Urteil des LSG Sachsen-Anhalt vom 17.03.2010

LSG San: versorgung, krankenkasse, ablauf der frist, vergütung, rückforderung, begriff, mahnung, aufrechnung, verwaltungsakt, ermessen

Landessozialgericht Sachsen-Anhalt
Urteil vom 17.03.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Dessau-Roßlau S 4 KR 70/05
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt L 4 KR 33/07
Das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 28. Februar 2007 wird dahingehend abgeändert, dass Zinsen erst
ab 21. April 2005 zu zahlen sind. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat auch die Kosten
des Berufungsverfahrens zu tragen. Die Revision wird zugelassen. Der Streitwert wird auf 71.322,88 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über einen Abzug nach § 140d Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche
Krankenversicherung (SGB V) für die Anschubfinanzierung der integrierten Versorgung.
Die Klägerin betreibt das nach § 108 SGB V zur Krankenhausbehandlung zugelassene Kreiskrankenhaus B./W ... Mit
Schreiben vom 7. April 2004 teilte die Beklagte dem Krankenhaus mit, dass sie nunmehr die technischen
Voraussetzungen für den Abschlag für die integrierte Versorgung im Einsatz habe. Sie habe seit Beginn des Jahres
Verträge zur integrierten Versorgung nach § 140a SGB V abgeschlossen und sei daher berechtigt, den Abschlag in
Höhe von 1 % einzubehalten. Es werde gebeten, die Systeme kurzfristig umzustellen, andernfalls würden die
entsprechenden Beträge automatisch durch die Beklagte gekürzt. Bereits gezahlte Rechnungen würden ab 1. Januar
2004 zu einem späteren Zeitpunkt rückwirkend gekürzt. Diese rückwirkende Kürzung für die Krankenhausfälle mit
Aufnahmedatum vom 1. Januar 2004 bis 30. April 2004 in Höhe von 1 % setzte die Beklagte mit Schreiben vom 11.
Februar 2005 nebst Einzelaufstellung der Kürzungsbeträge auf 71.322,88 EUR fest. Gegen dieses Vorgehen wendete
sich die Klägerin mit Schreiben vom 22. Februar 2005, da ein rückwirkender Abzug nicht zulässig sei. Die
Rechnungen seien ohne Vorbehalt gezahlt worden und der Abzug sei im Januar 2004 nicht angekündigt worden.
Außerdem sei nicht ersichtlich, ob der Abzug in der angekündigten Höhe gerechtfertigt sei. Dennoch behielt die
Beklagte den angekündigten Kürzungsbetrag am 23. Februar 2005 von der Sammelrechnung I 261500256 ein.
Die Klägerin hat am 21. April 2005 in Höhe des gekürzten Betrages Zahlungsklage beim Sozialgericht Dessau
erhoben. Sie hat geltend gemacht, der Abzug dürfe nicht rückwirkend für ungekürzt beglichene Rechnungen
vorgenommen werden. Die Beklagte habe gewusst, dass sie einen Abzug gemäß § 140d SGB V hätte vornehmen
können. Dennoch habe sie die Rechnungen zunächst ungekürzt beglichen. Darin sei ein Verzicht auf die
Geltendmachung des Einbehaltes zu sehen und eine Anerkennung die jeweiligen Forderungen des Krankenhauses in
voller Höhe. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei die Beklagte daher an die ohne Vorbehalt
erklärte Kostenzusage gebunden. Demgegenüber sei es unerheblich, dass möglicherweise die technischen
Voraussetzungen für einen Abzug in der Zeit vom 1. Januar bis 30. April 2004 noch nicht vorgelegen haben. Ferner
ergebe sich aus den zum Stichtag des 1. Juni 2004 gemeldeten Verträgen zur integrierten Versorgung ein Abzug von
höchstens 0,14 %, so dass allenfalls 9.985,20 EUR hätten gekürzt werden können. Rechnungskürzungen seien
nämlich nur in dem Umfang erlaubt, der zur Finanzierung der bereits abgeschlossenen Integrationsverträge
erforderlich sei, aber nicht grundsätzlich in Höhe von 1%. Aber auch die von der Beklagten angegebenen Werte von
0,14% bzw. 0,51% seien nicht nachvollziehbar und das Vorliegen von Verträgen, die die Voraussetzungen des § 140b
SGB V erfüllten, werde insgesamt bestritten. Die Gemeinsame Registrierungsstelle zur Unterstützung der Umsetzung
des § 140d SGB V bei der Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung gGmbH (BQS, im Folgenden:
Registrierungsstelle) kontrolliere nicht die Angaben der Krankenkasse, sondern registriere lediglich die ihr gemeldeten
Daten. Zur Überprüfung, inwieweit die Beklagte die gesetzlichen Bestimmungen einhalte, werde diese gebeten, die
Integrationsverträge vorzulegen. Ferner hat die Klägerin auf die von ihr geteilte Rechtsansicht des
Bundesministeriums für Gesundheit und soziale Sicherung hingewiesen, das mit Schreiben vom 20. April 2005 an die
Krankenhausgesellschaft Sachsen-Anhalt e.V. ausgeführt hat, die Bundesregierung halte einen bereits
abgeschlossenen Vertrag zur integrierten Versorgung zum Zeitpunkt des Einbehaltes der Mittel für erforderlich. Eine
abschließende Klärung der Rechtslage sei den Gerichten vorbehalten. Zur Zinsforderung hat die Klägerin auf § 8 der
Budget und Entgeltvereinbarung verwiesen. Die Einbehaltung der Rückforderungsbeträge sei mit einer "endgültigen
und ernsthaften" Leistungsverweigerung vergleichbar. Daher befinde sich die Beklagte seit dem Einbehalt in Verzug.
Die Beklagte hat demgegenüber vorgetragen, der Abzug sei in Höhe von 1% berechtigt gewesen. Von Januar bis April
2004 habe sie Verträge über die integrierte Versorgung abgeschlossen, die eine Abzugsquote in Höhe von 0,51%
rechtfertigten. Die Beklagte hat diese Verträge mit weiteren Daten sowie dem dazu gemeldeten Prozentsatz im
Einzelnen aufgelistet und dazu erklärt, sie habe insgesamt für das Jahr 2004 Verträge mit einer Quote von 1,03%
geschlossen. Alle Verträge seien ordnungsgemäß der Registrierungsstelle gemeldet worden, wo sich die Klägerin
entsprechend informieren könne. Eine weitergehende Nachweispflicht bestehe für die Beklagte nicht. Die von der
Klägerin eingeholte Auskunft der Registrierungsstelle zum Stichtag des 1. Juni 2004, aus der sich eine Quote von
0,14% ergebe, sei unvollständig. Am Ende des Dreijahreszeitraums erfolge eine Abrechnung mit der Verpflichtung,
nicht aufgebrauchte Mittel wieder auszuzahlen. Nach einem Beschluss des Landessozialgerichts Brandenburg vom 1.
November 2004 (AZ: L 5 B 105/04 KA ER) könne der Abzug unabhängig davon vorgenommen werden, ob die Kasse
einen Integrationsvertrag bereits geschlossen habe, welche Kosten im Rahmen der integrierten Versorgung
entstanden seien oder erwartet würden bzw. ob die Kasse überhaupt plane, einen Vertrag in diesem Bereich
abzuschließen. Hier sei die Rechnungskürzung sogar zur Umsetzung bereits abgeschlossener Integrationsverträge
erforderlich. Schließlich hat die Beklagte unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung und verschiedene
Gesetzesänderungen vorgetragen, dass der Gesetzgeber durch die Streichung von Rückzahlungsverpflichtungen eine
spürbare Entlastung der Krankenkassen habe bewirken wollen. Dies sei nur erreichbar gewesen, wenn die
Krankenkassen in einem gewissen begründeten Umfang Finanzreserven durch den Einbehalt der Anschubfinanzierung
hätten aufbauen können. Nur dann hätte es am Ende des Dreijahreszeitraums zu Überschüssen und einer
Rückzahlungsverpflichtung kommen können. Die Beklagte sei auch zum nachträglichen Abzug berechtigt gewesen.
Der Abzug stehe nicht im Ermessen, sondern beruhe auf einer gesetzlichen Verpflichtung und müsse vorgenommen
werden. Die Klägerin habe die Regelung des § 140d SGB V gekannt und auch gewusst, dass der Abschluss von
Verträgen zur integrierten Versorgung geplant war. Auf Vertrauensschutz könne sie sich deshalb nicht berufen. Der
Einbehalt sei wegen zunächst fehlender technischer Voraussetzungen nachträglich erfolgt und mit Schreiben vom 7.
April 2004 auch ausdrücklich vorbehalten worden. Art und Weise des Einbehaltes sowie der Zeitpunkt seien
gesetzlich nicht festgelegt; der Gesetzeswortlaut schließe einen rückwirkenden Abzug nicht aus. Verzugszinsen
könne die Klägerin nach § 8 der Budget- und Entgeltvereinbarung für das Jahr 2004 erst nach Mahnung bei
Überschreitung des Fälligkeitstermins geltend machen. Eine Mahnung liege jedoch nicht vor.
Das Sozialgericht Dessau-Roßlau hat die Beklagte mit Urteil vom 28. Februar 2007 zur Zahlung von 71.322,88 EUR
nebst 4% Zinsen seit dem 24. Februar 2005 verurteilt, weil die Kürzung nicht durch § 140d Abs. 1 Satz 1 SGB V
gedeckt sei. Angesichts des klaren Wortlauts der Vorschrift dürften Rechnungen nicht im Nachhinein gekürzt werden.
Die Vorschrift rechtfertige lediglich das "Einbehalten" von Rechnungsbeträgen. Die erfolgte Aufrechnung könne auch
nicht für die Monate Dezember 2004 und Januar 2005 als "Einbehalten" qualifiziert werden, weil dann die Obergrenze
von 1 % nicht eingehalten wäre. Die Beklagte habe auch unter dem Gesichtspunkt einer ungerechtfertigten
Bereicherung der Klägerin im Sinne von § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB keinen Anspruch gegen die Klägerin, da dem § 814
BGB entgegenstehe. Danach könne das in Kenntnis der Nichtschuld Geleistete nicht zurückgefordert werden. Der
Zinsanspruch folge aus § 8 der Budget- und Endgeltvereinbarung für das Jahr 2004. Eine Mahnung sei angesichts des
Schreibens der Beklagten vom 11. Februar 2005 nicht erforderlich gewesen.
Gegen das ihr am 15. März 2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 5. April 2007 Berufung eingelegt und
vorgetragen, sie habe mit dem Schreiben vom 7. April 2004 einen Vorbehalt hinsichtlich der Zahlungen erklärt, sodass
seit diesem Zeitpunkt § 814 BGB einer Aufrechnung nicht mehr entgegenstehe. Es sei nicht erforderlich, dass zum
Zeitpunkt des Abzuges bereits geschlossene Verträge im Umfang der Abzugsquote von 1% vorliegen. Ein konkret ins
Auge gefasster Integrationsvertrag müsse genügen. Aus der Regelung des § 140d Abs. 1 Satz 5 SGB V, wonach die
innerhalb von drei Jahren nicht für die Zwecke nach Satz 1 verwendeten Mittel wieder auszuzahlen seien, sei zu
folgern, dass sich der Begriff der Erforderlichkeit in Satz 1 nicht auf den unmittelbaren Zeitpunkt des Einbehaltes,
sondern auf den gesetzlich vorgesehenen Dreijahreszeitraum beziehe. Das Wettbewerbsstärkungsgesetz habe die
Rückzahlungsverpflichtung innerhalb des Dreijahreszeitraumes grundsätzlich aufrecht erhalten und lediglich die
Rückzahlungsverpflichtung für die in den Jahren 2004 bis 2006 einbehaltenen Mittel gestrichen. Die
Rückzahlungsverpflichtung wäre (weitgehend) überflüssig, wenn ein Einbehalt den Abschluss entsprechender Verträge
voraussetzte. Durch die Regelung in Satz 5 der Vorschrift solle zum einen der Anreiz zum Abschluss von
Integrationsverträgen verstärkt und zum anderen ausgeschlossen werden, dass die Krankenkasse die Mittel ohne
"Gegenleistung" einbehalten könne. Zu einem nicht vollständigen Verbrauch der einbehaltenen Mittel könne es
kommen, wenn ein beabsichtigter Integrationsvertrag nicht zustande komme oder wenn der Einbehalt den
prognostizierten Aufwand übersteige. Der weiterhin im Gesetzestext verwendete Wortlaut "zur Umsetzung von nach §
140b geschlossenen Verträgen" verdeutliche lediglich die Zweckbindung der Mittelverwendung. Zum Zeitpunkt des
Vertragsschlusses und auch zum Zeitpunkt der Meldung etwaiger Vertragsbestandteile, wie z.B. Vergütungsvolumen
oder abgeleitete Quote, könne es sich lediglich um durch die Vertragspartner geschätzte Zahlen handeln. Der Umfang
der in Anspruch genommenen Leistungen im Rahmen der Verträge zur integrierten Versorgung könne erst nachträglich
ermittelt werden, weshalb auch die konkrete Abrechnung erst am Ende des gesetzlich vorgesehenen
Dreijahreszeitraums erfolgen könne. Daher habe der Gesetzgeber den Krankenkassen zu Recht ein Ermessen im
Hinblick auf die Höhe des Abzugs eingeräumt. Nur die Krankenkasse könne aufgrund ihrer strategischen Planungen
im Hinblick auf den Abschluss von Versorgungsverträgen einschätzen, in welchem Umfang die Anschubfinanzierung
erforderlich sei. Bereits zu Beginn des Jahres 2004 sei für die Beklagte abschätzbar gewesen, dass die 1%-Marke im
Laufe des Jahres überschritten werde. Im Februar 2005 sei bereits von einer geschätzten abzuleitenden Quote von
über 1% auszugehen gewesen. Ferner habe die Beklagte den Abschluss weiterer Integrationsverträge in Planung
gehabt. Sie habe daher keinesfalls willkürlich den gesetzlich vorgegebenen Spielraum der Anschubfinanzierung der
Höhe nach ausgeschöpft, sondern dies in dem Wissen getan, dass die einbehaltene Anschubfinanzierung
voraussichtlich zur Umsetzung der abgeschlossenen und geplanten Verträge zur integrierten Versorgung
zweckentsprechend eingesetzt werde. Nach Ablauf des ursprünglich vorgesehenen Zeitraums der
Anschubfinanzierung für die integrierte Versorgung für die Jahre 2004 bis 2006 habe sich herausgestellt, dass die
tatsächlich für die integrierte Versorgung verbrauchten finanziellen Mittel die Höhe des Einbehaltes überstiegen habe.
Auf Aufforderung des Gerichts hat die Beklagte die Verträge zur integrierten Versorgung vorgelegt, auf deren Inhalt im
Einzelnen Bezug genommen wird. Aufgrund nachträglicher Rechnungskorrekturen hat die Beklagte bereits gezahlte
Rechnungsbeträge teilweise nachträglich verrechnet, ohne den zur integrierten Versorgung einbehaltenen Betrag dabei
zu berücksichtigen. Aus diesem Grund hat sie einen Betrag in Höhe von 39,12 EUR anerkannt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 28. Februar 2007 aufzuheben, soweit es die Zahlung von mehr als
39,12 EUR betrifft, und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und meint, die Auffassung der Beklagten zur Höhe des Abzuges von
1% überzeuge nicht, da sonst nach Ablauf der Frist die Prozentsätze sämtlicher Integrationsverträge in einer
Gesamtsumme rückwirkend für den gesamten Förderungszeitraum abgezogen werden könnten. Gerade dies habe
aber der Gesetzgeber durch den Zusatz "soweit erforderlich" und durch die Formulierung "geschlossene Verträge"
verhindern wollen. Für den Zeitraum vom 1. Januar bis 1. April 2004 seien Integrationsverträge mit einer Abzugsquote
von lediglich 0,14 % abgeschlossen worden. Nur wirksam geschlossene Verträge könnten zu einem Einbehalt nach §
140d SGB V führen, denn die gesetzliche Regelung sei nicht dazu bestimmt, den Krankenkassen zusätzliche
Finanzreserven für die Ausgestaltung geplanter Versorgungsmodelle zu schaffen. Andernfalls hätte der Gesetzgeber
den Krankenkassen die Möglichkeit eines pauschalen Abzugs eingeräumt. Durch den Abzug des streitigen Betrages
am 23. Februar 2005 habe die Beklagte zum Ausdruck gebracht, dass sie die Forderung der Klägerin "ernsthaft und
endgültig" verweigere, so dass eine Mahnung nach § 286 BGB entbehrlich gewesen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist nach §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Sie ist form-
und fristgerecht eingelegt worden (§ 151 SGG) und damit zulässig.
Die Berufung ist jedoch weit überwiegend – bis auf die Frage des Zinsbeginns - unbegründet. Das Sozialgericht hat
die Beklagte zu Recht zur Zahlung des umstrittenen Betrages verurteilt.
Die Klage ist als Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG zulässig, weil es sich um einen Parteienstreit im
Gleichordnungsverhältnis handelt, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt. Ein
Vorverfahren war mithin nicht durchzuführen und die Einhaltung einer Klagefrist nicht geboten (BSG, Urt. v. 17. Mai
2000 – B 3 KR 33/99 R; Urt. v. 10. April 2008 - B 3 KR 19/05 R; Urt. v. 20. November 2008 – B 3 KN 4/08 KR R; B 3
KN 1/08 KR R; Urt. v. 16. Dezember 2008 – B 1 KN 1/07 KR R; B 1 KN 2/08 KR R; B 1 KN 3/08 KR R zitiert nach
juris; stRspr.).
Der Klägerin steht der geltend gemachte Zahlungsanspruch gegen die Beklagte zu, da die Beklagte nicht berechtigt
war, von der Sammelrechnung I261500256 der Klägerin einen Betrag von 71.322,88 EUR einzubehalten. Unstreitig
stand der Klägerin der mit der Sammelrechnung im Februar 2005 geltend gemachte Betrag aufgrund der von ihr
erbrachten Leistungen zu. Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs der Klägerin für die Behandlung der
Versicherten ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i. V. m. der Pflegesatzvereinbarung der Beteiligten für das Jahr 2005. Da
es in Sachsen-Anhalt im betroffenen Zeitraum keine vertraglichen Regelungen i. S. von § 112 Abs. 2 SGB V gab, ist
auf die maßgebliche Pflegesatzvereinbarung zurückzugreifen (vgl. BSG Urt. v. 13. Mai 2004 – B 3 KR 18/03 R –
BSGE 92, 300 RdNr. 9 = SozR 4-2500 § 39 Nr. 2).
Die Beklagte war nicht berechtigt, einen Betrag in Höhe von 71.322,88 EUR für die Anschubfinanzierung der
integrierten Versorgung in Abzug zu bringen. Nach § 140d Abs. 1 Satz 1 SGB V in der hier maßgeblichen Fassung
des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz [GMG]) vom
14.11.2003 (BGBl. I S. 2190) hat jede Krankenkasse zur Förderung der integrierten Versorgung in den Jahren 2004 bis
2006 jeweils Mittel bis zu 1 v. H. von der nach § 85 Abs. 2 an die Kassenärztliche Vereinigung zu entrichtenden
Gesamtvergütung sowie von den Rechnungen der einzelnen Krankenhäuser für voll- und teilstationäre Versorgung
einzubehalten, soweit die einbehaltenen Mittel zur Umsetzung von nach § 140b geschlossenen Verträgen erforderlich
sind.
Bei dem am 23. Februar 2005 von der Sammelrechnung I261500256 einbehaltenen Betrag in Höhe von 71.322,88
EUR handelt es sich nicht um einen Einbehalt zur Förderung der integrierten Versorgung nach § 140d Abs. 1 Satz 1
SGB V in Höhe von 1 % des Betrages der genannten Sammelrechnung. Vielmehr hat die Beklagte mit ihren
Schreiben vom 7. April 2004 und vom 11. Februar 2005 deutlich gemacht, dass es sich bei dem einbehaltenen
Gesamtbetrag um 1 % der Rechnungsbeträge für die Krankenhausfälle mit Aufnahmedatum vom 1. Januar 2004 bis
30. April 2004 handelt. Dies ist auch zwischen den Beteiligten unstreitig.
Bei der Kürzung im Februar 2005 handelt es sich um eine Aufrechnung, denn die Beklagte hat eine ihr vermeintlich
zustehende (teilweise) Rückforderung für bezahlte Rechnungen für Krankenhausfälle vom 1. Januar bis 30. April 2004
gegen die Forderung der Klägerin aus der Sammelrechnung für andere Behandlungsfälle aufgerechnet. Dazu war sie
indes nicht berechtigt. Die Rückforderung von 1 % der bereits gezahlten Rechnungsbeträge zur Anschubfinanzierung
der integrierten Versorgung stand ihr weder nach § 140d Abs. 1 Satz 1 SGB V (hierzu 1.) noch nach §§ 812 ff. BGB
oder in entsprechender Anwendung dieser Vorschriften (hierzu 2.) zu.
1. Ein Anspruch auf Rückforderung von 1 % der bereits gezahlten Rechnungsbeträge ergibt sich nicht aus § 140d
Abs. 1 Satz 1 SGB V. a) Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift ist ein Einbehalt nur gerechtfertigt, soweit die
einbehaltenen Mittel zur Umsetzung von nach § 140b SGB V "geschlossenen Verträgen" erforderlich sind. Nach dem
Wortlaut reichen somit geplante Verträge, angebahnte oder anderweitige vorbereitete und vorgesehene Verträge für
einen Einbehalt nicht aus, auch wenn sich der Vertragsabschluss schon weitgehend konkretisiert hat (BSG, Urt. v.
06.02.2008 – B 6 KA 27/07 R, RdNr. 12; B 6 KA 5/07 R, RdNr. 15, zitiert nach juris; Felix/Brockmann, NZS 2007,
623, 630; Dahm, MedR 2005, 121, 122; Baumann in Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, 2008, SGB V, § 140d
RdNr. 20 f., 36 ff.; Hess in Kasseler Kommentar, § 140d SGB V Rd.-Nr. 4; a. A. Beule, GesR 2004, 209, 213; LSG
Brandenburg, Beschl. v. 01.11.2004 – L 5 B 105/04 KA ER – MedR 2005, 62; vgl. jetzt aber LSG Berlin-Brandenburg,
Urt. v. 09.09.2009 – L 9 KR 470/08, wonach der Einbehalt nur aufgrund eines Vertrages der integrierten Versorgung
erfolgen darf).
Die bis zum 30. April 2004 tatsächlich abgeschlossenen Verträge rechtfertigten auch nach dem Vorbringen der
Beklagten noch keinen Einbehalt von 1 %. Vielmehr lag am 1. Januar 2004 erst ein abgeschlossener Vertrag vor, zu
dessen Umsetzung nach Einschätzung der Beklagten ein Einbehalt von 0,14 % erforderlich gewesen wäre. Mit
Vertragsbeginn vom 1. Februar 2004 kam ein weiterer Vertrag hinzu, für den ein Prozentsatz in Höhe von 0,07
gemeldet war und ab 1. April 2004 nochmals zwei weitere Verträge mit gemeldeten Abzugsquoten von 0,19 % und
0,11 %. Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Vorschrift durfte die Beklagte – unter Berücksichtigung der
weiteren Voraussetzungen – daher von den Rechnungen der Klägerin im Januar 2004 allenfalls 0,14 %, ab Februar
2004 0,21 % und ab April 2004 0,51 % einbehalten, und dies auch nur, wenn sie bei der Berechnung der
Abzugsquoten jeweils den ihr eingeräumten Beurteilungsspielraum eingehalten hat und es sich bei den Verträgen, auf
die sie sich stützt, um solche der integrierten Versorgung handelt.
b) Des Weiteren wird nach dem Wortlaut des § 140d Abs. 1 Satz 1 SGB V das "Einbehalten" von Mitteln bis zu 1 %
von den Rechnungen der einzelnen Krankenhäuser für voll- und teilstationäre Versorgung geregelt. Nachdem die
Beklagte die Rechnungen für den Zeitraum vom 1. Januar bis 30. April 2004 bereits vollständig beglichen hatte,
konnte sie davon keine Mittel mehr einbehalten. Sind aber entgegen der Regelung des § 140d Abs. 1 Satz 1 SGB V
keine entsprechenden Mittel "einbehalten" worden, gibt das Gesetz keine Rechtsgrundlage für eine nachträgliche
Kürzung, Aufrechung, Rückforderung o. ä. Verfahrensweise. Der Gesetzgeber wollte durch die gewählte Formulierung
"( ) Mittel bis zu 1 vom Hundert ( ) von den Rechnungen der einzelnen Krankenhäuser für voll- und teilstationäre
Versorgung einzubehalten;" den Krankenkassen keinen selbständigen (Gegen)Anspruch einräumen, der sich nur
rechnerisch nach der Höhe der Krankenhausrechnung richtet, ansonsten aber als eigener Anspruch selbständig und
unabhängig von der Krankenhausrechnung durchgesetzt werden könnte. Ausgehend von Wortstamm und
Wortbedeutung des Begriffs "einbehalten" ist eine deutliche Verwandtschaft und Nähe zu dem im Rechtsverkehr
gebräuchlichen Begriff "zurückbehalten" erkennbar. Der Schuldner kann jedoch nur behalten, was er noch hat (zum
Zurückbehaltungsrecht vgl. Bittner in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2009, § 273 RdNr. 126). Dies gilt für das
Einbehalten ebenso wie für das Zurückbehalten. Die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts ist daher
ausgeschlossen, wenn der Schuldner seine Leistung bereits bewirkt hat – unabhängig davon, ob dies zur Abwendung
der Zwangsvollstreckung oder in Unkenntnis der Einredemöglichkeit geschah – oder wenn er den Besitz an der
zurückzubehaltenden Sache zufällig und ohne seinen Willen an den Gläubiger verloren hat. Der Schuldner kann das in
Unkenntnis der Einredemöglichkeit Geleistete auch nicht nach §§ 812, 813 Abs. 1 BGB zurückfordern (vgl. hierzu
Bittner in Staudinger a.a.O.).
Es erscheint sachgerecht, den Begriff des Einbehaltens in § 140d Abs. 1 Satz 1 SGB V ebenfalls in diesem Sinne
auszulegen. Hierfür spricht nicht nur die Wortverwandtschaft, sondern auch die gesetzliche Systematik. Während die
Aufrechnung schuldtilgend wirkt, gibt das Zurückbehaltungsrecht dem Schuldner keine dauernde, sondern nur eine
zeitlich begrenzte Einrede, bis die ihm gebührende Leistung bewirkt wird (vgl. § 273 BGB). Aus der Regelung des §
140d Abs. 1 Satz 5 SGB V wird ebenfalls deutlich, dass der zur Anschubfinanzierung einbehaltene Betrag den
Krankenkassen mit dem Einbehalt noch nicht endgültig zusteht, denn er ist nach dieser Vorschrift wieder
auszuzahlen, soweit er innerhalb von drei Jahren nicht für die Zwecke nach § 140d Abs. 1 Satz 1 SGB V verwendet
worden ist. Hieran hat sich grundsätzlich auch durch die zum 1. Januar 2007 wirksam gewordene Änderung des §
140d Abs. 1 Satz 5 SGB V nichts geändert, nach der die Auszahlungsverpflichtung von einbehaltenen, aber nicht
verwendeten Mitteln rückwirkend auf die in den Jahren 2007 und 2008 einbehaltenen Mittel beschränkt wurde. Eine
endgültige Abrechnung findet erst nach Ablauf des Dreijahreszeitraums statt. Erst dann steht fest, inwieweit der
Krankenkasse die einbehaltenen Mittel tatsächlich und endgültig zustehen. Dies zeigt, dass der Gesetzgeber den
Begriff des "Einbehaltens" bewusst in Anlehnung an den Begriff des "Zurückbehaltens" gewählt hat.
c) Eine über den Wortlaut hinausgehende Auslegung der Vorschrift ist weder zugunsten eines bereits für geplante
Verträge zulässigen Einbehalts noch hinsichtlich eines Rückzahlungsanspruchs im Falle unterbliebener Einbehalte
gerechtfertigt.
aa) Die Regelung des § 140d Abs. 1 Satz 1 SGB V erlaubt bzw. verlangt eine Kürzung der Krankenhausrechnungen.
Der Vergütungsanspruch der Krankenhäuser ist gesetzlich normiert (vgl. §§ 109 Abs. 4 Satz 3, 112 SGB V) und durch
vertragliche Vereinbarungen im Einzelnen ausgestaltet. Der Zahlungsanspruch der Klägerin aus den Rechnungen für
die Krankenhausfälle mit Aufnahmedatum vom 1. Januar 2004 bis 30. April 2004 ist unstreitig und basiert – ebenso
wie der oben genannte Vergütungsanspruch aus der Sammelrechnung – auf § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i. V. m. der
Pflegsatzvereinbarung der Beteiligten für das Jahr 2004. Die Klägerin hat Leistungen erbracht, für die sie die
vereinbarte Vergütung erwarten kann. Ein Eingriff in diesen gesetzlich garantierten Anspruch bedarf grundsätzlich
einer eindeutigen Rechtsgrundlage.
bb) Eine den Gesetzeswortlaut überschreitende Auslegung ist auch nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift und der
Begründung des Gesetzgebers nicht geboten. Der Gesetzgeber hat die Vergütung von Leistungen der stationären
Regelversorgung durch die Regelung des § 140d Abs. 4 SGB V aus dem Anwendungsbereich der integrierten
Versorgung ausgeklammert. Krankenhäuser können daher zwar an einer integrierten Versorgung teilnehmen, ihre
Leistungen werden aber nach § 140d Abs. 4 SGB V im Rahmen der Verträge zur integrierten Versorgung nur
finanziert, wenn sie über die im Gesamtbetrag nach den §§ 3 und 4 des Krankenhausentgeltgesetzes oder dem § 6
der Bundespflegsatzverordnung enthaltenen Leistungen hinaus vereinbart werden (vgl. Baumbach in
Schlegel/Voelzke, a.a.O., § 140d RdNr. 63 ff). Die Krankenhäuser können daher allenfalls in einem geringen Umfang
von der Vergütung aus der integrierten Versorgung profitieren, werden aber im gleichen Maße wie die Kassenärztliche
Vereinigung zur Anschubfinanzierung herangezogen.
Ferner dient die Anschubfinanzierung nach § 140d SBG V auch der Vermeidung einer Doppelvergütung (vgl. hierzu
Quaas, Das Krankenhaus 2005, 967, 972). Vorrangiges gesetzgeberisches Ziel ist die Bereitstellung finanzieller Mittel
zur Anschubfinanzierung der integrierten Versorgung, da der Gesetzgeber den Krankenkassen die Möglichkeit
eröffnen wollte, durch Berücksichtigung und Anerkennung des erheblichen Entwicklungs- und Förderungsbedarfs
leistungsorientierter integrierter Versorgungs- und Vergütungssysteme zur Überwindung von faktischen Hemmnissen
und Defiziten auch finanzielle Mittel einzusetzen. Daher wurde für die Startphase der integrierten Versorgung sogar
der Grundsatz der Beitragsstabilität ausgesetzt (vgl. Gesetzesbegründung GKV-Modernisierungsgesetz [GMG], BT-
Drucks. 15/1525, abgedruckt in Hauck/Noftz, SGB V, Bd. 5 Materialien, M 15, S. 125, 126). Im Bereich der
ambulanten Versorgung kommt es aber aufgrund der vorgegebenen Vergütungsstrukturen zunächst zu einer
Doppelvergütung durch die Krankenkasse, die durch die Anschubfinanzierung zum Teil aufgefangen wird. Im Bereich
der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung vergütet die Krankenkasse nicht einzelne vertragsärztliche Leistungen,
sondern entrichtet nach § 85 Abs. 1 SGB V mit befreiender Wirkung eine Gesamtvergütung an die Kassenärztliche
Vereinigung, die diese nach § 85 Abs. 4 SGB V an die Vertragsärzte verteilt. Solange die Krankenkasse die
Gesamtvergütung in voller Höhe an die Kassenärztliche Vereinigung zu entrichten hat, wird sie durch die Vergütung,
die sie aus den Verträgen zur integrierten Versorgung nach § 140c SGB V zu leisten hat, in voller Höhe zusätzlich
und – abgesehen von Leistungen, die in der Regelversorgung nicht enthalten sind – auch doppelt belastet. Aus
diesem Grund hat der Gesetzgeber in § 140d Abs. 2 SGB V die Bereinigung der Gesamtvergütungen entsprechend
der Zahl der an der integrierten Versorgung teilnehmenden Versicherten sowie dem im Vertrag nach § 140a SGB V
vereinbarten Versorgungsauftrag geregelt, wenn die zur Förderung der integrierten Versorgung einbehaltenen Mittel zur
Umsetzung der Verträge nicht ausreichen. Es ist davon auszugehen, dass ambulante ärztliche Leistungen in dem
Umfang, in dem sie aufgrund von Verträgen zur integrierten Versorgung erbracht und auch vergütet werden, im
Rahmen der Regelversorgung nicht mehr zu erbringen und daher auch von der Kassenärztlichen Vereinigung nicht
mehr zu vergüten sind. Die Krankenkasse erbringt dann – zumindest bis zu der erst nachträglich erfolgenden
Bereinigung der Gesamtvergütung – in diesem Bereich eine doppelte Vergütung. Durch den schon mit dem Abschluss
von Verträgen zur integrierten Versorgung vorzunehmenden Einbehalt von bis zu 1 % der an die Kassenärztliche
Vereinigung zur entrichtenden Gesamtvergütung nach § 140d Abs. 1 Satz 1 SGB V wird ein Teil des Ausgleichs für
diese doppelte Vergütung auf der Grundlage einer sachgerechten Schätzung in die Zeit vorverlegt, zu der die doppelte
Belastung anfällt.
Im Bereich der Vergütung stationärer Behandlungen liegen die Verhältnisse demgegenüber gänzlich anders.
Vergütungen an Krankenhäuser werden im Rahmen der Regelversorgung nicht über Gesamtvergütungen erbracht,
sondern einzeln abgerechnet. Da stationäre Leistungen entweder nur in der bisherigen Regelversorgung oder aber
aufgrund einer integrierten Versorgungsform vergütet werden, kann es durch den Abschluss von Verträgen zur
integrierten Versorgung nicht zu Doppelvergütungen kommen. Nach § 140d Abs. 4 SGB V werden mit der im Rahmen
von Verträgen zur integrierten Versorgung nach § 140c Abs. 1 Satz 1 SGB V mit den Krankenhäusern zu
vereinbarenden Vergütung außerdem nur über die Regelversorgung hinausgehende Leistungen finanziert. Auch dies
verhindert eine doppelte Vergütung derselben Leistung. Eine nachträgliche Kürzung der Krankenhausrechnungen ist
daher nicht notwendig und deshalb auch nicht im Gesetz geregelt. Eine Rechnungskürzung zugunsten der
Anschubfinanzierung um bis zu 1 % bedeutet für die Krankenhäuser einen Eingriff in den durch die entsprechende
Leistungserbringung erworbenen Vergütungsanspruch, dem keine Kompensation in Form anderweitiger
Vergütungsansprüche gegenüber steht. Dennoch hielt der Gesetzgeber es für gerechtfertigt, die Krankenhäuser an der
Anschubfinanzierung zu beteiligen. Dies mag im Hinblick darauf, dass sich durch die Möglichkeiten der integrierten
Versorgung auch das Leistungsspektrum für die Krankenhäuser erweitert, auch gerechtfertigt sein, selbst wenn die
Krankenhäuser aufgrund der Regelung des § 140d Abs. 4 SGB V nicht in dem Maße wie die Vertragsärzte von der
Vergütung aus der integrierten Versorgung profitieren können. Aus diesen Gründen darf die Belastung der
Krankenhäuser durch die Anschubfinanzierung nur in dem gesetzlich eindeutig geregelten Umfang erfolgen.
cc) Dieser Lösung steht die Regelung des § 140d Abs. 1 Satz 5 SGB V in der hier maßgeblichen Fassung des
Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz [GMG]) vom
14.11.2003 (BGBl. I S. 2190) nicht entgegen (so aber Beule, GesR 2004, 209, 213). Danach sind Mittel, die nicht
innerhalb von drei Jahren zur Umsetzung von Verträgen zur integrierten Versorgung verwendet worden sind, an die
Kassenärztliche Vereinigung sowie an die einzelnen Krankenhäuser entsprechend ihrem Anteil an den jeweils
einbehaltenen Beträgen auszuzahlen.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die sich aus dieser Regelung ergebende Auszahlungsverpflichtung von
einbehaltenen, aber nicht verwendeten Mitteln seit einer zum 1. Januar 2007 wirksam gewordenen Gesetzesänderung
nunmehr auf die in den Jahren 2007 und 2008 einbehaltenen Mittel beschränkt ist. Für die hier umstrittenen Beträge
aus Rechnungen des Jahres 2004, die im Jahre 2005 durch Aufrechnung geltend gemacht wurden, musste daher
keine abschließende Abrechnung nach Ablauf der Dreijahresfrist erfolgen, und die Beklagte wäre auch dann nicht zur
Rückzahlung verpflichtet gewesen, wenn die einbehaltenen Mittel nicht aufgebraucht worden wären.
Aber auch dem Argument der Beklagten, die Rückzahlungsverpflichtung nach § 140d Abs. 1 Satz 5 SGB V ergebe
nur dann einen Sinn, wenn die Krankenkassen durch den Einbehalt auch für bereits geplante Verträge Finanzreserven
bzw. Überschüsse aufbauen könnten, die eine Rückzahlung ggf. erst ermöglichen, ist nicht zu folgen (so auch Beule,
GesR 2004, 209, 213). Aufgrund der Ungewissheit der Zahl sich einschreibender Versicherter kann auch bei bereits
abgeschlossenen Verträgen der einzubehaltende Anteil nicht exakt berechnet, sondern nur im Wege der Schätzung
ermittelt werden. Wird die Zahl der teilnehmenden Versicherten überschätzt, kann es dazu kommen, dass die
einbehaltenen Mittel nicht vollständig zur Umsetzung der geschlossenen Verträge verwendet werden (vgl. Baumann in
Schlegel/Voelzke, a.a.O. § 140d Rd.-Nr. 23).
Auch wenn die Formulierung in der Gesetzesbegründung "Mit der Verpflichtung, nicht aufgebrauchte Mittel wieder
auszubezahlen, wird der Anreiz zum Abschluss von Integrationsverträgen verstärkt. Zudem wird damit
ausgeschlossen, dass die Krankenkasse die Mittel ohne "Gegenleistung" einbehalten kann." (vgl.
Gesetzesbegründung GKV-Modernisierungsgesetz [GMG], BT-Drucks. 15/1525, abgedruckt in Hauck/Noftz, SGB V,
Bd. 5 Materialien, M 15, S. 127), für die Auffassung der Beklagten spricht, so hat dies jedoch keinen Eingang in die
Gesetzesfassung gefunden. Schließlich wird der Anreiz zum Abschluss von Integrationsverträgen auch tatsächlich
nicht durch die Rückzahlungsverpflichtung verstärkt, sondern in erster Linie durch die Möglichkeit des Einbehaltes,
die an die Erforderlichkeit der Mittel zur Umsetzung der abgeschlossenen Verträge geknüpft ist.
2. Ein Anspruch der Beklagten auf Rückforderung von 1 % der bereits gezahlten Rechnungsbeträge ergibt sich auch
nicht aus §§ 812 ff. BGB oder einer entsprechenden Anwendung dieser Vorschriften.
Die oben dargelegte Bedeutung des Begriffs "einbehalten" schließt einen Rückforderungsanspruch wegen
versehentlich oder – wie hier – aufgrund von technischen Problemen unterbliebener Einbehalte aus, so dass sich
bereits deshalb die Anwendung der §§ 812 ff. BGB und erst recht eine entsprechende Anwendung dieser Vorschriften
verbietet.
Aber auch bei der gegenteiligen Auslegung des Begriffs "einbehalten" hätte die Beklagte keinen Anspruch auf
Rückforderung von 1% der gezahlten Rechnungsbeträge. Denn die vollständige Vergütung der Rechnungen des
Krankenhauses erfolgt auf der Grundlage der gesetzlichen und vertraglichen Vergütungsregelungen und daher nicht
"ohne Rechtsgrund", solange ein Einbehalt nach § 140d Abs. 1 Satz 1 SGB V nicht ausgeübt wird. Unabhängig
davon, ob der Einbehalt – wie nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht (vgl. Dahm, MedR 2005, S. 121, 122
sowie Baumann in Schlegel/Voelzke, a.a.O., § 140d Rd.-Ziff. 61) – durch Verwaltungsakt auszuüben ist oder ob
wegen des Gleichordnungsverhältnisses der Parteien eine Regelung durch Verwaltungsakt ausgeschlossen ist (so st.
Rspr. d. BSG, vgl. nur Urt. v. 21.08.1996 – 3 RK 2/96; Urt. v. 17. Mai 2000 – B 3 KR 33/99 R; sowie Urteile v. 16.
Dezember 2008 – B 1 KN 1/07 KR R; B 1 KN 2/08 KR R; B 1 KN 3/08 KR R, jeweils zitiert nach juris), setzt das
Einbehalten jedenfalls eine entsprechende Erklärung bzw. einen Zahlungsvorbehalt der Krankenkasse voraus. Bei
einer Regelung durch Verwaltungsakt wäre das Krankenhaus sogar vor dem Einbehalt noch nach § 24 Zehntes Buch
Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren (SGB X) anzuhören. Da § 140d Abs. 1 Satz 1 SGB V die Krankenkasse
innerhalb bestimmter Grenzen (bis zu 1%) und unter bestimmten Voraussetzungen (soweit die einbehaltenen Mittel
zur Umsetzung von nach § 140b SGB V geschlossenen Verträgen erforderlich sind) zu einer einseitigen
Leistungsbestimmung ermächtigt, setzt ein solches nach billigem Ermessen auszuübendes
Leistungsbestimmungsrecht analog § 315 Abs. 2 BGB die Abgabe einer entsprechenden empfangsbedürftigen
Erklärung gegenüber dem anderen Teil voraus, die den Leistungsinhalt konkretisiert.
Frühestens das Schreiben der Beklagten vom 7. April 2004 kann als Verwaltungsakt zur Ausübung des Einbehaltes
oder als entsprechende Erklärung zur Konkretisierung des Leistungsbestimmungsrechts oder als Zahlungsvorbehalt
qualifiziert werden. Zu einem früheren Zeitpunkt ist keine – auch keine konkludente – Entscheidung der Beklagten zu
dem Einbehalt erkennbar.
Der Einbehalt steht der Beklagten aber auch nicht ab dem Zugang dieses Schreibens zu, da sie bei dem ihr im
Rahmen des § 140d Abs. 1 Satz 1 SGB V eingeräumten Ermessen bei der Festlegung der Höhe des Einbehaltes (bis
zu 1 %) von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist. Bei der für die Frage, inwieweit Mittel zur Umsetzung
von nach § 140b SGB V geschlossenen Verträgen erforderlich sind, von der Krankenkasse anzustellenden Prognose
(z.B. bzgl. der Anzahl der teilnehmenden Versicherten) hat sie sich nicht nur auf die bereits geschlossenen Verträge
gestützt, sondern rechtswidrig alle Vertragsplanungen für das Jahr 2004 in die Beurteilung einbezogen. Hierbei handelt
es sich um einen Fall des Ermessensfehlgebrauchs mit der Folge, dass die auf einem unrichtigen Sachverhalt
beruhende Prognoseentscheidung rechtswidrig ist. Die Prognoseentscheidung ist aber allein Sache der Krankenkasse
und kann nicht von den Gerichten ersetzt oder nachträglich durch Einfügen eines richtigen Sachverhaltes auf das
noch zulässige Maß reduziert werden. Dem entsprechend ist auch zivilrechtlich eine einseitige Leistungsbestimmung
unwirksam, wenn der zur Leistungsbestimmung Berechtigte von dem vertraglich festgelegten Vorgehen grundsätzlich
abweicht (BGH NJW RR 90, 28; vgl. auch Palandt, BGB, 65. Auflage, 2006 § 315 RdNr. 11), sodass auch
zivilrechtlich eine Reduzierung auf die gesetzlich gerade noch gerechtfertigte Abzugsquote ausscheidet. Aus diesen
Gründen hat die Beklagte auch keinen rechtmäßigen Vorbehalt erklärt, sodass eine Rückforderung der bereits
vollständig gezahlten Rechnungsbeträge unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt in Betracht kommt.
3. Ein Zinsanspruch der Klägerin setzt nach § 8 der Budget- und Entgeltvereinbarung der Beteiligten für das Jahr 2005
eine Mahnung voraus. Die Klägerin hat die vollständige Zahlung der Sammelrechnung I 261500256 aus Februar 2005
nicht angemahnt. Ihr steht jedoch ein Anspruch auf Prozesszinsen in entsprechender Anwendung von § 291 BGB zu.
Das BSG hat in seiner jüngeren Rechtsprechung für die nach §§ 108, 109 SGB V zugelassenen Leistungserbringer
einen Anspruch auf Zahlung von Prozesszinsen aufgrund der durch § 61 Satz 2 SGB X ermöglichten analogen
Anwendung von § 291 BGB vom Grundsatz her bejaht (vgl. BSG, Urt. v. 23. März 2006 - B 3 KR 6/05 R - SozR 4-
7610 § 291 Nr. 3; anders noch BSG, Urt. v. 11. März 1987 - 8 RK 43/85 - SozR 1300 § 61 Nr. 1). Dem schließt sich
der Senat an. Wie das BSG zutreffend ausgeführt hat, sind die Leistungserbringer im Sinne des § 69 SGB V auf die
zügige Begleichung ihrer Rechnungen angewiesen. Die zuvor von der Rechtsprechung für einen Ausschluss des
Zinszahlungsanspruchs angeführten Gründe, wie der Ausschluss der Erstattung außergerichtlicher Kosten an den
Leistungsträger selbst im Falle eines Obsiegens, sind spätestens mit der Neufassung des Kostenrechts im
sozialgerichtlichen Verfahren zum 2. Januar 2002 durch das 6. SGGÄndG vom 17. August 2001 (BGBl. I, S. 2144)
überholt.
Die sozialgerichtliche Rechtshängigkeit ist nach § 94 SGG mit der Klageerhebung am 21. April 2005 eingetreten. §
253 Abs. 1 und § 261 der Zivilprozessordnung (ZPO), wonach die Rechtshängigkeit einer zivilrechtlichen Klage erst
mit der Zustellung der Klageschrift an den Beklagten eintritt, sind nicht einschlägig (BSG, Urt. v. 23. März 2006 - B 3
KR 6/05 R - SozR 4-7610 § 291 Nr. 3). Da die Klägerin einen an der Pflegesatzvereinbarung orientierten Zinssatz von
4 % geltend gemacht hat, war nicht zu entscheiden, ob ihr auf der Grundlage von § 291 i. V. m. § 288 BGB ein
höherer Zinsanspruch zugestanden hätte.
Darauf, ob die mit Klageeinreichung eingetretene Rechtshängigkeit auch für Verpflichtungen aufgrund öffentlich-
rechtlicher Verträge auf dem Gebiet des Sozialversicherungsrechts in analoger Anwendung von § 286 Abs. 1 S. 2
BGB einer Mahnung gleichsteht und damit zugleich ab dem 21. April 2005 ein Zinsanspruch auf der Grundlage der
Pflegesatzvereinbarung begründet ist (insoweit nicht ganz eindeutig: BSG, Urt. v. 23. März 2006, a. a. O. (Abs. 20)),
kommt es aus den vorgenannten Gründen nicht mehr an.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung
(VwGO). Die geringfügige Abänderung des erstinstanzlichen Urteils hinsichtlich der Verlegung des Zinsbeginns vom
24. Februar auf den 21. April 2005 war bei der Kostenfolge nicht zu berücksichtigen.
Die Revision war nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Die in mehreren
Streitfällen noch anhängige Rechtsfrage, wie der Begriff des "Einbehaltens" in § 140d Abs. 1 Satz 1 SGB V
auszulegen ist und ob der Einbehalt nachträglich geltend gemacht werden kann, ist höchstrichterlich nicht geklärt.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 63 Abs. 2, § 52 Abs. 1 und § 47 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG).