Urteil des LSG Schleswig-Holstein vom 11.12.2009

LSG Shs: rahmenfrist, gleichgestellte zeit, geburt, beitragspflicht, anwartschaft, nichterfüllung, mutterschaft, arbeitsentgelt, kinderbetreuung, wiederholung

Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht
Urteil vom 11.12.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Itzehoe S 2 AL 64/07
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht L 3 AL 67/08
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 18. November 2008 sowie der
Bescheid der Beklagten vom 31. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juli 2004
aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin auf deren Antrag vom 11. Februar 2004 Arbeitslosengeld zu
gewähren. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Arbeitslosengeld (Alg) ab 11. Februar 2004.
Die 1964 geborene verheiratete Klägerin stand von 1991 bis zum 10. Januar 2002 in einem Beschäftigungsverhältnis -
zuletzt als Zentraleinkäuferin - bei der O GmbH & Co KG in H. Ihr Sohn T -N ist 1999 geboren. In der Zeit vom 18.
November 1998 bis einschließlich 10. Januar 2002 bezog die Klägerin wegen Mutterschutzes (bis 8. März 1999) und
anschließender Elternzeit kein Arbeitsentgelt. Die Barmer Ersatzkasse bescheinigte für diese Zeit des
Mutterschutzes den Bezug von Mutterschaftsgeld bzw. Sonderunterstützung nach dem Mutterschutzgesetz
(MuSchG). Am 4. Februar 2004 unterzeichneten die Klägerin und die O GmbH & Co KG eine Vereinbarung, in der es
heißt, das von der Klägerin am 10. Oktober 2001 aus Anlass des tariflichen Elternurlaubs zum 10. Januar 2002
gekündigte Arbeitsverhältnis werde nach Ablauf des tariflichen Elternurlaubs nicht wieder aufgenommen; die Klägerin
verzichte mit sofortiger Wirkung auf alle mit der tariflichen Wiedereinstellungsgarantie verbundenen Rechte. Für den
Verlust des Arbeitsplatzes erhalte sie eine Abfindung in Höhe von brutto 30.000,00 EUR.
Am 11. Februar 2004 meldete die Klägerin sich bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Alg. Mit Bescheid vom
31. März 2004 lehnte die Beklagte den Antrag ab und führte zur Begründung aus, dass die Klägerin die
Anwartschaftszeit - eine der Voraussetzungen für den Bezug von Alg - nicht erfüllt habe. Denn sie habe innerhalb der
Rahmenfrist von drei Jahren vor dem 11. Februar 2004 nicht mindestens zwölf Monate in einem
Versicherungspflichtverhältnis gestanden. Ebenso wenig habe sie die Anwartschaftszeit nach den besonderen
Bestimmungen für Saisonarbeitnehmer erworben. Aufgrund einer Gesetzesänderung könne wegen Zeiten der
Kindererziehung ab 1. Januar 2003 nicht mehr die Rahmenfrist verlängert werden. Einen Anspruch auf
Arbeitslosenhilfe (Alhi) habe die Klägerin ebenfalls nicht, weil sie innerhalb der Vorfrist von einem Jahr kein Alg
bezogen habe. Die Entscheidung beruhe auf §§ 117, 123, 124, 190 und 192 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III).
Hiergegen erhob die Klägerin am 30. April 2004 Widerspruch und machte geltend, die Beklagte gehe zu Unrecht davon
aus, dass sie nicht innerhalb der Rahmenfrist des § 124 SGB III in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden
habe. Zwar sei zutreffend, dass die Zeiten der Kindererziehung seit dem 1. Januar 2003 nicht mehr wie in § 124 Abs.
3 Nr. 2 SGB III aus der Rahmenfrist herausgerechnet würden. Die Beklagte habe jedoch übersehen, dass der
Gesetzgeber mit dem Job-AQTIV-Gesetz vom 10. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3443) zeitgleich den Begriff des
Versicherungspflichtverhältnisses mit Wirkung zum 1. Januar 2003 neu definiert habe. Nach § 26 Abs. 2a Nr. 1 SGB
III seien seither auch Personen in der Zeit der Erziehung eines Kindes, das das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet
habe, versicherungspflichtig, wenn sie unmittelbar vor der Kindererziehung versicherungspflichtig gewesen seien. Das
sei hier der Fall. Denn sie habe nach der bei Erlass des Bescheides geltenden Gesetzeslage bis zur Vollendung des
dritten Lebensjahres ihres Sohnes 2002 in einem Versicherungspflichtverhältnis im Sinne von § 123 SGB III
gestanden, so dass die Rahmenfrist erfüllt sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 1. Juli 2004, bei dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin eingegangen am 5. Juli
2004, wies die Beklagte den Widerspruch unter Wiederholung und Vertiefung der Gründe des Ausgangsbescheides als
unbegründet zurück. Die Beklagte führte aus: Der Anspruch auf Alg setze nach § 117 SGB III u.a. die Erfüllung der
Anwartschaft voraus. Diese habe nach § 123 SGB III erfüllt, wer in der Rahmenfrist zwölf Monate in einem
Versicherungspflichtverhältnis gestanden habe. Die Rahmenfrist betrage drei Jahre und beginne mit dem Tag vor der
Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg (§ 124 Abs. 1 SGB III). Zeiten der Betreuung und
Erziehung eines eigenen Kindes bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres würden nicht in die Rahmenfrist
eingerechnet; hierdurch verlängere sich die Rahmenfrist entsprechend (§ 124 Abs. 3 Nr. 2 SGB III). Diese Vorschrift
sei durch das Job-AQTIV-Gesetz mit Wirkung ab 1. Januar 2003 aufgehoben worden. Gemäß § 434d Abs. 2 SGB III
sei die Vorschrift in der bis 31. Dezember 2002 geltenden Fassung allerdings für die Zeiten der Betreuung und
Erziehung eines Kindes vor dem 1. Januar 2003 weiterhin anzuwenden. Gemäß § 26 Abs. 2a Nr. 1 SGB III seien
Personen versicherungspflichtig in der Zeit, in der sie ein Kind, das das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet habe,
erziehen, wenn sie unmittelbar vor der Kindererziehung versicherungspflichtig gewesen seien oder eine laufende
Entgeltersatzleistung nach diesem Buch bezogen hätten. Vorliegend habe der Sohn der Klägerin 2002 das dritte
Lebensjahr vollendet. Die zuerst zu bildende Rahmenfrist umfasse die Zeit vom 11. Februar 2001 bis 10. Februar
2004. Die Rahmenfrist verlängere sich um die in diesem Zeitraum enthaltene Zeit der Kinderbetreuung vom 11.
Februar 2001 bis 10. Januar 2002 = 334 Kalendertage und umfasse im nächsten Berechnungsschritt damit zunächst
den Zeitraum 14. März 2000 bis 10. Februar 2004. Innerhalb dieser Zeit sei der Sohn der Klägerin von dieser vom 14.
März 2000 bis zum 10. Februar 2001 = 334 Kalendertage betreut worden. Die Rahmenfrist verlängere sich deshalb
weiter und umfasse nun den Zeitraum 15. April 1999 bis 10. Februar 2004. Da die Kinderbetreuung auch in der Zeit
vom 15. April 1999 bis 13. März 2000 = 334 Tage erfolgt sei, verlängere sich die Rahmenfrist weiter, nämlich vom 15.
Mai 1998 bis 10. Februar 2004. In dieser verlängerten Rahmenfrist sei das Kind seit der Geburt 1999 bis zum 14. April
1999 = 95 Kalendertage von der Klägerin betreut worden, so dass die Rahmenfrist noch einmal um 95 Tage zu
erweitern sei. Insgesamt umfasse die Rahmenfrist somit den Zeitraum vom 13. Februar 1998 bis 10. Februar 2004.
Innerhalb dieser Rahmenfrist habe (nur) vom 13. Februar 1998 bis zum 17. November 1998 ein
Versicherungspflichtverhältnis bestanden; dies sei für einen Alg-Anspruch nicht ausreichend.
Die Klägerin hat am 4. August 2004 bei dem Sozialgericht (SG) Itzehoe zum Az. S 2 AL 189/04 Klage erhoben.
Nachdem das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Beschluss vom 28. März 2006 (1 BvL 10/01, BVerfGE 115,
259) unter Erteilung von Handlungsanweisungen an Gesetzgeber und Verwaltung entschieden hatte, dass es mit Art.
6 Abs. 4 Grundgesetz (GG) unvereinbar sei, wenn Zeiten, in denen Frauen wegen der mutterschutzrechtlichen
Beschäftigungsverbote ihre versicherungsrechtliche Beschäftigung unterbrechen, bei der Berechnung der
Anwartschaftszeit in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung nicht berücksichtigt werden, hat das SG den
Rechtsstreit mit Beschluss vom 20. Juni 2006 bis zum Vorliegen einer Weisungslage infolge dieser Entscheidung des
BVerfG ausgesetzt; im Januar 2007 ist das Verfahren nach den Bestimmungen der Aktenordnung als statistisch
erledigt angesehen worden.
Mit am 12. Juni 2007 bei dem SG eingegangenem Schriftsatz hat die Beklagte mitgeteilt, sie habe ihre Entscheidung
im Hinblick auf den Beschluss des BVerfG überprüft. Innerhalb der Rahmenfrist gemäß § 124 SGB III in Verbindung
mit der Übergangsregelung gemäß § 434j Abs. 3 SGB III werde auch unter Berücksichtigung der beitragspflichtigen
Mutterschutzzeit keine Anwartschaftszeit erfüllt. Die Kindererziehungszeit gemäß § 26 Abs. 2a SGB III sei durch das
Job-AQTIV-Gesetz mit Wirkung ab 1. Januar 2003 in das Gesetz eingefügt worden; Abs. 2a Satz 1 Nr. 1 sei dann
durch das 4. SGB III-Änderungsgesetz vom 19. November 2004 (BGBl. I S. 2902) mit Wirkung ab 1. Januar 2004 neu
gefasst worden. § 26 Abs. 2a SGB III greife deshalb im vorliegenden Rechtsstreit nicht. Im Ergebnis bleibe die
Anwartschaftszeit der Klägerin unerfüllt.
Mit am 17. August 2007 eingegangenem Schriftsatz hat die Klägerin beantragt, das Klageverfahren wieder
aufzunehmen. Auf diesen Antrag ist das Verfahren unter dem neuen Az. S 2 AL 64/07 fortgeführt worden.
Zur Begründung ihrer Klage hat die Klägerin nunmehr ausgeführt, ihr sei unverständlich, dass die Beklagte nach wie
vor von einer Nichterfüllung der Anwartschaftszeit ausgehe. Die Beklagte habe nämlich eingeräumt, dass ihre - der
Klägerin - Mutterschutzzeit beitragspflichtig gewesen sei (ob dies aus § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB III folge oder
Konsequenz der Entscheidung des BVerfG sei, möge dahinstehen). Stichtag für die Geburt ihres Sohnes sei der 31.
Dezember 1998 gewesen; geboren sei das Kind 1999. Nach § 3 MuSchG beginne das Beschäftigungsverbot sechs
Wochen vor dem errechneten Termin; gemäß § 6 MuSchG ende dieses Verbot acht Wochen nach der tatsächlichen
Geburt. Gerechnet von der Geburt des Kindes an habe sie sich bis zum 22. März 1999 im Mutterschutz befunden; sie
habe in dieser Zeit Mutterschaftsgeld bezogen. Da diese Mutterschutzzeit als beitragspflichtig zu gelten habe, was
der Rechtslage gemäß § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB III entspreche, sei diese Zeit zusätzlich zu der im
Widerspruchsbescheid errechneten Zeit vom 13. Februar 1998 bis zum 17. November 1998 zu berücksichtigen. Im
Ergebnis bedeute dies, dass sie vom 13. Februar 1998 bis zum 22. März 1999 in einem
Versicherungspflichtverhältnis gestanden habe, so dass die Anwartschaftszeit von zwölf Monaten erfüllt sei.
Die Klägerin hat beantragt,
1. den Bescheid der Beklagten vom 31. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juli 2004
aufzuheben, 2. die Beklagte zu verurteilen, ihr auf ihren Antrag vom 11. Februar 2004 Arbeitslosengeld zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen: Auch nach erneuter Überprüfung der Angelegenheit sei sie weiterhin der Auffassung, dass die
Anwartschaftszeit nicht erfüllt sei. Dies gelte auch trotz Verlängerung der Rahmenfrist durch die Betreuungszeit. Die
Zeit des Bezuges von Mutterschaftsgeld sei anwartschaftszeitbegründend. Damit könne diese Zeit aber nicht zugleich
auch noch - als Ersatztatbestand hierfür - rahmenfristverlängernd wirken. Somit umfasse die verlängerte Rahmenfrist
die Zeit vom 9. April 1998 bis zum 10. Februar 2004. In diese Zeit fielen nur 334 Tage, die zur Erfüllung einer
Anwartschaftszeit herangezogen werden könnten, und nicht die erforderlichen 360 Tage = 12 Monate (vgl.
Berechnung Bl. 14 GA).
Mit Urteil vom 18. November 2008, das im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung ergangen ist,
hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Klage sei zulässig, aber nicht
begründet. Die Klägerin habe wegen Nichterfüllung der Anwartschaftszeit keinen Anspruch auf Alg. Zwar seien Zeiten
der Betreuung und Erziehung des Kindes der Klägerin bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres hier nicht in die
Rahmenfrist einzurechnen. Auch innerhalb der verlängerten Rahmenfrist habe die Klägerin jedoch nicht mindestens
zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden. Die Anwartschaft sei auch unter Berücksichtigung
der neu eingeführten Vorschrift des § 427a SGB III nicht erfüllt, weil insoweit nur Zeiten des
Mutterschutzbeschäftigungsverbots bis zur Geburt des Kindes berücksichtigt würden. Lägen solche Zeiten nach der
Geburt, handele es sich um Zeiten der Betreuung und Erziehung eines Kindes des Arbeitslosen, die nach der hier
weiter anzuwendenden bis 31. Dezember 2002 geltenden Rechtslage nicht in die Rahmenfrist einzurechnen seien. Der
Schutzzweck sei damit erfüllt, und weder aus den Ausführungen des BVerfG im Beschluss vom 28. März 2006 noch
aus § 427a SGB III ergäben sich Hinweise, dass eine Doppelberücksichtigung (die Rahmenfrist verlängernd und den
Zeiten einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gleichstehend) von Verfassungs wegen geboten oder
vom Gesetzgeber gewollt sei. Unter Berücksichtung der Zeit des Bezuges von Mutterschaftsgeld bis zur Geburt des
Kindes sei hier die Anwartschaftszeit weiterhin nicht erfüllt.
Gegen diese ihrem Prozessbevollmächtigten am 25. November 2008 zugestellte Entscheidung richtet sich die am 8.
Dezember 2008 bei dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingelegte Berufung der Klägerin.
Zur Begründung macht sie unter Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens geltend: Das SG habe die
Anwartschaft falsch berechnet. Wie die Beklagte im Widerspruchsbescheid ausgeführt habe, bilde hier der Zeitraum
vom 13. Februar 1998 bis 10. Februar 2004 die Rahmenfrist. Innerhalb dieser Frist habe sie bis zum 18. November
1998 - dem Beginn der Mutterschutzzeit - versicherungspflichtig gearbeitet. Danach habe sie vom 18. November 1998
bis zum 8. März 1999 Mutterschaftsgeld bezogen. Der Gesetzgeber habe auf die Entscheidung des BVerfG vom 28.
März 2006 die Regelung des § 427a SGB III geschaffen, wonach unter anderem Zeiten des Bezuges von
Mutterschaftsgeld der beitragspflichtigen Beschäftigung gleichstehe, wenn durch Mutterschaft eine die Beitragspflicht
begründende Beschäftigung unterbrochen worden ist. Danach sei hier die Zeit vom 18. November 1998 bis zum 8.
März 1999 den Zeiten einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gleichzustellen. Mit der danach maßgeblichen Zeit
vom 18. November 1998 bis zum 8. März 1999 sei die Anwartschaftszeit erfüllt. Das SG habe hingegen § 427a SGB
III entgegen dem eindeutigen Wortlaut ausgelegt, indem es nur den Zeitraum des Bezuges von Mutterschaftsgeld vor
der Geburt als anwartschaftsbegründend angesehen habe, nicht jedoch den Zeitraum nach der Geburt. Eine solche
Differenzierung ergebe sich weder aus § 427a SGB III noch aus § 124 Abs. 3 Satz 2 SGB III a.F.; die Entscheidung
des SG stehe insoweit auch in Widerspruch zu dem Beschluss des BVerfG vom 28. März 2006.
Die Klägerin beantragt,
1. das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 18. November 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 31. März
2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juli 2004 aufzuheben, 2. die Beklagte zu verurteilen, ihr auf
ihren Antrag vom 11. Februar 2004 Arbeitslosengeld zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie stützt das angefochtene Urteil und erwidert: Die angefochtenen Bescheide hätten auf § 434d SGB III beruht. In
der Folgezeit sei allerdings als Reaktion des Gesetzgebers auf den Beschluss des BVerfG vom 28. März 2006 die
Regelung des § 427a SGB III geschaffen worden. Dies führe dazu, dass im Fall der Klägerin nunmehr die Zeit vom
18. November 1998 bis 8. März 1999 (= Mutterschutz) als sogenannte gleichgestellte Zeit zu berücksichtigen sei und
sich damit anwartschaftszeitbegründend auswirke. Unstrittig seien von diesen beiden - scheinbar nebeneinander
gültigen - Regelungen insgesamt acht Wochen, nämlich die Zeit von der Geburt des Kindes 1999 bis zum Ende des
Mutterschutzes am 8. März 1999, in zweifacher Weise erfasst. Das habe auch der Gesetzgeber erkannt und diese
Doppelberücksichtigung aufgehoben. Aus § 427 Abs. 2 SGB III ergebe sich, dass bei der Anwendung der Regelung
zur Berechnung der Rahmenfrist nach § 124 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, 4 und 5 SGB III entsprechende Zeiten, die nach
dem Arbeitsförderungsgesetz in der zuletzt geltenden Fassung einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung
gleichstanden, unberücksichtigt bleiben. Damit sei die in Rede stehende Zeit des Mutterschutzes zwar gleichgestellte
Zeit, könne aber nicht gleichzeitig die maßgebliche Rahmenfrist verlängern. Der in der Berufungsbegründung
vorgenommene Verweis auf die Berechnung der Rahmenfrist im Widerspruchsbescheid vom 1. Juli 2004 sei insoweit
nicht mehr möglich. Vielmehr habe sie - die Beklagte - die Rahmenfrist nach der Wiederaufnahme des
Klageverfahrens und der Umsetzung des Beschlusses des BVerfG neu und abschließend bestimmt. Diese umfasse
nach viermaliger Verlängerung die Zeit vom 9. April 1999 bis zum 10. Februar 2004 und berücksichtige damit die
Zeiten der Betreuung des Sohnes T -N vom 9. März 1999 bis 10. Januar 2002 als eine die Rahmenfrist verlängernde
Zeit. Innerhalb dieser Rahmenfrist habe die Klägerin vom 9. April 1998 bis 17. November 1998 (= 223 Kalendertage) in
einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden sowie vom 18. November 1998 bis 8. März 1999 (=
111 Kalendertage) Mutterschaftsgeld bezogen. Nach § 123 SGB III habe aber nur derjenige die Anwartschaftszeit
erfüllt, der in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden habe.
Damit müsse es letztlich auch unter Berücksichtigung des Beschlusses des BVerfG und der diesen Beschluss
umsetzenden gesetzlichen Bestimmungen bei einer Ablehnung des Alg-Antrags vom 11. Februar 2004 bleiben.
Dem Senat haben die die Klägerin betreffenden Verwaltungsvorgänge der Beklagten und die Gerichtsakten
vorgelegen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten wird
hierauf Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet. Der Klägerin steht der geltend
gemachte Anspruch auf Alg ab 11. Februar 2004 zu. Sie hat insbesondere - worüber die Beteiligten allein streiten - die
Anwartschaft für den geltend gemachten Alg-Anspruch erfüllt. Das angefochtene Urteil und der ihm zugrundeliegende
Ablehnungsbescheid können deshalb keinen Bestand haben.
Nach § 117 Abs. 1 Nr. 1, § 118 Abs. 1 SGB III setzt der Anspruch auf Alg Arbeitslosigkeit, Arbeitslosmeldung und
Erfüllung der Anwartschaftszeit voraus. Die Klägerin war nach Beendigung ihres Beschäftigungsverhältnisses bei der
O GmbH & Co KG im Sinne von § 119 SGB III arbeitslos; ausweislich der Vereinbarung vom 4. Februar 2004 ist das
aus Anlass des tariflichen Elternurlaubs zum 10. Januar 2002 gekündigte Arbeitsverhältnis nach Ablauf dieses
Elternurlaubs nicht wieder aufgenommen worden. Am 11. Februar 2004 hat die Klägerin sich auch bei der Beklagten
arbeitslos gemeldet.
Die Einzelheiten zur Erfüllung der Anwartschaftszeit sind in §§ 123, 124 SGB III in der bis zum 31. Dezember 2003
geltenden Fassung geregelt, die nach der mit Gesetz vom 23. Dezember 2003 (BGBl. I S. 2848) eingefügten
Übergangsregelung in § 434j Abs. 3 SGB III weiter anzuwenden ist, wenn der Anspruch auf Alg bis zum 31. Januar
2006 entstanden ist. Danach hat die Anwartschaftszeit - soweit hier von Bedeutung - erfüllt, wer in der Rahmenfrist
mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat (§ 123 Satz 1 Nr. 1 SGB III a.F.).
Die Rahmenfrist beträgt nach § 124 Abs. 1 SGB III a.F. drei Jahre und beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung aller
sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg. Die (reguläre) Rahmenfrist von drei Jahren begann angesichts
der Arbeitslosmeldung der Klägerin zum 11. Februar 2004 am 10. Februar 2004 und reichte bis zum 11. Februar 2001
zurück. Wegen der Kindererziehungszeit der Klägerin vor dem 1. Januar 2003 ist hier allerdings von einer verlängerten
Rahmenfrist auszugehen. Denn nach § 124 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB III in der bis zum 31. Dezember 2002 geltenden
Fassung, die nach mit Gesetz vom 10. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3443) eingefügten Übergangsregelung des § 434d
Abs. 2 SGB III für Zeiten der Betreuung und Erziehung eines Kindes vor dem 1. Januar 2003 weiterhin anzuwenden
ist, werden Zeiten der Betreuung und Erziehung eines Kindes des Arbeitslosen, in denen das Kind das dritte
Lebensjahr noch nicht vollendet hat, nicht in die Rahmenfrist eingerechnet. Da das Kind der Klägerin 1999 geboren ist
und 2002 das dritte Lebensjahr vollendet hat, verlängert sich die Rahmenfrist hier um die Zeit vom 11. Februar 2001
bis 10. Januar 2002 = 334 Kalendertage und umfasst insoweit zunächst die Zeit vom 14. März 2000 bis 10. Februar
2004. Da in diese Zeit wiederum Erziehungszeiten vom 14. März 2000 bis 10. Februar 2001 = 334 Tage fallen, ist
sodann von einer verlängerten Rahmenfrist vom 15. April 1999 bis 10. Februar 2004 auszugehen. Diese Frist
verlängert sich noch einmal um 334 Tage der Kindererziehung vom 15. April 1999 bis 13. März 2000, so dass sich in
einem weiteren Rechenschritt eine Rahmenfrist vom 15. Mai 1998 bis 10. Februar 2004 ergibt. Diese Frist ist
nochmals um 96 Betreuungs- bzw. Erziehungstage (11. Januar 1999 bis 14. April 1999) zu verlängern, so dass sich
letztlich eine Rahmenfrist vom 13. Februar 1998 bis 10. Februar 2004 ergibt. All dies entspricht der nicht zu
beanstandenden Berechnung der Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 1. Juli 2004. Auf der Grundlage der bei
Erlass des Widerspruchsbescheides geltenden Vorschriften hat die Beklagte auch zutreffend ausgeführt, dass die
Klägerin innerhalb dieser (verlängerten) Rahmenfrist nur in der Zeit vom 13. Februar 1998 bis zum 17. November 1998
in einem Versicherungspflichtverhältnis stand, das für die Erfüllung der Anwartschaftszeit nicht ausreicht. Denn für die
erforderliche Versicherungspflicht von mindestens zwölf Monaten innerhalb der Rahmenfrist ist ein mindestens 360
Kalendertage umfassender Zeitraum erforderlich (§ 339 Satz 2 SGB III); vorliegend errechnen sich aus den
Beschäftigungszeiten der Klägerin jedoch nur 280 Kalendertage.
Die Klägerin hat durch den Bezug von Mutterschaftsgeld vom 18. November 1998 bis zum 8. März 1999 eine weitere
Versicherungszeit von 111 Kalendertagen erfüllt, durch die die Anwartschaftszeit erfüllt ist (280 + 111 = 391
Kalendertage). In Reaktion auf die Entscheidung des BVerfG vom 28. März 2006 (a.a.O.) bestimmt die durch Gesetz
vom 19. April 2007 (BGBl. I S. 538) mit Wirkung ab 1. Mai 2007 eingefügte Vorschrift des § 427a Abs. 1 SGB III,
dass für Personen, die in der Zeit vom 1. Januar 1998 bis zum 31. Dezember 2002 Sonderunterstützung nach dem
Mutterschutzgesetz oder Mutterschaftsgeld bezogen haben, für die Erfüllung der für einen Anspruch auf Alg
erforderlichen Anwartschaftszeit und für die Dauer des Anspruchs § 107 Satz 1 Nr. 5 Buchstabe b des
Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) in der bis zum 31. Dezember 1997 entsprechend gilt. Nach der letztgenannten
Bestimmung des AFG standen den Zeiten einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gleich Zeiten des
Bezuges von Sonderunterstützung nach dem Mutterschutzgesetz oder von Mutterschaftsgeld, wenn durch
Schwangerschaft oder Mutterschaft eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung oder der Bezug einer
laufenden Lohnersatzleistung nach diesem Gesetz unterbrochen worden ist. Vorliegend hat der Bezug von
Mutterschaftsgeld bei der Klägerin den Bezug von Arbeitsentgelt unterbrochen, so dass insoweit der Tatbestand der
Norm erfüllt ist.
Die Auffassung der Beklagten, der das SG sich inhaltlich angeschlossen hat, wonach § 434d Abs. 2 SGB III und §
427a Abs. 1 SGB III nicht nebeneinander Anwendung finden, überzeugt den Senat nicht. In formaler Hinsicht hat die
später in Kraft getretene Regelung des § 427a SGB III die Vorschrift des § 434d Abs. 2 SGB III nicht ausdrücklich
eingeschränkt; bereits dies spricht für ein Nebeneinander beider Vorschriften. Im Übrigen sind weder der Entscheidung
des BVerfG vom 28. März 2006 (a.a.O.) noch der Gesetzesbegründung zu § 427a SGB III (vgl. dazu BT-Drucks.
16/4578 S. 19 [zu Buchstabe d]) Hinweise darauf zu entnehmen, dass die vom BVerfG für notwendig gehaltene
Neuregelung zur Berücksichtigung der Zeiten mutterschaftsrechtlicher Beschäftigungsverbote im Rahmen der
Berechnung der Anwartschaftszeit für die Zeit von 1998 bis 2002 sich zwingend auf die Länge der Rahmenfrist hätte
auswirken sollen. In der Entscheidung des BVerfG findet sich hierzu nur der Hinweis, dass die nach § 124 Abs. 3
Satz 1 Nr. 2 SGB III (a.F.) vorgesehene Verlängerung der Rahmenfrist durch Zeiten der Kindererziehung den
sozialversicherungsrechtlichen Nachteil des Beschäftigungsverbots bei der Berechnung der Anwartschaftszeit nicht
habe ausgleichen können. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass Anknüpfungspunkt der
gesetzlichen Neuregelung und der zugrunde liegenden Entscheidung des BVerfG die Nichtberücksichtigung der Zeiten
mutterschaftsrechtlicher Beschäftigungsverbote war, nicht aber die von § 124 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB III erfassten -
weiter reichenden - Zeiten der Betreuung und Erziehung eines Kindes.
Etwas anderes folgt zur Überzeugung des Senats auch nicht aus § 427 Abs. 2 SGB III. Zwar ist dieser Vorschrift zu
entnehmen, dass (u.a.) Zeiten des Bezuges von Mutterschaftsgeld, die nach dem AFG in der zuletzt geltenden
Fassung einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gleichstanden, bei der Anwendung der Regelungen des
SGB III zur Berechnung der (verlängerten) Rahmenfrist unberücksichtigt bleiben. Die Vorschrift soll - worauf die
Beklagte zu Recht hinweist - eine Doppelberücksichtigung von Zeiten vermeiden (vgl. BT-Drucks. 13/4941 S. 227 [zu
§ 427 Abs. 2]). Dies gilt jedoch nur für Zeiten vor Inkrafttreten des SGB III. § 427a SGB III trifft hingegen eine
Regelung für Zeiten vom 1. Januar 1998 bis zum 31. Dezember 2002 und unterfällt insoweit nicht dem
Regelungsbereich von § 427 Abs. 2 SGB III.
Die Anwendung von § 427a SGB III auch in Fällen einer nach § 124 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB III a.F. verlängerten
Rahmenfrist entspricht auch der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), das in einem Urteil vom 29. Mai
2008 (B 11a/7a AL 64/06 R, veröffentlicht in juris) neben einer verlängerten Rahmenfrist zusätzlich die Zeit des
Bezugs von Mutterschaftsgeld in der Verlängerungszeit berücksichtigt hat (Rz 15 bis 17 des Urteilsabdrucks bei
juris). In dem vom BSG entschiedenen Fall reichte die reguläre Rahmenfrist vom 11. April 2005 bis zum 12. April
2002 zurück und verlängerte sich durch Erziehungszeiten bis zum 22. Dezember 1998; zugunsten der Klägerin jenes
Verfahrens berücksichtigte das BSG zu den in der verlängerten Rahmenfrist liegenden Versicherungszeiten unter
Hinweis auf die Entscheidung des BVerfG vom 28. März 2006 bzw. die daraufhin in § 427a SGB III getroffene
Regelung zusätzlich die Zeit des Bezuges von Mutterschaftsgeld vom 1. August bis zum 7. November 1999.
Nach allem hat die Berufung der Klägerin Erfolg.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Der Senat hat - zumal angesichts der vorliegenden BSG-Ent¬scheidung vom 29. Mai 2008 - keinen Anlass gesehen,
nach § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen.