gestellte Diagnose eines
idiopathischen Kleinwuchses sei damit widerlegt. Die Krankheit sei sehr selten. Weiter habe Dr. A ausgeführt, dass
eine hormonelle Störung, ein Turner-Syndrom, ein Prader-Willi-Syndrom und eine Niereninsuffizienz ausgeschlossen
seien. Insgesamt sei eine Diagnose für eine Therapie mit Wachstumshormonen ausgeschlossen. Auch ohne
Zulassung des Medikaments könne eine Arzneimitteltherapie durchgeführt werden, wenn eine schwerwiegende
Erkrankung vorliege, für die es keine andere Therapie gebe und wenn aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht
bestehe, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg zu erzielen sei. Bei seltenen Erkrankungen seien
an die Erfolgs¬aussicht keine übermäßig hohen Anforderungen zu stellen wie bei häufiger auftretenden Erkrankungen.
Hier fehle es jedoch bereits daran, dass eine schwerwiegende, nämlich lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf
Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung vorliege. Zwar beeinträchtige ein Kleinwuchs die Lebensqualität auf
Dauer nachhaltig. Jedoch habe Dr. A in seinem Bericht vom 17. Dezember 2003 ausgeführt, dass die Zielgröße der
Klägerin inzwischen bei 160 cm liege. Im März 2005 sei die Klägerin 122,3 cm groß gewesen und damit nur noch 14,6
cm kleiner als die Altersnorm. Dies sei möglicherweise auf das Medikament zurückzuführen, das sie im Rahmen einer
Studie oder über Vergabemöglichkeiten von Drittmitteln erhalten habe. Nach der nunmehr ausgeworfenen möglichen
Endgröße sei keine schwerwiegende Erkrankung im vorgenannten Sinne festzustellen. Auch die vorher ausgewiesene
Wachstumsprognose von 146,5 cm stelle keine Erkrankung mehr dar. Nach dem Schwerbehindertengesetz gelte nur
eine Körpergröße bis zu 140 cm als Behinderung.
Gegen die ihnen am 19. Oktober 2005 zugestellte Entscheidung haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin am
11. November 2005 beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht Berufung eingelegt. Sie führen aus, das
Sozialgericht habe fehlerhaft eine schwerwiegende Erkrankung verneint. Die Wachstumsprognose von 146,5 cm sei
eine schwerwiegende Lebensbeeinträchtigung, obwohl sie nach den Standards keine Behinderung im Sinne des
Schwerbehindertengesetzes darstelle. Die Lebensqualität werde durch eine solche Körpergröße dauerhaft
beeinträchtigt. Für die Annahme einer Erfolgsaussicht der Therapie verweisen die Prozessbevollmächtigten der
Klägerin erneut darauf, dass in Japan ein Wachstumshormonpräparat mit gleichem Wirkstoff für die Indikation einer
Skelettdysplasie zugelassen sei. Im Rahmen der japanischen Zulassung seien klinische Prüfungen der Phase 3
vorgenommen worden. Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin legen Arztbriefe von Dr. A vom 1. Ju¬ni 2006 und
10. Januar 2007 vor und führen aus, bisher seien den Eltern der Klägerin Kosten für die Therapie nicht entstanden.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 25. Juli 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 2002 in der
Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25. April 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Kosten
für das Wirkstoffpräparat Somatropin zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bezieht sich auf ihren bisherigen Vortrag.
Dem Senat haben die Verwaltungsakte der Beklagten und die Verfahrensakte vorgelegen. Zur Ergänzung wird darauf
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 25. Juli 2005 ist zulässig, sie ist aber nicht
begründet.
Die Klage ist nicht zulässig. Es fehlt der Klägerin an der erforderlichen Klagebefugnis. Nach § 54 Abs. 1
Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann durch die Klage die Aufhebung eines Verwaltungsaktes oder seine Abänderung
sowie die Verurteilung zum Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsaktes begehrt werden. Soweit
gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist nach Satz 2 der Vorschrift die Klage zulässig, wenn die Klägerin
behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts beschwert zu
sein. Eine anderweitige Bestimmung greift hier nicht ein. An der Beschwer fehlt es hier.
Die Prozessordnungen kennen keinen allgemeinen Gesetzesvollziehungsanspruch. Für die Zulässigkeit einer Klage
ist es daher nicht ausreichend, dass der Bürger allein die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts geltend macht,
sondern er muss durch die Verwaltungsmaßnahme oder deren Unterlassung in seinen subjektiven Rechten betroffen
sein. Zwar bestimmt § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, dass der Kläger (bereits dann) beschwert ist, wenn der Verwaltungsakt
oder seine Ablehnung oder Unterlassung rechtswidrig ist. Diese Aussage ist jedoch insoweit missverständlich, als die
Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts bzw. seiner Unterlassung allein nicht ausreicht (vergl. Castendiek in HK-SGG,
§ 54 Rz. 80). Die Regelung sagt lediglich aus, dass die - behauptete - Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts
Zulässigkeitsvoraussetzung für die Klage ist. Die Notwendigkeit der Beschwer basiert auf einem allgemeinen
Rechtsgedanken, der alle Prozessordnungen durchzieht. Sie setzt die Betroffenheit in einem Individualinteresse
voraus (BSGE 42, 256; Keller in: Meyer-Ladewig/Kel¬ler/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 54 Rz. 12). In der
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist sie in § 42 Abs. 2 ausgedrückt, nach dem die Anfechtungs- und
Verpflichtungsklage nur zulässig sind, wenn der Kläger geltend macht, in seinen Rechten verletzt zu sein. Eine
entsprechende Regelung enthält § 40 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung. Eine Klage zielt stets auf den entsprechenden
gerichtlichen Ausspruch im Urteil ab. Hierzu regelt die VwGO in § 113 Abs. 1 Satz 1, dass das Gericht den
Verwaltungsakt aufhebt, wenn dieser rechtswidrig ist und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Die eigene
Rechtsverletzung ist daher unabdingbare Sachentscheidungsvoraussetzung. Daran fehlt es hier, denn die Klägerin ist
bereits nach ihrem eigenen Vortrag durch die ablehnende Entscheidung der Beklagten nicht in ihren eigenen Rechten
verletzt. Sie macht einen Kostenerstattungs- oder Übernahmeanspruch geltend, der begriffsnotwendig voraussetzt,
dass ihr bzw. ihren Eltern Kosten entstanden sind. Dies ist nach ihrem eigenen Vorbringen jedoch nicht der Fall. Auf
ausdrückliche Nachfrage des Senats teilten ihre Prozessbevollmächtigten mit, dass das Arzneimittel ihr
ärztlicherseits zur Verfügung gestellt werde und sie bzw. ihre Eltern daher keine Kosten für die
Wachstumshormontherapie verauslagen müsse. Trotz der weiter gehenden Anfrage des Senats sind die Gründe
hierfür nicht benannt worden. Für die prozessualen Belange ist maßgeblich, dass ihr in der Vergangenheit keine
Kosten entstanden sind, die ihr zu erstatten wären. Außerdem ergibt sich aus dem Inhalt des Schriftsatzes vom 19.
Dezember 2006 nicht, dass ihr zukünftig Kosten entstehen werden, so dass auch ein Übernahmeanspruch fehlgeht.
Ergibt bereits das Vorbringen eines Klägers, dass eine Verletzung in eigenen Rechten offensichtlich und eindeutig
nach keiner Betrachtungsweise vorliegt, so ist die Klage unzulässig (BSG, a. a. O.; Keller in: Meyer-Ladewig u. a. a.
a. O., Rz. 13).
Da es an den Voraussetzungen einer Sachentscheidung fehlt, hatte der Senat nicht mehr darüber zu befinden, ob die
materiellen Voraussetzungen für einen Kostenerstattungsanspruch der Klägerin gegeben wären.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.