Urteil des LSG Sachsen-Anhalt vom 27.09.2010

LSG San: ultra petita, einkünfte, konkretisierung, anhörung, beratung, rechtswidrigkeit, rechtsgrundlage, wohnungsmiete, ukraine, anschluss

Landessozialgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss vom 27.09.2010 (rechtskräftig)
Sozialgericht Magdeburg S 14 SO 7/05
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt L 8 SO 19/09
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG).
Der am. geborene Kläger lebte mit seiner am ... geborenen Ehefrau M. S. und deren am. geborenen Sohn gemeinsam
in einer Mietwohnung. Der Kläger bezieht inzwischen Arbeitslosengeld II.
Der Kläger hat vor dem Verwaltungsgericht Magdeburg acht Klageverfahren anhängig gemacht, die jeweils an das
Sozialgericht Magdeburg verwiesen worden und vom Sozialgericht mit Beschluss vom 16. März 2006 zum Verfahren
S 19 SO 7/05 als führendem Verfahren verbunden worden sind. Hiervon sind die in den Verfahren S 19 SO 7/05, S 14
SO 37/05, S 14 SO 35/05 und S 14 SO 43/05 angefochtenen Bescheide nachfolgend aus dem Verfahren
ausgeschieden worden; im Verfahren S 14 SO 31/05 betrifft dies den Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 2006,
soweit dieser sich auf einmalige Beihilfen bezieht.
In dem Verfahren S 14 SO 13/05 (Klageschrift vom 30. Dezember 2004, eingegangen bei dem Verwaltungsgericht am
3. Januar 2005) hat der Kläger einen Bescheid des Beklagten vom 1. Dezember 2004 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 2006 angefochten. Mit diesem Bescheid hatte der Beklagte die Bewilligung
von Hilfe zum Lebensunterhalt für den Monat März 2004 zurückgenommen und die Erstattung der bereits für diesen
Zeitraum ausgezahlten Leistungen - nach dem Widerspruchsbescheid in Höhe von 378,92 EUR - gefordert. Der Kläger
habe im März 2004 ein höheres Einkommen erzielt, als er zunächst gegenüber dem Beklagten angegeben gehabt
habe. Zu berücksichtigen seien Bankgutschriften im März 2004 in Höhe von 140,00 EUR, 318,00 EUR, 29,93 EUR,
28,98 EUR, 42,10 EUR und 10,33 EUR, insgesamt 569,34 EUR. Dieses Einkommen übersteige den Bedarf in Höhe
von 518,92 EUR.
In dem Verfahren S 14 SO 11/05 (Klageschrift vom 27. Dezember 2004, eingegangen bei dem Verwaltungsgericht am
3. Januar 2005) hat der Kläger den Bescheid des Beklagten vom 1. Dezember 2004 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 2006 angefochten. In der Sache geht es um die Neuberechnung des
Hilfebedarfs für die Zeit vom 6. bis zum 31. Juli 2004 in Höhe von nun 170,40 EUR und die Aufhebung des
ursprünglichen Bewilligungsbescheides, soweit darin höhere Leistungen im Wege eines Darlehens nach § 15b BSHG
bewilligt worden waren. Im Ausgangsbescheid waren ein anteiliger Hilfebedarf des Klägers und seiner Ehefrau - unter
Berücksichtigung eines anrechenbaren Einkommens in Höhe von 214,47 EUR - in Höhe von 421,08 EUR ermittelt und
entsprechende Leistungen bewilligt worden. Nun berechnete der Beklagte den Hilfebedarf in Höhe von 170,40 EUR
ausgehend von einem Bedarf von 635,55 EUR und einem Einkommen in Höhe von 465,15 EUR aus Provisionen und
sonstigen Einnahmen.
In dem Verfahren S 14 SO 9/05 (Klageschrift vom 27. Dezember 2004, eingegangen bei dem Verwaltungsgericht am
3. Januar 2005) hat der Kläger den Bescheid des Beklagten vom 1. Dezember 2004 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 26. Januar 2006 angefochten, der die Erstattungsforderung in Höhe von 250,68 EUR
auf Grund der vorgenannten Neuberechnung des Hilfebedarfs für den Zeitraum vom 6. bis 31. Juli 2004 betrifft.
In dem Verfahren S 14 SO 31/05 (Klageschrift vom 9. Januar 2005, eingegangen bei dem Verwaltungsgericht am 13.
Januar 2005) hat der Kläger den Bescheid des Beklagten vom 21. Dezember 2004 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 31. Januar 2006 angefochten, der die Bewilligung von Hilfe zum Lebensunterhalt in
Höhe von 493,31 EUR für Dezember 2004 und eine Weihnachtsbeihilfe in Höhe von 120,00 EUR betrifft.
Der - im erstinstanzlichen Verfahren anwaltlich vertretene - Kläger hat die erhobenen Klagen mit Schriftsatz vom 12.
Oktober 2005 damit begründet, dass "jeder einzelne Bescheid, wie er den jeweiligen Klagen zugrunde liegt," deshalb
unrichtig sei, weil der Beklagte seine - des Klägers - Einkünfte falsch zugrunde gelegt habe. Er habe
Provisionszahlungen aus einer Vermittlungstätigkeit für Versicherungen erzielt und erziele entsprechende Einkünfte
weiterhin. Die von dem Beklagten angenommene Höhe seiner Einkünfte könne er nicht nachvollziehen.
Das Sozialgericht hat den Kläger mit Schreiben vom 16. und 28. März 2006 gebeten, für jeden Klageanspruch eine
Begründung einzureichen. Das bisherige Vorbringen des Klägers sei doch recht lückenhaft und unübersichtlich. Es
werde um Übersendung aller für die streitgegenständlichen Zeiträume maßgeblichen Unterlagen (u.a.
Einkommensbelege, Kontoauszüge etc.) gebeten. Es werde für das Gericht nicht klar, welche Ansprüche der Kläger
(noch) erhebe und warum.
Daraufhin hat der Kläger mit Schriftsatz vom 31. Juli 2006 ausgeführt: "Das Verfahren ist in der Tat mehr als
unübersichtlich. Der Kläger lässt insoweit nur noch einmal im Anschluss an die Klagebegründung vom 12.10.2005
vortragen, dass die durch die Beklagte zugrunde gelegten Einkünfte nicht korrekt ermittelt sind. Insbesondere sind die
angerechneten Provisionszahlungen aus der Tätigkeit als Finanzdienstleistungs- und Versicherungsvermittler nicht
zutreffend berücksichtigt worden. Eine Anrechnung oberhalb des Betrages von 140,00 EUR kommt nicht in Frage,
weshalb die Beklagte dem Kläger Leistungen hätte bewilligen müssen."
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 21. April 2009 den Beklagten - auf Grund der Klage in dem verbundenen
Verfahren S 14 SO 35/05 - unter teilweiser Aufhebung des insoweit angefochtenen Bescheides - verurteilt, dem Kläger
eine einmalige Hilfe für einen Schreibtisch zu leisten. Im Übrigen hat es die zuletzt auf Aufhebung der
streitgegenständlichen Bescheide und Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts
gerichteten Klagen abgewiesen.
Das Sozialgericht hat ausgeführt, soweit die Klagen Leistungen nach dem BSHG für die Monate März, Juli und
Dezember 2004 betreffen, seien diese unbegründet. Für den Monat März 2004 (verbundenes Verfahren S 14 SO
13/05) habe der Kläger eine Einkommensanrechnung beanstandet, die tatsächlich von dem Beklagten nicht
vorgenommen worden sei. Die weiteren Zahlungen seien unstreitig, der angefochtene Bescheid vom 1. Dezember
2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 2006 rechnerisch nachvollziehbar und richtig. Für
den Zeitraum vom 6. bis zum 31. Juli 2004 (verbundene Verfahren S 14 SO 9/05 und S 14 SO 11/05) seien die
Berechnungen des Beklagten in seinen Bescheiden vom 1. Dezember 2004 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide
vom 26. und 27. Januar 2006 nicht zu beanstanden. Die Einwendungen des Klägers seien so unsubstantiiert und in
sich widersprüchlich, dass die Kammer zu weiteren Ermittlungen diesbezüglich nicht gehalten gewesen sei. Der
Kläger habe die von dem Beklagten als Einkommen angerechneten Provisionszahlungen, wie vom
Versicherungsunternehmen bestätigt, tatsächlich erhalten. Die von dem Kläger angegebene Weiterleitung von
Provisionszahlungen an für ihn tätige Versicherungsvermittler sei abenteuerlich. Eine entsprechende vertragliche
Verpflichtung des Klägers habe sich auch aus den von ihm vorgelegten Verträgen nicht ableiten lassen. Von dem
Kläger behauptete Einmalzahlungen an eine in der Ukraine lebende Tochter seiner Ehefrau seien bereits deshalb nicht
zu berücksichtigen, weil er selbst vorgetragen habe, hierfür ein Darlehen von einem Dritten erhalten zu haben. Die von
dem Beklagten erlassenen Bescheide seien auch rechnerisch richtig. Der den Leistungsanspruch für Dezember 2004
betreffende Bescheid des Beklagten vom 21. Dezember 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.
Januar 2006 (verbundenes Verfahren S 14 SO 31/05) sei rechnerisch zu Gunsten des Klägers unrichtig, da ihm
tatsächlich höhere Einkünfte zugeflossen seien, als der Beklagte als Einkommen angerechnet habe.
Der nicht mehr vertretene Kläger hat gegen das ihm am 4. Mai 2009 zugestellte Urteil mit am 2. Juni 2009 bei dem
Sozialgericht Magdeburg eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt, der nachfolgend an das Landessozialgericht
Sachsen-Anhalt (LSG) weitergeleitet worden ist. Zur Begründung hat er ausgeführt, über die Klagen hinsichtlich der
von dem Beklagten nicht bzw. vermindert geleisteten Mietzahlungen sei in der mündlichen Verhandlung vor dem
Sozialgericht nicht verhandelt worden. Eine Verweigerung der Miete sei unter Begründungen erfolgt, die nicht den
Tatsachen entsprächen. Er verweise auf seinen "Widerspruch von November 2004 und Juli - August 2005". Auf
Nachfrage hat er ergänzt, die Berufung beziehe sich auf die nicht bzw. nur teilweise gewährte Sozialhilfe für die
Wohnungsmiete aus den Jahren 2003, 2004 und 2005.
Dem Kläger ist u.a. mit gerichtlichem Schreiben vom 2. Dezember 2009 mitgeteilt worden, Leistungen für die Kosten
der Unterkunft seien bisher nicht streitig gewesen. In der nichtöffentlichen Sitzung des Berichterstatters am 27. Juli
2010 hat der Kläger mitgeteilt, er verfolge die Bewilligung einmaliger Beihilfen nicht weiter. Auch gegen den Bescheid
vom 24. November 2004 (verbundenes Verfahren S 19 SO 7/05) wende er sich nicht mehr.
Der Kläger beantragt ausdrücklich, das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg aufzuheben.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er hat das Urteil des Sozialgerichts vom 21. April 2009, soweit der Kläger in der ersten Instanz obsiegt hat, mit
Bescheid vom 30. April 2009 umgesetzt und hält das angefochtene Urteil im Übrigen für zutreffend.
Auf die Anhörung zu einer Entscheidung des Senats durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG)
haben die Beteiligten nicht erneut Stellung genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten verwiesen, die Gegenstand
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten verwiesen, die Gegenstand
der Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Der Senat hat die Berufung durch Beschluss zurückweisen können, weil er diese einstimmig für unbegründet und eine
mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 SGG). Das Sozialgericht hat die Klagen, soweit diese
noch Gegenstand des Verfahrens sind, zu Recht abgewiesen.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft, da für die Prüfung des Wertes des
Beschwerdegegenstandes im Sinne des § 144 Abs. 1 SGG auf den Streitgegenstand aller Verfahren, die das
Sozialgericht verbunden und über die es entschieden hat, abzustellen ist. Bedenken bestehen insoweit allerdings im
Hinblick auf die Konkretisierung des Beschwerdegegenstandes auch durch das im Rechtsmittelverfahren
weiterverfolgte Begehren (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG Kommentar, 9. Aufl. 2008, § 144 Rn.
14 m.w.N.). Der Senat hat es für die Konkretisierung des Berufungsbegehrens im Sinne einer Zulässigkeit des
Rechtsmittels jedoch als ausreichend erachtet, dass der Kläger die Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts
beantragt hat.
In der Sache hat das Rechtsmittel des Klägers keinen Erfolg.
Leistungen kann der Senat dem Kläger bereits deshalb nicht zusprechen, da das Berufungsgericht nicht über seinen
vor dem Sozialgericht gestellten Antrag auf Neubescheidung hinausgehen kann ("ne ultra petita").
Auch eine Auslegung seines Begehrens im Sinne des Meistbegünstigungsgrundsatzes führt zu keinem anderen
Ergebnis.
Soweit er höhere Leistungen für die Jahre 2003 und 2005 begehrt, sind entsprechende Bescheide des Beklagten
schon nicht Gegenstand des Verfahrens gewesen. In allen Verfahren ging es allein um Leistungsansprüche und
Rückforderungen für das Jahr 2004. Sollte der Kläger mit seinem Begehren auf höhere Kosten der Unterkunft für das
Jahr 2004 auf eine Absenkung der Rückforderungsbeträge für die Monate März und Juli 2004 bzw. höhere
Zahlungsansprüche für Dezember 2004 abzielen, wären diese ebenfalls nicht Gegenstand des Klageverfahrens und
somit einer Entscheidung durch den Senat nicht zugänglich. Denn der Kläger hat seine Klage vor dem Sozialgericht
wirksam auf die Einkommensanrechnung auf den sozialhilferechtlichen Bedarf beschränkt. Dies war auch zulässig,
weil die angefochtenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheide für März und Juli 2004 hinsichtlich
Einkommensanrechnung und Ermittlung des Unterkunftsbedarfs mehrere einzelne Verfügungssätze enthalten. Der
den Monat Juli 2004 betreffende Rückforderungsbescheid vom 1. Dezember 2004 enthält ohnehin keine Regelung
zum sozialhilferechtlichen Anspruch (vgl. zur Zulässigkeit der Begrenzung des Rechtsstreits auf abtrennbare
Verfügungssätze Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 26. August 2008 - B 8/9b SO 10/06 R – BSGE 101, 217, 218
ff. (RdNr. 12 ff.)).
Im Übrigen vermag der Senat eine Rechtswidrigkeit der noch streitgegenständlichen Bescheide, welche die Monate
März, Juli und Dezember 2004 betreffen, gemessen am Vorbringen des Klägers nicht zu erkennen. Eine nähere
Aufklärung des tatsächlichen Begehrens hat auch im Rahmen einer ausführlichen Erörterung des Sachverhalts in der
nichtöffentlichen Sitzung des Berichterstatters am 27. Juli 2010 nicht erreicht werden können. Der Kläger selbst hat
vorgetragen, dass sein Anliegen nicht Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht gewesen sei.
Dort sind indes die hier streitgegenständlichen Bescheide mit den darin vorgenommenen Regelungen - wie dem
Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 21. April 2009 zu entnehmen ist - sämtlich angesprochen worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine
Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160
Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.