Urteil des LSG Sachsen-Anhalt vom 12.01.2009

LSG San: aufschiebende wirkung, post, zugang, verwaltungsakt, vorstellungsgespräch, sanktion, unterlassen, anfechtungsklage, vollziehung, interessenabwägung

Landessozialgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss vom 12.01.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Stendal S 4 AS 73/08 ER
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt L 5 B 94/08 AS ER
Der Beschluss des Sozialgerichts Stendal vom 5. März 2008 wird aufgehoben.
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 5. Februar 2008 gegen den Bescheid der
Antragsgegnerin vom 1. Februar 2008 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin wird darüber hinaus im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, für die Monate März
bis Mai 2008, vor-läufig - unter dem Vorbehalt der Rückforderung - die auf der Grundla-ge des Bescheides vom 1.
Februar 2008 absenkungsbedingt einbe-haltenen Leistungen, unter Anrechnung bereits ausgegebener Le-
bensmittelgutscheine i.H.v. insgesamt 332,08 EUR, an den Antragsteller auszuzahlen.
Die Antragsgegnerin hat die dem Antragsteller entstandenen notwen-digen außergerichtlichen Kosten für den
Rechtsstreit zu erstatten.
Gründe:
I. Der Antragsteller begehrt im Wege eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens die Anordnung der aufschiebenden
Wirkung eines von ihm gegen einen Sanktionsbe-scheid der Antragsgegnerin eingelegten Widerspruchs. Der am. Juli
19 geborene Antragsteller bezieht von der Antragsgegnerin seit 3. Januar 2005 Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).
Mit Bescheid vom 5. Dezember 2007 bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller für Januar und Februar 2008
Leistungen i.H.v. 263,03 EUR/Monat (nur Kosten der Unter-kunft und Heizung, Absenkung der Regelleistung um
100% auf Grund eines Sankti-onsbescheides vom 26. Oktober 2007 wegen wiederholter Pflichtverletzung – Nichtan-
nahme einer Arbeitsgelegenheit) und für die Monate März bis Juni 2008 i.H.v. 610,03 EUR. Bereits am 21. November
2007 hatten die Beteiligten beim Sozialgericht Stendal (SG) in einer nichtöffentlichen Sitzung einen Vergleich
geschlossen, wonach für die Zeit vom 1. Dezember 2007 bis 29. Februar 2008 die Regelleistung nicht um 100%,
sondern auf Grund der Pflichtverletzung um 60% (208,00 EUR) zu mindern war (S 4 AS 593/07 ER, S 4 AS 599/07).
Entsprechend änderte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 13. De-zember 2007 die Leistungsbewilligung für die
Monate Januar und Februar 2008; sie bewilligte dem Antragsteller 402,03 EUR/Monat. Die Antragsgegnerin bot dem
Antragsteller eine Arbeitsgelegenheit bei der Gesell-schaft für Arbeitsförderung und Sanierung des Landkreises S.
mbH (GfAu ) an. Der Antragsteller stellte sich am 14. Dezember 2007 bei der GfAu. vor und eine Einla-dung der GfAu
zur Unterschrift der Beschäftigungsvereinbarung vom 17. Dezember 2007 wurde von dieser am 18. Dezember 2007
zur Post gegeben. Der Antragsteller trat jedoch die Arbeitsgelegenheit zum 2. Januar 2008 nicht an. Mit Bescheid
vom 1. Februar 2008 senkte die Antragsgegnerin aus diesem Grund für den Zeitraum vom 1. März bis 31. Mai 2008
die Regelleistung um 312,00 EUR (= 30%) monatlich ab. Am 5. Februar 2008 legte der Antragsteller gegen diesen
Bescheid Widerspruch mit der Begründung ein, ihm sei nur das Vorstellungsgespräch bekannt, alles andere sei frei
erfunden. Am 6. Februar 2008 hat der Antragsteller beim SG einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung
seines Widerspruches vom 5. Februar 2008 gegen den Be-scheid vom 1. Februar 2008 gestellt. Ihm sei beim
Vorstellungsgespräch bei der GfAu gesagt worden, dass die Maßnahme wahrscheinlich im Januar 2008 beginne,
Genaueres habe man nicht sagen können. Die GfAu habe sich bei ihm melden wollen. Eine Einstellungsmitteilung der
GfAu habe er nicht erhalten. Das SG hat mit Beschluss vom 5. März 2008 den Antrag im Wesentlichen mit der Be-
gründung abgelehnt, es sei nicht glaubhaft, dass der Antragsteller die Einstellungsmit-teilung der GfAu nicht erhalten
habe. Das Schreiben sei nicht als unzustellbar an den Absender zurückgesandt worden. Der Antragsteller habe ferner
bereits früher behaup-tet, Schreiben nicht erhalten zu haben, obgleich diese nachweislich durch Mitarbeite-rinnen der
Antragsgegnerin in seinen Briefkasten geworfen worden seien. Auch habe er gegen jeden der zahlreichen
Sanktionsbescheide wenige Tage nach deren Erhalt gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch genommen. Einen
wichtigen Grund für die Nichtannahme der Arbeitsgelegenheit habe der Antragsteller nicht gehabt. Da die
vor¬angegangenen Pflichtverletzungen bestandskräftig seien, sei die Absenkung der Re-gelleistung um 90% für die
streitgegenständliche Pflichtverletzung rechtmäßig. Gegen diesen Beschluss hat der Antragsteller am 5. März 2008
Beschwerde eingelegt. Der Inhalt des Vorstellungsgespräches habe auf ein Arbeitsangebot, nicht jedoch auf eine
Einstellung schließen lassen. Die bloße Behauptung, er hätte Kenntnis von einer Einstellungszusage gehabt,
rechtfertige keine Sanktion. Mit Schreiben vom 12. Dezember 2008 hat die GfAu auf Nachfrage des Senats mitge-
teilt, dass am 14. Dezember 2007 ein Personalgespräch in U. mit dem An-tragsteller zur Maßnahme 596/07
stattgefunden habe. Mit ihm hätten zwei weitere Ar-beitnehmer eine Vermittlung von der Antragsgegnerin erhalten,
wobei sich einer nie vorgestellt habe. Weiter heißt es in dem Schreiben: "Im Personalgespräch wurde Herrn S. die
Möglichkeit der Teilnahme an der Maßnahme noch nicht zugesagt, sondern nur in Aussicht gestellt, weil die Vor-
stellung des dritten Bewerbers abgewartet werden sollte. Herrn S. wurde a-ber zugesagt, dass er in den nächsten
Tagen Post von uns erhalte, in der steht, ob er die Arbeit bekommt. Arbeitsbeginn und Arbeitszeit wurden im
Personalgespräch besprochen für den Fall, dass eine Einstellungszusage erfolgt. In Auswertung der
Personalgespräche erhielt Herr S. mit Postausgang vom 18. Dezember 2007 eine schriftliche Einstellungszusage. "
Der Antragsteller beantragt, den Beschluss des Sozialgerichts Stendal vom 5. März 2008 aufzuheben und die
aufschiebende Wirkung des Widerspruches vom 5. Februar 2008 gegen den Bescheid vom 1. Februar 2008
anzuordnen. Die Antragsgegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Sie bezieht sich auf die Begründung
des erstinstanzlichen Beschlusses. Die Antragsgegnerin reichte im streitgegenständlichen Sanktionszeitraum
folgende Lebensmittelgutscheine an den Antragsteller aus: 03. März 2008 26,00 EUR, davon vom Antragsteller
genutzt 25,57 EUR 10. März 2008 26,00 EUR, davon vom Antragsteller genutzt 25,40 EUR 17. März 2008 26,00
EUR, davon vom Antragsteller genutzt 26,00 EUR 25. März 2008 26,00 EUR, davon vom Antragsteller genutzt 26,00
EUR 31. März 2008 26,00 EUR, davon vom Antragsteller genutzt 25,87 EUR 07. April 2008 26,00 EUR, davon vom
Antragsteller genutzt 26,00 EUR 15. April 2008 26,00 EUR, davon vom Antragsteller genutzt 26,00 EUR 21. April
2008 26,00 EUR, davon vom Antragsteller genutzt 25,68 EUR 28. April 2008 26,00 EUR, davon vom Antragsteller
genutzt 26,00 EUR 05. Mai 2008 26,00 EUR, davon vom Antragsteller genutzt 25,72 EUR 13. Mai 2008 26,00 EUR,
davon vom Antragsteller genutzt 26,00 EUR 19. Mai 2008 26,00 EUR, davon vom Antragsteller genutzt 25,84 EUR
26. Mai 2008 22,00 EUR, davon vom Antragsteller genutzt 22,00 EUR
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Ver-waltungsvorgang der
Antragsgegnerin sowie auf die Gerichtsakte ergänzend Bezug genommen. II. Die Beschwerde ist gemäß § 172
Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der bis 31. März 2008 gültigen Fassung zulässig, form- und fristgerecht eingelegt
worden (§ 173 SGG) und begründet. Das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers ist statthaft nach § 86b Abs. 1
Satz 1 Nr. 2, Satz 2 SGG. Danach kann das Gericht auf Antrag in den Fällen, in denen Wider-spruch oder
Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen
(Satz 1). Ist im Zeitpunkt der Entscheidung der Verwaltungsakt schon vollzogen, kann das Gericht die Aufhebung der
Vollziehung an-ordnen (Satz 2). Nach § 39 Nr. 1 SGB II haben der Widerspruch und die Anfechtungsklage gegen
einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entschei-det, keine aufschiebende
Wirkung. Da Widerspruch und Klage nur aufschiebende Wir-kung besitzen können, wenn Entscheidungen der
Leistungsträger mit einem bloßem Anfechtungsbegehren angegangen werden, also nicht, wenn sie sich gegen
Entschei-dungen richten, mit denen eine (höhere) Leistung abgelehnt wird, kommen im Wesent-lichen im Rahmen des
§ 39 SGB II Aufhebungsentscheidungen oder Absenkungsent-scheidungen von bereits bewilligtem Arbeitslosengeld II
in Betracht (Eicher in Ei-cher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 39, Rz. 12). Ein solcher - unter § 39 SGB II fallen-der -
Sachverhalt ist vorliegend gegeben. Das Rechtsschutzbegehren ist begründet. Einen ausdrücklichen gesetzlichen
Maßstab für die gerichtliche Anordnung der auf-schiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage sieht § 86b Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 SGG nicht vor. Das Gericht entscheidet auf Grund einer Interessenabwägung (vgl. Keller in Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgesetzbuch Kommentar, 9. Aufl. 2008, § 86b, Rz. 12). Nach § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG
entfällt die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs in anderen durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen. Das
vom Gesetzgeber in § 39 SGB II angeordnete vordringliche Vollzugsinteresse hat für das Verfahren des einst-weiligen
Rechtsschutzes die Bedeutung, dass die Antragsgegnerin von der ihr nach § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG obliegenden
Pflicht entbunden wird, das öffentliche Interesse der sofortigen Vollziehbarkeit gesondert zu begründen. Das Gesetz
unterstellt den So-fortvollzug keineswegs als stets, sondern nur als im Regelfall geboten und verlagert somit die
konkrete Interessenbewertung auf Antrag des Antragstellers in das gerichtli-che Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss vom 17. September 2001, 4 VR 19/01, NZV
2002, 51, 52 unter Bezug auf BVerwG, Beschluss vom 21. Juli 1994, 4 VR 1.94, BVerwGE 96, 239 ff, je-weils zu § 80
Abs. 2 Nr. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in der bis 31. Dezem-ber 1996 gültigen Fassung, der wortgleich zu
§ 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG ist). Daraus folgt zugleich, dass im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung die
Anforderun-gen an das Aussetzungsinteresse der Antragsgegnerin umso höher sind, je höher die Erfolgsaussichten
des Antragstellers sind (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., Rz. 12c ff.). Im vorliegenden Fall
überwiegt das Interesse des Antragstellers am Nichtvollzug ge-genüber dem Interesse der Antragsgegnerin an der
sofortigen Vollziehung, denn der Bescheid vom 1. Februar 2008 ist hinsichtlich der Absenkung der Regelleistung um
90% für die Monate März bis Mai 2008 nach summarischer Prüfung wohl rechtswidrig. Nach § 31 Abs. 1 SGB II (in
der hier maßgeblichen ab 1. Januar 2007 gültigen Fas-sung) wird das Arbeitslosengeld II unter Wegfall des Zuschlags
nach § 24 SGB II in einer ersten Stufe um 30 vom Hundert der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 SGB
II maßgebenden Regelleistung abgesenkt, wenn er die in § 31 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 SGB II bezeichneten
Pflichtverletzungen begeht. Eine Pflichtverletzung liegt nach § 31 Abs. 1 Nr. 1c SGB II vor, wenn der Hilfebedürftige
sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert, eine Arbeitsgelegenheit anzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der
erwerbsfähige Hilfebedürftige einen wichtigen Grund für sein Verhalten nachweist. Der Antragsteller hat nach der hier
gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht nachweislich eine Pflichtverletzung begangen,
indem er die Arbeits-gelegenheit am 2. Januar 2008 bei der GfAu nicht antrat. Daher dürften die tat-bestandlichen
Voraussetzungen der verhängten Sanktion nicht vorliegen. Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass dem
Antragsteller das Einstellungsangebot der GfAu zu-gegangen ist. Soweit das SG im Wege des Anscheinsbeweises
davon ausgeht, das Schreiben der GfAu sei dem Antragsteller zugegangen, weil kein Rücklauf des Briefes zu
verzeich-nen gewesen sei, und im Übrigen auf sein früheres Verhalten abstellt, verkennt es, dass die Grundsätze des
Anscheinsbeweises in dem Bereich des Zugangsnachweises nicht gelten. So besteht keine Vermutung für den
Zugang des formlos mit der Post übersandten Schreibens; Postsendungen können verloren gehen (vgl. Bundesverfas-
sungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 15. Mai 1991, 1 BvR 1441/90, juris m.w.N.). Auch wenn nach der
Lebenserfahrung die weitaus größte Anzahl der abgesandten Briefe beim Empfänger ankommt, ist damit lediglich eine
mehr oder minder hohe Wahrscheinlichkeit für den Zugang einer Briefsendung gegeben, ein Nachweis eines
bestrittenen Zugangs kann in der Aufgabe zu Post nicht gesehen werden (vgl. Bundes-sozialgericht (BSG), Urteil vom
26. Juli 2007, B 13 R 4/06 R, m.w.N., juris). Nach § 37 Abs. 2 SGB X gilt die Fiktion, ein schriftlicher Verwaltungsakt
sei am dritten Tage nach der Abgabe zur Post bekannt gegeben, nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem
späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang und seinen Zeitpunkt nachzuweisen. In
diesem Sinne aber bestehen schon dann "Zweifel", wenn der Adressat den Zugang - schlicht - bestreitet (vgl. BSG
a.a.O.). In diesem Sinne hat die Antragsgegnerin die Zweifel am Zugang der Einstel-lungszusage der GfAu nicht
widerlegt. Ein Zustellungsnachweis fehlt. Der Antrags-gegnerin bleibt es unbenommen, zukünftig bei Zweifeln an der
Behauptung des feh-lenden Zugangs dafür Sorge zu tragen, dass Briefsendungen dem Antragsteller grund-sätzlich per
Postzustellungsurkunde oder in einer anderen, nachweisbaren Form zuge-stellt werden. Da somit nicht unterstellt
werden kann, dass dem Antragsteller die Einstellungszusage der GfAu zugegangen ist, ist auch die behauptete
Weigerung, die Arbeitsgelegenheit anzunehmen, nicht nachgewiesen. Eine sanktionsbewehrte Pflichtverletzung des
Antragstellers ist auch nicht darin zu sehen, dass er sich nach dem Vorstellungsgespräch nicht noch einmal bei der
GfAu gemeldet hat, um sich danach zu erkundigen, ob er eingestellt wird oder nicht. Zwar hatten Mitarbeiter der GfAu
dem Antragsteller im Vorstellungsgespräch gesagt, dass er in den nächsten Tagen Post erhalten werde, die
Aufschluss darüber gebe, ob er die Arbeitsstelle bekomme. In diesem Unterlassen einer Nachfrage beim potentiellen
Ar-beitgeber liegt aber kein "Weigern" i.S. § 31 Abs. 1 Nr. 1c SGB II. Der Begriff des Weigerns ist mangels
gegenteiliger Anhaltspunkte im Normtext oder aus dem systematischen Zusammenhang im Sinne des allgemeinen
Sprachgebrauchs zu verstehen. "Weigern" bedeutet im Rahmen des Sanktionstatbestandes die vorsätzli-che
ausdrückliche oder stillschweigende, schriftlich, mündlich oder in anderer Weise dem Leistungsträger oder dem
Arbeitgeber gegenüber zum Ausdruck gebrachte feh-lende Bereitschaft, sich an die durch das Gesetz auferlegte
Pflicht zu halten, hier also die Aufnahme einer angebotenen Arbeitsgelegenheit (vgl. Rixen in Eicher/Spellbrink, SGB
II, 2. Aufl., § 31 Rz. 14, 17). Dabei braucht die tatbestandlich notwendige Weige-rung nicht ausdrücklich erklärt
worden zu sein. Sie kann auch konkludent erfolgen, etwa durch ein Verhalten bei einem Bewerbungsgespräch, das
erkennen lässt, dass der Hilfebedürftige kein Interesse an der Aufnahme einer Tätigkeit hat. Er muss aber durch sein
Verhalten unmissverständlich zum Ausdruck gebracht haben, er wolle nicht tun, wozu er gegenüber dem SGB II-
Leistungsträger verpflichtet ist. Ein solches Verhalten des Antragstellers, das hier nur in einem Unterlassen liegen
kann (er fragte nicht bei der GfAu nach dem Verbleib der angekündigten Mitteilung, ob er die Stelle antreten könne
oder nicht), ist hinsichtlich der hier streitgegenständlichen Sanktion nicht ersichtlich. Der Antragsteller hat sich nicht
vorsätzlich geweigert, die Arbeitsgelegenheit anzunehmen. Vorsätzliches Verhalten liegt vor, wenn der Hilfebe-dürftige
bewusst und gewollt die Tatbestandsvoraussetzungen verwirklichen will (vgl. Rixen in Eicher/Spellbrink, a.a.O., Rz 9).
In einem Unterlassen läge nur dann eine Wei-gerung i.S.v. § 31 SGB II, wenn der Antragsteller zum einen wusste,
dass er eine ihm auferlegte Pflicht unterlässt und weiter, dass diese unterlassene Handlung zum Schei-tern der
Arbeitsgelegenheit führt. Die ihm seitens der Antragsgegnerin auferlegte Pflicht hatte der Antragsteller zunächst
erfüllt, als er sich am 14. Dezember 2007 bei der GfAu vorstellte. Weitergehende Pflichten sind ihm nicht aufgegeben
worden. Da aus den o.g. Gründen nicht davon auszugehen ist, dass dem Antragsteller die Einstel-lungszusage der
GfAu zugegangen ist, konnte ihm zudem nicht bewusst sein, dass er durch die unterlassene Nachfrage seine
Einstellung vereitelte. Da ein dem Antragsteller nach § 31 Abs. 1 Nr. 1c SGB II vorwerfbares Verhalten wohl nicht
vorliegt, ist der Sanktionsbescheid der Antragstellerin rechtswidrig. Die aufschie-bende Wirkung des Widerspruchs
des Antragstellers gegen diesen Sanktionsbescheid war nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG anzuordnen. Da der
Bescheid bereits vollzo-gen ist, hatte der Senat nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob der Voll-zug
nach § 86b Abs. 1 Satz 2 SGG rückgängig zu machen ist (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar
zum SGG, 9. Aufl. 2005, § 86b, Rz. 10), soweit er rechtswidrig ist. Die Antragsgegnerin hat danach vorläufig - unter
dem Vorbehalt der Rückforderung - dem Antragsteller die absenkungsbedingt einbehaltenen Leistungen auf der
Grundlage des Bescheides vom 1. Februar 2008 auszuzahlen, allerdings unter Anrechnung der für diesen Zeitraum an
ihn ausgegebenen und eingelösten Lebensmit-telgutscheine i.H.v.insgesamt 332,08 EUR. In dieser Höhe hat die
Antragsgegnerin den Leistungsanspruch bereits erfüllt (§ 31 Abs. 3 Satz 6 SGB II). Die Kostenentscheidung beruht
auf analoger Anwendung des § 193 SGG. Der Beschluss ist unanfechtbar (§177 SGG).