Urteil des LSG Schleswig-Holstein vom 10.12.2003

LSG Shs: krankenversicherung, zuschuss, rentner, meldung, avg, rechtsgrundlage, versicherungsträger, merkblatt, anschlussberufung, architekt

Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht
Urteil vom 10.12.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Schleswig S 2 RA 87/01
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht L 8 RA 20/03
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 20. August 2002 hinsichtlich der
Kostenentscheidung und insoweit aufgehoben, als die Beklagte zur Gewährung eines Zuschusses zur
Krankenversicherung vor dem 1. April 2001 verurteilt worden ist. Insoweit wird die Klage abgewiesen. Die
Anschlussberufung des Klägers wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers für
beide Instanzen zu einem Fünftel zu tragen. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ab wann der Kläger, der bis zu seiner Verrentung als Architekt tätig gewesen war,
Anspruch auf Zuschüsse zu seiner Krankenversicherung hat.
Der 1926 geborene Kläger bezieht von der Beklagten auf Grund seines Antrages vom 4. April 1991 seit 1. Juli 1991
Altersruhegeld (Bescheid vom 4. Juni 1991). Seinerzeit hatte er auch eine Meldung zur Krankenversicherung der
Rentner an die Beklagte übersandt.
Der Kläger stellte am 24. April 2001 bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung der o. g. Zuschüsse mit Wirkung
vom 1. Juli 1991. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15. Mai 2001 für den Zeitraum vom 1. Juli
1991 bis 31. März 2001 ab. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger habe die Leistungen nicht innerhalb von drei
Kalendermonaten nach Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen beantragt. Bei späterer Antragstellung beginne die
Zahlung der Zuschüsse grundsätzlich mit dem Kalendermonat, in dem sie beantragt worden seien.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 11. Juni 2001 Widerspruch ein. Er machte geltend, dass dem
Rentenbezug ab 1. Juli 1991 ein formgerecht gestellter Rentenantrag vorausgegangen sei. Als Ausdruck für das
Begehren auf Zuschuss habe er das Formblatt "Meldung zur Krankenversicherung der Rentner" ausgefüllt und dem
Rentenantrag beigefügt. Dies sei einem Antrag auf Zuschuss gleichzustellen. Jedenfalls hätte ihn die Beklagte darauf
aufmerksam machen müssen, ggf. seinen Antrag klarzustellen.
Der Widerspruch des Klägers wurde durch Widerspruchsbescheid vom 29. August 2001 zurückgewiesen.
Hiergegen hat der Kläger am 28. September 2001 Klage beim Sozialgericht Schleswig erhoben. Zur Begründung hat er
im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen wiederholt.
Die Beklagte hat darauf verwiesen, dass dem Kläger bei Rentenantragstellung am 17. April 1991 das Merkblatt über
die Krankenversicherung der Rentner ausgehändigt und ihm bei Erteilung des Rentenbescheides am 4. Juni 1991 ein
Antrag auf Beitragszuschuss (d. h. die Antragsvordrucke) übersandt worden seien. Der Kläger sei dadurch von ihr
ausreichend informiert worden. Eine Antragstellung sei anschließend nicht erfolgt. Erst auf Grund einer maschinellen
Datenmeldung am 14. März 2001 sei das Verfahren wieder aufgenommen worden.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 24. Juni 2002 die Barmer Ersatzkasse als gesetzliche Kranken- und
Pflegeversicherung des Klägers beigeladen und die Beklagte mit Urteil vom 20. August 2002 verurteilt, dem Kläger
Zuschüsse zur Krankenversicherung und Pflegeversicherung ab 1. Januar 1997 zu gewähren. Im Übrigen hat das
Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass ein Versicherungsträger gemäß § 44 SGB
X im Wege der Überprüfung einen bestandskräftigen Bescheid abzuändern und rückwirkend auch Sozialleistungen für
maximal vier Jahre zu gewähren habe, wenn er bei Erlass des Bescheides das Recht unrichtig angewandt habe oder
von falschen Tatsachen ausgegangen sei. Hier hätte die Beklagte erkennen können, dass ihr ursprünglicher
Rentenbescheid dem Kläger zu Unrecht die Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung vorenthalten habe.
Gegen dieses der Beklagten am 31. Januar 2003 zugestellte Urteil richtet sich ihre Berufung, die am 24. Februar 2003
bei dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangen ist. Zur Begründung führt die Beklagte aus, dass
dem Kläger mit dem ursprünglichen Rentenbescheid vom 4. Juni 1991 nicht zu Unrecht die Zuschüsse zur
Krankenversicherung vorenthalten worden seien. Dieser Bescheid sei nicht rechtswidrig, da zum damaligen Zeitpunkt
seiner Erteilung ein Antrag auf einen Zuschuss zur Krankenversicherung nicht vorgelegen hätte. Zwar habe vor dem
1. Januar 1992 für einen Zuschuss zur Krankenversicherung kein Antragserfordernis im Hinblick auf etwaige
Beginnsregelungen bestanden (vgl. § 108 i.V.m. § 99 SGB VI). Der Antrag habe jedoch insofern eine formelle
Bedeutung, als durch ihn das Antragsverfahren eröffnet werde. Da kein offenes Antragsverfahren in diesem Sinne
bestanden habe, könne der o. g. Rentenbescheid nicht rechtswidrig sein und § 44 SGB X scheide als
Rechtsgrundlage daher aus. Auch sei der Kläger ausreichend über das Antragserfordernis informiert worden. Ein
Beratungsmangel sei nicht erkennbar. Der Zuschuss zur Krankenversicherung könne daher erst ab dem
Antragsmonat (1. April 2001) gezahlt werden.
Hinsichtlich des Pflegeversicherungsbeitragszuschusses erklärte sich die Beklagte in der mündlichen Verhandlung
vom 10. Dezember 2003 bereit, diesen rückwirkend ab 1. Januar 1995 an den Kläger auszuzahlen.
Der Kläger erklärte daraufhin den Rechtsstreit insoweit für erledigt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 20. August 2002 insoweit aufzuheben, als sie zur Gewährung eines
Zuschusses zur Krankenversicherung vor dem 1. April 2001 verurteilt worden ist und die Klage insoweit abzuweisen
sowie die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 20. August 2002 zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 15.
Mai 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2001 aufzuheben und die Beklagte zu
verurteilen, die Zuschüsse zur Krankenversicherung bereits ab 1. Juli 1991 an ihn zu zahlen, sowie die Berufung der
Beklagten zurückzuweisen.
Der Kläger verfolgt mit seiner Anschluss-Berufung vom 14. März 2003 weiterhin das Ziel, den Zuschuss zur
Krankenversicherung seit Rentenbeginn zu erhalten.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf
den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten. Diese haben dem Senat vorgelegen und sind
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig.
Die Berufung ist auch in vollem Umfang begründet. Dementsprechend ist die Anschlussberufung des Klägers nicht
begründet.
Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, dem Kläger vor dem 1. April 2001 einen Zuschuss zur
Krankenversicherung zu gewähren. Entgegen der Rechtsauffassung des Sozialgerichts kommt § 44 Sozialgesetzbuch
Zehnter Teil (SGB X) hier schon deshalb nicht als Rechtsgrundlage in Betracht, weil der ursprüngliche
Rentenbescheid vom 4. Juni 1991 nicht rechtswidrig ist. Dass mit diesem Bescheid kein Zuschuss zur
Krankenversicherung gewährt wurde, ist nicht zu beanstanden.
Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Zuschuss zur Krankenversicherung ist § 83e
Angestelltenversicherungsgesetz - AVG - (bis 31. Dezember 1991) und § 106 Sozialgesetzbuch Sechster Teil (SGB
VI) (ab 1. Januar 1992).
Danach erhielten und erhalten Rentenbezieher, die freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung oder bei einem
Krankenversicherungsunternehmen, das der deutschen Aufsicht unterliegt, versichert sind, einen Zuschuss zu den
Aufwendungen für die Krankenversicherung. Voraussetzung dafür ist jedoch seit dem 1. Januar 1992 ein
entsprechender Antrag des Rentenbeziehers (vgl. § 19 Satz 1 SGB IV). Wird ein solcher Antrag später als drei
Monate nach Rentenbeginn gestellt, ist der Zuschuss erst vom Antragsmonat an zu zahlen. Das ergibt sich aus § 99
Abs. 1 SGB VI, der nach § 108 SGB VI auch für Zusatzleistungen wie den Beitragszuschuss zur
Krankenversicherung gilt. Nach dem vor dem 1. Januar 1992 gegoltenen AVG war zwar der Beginn der Zahlung des
Zuschusses zur Krankenversicherung nicht vom Zeitpunkt der Antragstellung abhängig. Der Antrag hatte jedoch auch
seinerzeit insofern eine formelle Bedeutung, als durch ihn erst das Verwaltungsverfahren eröffnet wurde (§§ 204 AVG,
1545 Abs. 1 Ziff. 2 Reichsversicherungsordnung).
Den Antrag auf Zuschuss zur Krankenversicherung hat der Kläger erst am 24. April 2001 gestellt. Deshalb war der
Rentenbescheid vom 4. Juni 1991 nicht rechtswidrig. Wegen des zu diesem Zeitpunkt fehlenden Antrags des Klägers
wurde zu Recht im Rentenbescheid kein Zuschuss zur Krankenversicherung bewilligt. Die Beklagte konnte und durfte
seinerzeit hierüber gar nicht entscheiden.
Der Kläger kann auch nicht so behandelt werden, als ob er den Antrag früher gestellt hätte. Dies käme nur dann in
Betracht, wenn der Beklagten eine Verletzung ihrer Informations- und Beratungspflicht vorgeworfen werden könnte (so
genannter sozialrechtlicher Herstellungsanspruch).
Die tatbestandlichen Voraussetzungen eines solchen Anspruchs sind hier jedoch nicht gegeben. Der von der
Rechtsprechung entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist auf die Vornahme einer Amtshandlung zur
Herstellung des Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Versicherungsträger die ihm aufgrund eines
Gesetzes oder konkreten Sozialrechtsverhältnisses dem Versicherten gegenüber erwachsenden Pflicht, insbesondere
zur Auskunft und Beratung, ordnungsgemäß wahrgenommen hätte (ständige Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts, vgl. SozR 1200 § 14 Nr. 8, 9 mit weiteren Nachweisen).
Hier hatte die Beklagte ihre Pflicht zur Beratung gemäß § 14 Sozialgesetzbuch Erster Teil (SGB I) ordnungsgemäß
erfüllt. Mit Rentenbescheid vom 4. Juni 1991 wurde dem Kläger ein Antrag auf Beitragszuschuss übersandt. Mit
Anlage 6 des Bescheides wurde auf diesen Antrag hingewiesen. Außerdem hatte der Kläger mit seiner Unterschrift
unter der Meldung zur Krankenversicherung bestätigt, dass er wusste, dass ein Zuschuss zur freiwilligen
Versicherung beim Rentenversicherungsträger zu beantragen ist und dass er das Merkblatt über die
Krankenversicherung der Rentner erhalten hatte. In dem Formular hieß es: "Mir ist bekannt, dass ein eventueller
Zuschuss zur freiwilligen oder privaten Krankenversicherung beim Rentenversicherungsträger zu beantragen ist. Das
Merkblatt über die KVdR habe ich erhalten." Darüber hinaus hatte die Beklagte in ihren jährlichen
Rentenanpassungsmitteilungen darauf hingewiesen, dass bei Vorliegen einer freiwilligen Krankenversicherung auch
Zuschüsse gezahlt werden.
Bei trotz der umfassenden Information noch bestehenden Unklarheiten oder Unsicherheiten, hätte sich der Kläger an
eine Auskunfts- und Beratungsstelle der Beklagten in seiner Nähe wenden können. Nicht nachvollziehbar ist der
Vortrag des Klägers, er sei der Auffassung gewesen, durch das Ausfüllen der Meldung zur Krankenversicherung auch
einen Antrag auf Zuschuss gestellt zu haben. Wenn dem so wäre, hätte dem Kläger auffallen müssen, dass
anschließend weder ein Zuschuss gezahlt noch sein Antrag abgelehnt wurde. Außerdem ergibt sich aus dem zuvor
Dargelegten, dass aus den dem Kläger zugegangenen Informationen zweifelsfrei zu entnehmen war, dass der
Zuschussantrag neben der Meldung zur Rentenkrankenversicherung zu stellen war. Der Senat hält es nicht für
glaubhaft, dass der Kläger als im Umgang mit Behörden und Formularen erfahrener Architekt die ihm zugänglich
gemachten Informationen nicht verstanden hatte.
Für die Beklagte bestand jedenfalls keine Pflicht, den Kläger weitergehend als geschehen gemäß § 14 SGB I zu
beraten. In der Regel wird eine solche Pflicht erst durch ein entsprechendes Begehren begründet (vgl. BSG SozR
1200 § 14 Nr. 9, 12). Allerdings ist der Versicherungsträger, auch wenn ein Beratungsbegehren - wie hier - nicht
vorliegt, gehalten, den Versicherten bei Vorliegen eines konkreten Anlasses von sich aus "spontan" auf klar zutage
liegende Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen, die sich offensichtlich als zweckmäßig aufdrängen und die von
jedem verständigen Versicherten mutmaßlich genutzt werden. Hier ergab sich für die Beklagte kein konkreter Anlass
zur Beratung. Da es den Rentnern freigestellt ist, einen Zuschuss zur Krankenversicherung zu beantragen und ein Teil
der Rentner die Antragstellung aus verschiedensten Gründen nicht vornimmt, besteht bei der Beklagten keine
Verpflichtung, bei den Rentnern nachzuforschen, aus welchen Gründen eine Antragstellung unterblieben ist.
Dass letztlich der Antrag des Klägers vom 24. April 2001 auf einen konkreten Hinweis eines Mitarbeiters der
Beklagten hin gestellt wurde, ändert daran nichts. Ein solcher Hinweis hätte zwar auch früher erfolgen können, dass er
unterblieben ist, stellt jedoch keine Verletzung der der Beklagten obliegenden Pflichten aus § 14 SGB I dar.
Aus diesen Gründen hat die Berufung der Beklagten in vollem Umfang Erfolg, und die Anschlussberufung des Klägers
musste erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.