Urteil des LSG Schleswig-Holstein vom 12.11.2008

LSG Shs: ratenzahlung, anrechenbares einkommen, unterhalt, nebenkosten, heizung, wohnkosten, rechtsmittelfrist, vertrauensschutz, beteiligter, einkünfte

Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht
Beschluss vom 12.11.2008 (rechtskräftig)
Sozialgericht Kiel S 19 KR 4/04 PKH
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht L 5 B 209/08 KR PKH
Der Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 12. Juni 2008 wird aufgehoben. Außergerichtliche Kosten des
Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Änderung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) ohne
Ratenzahlung in eine solche mit Ratenzahlung.
Im hier zugrunde liegenden Klageverfahren war der Beschwerdeführerin mit Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom
10. Novem¬ber 2005 PKH ohne Ratenzahlung bewilligt worden. Seinerzeit hatte die Beschwerdeführerin in ihrer
Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 20. Juni 2005 als monatliche Einkünfte
angegeben, sie erhalte Unterhaltszahlungen in Höhe von 300,00 EUR, Arbeitslosengeld II in Höhe von 345,00 EUR
und Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 240,00 EUR. Als Wohnkosten gab sie 240,00 EUR an.
Nach Abschluss des Klageverfahrens wurden der beigeordneten Prozessbevollmächtigten 545,20 EUR aus der
Staatskasse gezahlt.
Nach Beendigung des Berufungsverfahrens teilte das Sozialgericht der Beschwerdeführerin mit, es sei zu prüfen, ob
eine Ratenzahlungsverpflichtung zur Prozesskostenbewilligung wegen Veränderung der persönlichen oder
wirtschaftlichen Verhältnisse anzuordnen sei. Nach der von der Beschwerdeführerin daraufhin ausgefüllten Erklärung
über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bezieht die Beschwerdeführerin nunmehr monatlich eine
Altersrente in Höhe von 605,57 EUR. Ferner erhält sie Unterhalt in Höhe von monatlich 200,00 EUR. Als Wohnkosten
sind angegeben: Nettomiete 250,00 EUR, Nebenkosten 90,00 EUR.
Mit Beschluss vom 12. Juni 2008 hob das Sozialgericht Kiel den Beschluss vom 10. November 2005 auf und ordnete
an, die Beschwerdeführerin habe die von der Landeskasse im Rahmen der PKH übernommenen außergerichtlichen
Kosten in monatlichen Raten von 30,00 EUR, beginnend mit dem 1. Juli 2008, bis zu einer Gesamthöhe von 545,20
EUR aus ihrem Einkommen zu erstatte.
Gegen diesen der Beschwerdeführerin am 18. Juni 2008 zugestellten Beschluss richtet sich die am 17. Juli 2008
eingelegte Beschwerde.
Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, ihre Einkommensverhältnisse hätten sich auf keinen Fall positiv
entwickelt. Das führt sie im Einzelnen näher aus und weist auf weitere zusätzliche laufende Ausgaben hin.
II.
Die Beschwerde ist begründet. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Sozialgericht zu Unrecht den die PKH ohne
Ratenzahlung bewilligenden Beschluss geändert und die Beschwerdeführerin verpflichtet, der Landeskasse die
außergerichtlichen Kosten in monatlichen Raten von 30,00 EUR zu erstatten. Für eine solche nachträgliche Änderung
der PKH-Bewilligung fehlt es an einer Rechtsgrundlage.
Zu Unrecht stützt das Sozialgericht seine Entscheidung auf § 120 Abs. 4 Zivilprozessordnung (ZPO) in Verbindung
mit § 73a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Nach § 120 Abs. 4 Satz 1 ZPO kann das Gericht die PKH-
Entscheidung hinsichtlich der zu leistenden Zahlungen u. a. dann ändern, wenn sich die für die PKH maßgeblichen
wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich geändert haben. Das war bei der Beschwerdeführerin nicht der Fall.
Zwar ist § 120 Abs. 4 Satz 1 ZPO über seinen Wortlaut hinaus auch dann anwendbar, wenn die PKH-Bewilligung –
wie hier - ohne Ratenzahlung erfolgte und sich anschließend die wirtschaftlichen Verhältnisse der Partei/des
Beteiligten wesentlich verbessern (vgl. Philippi in Zöller, ZPO, 26. Aufl., Rdnrn. 20 und 23 zu § 120, Reichhold in
Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl., Rdnr. 12 zu § 120). Voraussetzung ist aber nach dem eindeutigen Gesetzesinhalt,
dass eine wesentliche Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse eingetreten ist. Zu vergleichen ist die Einkommens-
und Vermögenssituation, wie sie bei der Bewilligung der PKH vorgelegen hat, mit derjenigen, die im Zeitpunkt der
Änderung besteht. Dabei ist nur die Änderung von Relevanz, die nach der Bewilligung der PKH eingetreten ist. Nicht
von § 120 Abs. 4 Satz 1 ZPO erfasst sind die Fälle, in denen das Gericht die bei der Bewilligung objektiv
feststehenden Einkommens- und Vermögenssituation fehlerhaft bewertet hatte. Die Vorschrift dient nicht der Korrektur
einer falschen PKH-Bewil¬ligung (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 65. Aufl., Rdnr. 21 zu § 120;
Philippi, a.a.O., Rdnr. 20 zu § 120, jeweils mit weiteren Nachweisen). So aber ist es hier. Bei der Bewilligung von PKH
hatte die Beschwerdeführerin im Formular über ihre tatsächlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse als Einkommen
angegeben: Unterhalt 300,00 EUR, Arbeitslosengeld II 345,00 EUR und Leistungen für Unterkunft und Heizung 240,00
EUR, jeweils monatlich. Insgesamt erhielt sie also monatlich 885,00 EUR. Als Mietausgaben gab sie 240,00 EUR an.
Unter Außerachtlassung der außerdem im Formular noch aufgeführten Ratenzahlungsverpflichtung verfügte sie bei der
PKH-Bewilligung über ein zu berücksichtigendes Einkommen von 645,00 EUR, denn die aus dem Hartz IV-Bezug
resultierenden Beträge waren im Rahmen der nach § 115 ZPO vorzunehmenden Einkommensprüfung zu
berücksichtigenden (Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 8. Januar 2008 – VIII ZB 18/06). Unter Berücksichtigung
des Freibetrages verfügte die Beschwerdeführerin somit seinerzeit über ein einzusetzendes Einkommen von 263,00
EUR. Nunmehr hat sie in ihrer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 12. April 2008
als Einkommen angegeben eine Rente von monatlich 605,57 EUR und Unterhaltszahlungen von monatlich 200,00
EUR, also 805,57 EUR. Die Kaltmiete beträgt danach 250,00 EUR, hinzu kommen Nebenkosten in Höhe von 90,00
EUR. Hieraus errechnet sich zurzeit ein zu berücksichtigendes Einkommen von 805,57 EUR minus 340,00 EUR =
465,57 EUR. Unter Berücksichtigung des Freibetrages nach § 115 ZPO von 382,00 EUR folgt daraus ein einsetzbares
Einkommen von 83,57 EUR. Das ist nicht nur nicht mehr, sondern sogar deutlich weniger als die Beschwerdeführerin
als anrechenbares Einkommen bei der PKH-Bewilligung hatte. Zwar würde ihr jetziges Einkommen bei einer
Erstentscheidung über PKH zu einer Bewilligung nur gegen Ratenzahlung in Höhe von 30,00 EUR führen, was das
Sozialgericht auch seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat. Es geht hier aber nicht um eine Erstbewilligung, sondern
nur um die Berücksichtigung von Einkommensänderungen. Diese sind nicht nur nicht positiv, sondern negativ, so
dass für eine nachträgliche Änderung der PKH-Bewilligung ohne Ratenzahlung in eine solche mit Ratenzahlung keine
gesetzliche Grundlage vorhanden ist. Dass eine Bewilligung im Jahre 2005 nicht ohne Ratenzahlung hätte erfolgen
dürfen, sondern dass nach den seinerzeitigen Einkommensverhältnissen nach der Tabelle zu § 115 ZPO monatliche
Raten in Höhe von 75,00 EUR hätten angeordnet werden müssen, kann über § 120 Abs. 4 Satz 1 ZPO nicht korrigiert
werden.
Der angefochtene Beschluss kann auch nicht auf § 124 Nr. 3 ZPO gestützt werden. Abgesehen davon, dass er sich
nicht auf diese Norm stützt, liegen derer Voraussetzungen ebenfalls nicht vor.
Nach dieser Vorschrift kann das Gericht die Bewilligung von PKH aufheben, wenn die persönlichen und
wirtschaftlichen Voraussetzungen für die PKH nicht vorgelegen haben. Zwar ist auch diese Vorschrift nicht nur
anwendbar, wenn es um die Aufhebung der PKH-Bewilligung insgesamt geht, sondern auch dann, wenn die
wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Ratenfreiheit oder Ratenhöhe nicht vorgelegen haben (Philippi, a.a.O., Rdnr.
11 zu § 124). Eine Änderung bzw. Aufhebung der Bewilligungsentscheidung kann aber dann nicht erfolgen, wenn dem
Gericht, das PKH gewährt hat, ein Fehler bei der Würdigung der vollständigen und richtigen Angaben bezüglich der
wirtschaftlichen Verhältnisse unterlaufen war (Philippi, a.a.O., Rdnr. 13 zu § 214; Hartmann, a.a.O., Rdnr. 48 zu §
124, jeweils mit zahlreichen Nachweisen).
§ 124 Nr. 3 ZPO dient nicht dazu, fehlerhafte gerichtliche Entscheidungen außerhalb der Rechtsmittelfrist von Amts
wegen zu revidieren. Ansonsten wäre der Vertrauensschutz beeinträchtigt, den eine Partei/ein Beteiligter einer
gerichtlichen Entscheidung entgegenbringen darf (Hartmann, a.a.O.). Der aus den §§ 45 Abs. 2 Sozialgesetzbuch
Zehntes Buch, 48 Abs. 2 Verwaltungsverfahrensgesetz, 116 Abs. 2 Landesverwaltungsgesetz Schleswig-Holstein
herzuleitende Rechtsgedanke findet hier Anwendung. Wenn der Gesetzgeber schon rechtswidrigen begünstigenden
Verwaltungsakten vertrauenschützende Wirkung beimisst, muss das erst recht für begünstigende gerichtliche
Entscheidungen gelten.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 73a SGG, 127 Abs. 4 ZPO. Dieser Beschluss ist nicht mit der
Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).