Urteil des LSG Schleswig-Holstein vom 10.02.2010
LSG Shs: bezirk, dänemark, prozessvertretung, reisekosten, fahrtkosten, rente, sucht, bedürftigkeit, berg, stadt
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht
Beschluss vom 10.02.2010 (rechtskräftig)
Sozialgericht Lübeck S 18 R 620/08 PKH
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht L 8 B 195/09 R PKH
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Lübeck vom 24. August 2009 dahingehend
geändert, dass Rechtsanwalt B , F , zu den Bedingungen eines im Gerichtsbezirk des Sozialgerichts Lübeck
ansässigen Prozessbevollmächtigten zu den Kosten beigeordnet wird, die bei zusätzlicher Beiordnung eines
Verkehrsanwaltes angefallen wären. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Der in S , Dänemark, wohnende Kläger begehrt in seiner Klage vor dem Sozialgericht Lübeck (S 18 R 620/08) eine
Rente wegen voller Erwerbsminderung. Er wird von Rechtsanwalt B , F , vertreten. Das Sozialgericht Lübeck hat auf
den Antrag des Klägers mit Beschluss vom 24. August 2009 für das Klageverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und
Rechtsanwalt B , F , zu den Bedingungen eines ortsansässigen Prozessbevollmächtigten beigeordnet. Gegen diese
Einschränkung der Beiordnung wendet sich der Kläger mit der am 14. September 2009 erhobenen Beschwerde. Zur
Begründung trägt er vor, die Beauftragung eines Prozessbevollmächtigten in Lübeck würde höhere Kosten
verursachen, weil dann seine Fahrtkosten nach Lübeck angerechnet werden müssten.
II.
Die zulässige Beschwerde ist nur aus dem im Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gelten die Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) über die
Prozesskostenhilfe entsprechend.
Aus der entsprechenden Anwendung wurde bereits für § 121 Abs. 3 ZPO in der bis zum 31. Mai 2007 gültigen
Fassung: "Ein nicht bei dem Prozessgericht zugelassener Rechtsanwalt kann nur beigeordnet werden, wenn dadurch
weitere Kosten nicht entstehen" gefolgert, dass für die Sozialgerichtsbarkeit keine Einschränkung dahingehend
gemacht werden könne, dass nur ein ortsansässiger Rechtsanwalt beigeordnet werden könne, sondern dass auf den
gesamten Gerichtsbezirk des Sozialgerichts abzustellen sei (Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom
23. August 2005 – L 2 B 36/05 AL -; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 5. September 2007 – L
9 B 35/07 SO -; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 1. März 2007 – L 5 B 580/06 AS PKH -). Ab
1. Juni 2007 lautet diese Vorschrift nunmehr: "Ein nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassener
Rechtsanwalt kann nur beigeordnet werden, wenn dadurch weitere Kosten nicht entstehen". Dadurch ist klargestellt,
dass seit 1. Juni 2007 der Bezirk eines Sozialgerichts maßgeblich ist. Die Beiordnung eines Rechtsanwalts, der seine
Kanzlei außerhalb des Gerichtsbezirks hat, ist nur möglich, wenn dadurch weitere Kosten, insbesondere in Form von
Fahrtkosten sowie Tage- und Abwesenheitsgelder, nicht entstehen. Eine unbeschränkte Beiordnung von Rechtsanwalt
B , der seine Kanzlei in F , und somit außerhalb des Gerichtsbezirks des Sozialgerichts Lübeck hat, wäre somit nicht
möglich.
Allerdings kann gemäß § 121 Abs. 4 ZPO der Partei auf ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer
Wahl zur Wahrnehmung eines Termins zur Beweisaufnahme vor dem ersuchten Richter oder zur Vermittlung des
Verkehrs mit dem Prozessbevollmächtigten beigeordnet werden, wenn besondere Umstände dies erfordern. Die
Beiordnung eines zusätzlichen Anwaltes, eines so genannten Verkehrsanwaltes, kann somit geboten sein. Soweit
durch die Beiordnung eines auswärtigen Prozessbevollmächtigten die Kosten eines solchen Verkehrsanwalts erspart
werden, sind die durch die Beiordnung eines auswärtigen Rechtsanwalts entstehenden Reisekosten erstattungsfähig
(Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 16. Januar 2007 – L 10 R 6432/06 PKH – B unter
Bezugnahme auf Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 18. Juni 2005 – 3 RZB 56/03 -; Bundesgerichtshof,
Beschluss vom 23. Juni 2004 – XII ZB 61/04). Dementsprechend darf das Sozialgericht dem nicht ortsansässigen
Rechtsanwalt nicht stets durch eine beschränkte Beiordnung die Möglichkeit der Erstattung von Reisekosten nehmen.
Vielmehr ist immer auch zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 121 Abs. 4 ZPO vorliegen. Nur wenn dies nicht der
Fall ist, ein Verkehrsanwalt also nicht notwendig wäre, darf der auswärtige Prozessbevollmächtigte mit der
Beschränkung auf den Bezirk des Gerichts beigeordnet werden (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss
vom 16. Januar 2007 – L 11 R 6432/06, recherchiert bei juris, Rdn. 8).
Bei der Prüfung, ob die Beiordnung eines weiteren Verkehrsanwalts nach § 121 Abs. 4 ZPO wegen besonderer
Umstände erforderlich ist, ist auf die rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten des Rechtsstreits und die
subjektiven Fähigkeiten der Parteien abzustellen. Solche besonderen Umstände können dann vorliegen, wenn einer
Partei eine Informationsreise zu einem Rechtsanwalt am Sitz des Prozessgerichts nicht zugemutet werden kann oder
wenn ihr eine schriftliche Information wegen des Umfangs, der Schwierigkeit oder der Bedeutung der Sache nicht
zuzumuten ist (BGH, Beschluss vom 23. Juni 2004 – XII ZB 61/04 – recherchiert bei juris, Rdn. 10).
Hier streitet der Kläger darum, ob ihm eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren sei. Dabei handelt es
sich um eine für Laien schwierige Sach- und Rechtslage, sodass anders als durch einen persönlichen Kontakt
zwischen dem Kläger und einem Rechtsanwalt eine Prozessvertretung kaum möglich ist. Daher erscheint es
sachgerecht, dass der in S , Dänemark, wohnende Kläger sich einen Prozessbevollmächtigten in der nächsten
größeren Stadt in Deutschland, nämlich F , sucht, mit diesem alles Erforderliche bespricht, damit dieser den
Prozessstoff aufarbeiten kann. Zu einem mündlichen Verhandlungstermin in Lübeck könnte dann ein anderer Anwalt
eingeschaltet werden, der die Prozessvertretung vor dem Sozialgericht Lübeck wahrnimmt. Ein solcher
Terminsvertreter wäre einem Verkehrsanwalt gleichzusetzen. Dadurch entstehende zusätzliche Kosten könnte der
Kläger geltend machen. Ebenso könnte sich der beigeordnete Prozessbevollmächtigte auf diese höheren Kosten
berufen.
Im Rahmen der Prozesskostenhilfe soll die Vertretung durch einen Rechtsanwalt eine am Notwendigen orientierte
Rechtsvertretung gewährleisten. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, die Bedürftigkeit voraussetzt und somit eine
Art von Sozialhilfegewährung darstellt (Landessozialgericht Baden-Württem¬berg, a.a.O., Rdn. 3), steht gemäß § 121
Abs. 3 ZPO immer unter der Voraussetzung, dass keine unnötigen Kosten verursacht werden dürfen. Demzufolge
besteht keine Veranlassung, § 121 Abs. 4 ZPO erweiternd auszulegen (Landessozialgericht Baden-Württemberg,
Beschluss vom 16. Januar 2007, a.a.O., Rdn. 14). Eine unbeschränkte Beiordnung, wie der Prozessbevollmächtigte
des Klägers sie begehrt, würde der grundsätzlichen bestehenden Kostenminimierung widersprechen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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