Urteil des LSG Schleswig-Holstein vom 11.05.2009

LSG Shs: gesetzliche vermutung, beweis des gegenteils, witwenrente, erbvertrag, lebenserwartung, versorgung, nichteheliche lebensgemeinschaft, tod, diagnose, tumor

Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht
Urteil vom 11.05.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Lübeck S 34 R 39/06
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht L 8 R 162/07
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 2. August 2007 sowie der Bescheid
der Beklagten vom 14. März 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. Dezember 2005 aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin eine Witwenrente nach ihrem am 22. Oktober 2004 verstorbenen Ehemann J.
G. zu gewähren. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen. Die Revision
wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin einen Anspruch auf Gewährung von Witwenrente hat.
Die 1952 geborene Klägerin heiratete am 3. September 2004 den 1948 geborenen Versicherten J. G ... Die Klägerin
lebte mit ihm zuvor bereits seit 1977 zusammen und hatte sich 1984 mit diesem gemeinsam ein Haus gekauft. Mit
notariellem Erbvertrag vom 10. Juni 2004 setzten die Klägerin und der Versicherte sich gegenseitig zu alleinigen und
unbeschränkten Erben ein. Die Klägerin war seit dem 1. April 1978 durchgehend vollzeitbeschäftigt bei der Firma
Möbel K Bad S ; der Versicherte war als ausgebildeter Starkstromelektriker als Produktionstechniker ebenfalls
durchgehend vollzeitbeschäftigt.
Ab dem 7. Juli 2004 erkrankte der Versicherte, indem er zunächst unter sich stark steigernden Kopfschmerzen litt.
Vom 24. Juli 2004 bis zum 27. August 2004 befand sich der Versicherte in stationärer Behandlung in den S er
Kliniken. Am 24. August 2004 wurden durch eine Magnetresonanztomographie multiple Hirnmetastasen festgestellt.
Danach hielt sich der Versicherte vom 24. August bis 2. September 2004 erneut zur stationären Behandlung in den S
er Kliniken auf. Hierbei wurde ein maligner Tumor festgestellt. In dem Bericht des Krankenhauses heißt es: " der
Patient selbst wünscht eine stationäre Aufnahme erst am 27. September d. J ... Er wurde wiederholt auf die
Dringlichkeit der Therapie hingewiesen. die Ernsthaftigkeit der Erkrankung scheint dem Patienten abschließend nicht
bewusst oder verdrängt."
Am 31. August 2004 meldeten sich der Versicherte und die Klägerin zur Trauung an. Am 3. September 2004 fand die
standesamtliche Trauung statt.
Vom 27. September bis 30. September 2004 und vom 5. Oktober bis 6. Oktober 2004 erfolgten weitere Behandlungen
des Versicherten in der Universitätsklinik Schleswig-Holstein, Campus K , Klinik für Dermatologie. Vom 5. Oktober bis
19. Oktober 2004 wurde der Versicherte einer ambulanten Strahlenbehandlung als palliativer Maßnahme unterzogen.
Am 22. Ok¬tober 2004 verstarb der Ehegatte der Klägerin.
Am 16. Dezember 2004 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von Witwenrente.
Mit Bescheid vom 14. März 2005 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Hinterbliebenenrente aus der Versicherung
des verstorbenen Ehemannes der Klägerin ab. Zur Begründung führte sie aus, dass die Ehe der Klägerin mit dem
Versicherten zum Zeitpunkt seines Todes weniger als ein Jahr gedauert habe. Aus den ärztlichen Bescheinigungen
ginge hervor, dass die Krankheit, die zum Tode des verstorbenen Ehegatten geführt habe, bereits vor der
Eheschließung diagnostiziert worden sei. Die dargelegten Gründe seien nicht geeignet, die gesetzliche Vermutung,
dass eine Versorgungsehe vorläge, zu widerlegen.
Die Klägerin legte am 31. März 2005 Widerspruch ein. Aus der ärztlichen Bescheinigung von Dr. L.-S. ginge hervor,
dass zum Zeitpunkt der Heirat nicht absehbar gewesen sei, dass bei dem verstorbenen Versicherten eine ernsthafte
Erkrankung vorgelegen habe. Die Eheleute hätten langjährig zusammengelebt und ein gemeinsames Haus gekauft.
Die Heirat habe eigentlich schon eher stattfinden sollen, sei jedoch durch plötzliche familiäre Ereignisse wie
Todesfälle verschoben worden. Es sei nicht von einer Vorsorgungsehe auszugehen.
Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 21. Dezember 2005 als unbegründet
zurück. Die Klägerin habe mit dem verstorbenen Versicherten langjährig in einer eheähnlichen Gemeinschaft gelebt
und auch gemeinschaftlich eine Immobilie erworben. Dies belege, dass bewusst von einer Möglichkeit der
Eheschließung innerhalb eines Zeitraumes von 27 Jahren abgesehen worden sei. Erst nach dem Zeitpunkt der
Diagnose einer sehr ernsten Erkrankung, die dann auch die Todesursache dargestellt habe, sei die Eheschließung
erfolgt. Die Anmeldung der Eheschließung beim Standesamt sei am 31. Au¬gust 2004 und damit erst nach dem
Bekanntwerden der schwerwiegenden Diagnose vom 24. August 2004 erfolgt. Da der Tod des Versicherten innerhalb
eines Jahres nach dem Zeitpunkt der Eheschließung eingetreten sei, liege eine Versorgungsehe vor. Ein Anspruch
auf Witwenrente sei nicht gegeben.
Die Klägerin hat am 10. Januar 2006 vor dem Sozialgericht Lübeck Klage erhoben.
Zur Begründung hat sie ergänzend vorgetragen, dass sie mit ihrem verstorbenen Ehemann vor der Eheschließung
bereits seit ca. 23 Jahren zusammengelebt habe. Sie sei seit 1968 voll erwerbstätig und habe dadurch auch eigene
Rentenanwartschaften erworben. Ihr eigenes Einkommen würde auf die Witwenrente angerechnet werden. Außerdem
sei sie durch einen Erbvertrag versorgt. Die Hochzeit sei durch familiäre Schicksalsschläge verzögert worden. 2002
habe sie ihre Eltern im Pflegeheim unterbringen und deren Haushalt auflösen müssen, 2003 sei ihr Schwiegervater
verstorben und die Mutter ihres Ehegatten schwer erkrankt, woran sie im Februar 2004 verstorben sei. Im März 2004
sei der Vater der Klägerin verstorben. Im Vordergrund habe bei der Eheschließung nicht der Gedanke an eine
eventuelle Versorgung der Klägerin gestanden, sondern vielmehr die Ungewissheit, wie es dem Verstorbenen nach
Beendigung seiner Bestrahlungstherapie gehen würde. Erst nach dem Gespräch mit den Eheleuten in den S er
Kliniken habe sich herausgestellt, dass die Krankheit unheilbar gewesen sei. Selbst bei feststehender unheilbarer
Tumorerkrankung seien noch Palliativmaßnahmen ergriffen worden, um die Lebenserwartung und die Lebensqualität
zu steigern. In dem letzten medizinischen Aufklärungsgespräch der behandelnden Ärzte mit den Eheleuten sei von
einer weiteren Lebenserwartung von bis zu zwei Jahren gesprochen worden.
Mit Urteil vom 2. August 2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die
gesetzliche Vermutung angesichts der Ehedauer von unter einem Jahr nicht widerlegt worden sei, dass es der
alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat gewesen sei, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu
begründen. Die Vermutung greife ein. Auch als Begünstigte des Erbvertrages und trotz ihrer eigenen
Rentenanwartschaft und der vorhandenen Immobilie verbliebe ein finanzieller Vorteil durch die Witwenrente, der zur
Versorgung beitragen würde. Die multiplen Hirnmetastasen seien am 24. August 2004 vor der am 31. August 2004
angemeldeten und am 3. September 2004 vollzogenen Trauung festgestellt worden. Hirnmetastasen bedeuteten
immer ein fortgeschrittenes Stadium einer Tumorerkrankung, der Tumor sei zweifelsfrei maligne gewesen. Es
erscheine lebensfern, dass sich beide über die grundsätzliche Lebensbedrohlichkeit des Zustandes des Versicherten
nicht im Klaren gewesen seien. Dass die Ernsthaftigkeit der Erkrankung dem Verstorbenen abschließend nicht
bewusst oder von ihm verdrängt gewesen sei, ändere nicht die Bewertung der Sachlage. Der Verstorbene sei
wiederholt auf die Dringlichkeit der Therapie hingewiesen worden, offensichtlich auch auf schwerwiegende Folgen der
Erkrankung. Aus der verzögerten Weiterbehandlung erst am 27. September 2004 sei nicht zu schließen, dass ihm die
Ernsthaftigkeit seiner Erkrankung nicht bewusst gewesen sei. Auch habe er durch den Erbvertrag Vorsorge für den
Todesfall getroffen, ihm sei es darüber hinaus ein Bedürfnis gewesen, einen Hausverkauf noch selbst abzuschließen.
Hieraus könne ebenso gut abgeleitet werden, dass der Verstorbene sich seiner lebensbedrohlichen Krankheit
durchaus bewusst gewesen sei. Dass die Eheleute zu einem früheren Zeitpunkt hätten heiraten wollen, jedoch durch
familiäre Schicksalsschläge daran gehindert worden seien, ändere nicht die Beurteilung. In diesem Zeitraum hätten
die Eheleute sogar einen umfassenden notariellen Erbvertrag geschlossen.
Gegen dieses der Klägerin am 29. August 2007 zugestellte Urteil richtet sich die am 14. September 2007 bei dem
Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingelegte Berufung.
Zur Begründung bezieht sich die Klägerin auf das erstinstanzliche Vorbringen und ergänzt, dass entgegen der
sozialgerichtlichen Entscheidung es nicht auf die Frage ankäme, ob eine Versorgungsabsicht auszuschließen sei,
sondern ob die Versorgungsabsicht der alleinige oder überwiegende Zweck der Eheschließung gewesen sei. Dies sei
bei ihr nämlich nicht gegeben. Sie sei durch ihre eigene Vollzeitberufstätigkeit seit 1968 in der Lage, sich selbst zu
versorgen. Sie und ihr verstorbener Ehemann hätten seit 1977 bis 2004 gemeinsam gewohnt und im Laufe der 27
jährigen Lebensgemeinschaft Vermögenswerte anschaffen können, die nach dem Tode des Versicherten aufgrund des
im Juni 2004 eingegangenen Erbvertrages auf sie übergegangen seien. Bereits damit sei die Vermutung widerlegt,
dass alleiniger Zweck der Eheschließung ihre Versorgung gewesen sei, da sie bereits anderweitig versorgt sei. Die
Eheschließung habe auch nicht den überwiegenden Zweck der Hinterbliebenenversorgung gehabt. Der Verstorbene
und sie hätten bereits lange Zeit vor der Erkrankung des Versicherten den Wunsch gehabt, die Ehe zu schließen.
Aufgrund der 2002 bis 2004 eingetretenen Pflegebedürftigkeit und Todesfälle der Eltern und Schwiegereltern sei an
eine Heirat nicht zu denken gewesen angesichts der Trauersituationen, die mit einem fröhlichen Fest anlässlich der
Eheschließung nicht vereinbar gewesen seien. Es sei unerheblich, dass im Juni 2004 kurz nach dem Tod des Vaters
des Versicherten, ein Erbvertrag abgeschlossen worden sei. Dabei sei die unterschiedliche Motivrichtung eines
Erbvertrages gegenüber einer Eheschließung zu berücksichtigen. Es sei Wunsch des Versicherten gewesen, noch vor
der im Oktober 2004 einsetzenden Strahlenbehandlung die Ehe einzugehen, da ihm unklar gewesen sei, wie sein
Zustand nach der Bestrahlung sein würde. Er habe jetzt endlich die Eheschließung nachholen wollen, da der weitere
Verlauf der Erkrankung unsicher gewesen sei und der Versicherte die Hoffnung auf ein weiteres Leben nicht
aufgegeben habe. Zudem sei dem Versicherten das Ausmaß seiner Erkrankung zum Zeitpunkt der Eheschließung
selbst nicht bekannt gewesen. Also könne dieser Umstand auch nicht das Motiv für ihn gewesen sein, die Ehe mit der
Klägerin einzugehen. Er habe offensichtlich geglaubt, noch viel Zeit zu haben. Auch sei das Vorliegen einer
lebensbedrohlichen Erkrankung nicht gleichbedeutend damit, dass der Tod tatsächlich in naher Zukunft eintreten
werde. Auch sei die subjektive Vorstellung der Klägerin und des Versicherten über die Lebenserwartung von
Bedeutung. Nicht die von außen betrachtete Lebenserwartung sei ausschlaggebend, sondern entscheidende
Bedeutung hätten letztendlich die inneren Vorgänge, die zu der Eheschließung geführt hätten. Insofern seien auch die
Informationen des Krebsinformationsdienstes unerheblich. Die Kenntnis einer lebensbedrohlichen Erkrankung bedeute
nicht automatisch, dass die Versorgung des überlebenden Ehegatten das überwiegende Motiv für die Eheschließung
darstelle. Die Eheleute hätten zu keinem Zeitpunkt die Hoffnung aufgegeben, zumindest noch einige Zeit miteinander
verbringen zu können. Selbst bei Feststellung von Hirnmetastasen durch MRT im August 2004 seien die Ärzte von
einem behandelbaren Tumor ausgegangen. Es sei dann der Primärtumor gesucht worden. Erst in der Hautklinik Kiel
am 27. September 2004 sei die Diagnose eines schwarzen Hautkrebses gestellt worden. Aufgrund der Anwendung der
Palliativmedizin seien die Ärzte der Hautklinik K von einer Lebenserwartung des Versicherten von ein bis zwei Jahren
ausgegangen. Diese habe das Ziel gehabt die Lebenserwartung des Erkrankten zu verlängern.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 2. August 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 14. März 2005 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Dezember 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr
eine große Witwenrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung des Abweisungsantrages bezieht sie sich auf die angefochtenen Bescheide sowie das aus ihrer Sicht
zutreffende Urteil des Sozialgerichts Lübeck.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der zu ihr
beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Akten haben dem Senat vorgelegen, sie
sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig und begründet.
Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 2. August 2007 sowie der Bescheid der Beklagten vom 14.
März 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Dezember 2005 halten einer rechtlichen Überprüfung
nicht stand und sind aufzuheben. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist der Klägerin eine Witwenrente zu
gewähren.
Nach § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI haben Witwen oder Witwer, die, wie die Klägerin, nicht wieder geheiratet
haben, nach dem Tode des versicherten Ehegatten, der wie der Versicherte J. G. die allgemeine Wartezeit erfüllt hat,
Anspruch auf große Witwenrente, wenn sie, wie die Klägerin, das 45. Le¬bensjahr vollendet haben. Die Klägerin
(geboren 14. Oktober 1952) hat diese Voraussetzungen erfüllt.
Dem Anspruch steht auch nicht § 46 Abs. 2 a SGB VI entgegen. Danach haben Witwen oder Witwer keinen Anspruch
auf Witwenrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen
Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat
war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.
Die Ehe der Klägerin mit dem verstorbenen Versicherten hat vom 3. September 2004 bis zum Tod des Versicherten
am 22. Oktober 2004 gedauert und damit nicht mindestens ein Jahr. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens
liegen jedoch zur Überzeugung des Senats besondere Umstände im Sinne des § 46 Abs. 2 a 2. Halbsatz SGB VI vor.
Die Vorschrift gilt gemäß § 242 a Abs. 3 SGB VI für alle seit dem 1. Januar 2002 geschlossenen Ehen und ist den
Regelungen in der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 65 Abs. 6 Sozialgesetzbuch, Siebtes Buch – SGB VII -), der
Kriegsopferversorgung (§ 38 Abs. 2 Bundesversorgungsgesetz – BVG -) sowie der Beamtenversorgung (§ 19 Abs. 1
Nr. 1 Beamtenversorgungsgesetz) nachgebildet. Deshalb ist die Rechtsprechung zum Begriff der "besonderen
Umstände" in diesen Bestimmungen im Wesentlichen auf § 46 Abs. 2 a SGB VI übertragbar (vgl. Kasseler
Kommentar –Gürtner, § 46 SGB VI Rdn. 46c m. w. N.).
§ 46 Abs. 2 a SGB VI enthält eine widerlegliche Vermutung des Inhalts, dass es bei einer Ehedauer unterhalb eines
Jahres der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu
begründen. Wodurch konkret diese Vermutung widerlegt werden kann, ist im Gesetz nicht näher geregelt, sondern
durch Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der "besonderen Umstände des Falles" zu ermitteln. Dabei ist zu
berücksichtigen, dass bereits nach dem Wortlaut des Gesetzes die besonderen Umstände dadurch gekennzeichnet
sind, dass sie eine von der vom Gesetzgeber als Regelfall unterstellten Motivlage der Heirat (allein oder überwiegend
zum Zwecke der Begründung eines Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung) abweichende Motivlage offenbaren.
Die Widerlegung der Rechtsvermutung erfordert nach § 202 SGG i.V.m. § 292 Zivilprozessordnung (ZPO) den vollen
Beweis des Gegenteils. Der Vollbeweis verlangt zumindest einen der Gewissheit nahekommenden Grad der
Wahrscheinlichkeit. Die nur denkbare Möglichkeit reicht nicht aus. Eine Tatsache ist danach bewiesen, wenn alle
Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen
Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon oder einen so hohen Grad an
Wahrscheinlichkeit zu begründen, dass kein vernünftiger Mensch noch zweifelt (Bundessozialgericht, Urteil vom 3.
Sep¬tember 1986, 9a RV 8/84 in SozR 3100 § 38 Nr. 5). Soweit objektiv begründbare Zweifel bestehen, müssen sich
diese orientiert an der Lebenswirklichkeit ausräumen lassen. Die Folgen eines nicht ausreichenden Beweises trägt
nach Ausschöpfung des Amts¬ermittlungsgrundsatzes derjenige, der den Witwen-/Witwerren¬ten¬anspruch geltend
macht.
Aus § 46 Abs. 2 a SGB VI ergibt sich nicht ohne Weiteres, was unter besonderen Umständen des Falles zu
verstehen ist, die geeignet sind, die Vermutung einer Versorgungsehe zu widerlegen. Hinsichtlich des Begriffs der
besonderen Umstände besteht ein Beurteilungsspielraum, der der richterlichen Kontrolle unterliegt
(Bundessozialgericht, Urteil vom 3. September 1986, 9a RV 8/84). Besondere Umstände sind alle Umstände des
Einzelfalls, die nicht schon von der Vermutung selbst erfasst sind und die geeignet sind, einen Schluss auf den
Zweck der Heirat zuzulassen. Entscheidend ist nur, ob sie ausreichen, um die Vermutung zu widerlegen. Dabei sind
vor allem solche Umstände von Bedeutung, die auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund
schließen lassen (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 28. März 1973, BSGE 35,272-276). Zu beachten sind die
Beweggründe beider Ehegatten. Bei einer Gesamtbetrachtung der Umstände und Motive der Eheschließenden darf die
Versorgungsabsicht nicht überwiegen (vgl. Bundessozialgericht ebenda). Im Umkehrschluss folgt daraus, dass die
Vermutung widerlegt ist, wenn die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Motive den Versorgungszweck
überwiegen oder zumindest gleichgewichtig sind. Die besondere Schwierigkeit besteht dabei darin, den materiellen
Grund des Überwiegens der Versorgungsabsicht auch mit immateriellen Gründen zu vergleichen und abzuwägen, weil
es insoweit an einem einheitlichen Maßstab fehlt. Dabei genügt der Nachweis, dass unter den Beweggründen
jedenfalls nur eines der Eheschließenden der Zweck, dem Witwer eine Versorgung zu verschaffen, keine maßgebende
Bedeutung hatte. Das bereitet die zusätzliche Schwierigkeit, auch die Beweggründe des Verstorbenen festzustellen
(vgl. Urteil des Senats vom 7. März 2007, L 8 R 207/06). Dabei rechtfertigt aber die Darlegung allgemeiner bei einer
Heirat regelmäßig mitentscheidender Gesichtspunkte wie die Absicht, eine Lebensgemeinschaft auf Dauer zu
begründen, für sich gesehen noch nicht die Annahme besonderer Umstände. Hinzu kommen muss, dass die sich von
der Versorgungsabsicht unterscheidenden Heiratsgründe derart im Vordergrund gestanden haben und für den
Heiratsentschluss ausschlaggebend gewesen waren, dass in Ansehung der konkreten Situation im Zeitpunkt der
Eheschließung nicht mehr von einem überwiegenden Versorgungszweck der Eheschließung ausgegangen werden
kann. Die Beweggründe einer Heirat sind nicht für sich zu betrachten, sondern vor dem Hintergrund der im Zeitpunkt
der Eheschließung bestehenden tatsächlichen Umstände in eine Gesamtwürdigung mit einzubeziehen (vgl.
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26. Februar 2009, L 3 R 80/08 m. w. N). Zu den tatsächlichen
Umständen, die nach allgemeiner Lebenserfahrung der Entschlussbildung für eine Heirat typischerweise zugrunde
liegen könnten bzw. Rückschlüsse auf eine solche Entscheidungsfindung zulassen, gehört eine eheähnliche
Beziehung, die schon vor der Eheschließung bestanden hat, darüber hinaus die jeweiligen wirtschaftlichen
Verhältnisse der Eheschließenden und der Umstand, ob und in welcher Weise und vor allem zu welchem Zeitpunkt sie
im Hinblick auf das Ableben eines Ehepartners vermögensrechtliche Dispositionen getroffen haben, darüber hinaus
die konkreten Umstände bei der Eheschließung und der Gesundheits- bzw. Krankheitszustand des Versicherten. Im
Rahmen dieser Gesamtwürdigung kommt es jedoch auf alle zur Eheschließung führenden Motive der Ehegatten an,
also auch solche höchstpersönlicher, subjektiver Art (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 5. Mai 2009, B 13 R 55/08
R – Terminbericht Nr. 22/09).
Zur Überzeugung des Senats ist entgegen der Beurteilung des Sozialgerichts und auch der Beklagten in den
angefochtenen Bescheiden nach den besonderen Umständen des Falls die Annahme nicht gerechtfertigt, dass es der
alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat der Klägerin mit dem Verstorbenen gewesen ist, einen Anspruch auf
Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Die von der Klägerin glaubhaft geltend gemachten Gründe für die
Eheschließung und die nicht auf eine Versorgungsabsicht hindeutenden objektiven Begleitumstände stehen
zumindest gleichwertig neben dem Versorgungsgedanken, so dass dieser nicht überwiegt und schon gar nicht der
alleinige Zweck der Heirat gewesen ist. Die Heirat stellt sich für den Senat vielmehr als die Fortsetzung einer
langjährigen Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft aufgrund einer Liebesbeziehung dar, in der beide Eheleute durch
langjährige Berufstätigkeit und dadurch erzieltes Einkommen finanziell abgesichert waren.
Zu würdigen ist zunächst der objektive Umstand des langjährigen Zusammenlebens der Klägerin und des
Verstorbenen in nichtehelicher 27-jähriger Lebensgemeinschaft von 1977 bis zur Heirat im September 2004. In diesem
Rahmen hatten sie sich auch 1984 ein gemeinsames Haus gekauft. Angesichts der langjährigen Lebensgemeinschaft
kann einerseits der klassische Fall des Missbrauchs der Ehe zu Versorgungszwecken nach nur kurzer Bekanntschaft
ausgeschlossen werden. Allerdings könnte andererseits hieraus auch abgeleitet werden, dass die Klägerin und der
verstorbene Versicherte gerade durch das langjährige Zusammenleben in nichtehelicher Lebensgemeinschaft bewusst
auf die Eheschließung aus Überzeugung verzichtet und letztlich nur nach Mitteilung der schwerwiegenden Erkrankung
kurzfristig doch in Versorgungsabsicht die Ehe geschlossen hatten (so vergleichbar Sozialgericht Lübeck, Urteil vom
26. Januar 2006, S 7 RA 320/03). Danach stellt das langjährige Zusammenleben allein noch keinen widerlegenden
Umstand dar. Hier war jedoch festzustellen, dass die Klägerin und der Versicherte tatsächlich geplant hatten, die
bestehende Gemeinschaft in die Ehe münden zu lassen. Sie hatten diese nicht ausgeschlossen, weil sie der
nichtehelichen Lebensgemeinschaft grundsätzlich den Vorzug gegeben haben, sondern sie sind davon ausgegangen,
zu heiraten. Zwar hatten sie keinen konkreten Termin für eine Hochzeit vor Bekanntwerden der Erkrankung des
verstorbenen Versicherten festgelegt –und allgemeine Heiratsabsichten könnten bei Bestehen einer Liebesbeziehung
nicht allein zur Widerlegung der Vermutung des § 46 Abs. 2 a SGB VI ausreichen (vgl. LSG Berlin, Urteil vom 8. April
1999, L 3 U 99/97)-, jedoch ist es für den Senat glaubhaft, dass die Eheschließung schon längere Zeit beabsichtigt
war, aber wegen mehrerer Todesfälle in der Familie diese eigentlich geplante Hochzeit immer wieder verschoben
werden musste.
In diesem Zusammenhang ist auch der notarielle Erbvertrag vom 10. Juni 2004 zu berücksichtigen, in dem sich die
Klägerin und ihr verstorbener Ehegatte gegenseitig zu alleinigen und unbeschränkten Erben eingesetzt haben. Dieser
Erbvertrag war vor dem Beginn der Erkrankung des Ehegatten der Klägerin am 7. Juli 2004 geschlossen worden. Aus
diesem Erbvertrag könnte wiederum abgeleitet werden, dass die Klägerin und ihr verstorbener Ehemann diesen
lediglich abgeschlossen hatten, um eine erbrechtliche Regelung zu treffen, weil die nichteheliche Lebensgemeinschaft
wegen einer nicht beabsichtigten Eheschließung anderenfalls keinerlei Regelungen für den Erbfall wegen fehlender
gesetzlicher Erbfolge bewirken würde. Andererseits enthält der Erbvertrag in der Einleitung die Erklärung der späteren
Eheleute: "Der nachfolgende Erbvertrag soll auch bei Heirat seine Geltung behalten." Hiermit ist erkennbar, dass die
spätere Heirat von den Vertragschließenden auch zu diesem Zeitpunkt bereits mit bedacht worden ist. Für den Senat
ist dies ein richtiges Indiz für die Heiratsabsicht der Eheleute schon zu diesem Zeitpunkt.
Für den Senat ist darüber hinaus von Bedeutung, dass eine anderweitige Versorgung der Klägerin unabhängig von der
Witwenrente gegeben ist. Die Klägerin war aufgrund ihrer langjährigen Berufstätigkeit (seit 1968 in Vollzeittätigkeit)
durch Erwerb einer eigenen Rentenanwartschaft selbst versorgt. Darüber hinaus hat sie durch den Erbvertrag im Juni
2004 gemeinsam mit ihrem verstorbenen Ehemann bereits vor Eingehung der Ehe sichergestellt, dass sie im Fall des
Todes des Versicherten das Haus nebst den übrigen Vermögenswerten erben würde. Durch die Gewährleistung dieser
Versorgung für den Fall des Todes des Versicherten vor Eheschließung vor allem vor Bekanntwerden einer
Erkrankung des Verstorbenen ist für den Senat abzuleiten, dass keine Versorgungsabsicht als zumindest
überwiegender Zweck der Eheschließung anzunehmen ist.
Vielmehr erscheint dem Senat die subjektive Motivation des Verstorbenen nachvollziehbar, noch vor der im Oktober
2004 einsetzenden Strahlenbehandlung mit der Klägerin die Ehe einzugehen, wegen der Unklarheit, wie sein Zustand
nach der Bestrahlung sein würde, aber auch getragen von der Hoffnung auf einen Erfolg der Therapie. Hieraus zeigt
sich eine subjektive Motivation des Verstorbenen und seiner Ehefrau, die den Gesichtspunkt einer etwaigen auch
bestehenden Versorgungsabsicht allenfalls in den Hintergrund treten lassen würde. Die Hoffnung auf einen gewissen
Zeitraum eines weiterhin gemeinsamen Lebens trotz der schweren Diagnose sieht der Senat auch in den
medizinischen Berichten über die Erkrankung des Verstorbenen bestätigt. Die langjährige Hausärztin Dr. L.-S. hat mit
Befundbericht vom 18. Februar 2005 den Verlauf der Erkrankung ab dem 7. Juli 2004 beschrieben. Insgesamt ist der
Klägerin zu folgen, dass zunächst noch ein behandelbarer Tumor angenommen worden ist, dann ein schwarzer
Hautkrebs festgestellt worden war und nachfolgend Bestrahlungen ab dem 5. Oktober 2004 als
Behandlungsmaßnahme palliativer Art begonnen worden sind mit der von der Hautklinik angegebenen
Lebenserwartung von ein bis zwei Jahren. Die Klägerin hat dazu angegeben, dass sie mit ihrem verstorbenen
Ehemann zu keinem Zeitpunkt die Hoffnung aufgegeben habe, zumindest noch einige Zeit miteinander verbringen zu
können.
Zwar stand das Bestehen einer lebensbedrohlichen Erkrankung zum Zeitpunkt der Eheschließung fest. Hieraus ist
allein dennoch nicht die Vermutung des Eingehens einer Versorgungsehe abzuleiten. Dies lässt sich § 46 Abs. 2a
SGB VI nicht entnehmen (vgl. Urteil des Senats vom 10. Dezember 2003, L 8 U 65/02). Die plötzliche Erkrankung hat
hier lediglich den Zeitpunkt der Eheschließung beeinflusst. Die Heirat erfolgte zwar bewusst in Kenntnis der
lebensbedrohenden Erkrankung des Versicherten, jedoch nicht überwiegend aus Gründen der Versorgung. Das
Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung ist zum einen objektiv nicht gleichbedeutend damit, dass der Tod
tatsächlich in naher Zukunft eintreten wird. Zum anderen hat auch die subjektive Vorstellung des Versicherten und der
Klägerin über die Lebenserwartung Bedeutung (vgl. o. g. Urteil des Senats vom 7. März 2007). Der verstorbene
Versicherte hatte die Hoffnung nicht aufgegeben, er ließ noch Bestrahlungsmaßnahmen durchführen und er hätte nach
den ersten Befunden und der Aussage der Ärzte der Hautklinik noch einen Zeitraum von möglicherweise ein bis zwei
Jahren gemeinsam mit der Klägerin leben können. Nach der ebenfalls maßgeblichen subjektiven Vorstellung des
Versicherten und der Klägerin über die Lebenserwartung hatten diese die Hoffnung nicht aufgegeben, die
Eheschließung erfolgte quasi zur Begleitung durch seine Lebenspartnerin für die beginnende Strahlenbehandlung.
Hinzu kommen hier klar zu Tage tretende objektive Umstände, die auf einen von der Versorgungsabsicht
verschiedenen Beweggrund schließen lassen. Zu denken ist dabei an die Gewährung eines deutlich höheren
Freibetrages im Rahmen der Erbschaftssteuer für den Hausanteil des Versicherten am gemeinsam bewohnten Haus
und den Erlös aus dem Verkauf des Hausees der verstorbenen Eltern des Versicherten. Neben diesem bedeutenden
materiellen Grund ist der immaterielle Gesichtspunkt einer als Ehegattin nicht beschränkten Auskunftsmöglichkeit
gegenüber den behandelnden Ärzten und Krankenhäusern des Versicherten genauso von Bedeutung wie die
Entscheidungsbefugnis über die Regelungen, die im Zusammenhang mit dem (späteren) Tod des Versicherten zu
treffen sind.
Insgesamt stehen für den Senat die von der Klägerin glaubhaft und nachvollziehbar vorgetragenen Gründe für die
Heirat zumindest gleichwertig neben dem Versorgungsgedanken, so dass dieser jedenfalls nicht überwiegt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 und Abs. 4 SGG.
Die Revision wird nicht gemäß § 160 Abs. 1 SGG zugelassen. Es liegt keiner der in § 160 Abs. 2 SGG genannten
Gründe vor, auf die eine Zulassung der Revision durch den Senat gestützt werden könnte.