Urteil des LSG Schleswig-Holstein vom 25.02.2009

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Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht
Urteil vom 25.02.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Lübeck S 14 KR 170/06
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht L 5 KR 33/08
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lübeck vom 4. April 2008 wird
zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch im Berufungsverfahren nicht zu
erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Krankengeld für die Zeit vom 28. Oktober bis 12.
November 2005. Dabei geht es um die Frage, ob eine Arbeitsunfähigkeit wegen der Materialentfernung nach einer
Operation einen neuen Krankheitsfall darstellt oder auf dieselbe Krankheit zurückzuführen ist.
Die 1951 geborene Klägerin ist als freiberufliche Rechtsanwältin freiwilliges Mitglied der Beklagten. § 15 II der Satzung
der Beklagten lautet:
"Für freiwillig versicherte hauptberuflich selbstständig Tätige, die wegen Arbeitsunfähigkeit ihrer Tätigkeit nicht
nachgehen können, entsteht der Anspruch auf Krankengeld ab der 7. Woche der Arbeitsunfähigkeit."
Die Klägerin erlitt am 23. Oktober 2004 eine Tibiakopffraktur und Bänderrisse. Am 29. Oktober 2004 wurden zwei
Schrauben in den Schienbeinkopf gesetzt. Unter Berücksichtigung des § 15 II der Satzung der Beklagten bezog die
Klägerin Krankengeld. Am 28. Oktober 2005 wurden die Schrauben im Marienkrankenhaus in Hamburg im Wege einer
ambulanten Operation entfernt. Danach war die Klägerin bis zum 12. No¬vember 2005 wiederum krankgeschrieben.
Sie beantragte auch für diesen Zeitraum Krankengeld. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 16. Januar 2006 den
Antrag mit der Begründung ab, gemäß § 15 II der Satzung hätte ein Anspruch auf Krankengeld erst ab dem 9.
Dezember 2005 begonnen. Dem widersprach die Klägerin mit Schreiben vom 31. Januar 2006. Sie berief sich auf die
Regelung über die Dauer der Krankengeldzahlung in § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch (SGB V), nach der
Krankengeld für längstens 78 Wochen innerhalb von drei Jahren zu zahlen sei. Die Arbeitsunfähigkeit wegen der
Materialentfernung beruhe auf derselben Krankheit wie die nach der Operation, da sie auf denselben regelwidrigen
Körper- oder Geisteszustand zurückzuführen sei. Dem stehe nicht entgegen, dass sie zwischenzeitlich arbeitsfähig
gewesen sei, denn es bestehe ein ursächlicher Zusammenhang für das einheitliche Krankheitsgeschehen. Das
Grundleiden sei medizinisch nicht ausgeheilt gewesen. Auch derzeit erhalte sie noch regelmäßige
physiotherapeutische Leistungen. Die Materialentfernung ein Jahr nach der Operation sei medizinisch indiziert
gewesen. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10. April 2006 zurück. Zur Begründung
führte sie aus, der Beginn des Anspruchs auf Krankengeld richte sich allein nach § 15 II der Satzung, während § 48
Abs. 1 SGB V die Dauer des Krankengeldbezuges zum Gegenstand habe. Anders als dort stelle § 15 II nicht auf den
Beginn der Krankheit, sondern auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit ab. Die Klägerin sei ab 1. oder 2. Mai 2005
wieder arbeitsfähig und ab 28. Oktober 2005 erneut arbeitsunfähig gewesen. Dies sei eine neue Arbeitsunfähigkeit,
unabhängig davon, ob diese auf derselben Krankheit beruhe. Es trete somit eine neue Wartezeit von sechs Wochen in
Kraft.
Gegen die Entscheidung hat die Klägerin am 13. April 2006 beim Sozialgericht Lübeck Klage erhoben, zu deren
Begründung sie auf den Sachvortrag im Widerspruchsverfahren Bezug genommen hat.
Die Beklagte hat sich auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide bezogen.
Nach Anhörung der Beteiligten über die beabsichtigte Verfahrensweise hat das Sozialgericht die Klage mit
Gerichtsbescheid vom 4. April 2008 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin
habe in der streitbefangenen Zeit keinen Anspruch auf Krankengeld, da die Karenzzeit für den Bezug während der Zeit
angedauert habe. Hierbei hat das Gericht sich auf die Begründung des Widerspruchsbescheides bezogen und
ergänzend ausgeführt, die Regelung in der Satzung stelle allein darauf ab, ob Arbeitsunfähigkeit bestehe. Unstreitig
sei die Klägerin vom 2. bis 27. Oktober arbeitsfähig gewesen. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass sie
zwischenzeitlich auf Kosten ihrer Gesundheit gearbeitet habe. Damit sei am 28. Ok¬tober 2005 eine neue
Arbeitsunfähigkeit eingetreten, die eine neue Karenzzeit von sechs Wochen für den Bezug von Krankengeld zur Folge
habe. Die Satzung der Beklagten stelle nicht – auch nicht im Rahmen einer Sonderregelung – darauf ab, dass die
Arbeitsunfähigkeit auf derselben Krankheit beruhe. Eine entsprechende Regelung wie z. B. in § 3 Abs. 1 Satz 2 des
Entgeltfortzahlungsgesetzes fehle. Es bestehe kein Grund, die Klägerin anders als andere freiwillig Versicherte zu
behandeln, die an einer anderen, neuen Krankheit erkrankt seien. Das Gesetz stelle auf den Grund für den Wegfall
des Arbeitseinkommens, an dessen Stelle das Krankengeld trete, nicht ab. Entgegen der Auffassung der Beklagten
behandele § 48 SGB V lediglich die Dauer des Anspruchs.
Gegen die ihrem Prozessbevollmächtigten am 9. April 2008 zugestellte Entscheidung richtet sich die Berufung der
Klägerin, die am 15. April 2008 beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangen ist. Zur Begründung
führt sie aus, § 15 II (§ 16 II Abs. 1 a. F.) der Satzung beruhe auf § 44 Abs. 2 SGB V und regele einen Sonderfall für
den Beginn der Krankengeldzahlung und damit eine Leistungseinschränkung gegenüber den Ansprüchen gesetzlich
Krankenversicherter. Die Bestimmung regele allein den Beginn der Krankengeldzahlung; dies folge aus ihrem
Wortlaut, der im Fall von Leistungseinschränkungen eindeutig und unmissverständlich sein müsse, und aus der
gesetzlichen Ermächtigungsnorm des § 44 Abs. 2 SGB V, nach dem der Anspruch in der Satzung lediglich
ausgeschlossen oder dessen späterer Beginn geregelt werden könne. Die Fortdauer des Anspruchs bestimme sich
allein nach § 48 SGB V. Danach sei das Krankengeld für den Fall der Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Erkrankung
für längstens 78 Wochen zu zahlen. In ihrem Fall habe sich der Anspruch unter Einbeziehung der Karenzzeit bis zum
22. Ok¬tober 2007 erstreckt. Denn die Materialentfernung beruhe auf derselben Krankheit, nämlich der Fraktur am
Tibiakopf. Für die Bemessung des Zeitraums nach § 48 Abs. 1 SGB V und damit für die Dauer der
Krankengeldzahlung wegen derselben Krankheit sei es unerheblich, ob die Arbeitsunfähigkeit fortdauernd bestanden
habe. Unterbrechungen, wechselnde Krankheitserscheinungen oder mangelnde Behandlungsbedürftigkeit seien
unmaßgeblich, solange die Krankheit auf dieselbe Ursache zurückzuführen sei. Sie sei in dem Zeitraum der
Arbeitsunfähigkeit fortlaufend in ärztlicher und physiotherapeutischer Behandlung gewesen. Bereits bei der Operation
am 29. Oktober 2004 sei vorauszusehen gewesen, dass ungefähr ein Jahr später das Material habe entfernt werden
müssen. Eine Ungleichbehandlung mit anderen freiwillig Versicherten, die an einer anderen Erkrankung litten, sei nicht
zu ersehen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lübeck vom 4. April 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16.
Januar 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. April 2006 aufzuheben und die Beklagte zu
verurteilen, ihr für die Zeit vom 28. Oktober bis 12. November 2005 Krankengeld zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie nimmt erneut Bezug auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide und legt einen Satzungsauszug mit der
Regelung des § 15 vor.
In der mündlichen Verhandlung haben die Verwaltungsvorgänge der Beklagten und die Verfahrensakte vorgelegen. Zur
Ergänzung der Einzelheiten wird darauf Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lübeck vom 4. April 2008 ist zulässig aber
nicht begründet. Der Gerichtsbescheid ist rechtlich nicht zu beanstanden, denn er hat zu Recht die ablehnenden
Bescheide der Beklagten bestätigt. Die Klägerin hat in der Zeit der Arbeitsunfähigkeit wegen der Materialentfernung
vom 28. Oktober bis 12. November 2005 gegenüber der Beklagten keinen Krankengeldanspruch.
Ihrem Anspruch steht § 16 Abs. 2 der Satzungsbestimmung der Beklagten entgegen. Die Krankengeldzahlung setzt
nach § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch (SGB V) u. a. voraus, dass die Versicherte arbeitsunfähig ist. Der
Beginn des Krankengeldanspruchs ist in § 46 SGB V geregelt. Nach dessen Satz 1 Nr. 2 entsteht der
Krankengeldanspruch für abhängig Beschäftigte regelmäßig von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen
Feststellung der Arbeitsfähigkeit folgt. Da die Klägerin als freiberufliche Rechtsanwältin freiwilliges Mitglied der
Beklagten ist, ist § 44 Abs. 2 SGB V in der bis zum 31. Dezember 2008 geltenden Fassung heranzuziehen, da
Krankheit und Arbeitsunfähigkeit noch vor der durch Art. 2 Nr. 6a, Art. 46x des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes
vom 26. März 2007 (BGBl. I Seite 378) zum 1. Januar 2009 erfolgten Gesetzesänderung liegt. Nach § 44 Abs. 2 SGB
V a. F. konnte die Satzung der Krankenkasse für freiwillig Versicherte den Anspruch auf Krankengeld ausschließen
oder zu einem späteren Zeitpunkt entstehen lassen.
Um eine derartige Regelung handelt es sich bei § 15 Abs. 2 der Satzung der Beklagten in der damaligen Fassung. Die
Regelung sah eine Karenzzeit für den Anspruch auf Krankengeld für 6 Wochen nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit
vor. In Abkehr von § 46 Abs. 1 Nr. 2 SGB V regelt die Vorschrift somit einen späteren Zeitpunkt für den
Krankengeldanspruch. Sie ist eindeutig und trägt dem Gebot der Normenklarheit Rechnung (vgl. Vay in Krauskopf,
Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung, § 44 SGB V Rz. 26). Insbesondere ist die Regelung auch
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BSG, Urteil vom 26. Juni 2007, B 1 KR 19/06 R - veröffentlicht in Juris). §
15 Abs. 2 der Satzung der Beklagten stellt für das Entstehen des neuen Krankengeldanspruchs dabei nicht auf das
Entstehen oder Fortbestehen der Krankheit ab, sondern allein auf den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit. Die
Arbeitsunfähigkeit der Klägerin anlässlich der Materialentfernung trat unstreitig am 28. Oktober ein, sodass hierzu eine
neue Karenzfrist in Lauf gesetzt wurde.
Etwas Anderes folgt auch nicht aus der Regelung des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Danach erhalten Versicherte
Krankengeld ohne zeitliche Begrenzung, für den Fall der Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit jedoch für
längstens 78 Wochen innerhalb von je drei Jahren, gerechnet von dem Tage des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an.
Diese Norm regelt nicht den Beginn der Krankengeldzahlung wie § 46, sondern die Dauer des Krankengeldanspruchs.
Das Gesetz geht nicht davon aus, dass für 78 Wochen wegen derselben Krankheit fortlaufend ein latenter
Krankengeldanspruch besteht, der auflebt, sofern die Krankheit Arbeitsunfähigkeit bewirkt. Denn dies würde bedeuten,
dass während der Zeit der Arbeitsfähigkeit wegen derselben Krankheit der Krankengeldanspruch ruhen würde. Das ist
jedoch nicht der Fall, denn die Ruhensregelungen des § 49 SGB V beinhalten diesen Fall nicht. Vielmehr ist die
bestehende Arbeitsunfähigkeit nach § 44 Abs. 1 SGB V tatbestandliche Voraussetzung für den Krankengeldanspruch
insgesamt. Daraus folgt, dass der Krankengeldanspruch mit Ende der Arbeitsunfähigkeit ebenfalls beendet ist und
dass eine neue Arbeitsunfähigkeit einen neuen Krankengeldanspruch auslöst, auch wenn sie auf derselben Krankheit
beruht. Der Gedanke der Einheit des Versicherungsfalls, nach dem sich die rechtlichen Verhältnisse bei einer
fortlaufenden Krankheit stets nach dem Versichertenstatus richten, der bei Ausbruch der Krankheit bestanden hat,
führt zu keinem anderen Ergebnis (dazu Schmidt in Peters, Handbuch der Krankenversicherung, vor § 27 Rz. 59 ff.).
Denn der Gedanke geht nicht so weit, dass alle Ansprüche während der weiteren Dauer der Erkrankung auf diesen
Versicherungsfall projiziert werden dürfen. Insbesondere die Ansprüche auf Krankengeld lösen sich von dem
ursprünglichen Versicherungsfall, entstehen jeweils neu und beurteilen sich nach den jeweiligen rechtlichen
Verhältnissen bei der erneuten den Anspruch auslösenden Arbeitsunfähigkeit (vgl. auch BSG vom 14. Februar 2007,
B 1 KR 16/06 R, USK 2007-2).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Angesichts der Entscheidung des BSG vom 14. Februar 2007 und die dadurch bewirkte Klarstellung fehlt es an den
Voraussetzungen im Sinne des § 160 Abs. 2 SGG für die Zulassung der Revision.
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