Urteil des LSG Sachsen-Anhalt vom 18.01.2011

LSG San: reformatio in peius, wichtiger grund, vertrauensverhältnis, prozessvertretung, kündigung, mandat, rechtsschutz, vollmacht, ratenzahlung, rückruf

Landessozialgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss vom 18.01.2011 (rechtskräftig)
Sozialgericht Dessau-Roßlau S 2 AS 1805/08
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt L 5 AS 406/10 B
Der Beschluss des Sozialgerichts Dessau-Roßlau wird abgeändert. Den Klägern wird im Rahmen der bewilligten
Prozesskostenhilfe zur Wahrnehmung ihrer Interessen im erstinstanzlichen Klageverfahren Rechtsanwältin G. ab 24.
März 2010 beigeordnet. Die Beiordnung des Rechtsanwalts Sch. wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Beschwerde
zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I. Die Kläger wenden sich mit ihrer Beschwerde gegen die Ablehnung der Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten
ab 24. März 2010. In einem noch anhängigen Klageverfahren vor dem Sozialgericht Dessau-Roßlau verfolgen sie das
Ziel der Aufhebung von Aufhebungs- und Rückforderungsbescheiden, mit denen der Beklagte die Rückzahlung ihnen
erbrachter Leistungen für den Monat März 2008 i.H.v. insgesamt 1.340,08 EUR fordert. Am 9. September 2009 haben
die Kläger die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres damaligen Prozessbevollmächtigten,
Rechtsanwalt Sch. , für die am 24. Juni 2008 erhobene Klage beantragt und am 11. September 2009 die Erklärung
über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu den Akten gereicht. Unter dem 23. März 2010 haben die
Kläger das Mandatsverhältnis mit Rechtsanwalt Sch. gekündigt. Sie hätten dreimal vergeblich versucht, ihren Anwalt
telefonisch zu erreichen. Ein Rückruf sei nicht erfolgt, weswegen das Vertrauensverhältnis zerstört sei. Gleichzeitig
hat ihre nunmehrige Prozessbevollmächtigte dem Gericht unter Übersendung des Kündigungsschreibens die
Vertretung der Kläger angezeigt und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter ihrer Beiordnung beantragt. Die
Kläger haben auf zwei Hinweise des Gerichts deutlich gemacht, dass sie die zweimalige Kostenübernahme durch die
Landeskasse begehren. Ihr damaliger Prozessbevollmächtigter habe bereits eine Rechnung über 573,81 EUR gelegt.
Sie seien wirtschaftlich außerstande, diese Rechnung zu begleichen. Mit Beschluss vom 8. September 2010 hat das
Sozialgericht den Klägern für den ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung dem Grunde nach ab 11.
September 2009 gewährt. Für die Zeit vom 11. September 2009 bis 23. März 2010 hat es ihnen zur Wahrnehmung
ihrer Interessen ihren damaligen Prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt Sch. beigeordnet. Die Vertretung durch einen
Anwalt sei aufgrund der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage erforderlich. Die Beiordnung ihrer nunmehrigen
Prozessbevollmächtigten hat es abgelehnt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die
Prozesskostenhilfe sei rückwirkend ab Antragstellung zu bewilligen, entsprechend sei auch der damalige
Prozessbevollmächtigte für die Dauer seines Mandats beizuordnen gewesen. Die Beiordnung der jetzigen
Prozessbevollmächtigten der Kläger habe abgelehnt werden müssen. Die Änderung der Anwaltswahl nach der
Beiordnung gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 121 Zivilprozessordnung (ZPO) sei nur
möglich, wenn die erstrebte neue Beiordnung zu keinen Mehrkosten für die Staatskasse führt oder aber wichtige
Gründe für den Anwaltswechsel vorgelegen hätten. Beide Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Weder hätten die
Rechtsanwälte einer Beiordnung unter einer entsprechenden Gebührenbeschränkung zugestimmt, noch sei das
Fehlen einer telefonischen Erreichbarkeit des Anwalts ein wichtiger Grund, einen anderen Prozessbevollmächtigten
mit der Prozessführung zu beauftragen. Gegen diesen Beschluss haben die Kläger am 4. Oktober 2010 Beschwerde
eingelegt. Das Vertrauensverhältnis zum vorherigen Prozessbevollmächtigten sei zerrüttet. Eine weitere, bis
November 2010 angekündigte Beschwerdebegründung ist bis heute nicht erfolgt. Die Kläger beantragen nach ihrem
bisherigen Vortrag, den Beschluss des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 8. September 2010 abzuändern und ihnen
zur Wahrnehmung ihrer Interessen im erstinstanzlichen Klageverfahren Rechtsanwältin G. ab 24. März 2010
beizuordnen. Der Beklagte hat Gelegenheit erhalten, zur Beschwerde Stellung zu nehmen, davon jedoch keinen
Gebrauch gemacht. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte
ergänzend Bezug genommen.
II. Die form- und fristgerecht (173 SGG) eingereichte Beschwerde ist statthaft nach §§ 73a, 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG,
127 Abs. 2 ZPO. Danach ist die Beschwerde gegen einen PKH-Beschluss nur dann zulässig ist, wenn in der Sache
die Berufung zulässig wäre (vgl. zur Begründung im Einzelnen die Ausführungen in seinem Beschluss vom 20.
Februar 2009, L 5 B 304/08, L 5 B 305/08, juris). Auch nach der Neuregelung des § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG durch das
Dritte Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 5. August 2010 (BGBl I,
1127) mit Wirkung zum 11. August 2010 sieht der Senat keinen Grund, von seiner Rechtsauffassung abzuweichen.
Insoweit wird auf die ausführliche Begründung im Beschluss des erkennenden Senats vom 13. Dezember 2009, L 5
Insoweit wird auf die ausführliche Begründung im Beschluss des erkennenden Senats vom 13. Dezember 2009, L 5
AS 426/10 B verwiesen. Vorliegend streiten die Parteien in der Hauptsache um die Rechtmäßigkeit einer
Rückforderung des Beklagten i.H.v. insgesamt 1.340,08 EUR. Dieser Wert liegt über dem des Berufungswertes von
750,00 EUR (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). A. Die Beschwerde ist begründet, soweit die Kläger die Beiordnung
ihrer nunmehrigen Prozessbevollmächtigen ab 24. März 2010 begehren. Das Sozialgericht hat diese zu Unrecht
abgelehnt. 1. Die allgemeinen Voraussetzungen für die Gewährung der Prozesskostenhilfe sind nach Ansicht des
Sozialgerichts gegeben. Daran ist der Senat gebunden. Im Beschwerdeverfahren besteht der Grundsatz des Verbots
einer Schlechterstellung (sog. Grundsatz der "reformatio in peius") (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht (OLG
Brandenburg), Beschluss vom 19. Februar 2007, 9 WF 358/06, Rn. 9, Juris). 2. Nach § 121 Abs. 2 ZPO wird der
Partei auf ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung durch
einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist. Beizuordnen ist der
Anwalt, der zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Beiordnung von der Partei als Wahlanwalt benannt wurde, denn
nur ein zur Vertretung bereiter Anwalt kann beigeordnet werden (vgl. u.a. Kalthoehner/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozess-
und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 5. Aufl. 2010, Rn. 539; Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen,
Beschluss vom 28. April 2010, L 19 AS 614/10 B, Rn. 9, Juris). Zum Zeitpunkt der Beschlussfassung hatten die
Kläger ihre jetzige Prozessbevollmächtigte als Wahlanwältin benannt. Sie hatten dem Sozialgericht zwar
verschiedene Anträge auf Gewährung von Prozesskostenhilfe vorgelegt. Zunächst wurde die Beiordnung von
Rechtsanwalt Sch. begehrt, sodann - nach Kündigung dessen Mandats - die Beiordnung von Rechtsanwältin G ... Zur
Auswechselung der Person des Anwaltes ihrer Wahl waren sie auch vor Beiordnung eines Rechtsanwaltes berechtigt.
Eine Partei ist nicht verpflichtet, den Anwalt zur Beiordnung auszuwählen, der das
Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren eingeleitet hat. Wenn - wie aus Sicht der Kläger hier - das
Vertrauensverhältnis zu diesem gestört wird, kann die Partei bis zur Gewährung der Prozesskostenhilfe einen anderen
Rechtsanwalt bezeichnen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 4. Juni 1985, 9 WF 83/85, JurBüro 1986, 298). Zum
Zeitpunkt der Beschlussfassung war allein die jetzige Prozessbevollmächtigte vertretungsbereit. Die Kläger hatten
das Mandat zu Rechtsanwalt Sch. mit Schreiben vom 23. März 2010 gekündigt und dieses dem Sozialgericht
entsprechend angezeigt. Damit erlosch auch die diesem erteilte Vollmacht dem Gericht gegenüber (vgl. Vollkommer
in Zöller, ZPO, § 87, Rn. 1). Rechtsanwalt Sch. war es somit nicht mehr möglich, die Kläger weiterhin rechtswirksam
zu vertreten. Er war mithin zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 8. September 2010 mit der Prozessvertretung
der Kläger nicht mehr betraut, also weder der benannte Wahlanwalt noch (objektiv) vertretungsbereit (vgl. zum
vergleichbaren Fall der Mandatsniederlegung durch den Anwalt u.a. Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein,
Beschluss vom 25. Februar 2009, 5 Ta 28/09, Rn. 5, Juris). Da die Kläger gleichzeitig anzeigten, dass sie nunmehr
durch Rechtsanwältin G. vertreten werden wollten, war diese als vertretungsbereite Anwältin beizuordnen. Das
Sozialgericht hat zu Recht eine Anwaltsbeiordnung wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage für erforderlich
angesehen. Der Beschluss des Sozialgerichts war mithin insoweit abzuändern. B. Gleichzeitig war der Beschluss
aufzuheben, als das Sozialgericht Rechtsanwalt Sch. bis 23. März 2010 beigeordnet hat. Aus den bereits o.g.
Gründen war es ihm verwehrt, den von den Klägern nicht mehr als Wahlanwalt gewollten vormaligen
Prozessbevollmächtigten beizuordnen. Eine rechtliche Grundlage, nach der die Landeskasse verpflichtet ist, die
Rechnungen beider Prozessbevollmächtigter zu übernehmen, vermag der Senat nicht zu erkennen. Die Erstattung der
Kosten der Prozessführung für bedürftige Parteien richtet sich allein nach den Regelungen über die Bewilligung von
Prozesskostenhilfe. Eine Beiordnung beider Anwälte scheidet aus den bereits o.g. Gründen aus. Der vorliegende Fall
betrifft nicht einen Fall der ersetzenden Beiordnung (wie es das Sozialgericht wohl fälschlich angenommen hat), denn
Rechtsanwalt Sch. war zum Zeitpunkt der Übernahme des Mandats durch Rechtsanwältin G. noch nicht beigeordnet.
Der Aufhebung der Beiordnung des Rechtsanwaltes Sch. auch steht der Grundsatz der "reformatio in peius" nicht
entgegen. Die Beschwerde führt nicht zu einer Schlechterstellung der Kläger gegenüber dem erstinstanzlichen
Beschluss. Den Klägern wird nunmehr die von ihnen aktuell zur Prozessvertretung beauftragte
Prozessbevollmächtigte beigeordnet, die ihr Vertrauen genießt. Wirtschaftliche Gesichtspunkte wie der Umfang der
damit verbundenen Kostenerstattung - sind in Fällen wie diesem als bloße Folgewirkungen im Rahmen der Prüfung
des beizuordnenden Rechtsanwalts nach § 121 ZPO unbeachtlich und haben daher außer Betracht zu bleiben.
Alleiniges Ziel der Gewährung von Prozesskostenhilfe ist es, dem wirtschaftlichen Bedürftigen einen Rechtsschutz zu
sichern (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.). Dieses Ziel ist hier erreicht. C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs.
4 ZPO. Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).