Urteil des LSG Sachsen-Anhalt vom 31.08.2009

LSG San: aufschiebende wirkung, bahn, fahrkarte, vorstellungsgespräch, hotel, fahrtkosten, tarif, versuch, vollzug, anfechtungsklage

Landessozialgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss vom 31.08.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Magdeburg S 3 AS 1465/09 ER
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt L 5 AS 287/09 B ER
Die Beschwerde wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller und Beschwerdeführer begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen einen von der Antragsgegnerin
erlassenen Sanktionsbescheid im Rahmen der Leistungsgewäh-rung der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach
dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Der am ... 1976 geborene Antragsteller, der sich selber als "Diplom Jurist" bezeichnet, steht bei der Antragsgegnerin
im laufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II. Zuletzt wurden ihm mit Bescheid vom 4. Mai 2009 für den
Bewilligungszeitraum vom 1. Mai bis zum 30. September 2009 Leistungen iHv 611,84 EUR (Regelleistung 351,00
EUR, Kosten der Unter-kunft und Heizung (KdU) 260,84 EUR) bewilligt.
Im Jahr 2008 ergingen diverse Sanktionsbescheide gegen den Antragsteller: 21. Mai 2008 1. Juni bis 31. August
2008, Minderung der Regelleistung um 30 % wegen Nichtannahme eines Vermittlungsvorschlags, 6. Juni 2008 1. Juli
bis 30. September 2008, Minderung der Regelleistung um 60 % wegen Nichtannahme einer Arbeitsgelegenheit, 16.
Oktober 2008 1. November 2008 bis 31. Januar 2009, Minderung um 100 % wegen Nichterscheinens zum
Vorstellungstermin am 14. Juli 2008 bei der A. GmbH. Die beiden erstgenannten Sanktionsbescheide wurden
bestandskräftig. Gegen den letztge-nannten Sanktionsbescheid sowie wegen der Bewilligung höherer KdU ging der
Antragsteller im Wege des einstweiligen Rechtschutzes vor. Mit Beschluss vom 23. Dezember 2008 (Az.: L 5 B
565/08 AS ER und L 5 B 566/08 AS ER) ordnete der Senat die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den
Sanktionsbescheid vom 16. Oktober 2008 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 21. November 2008 und 15.
Dezember 2008 an, soweit die Leistungskürzung über 60 % der Regelleistung nach § 20 SGB II hinausging. Der
Senat erachtete nach summarischer Prüfung die vollständige Leistungsentziehung als rechtswidrig, weil das zu
ahnende Verhalten am 14. Juli 2008 nur eine (erste) wiederholte Pflichtverlet-zung zum Verhalten vom 20. Mai 2008
dargestellt habe und keine weitere wiederholte Pflichtverletzung. Danach lägen lediglich die Voraussetzungen für eine
Kürzung der Regel-leistungen um 60 % als wiederholte Pflichtverletzung vor.
Bei einer Vorsprache am 9. April 2009 händigte die Antragsgegnerin dem Antragsteller einen Vermittlungsvorschlag
für eine ausgeschriebene Stelle als "Persönlicher Ansprechpartner im Bereich SGB II" bei der ARGE Mannheim aus.
Dem Vermittlungsvorschlag war eine Beleh-rung über die Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung und die weiterer
Pflichtverletzungen beigefügt. Nachdem der Antragsteller sich auf die angebotene Stelle beworben hatte, lud ihn der
Abteilungsleiter Personal der ARGE Mannheim mit Schreiben vom 24. April 2009 zum Vorstellungsgespräch am 4.
Mai 2009 um 17:00 Uhr in Mannheim ein.
Am 27. April 2009 ging ein Schreiben des Antragstellers bei der Antragsgegnerin ein, mit welchem er formlos um
Überweisung von 340,50 EUR bis zum 1. Mai 2009 zur Wahrnehmung des Vorstellungstermins begehrte. Er
beantragte zweimal 98,00 EUR für die Hin- und Rückfahrt mit der Bahn. Dazu legte er einen Ausdruck vom 26. April
2009, 12:01 Uhr, einer Internetre-cherche vor, der den Normalpreis auswies. Weiter begehrte er Übernachtungskosten
iHv 139,50 EUR. Dazu legte er eine Internetrecherche vom 26. April 2009, 12:13 Uhr, für den Frühbuchertarif im Hotel
Holiday Inn in Mannheim vor. Weiterhin bezifferte er die Kosten für die Inanspruchnahme des Öffentlichen
Personennahverkehrs in Mannheim auf 5,00 EUR.
Ausweislich eines Aktenvermerks vom 27. Mai 2009 prüfte die Sachbearbeiterin daraufhin, ob kostengünstigere
Möglichkeiten zur Wahrnehmung des Vorstellungstermins bestünden. Nach Abstimmung mit der Teamleiterin habe
diese telefonisch den Antragsteller über das Ergebnis informiert und ihm die Bewilligung von 128,00 EUR für die
Bahnfahrt, von 33,00 EUR für die Übernachtung (Hotel Formule 1) sowie von 7,00 EUR als Frühstückspauschale in
Aussicht gestellt. Er könne den Betrag am 30. April 2009 bei seiner Sachbearbeiterin in bar abholen.
Bei seiner Vorsprache am 30. April 2009 wurde dem Antragsteller der Betrag von 168,00 EUR bar ausgezahlt. Hierzu
unterzeichnete er einen "Antrag auf Gewährung einer Förderung aus dem Vermittlungsbudget gemäß § 16 Abs. 1 SGB
II" für Leistungen in der genannten Höhe. Ausweislich des Vermerks vom 27. Mai 2009 habe die Sachbearbeiterin
dem Antragsteller erläutert, dass zusätzlich entstehende Kosten (außer Taxifahrten) auf entsprechenden Nachweis
(Rechnung/Quittung) getragen werden könnten. Weiterhin seien ihm Kopien der Internetrecherche der Sachbearbeiterin
ausgehändigt worden mit dem Hinweis, das Angebot "Dauer-Spezial" der Bahn gelte mit einer Vorverkaufsfrist von
mindestens drei Tagen.
Zudem wurde dem Antragsteller der Bewilligungsbescheid vom gleichen Tag ausgehändigt, und er wurde gebeten, alle
Unterlagen wie Rechnungen, Quittungen und Bestätigung der Vorsprache durch den potenziellen Arbeitgeber bis zum
7. Mai 2009 vorzulegen.
Der Ausdruck der Internetrecherche in der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin über den Zimmerpreis im Hotel
Formule 1 stammt vom 28. April 2009; derjenige über den Fahrpreis der Bahn vom 30. April 2009. Danach waren am
30. April 2009 für die Hinfahrt am 4. Mai 2009, um 11:00 Uhr, ab Magdeburg Hbf nach Mannheim Hbf und für die
Rückfahrt am 5. Mai 2009, um 10:31 Uhr, noch Fahrkarten im Kontingent "Dauer-Spezial" zum Preis von 128,00 EUR
verfügbar. Weiterhin waren noch Fahrkarten im Tarif "Sparpreis 25" zum Preis von 147,00 EUR sowie im Tarif
Normalpreis 2. Klasse iHv 196,00 EUR verfügbar.
Mit Schreiben vom 4. Mai 2009 legte der Antragsteller Widerspruch gegen den Bewilligungs-bescheid vom 30. April
2009 ein und führte aus, er habe Fahrtkosten für die Bahn in Höhe von 235,00 EUR sowie weitere Hotelkosten
beantragt. Der bewilligte Betrag sei unzureichend und habe dazu geführt, dass er nicht nach Mannheim habe fahren
können. Denn beim Versuch, am 4. Mai 2009 gegen 10 Uhr den Fahrschein zu erwerben, sei ihm durch den
Mitarbeiter der Bahn mitgeteilt worden sei, dass die Fahrkarte 196,00 EUR koste. Er habe jedoch nicht soviel Geld
gehabt, da er seine Regelleistung für den Monat bereits ausgege-ben gehabt habe. Er sei auch nicht verpflichtet,
Bewerbungskosten aus der Regelleistung vorzufinanzieren.
Per E-Mail wurde die Antragsgegnerin am 6. Mai 2009 von der ARGE Mannheim darüber informiert, dass der
Antragsteller den Vorstellungstermin nicht wahrgenommen hatte.
Mit Bescheid vom 7. Mai 2009 hob die Antragsgegnerin die Bewilligung der Reisekosten zum Vorstellungsgespräch
über 168,00 EUR auf und forderte den Betrag zurück, da der Antragsteller entgegen seiner Angaben am 27. April 2009
das Vorstellungsgespräch nicht wahrgenommen habe.
Daraufhin hörte die Antragsgegnerin den Antragsteller zur beabsichtigten teilweisen oder vollständigen Aufhebung der
Leistungsbewilligung an.
Mit Bescheid vom 26. Mai 2009 senkte die Antragsgegnerin die ALG II-Leistungen des Antragstellers für die Zeit vom
1. Juni bis zum 31. August 2009 auf Null ab. Für den genann-ten Zeitraum entfielen die Regelleistung zur Sicherung
des Lebensunterhaltes und die Leistungen für KdU vollständig. Die Angaben des Antragstellers, weshalb er den
Vorstel-lungstermin nicht wahrgenommen habe, könnten nicht als wichtig iSv § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II anerkannt
werden. Der Antragsteller hätte am Morgen des 4. Mai 2009 noch bei der Antragsgegnerin vorsprechen können, um
den Differenzbetrag von 68,00 EUR zu erhalten. Sie wies ihn darauf hin, dass er auf Antrag im angemessenen
Umfang ergänzende Sachleistun-gen oder geldwerte Leistungen – insbesondere in Form von Lebensmittelgutscheinen
– erhalten könne. Mit Änderungsbescheid vom gleichen Tag bewilligte sie für die Monate Juni bis Juli 2009 keine
Leistungen und für September 2009 Leistungen iHv 611,84 EUR. Wegen der Regelsatzerhöhung zum 1. Juli 2009 auf
359,00 EUR änderte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 7. Juni 2009 den bewilligten Betrag ab September 2009
auf nunmehr 619,84 EUR ab.
Mit Widerspruchsbescheid vom 28. Mai 2009 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch des Antragstellers gegen die
Bewilligungsbescheid vom 30. April 2009 zurück und führte aus, bei sofortiger Buchung am 30. April 2009 hätte der
bewilligte Betrag ausgereicht, um eine Bahnfahrkarte im Tarif "Dauer-Spezial" zu erwerben. Die begehrten weiteren
Bewerbungs-kosten seien nicht erforderlich gewesen zur Wahrnehmung des Vorstellungstermins. Dies gelte
insbesondere für die begehrten Übernachtungskosten für ein Hotel der gehobenen Klasse.
Am 28. Mai 2009 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Magdeburg (SG) um einstweiligen Rechtschutz
nachgesucht. Zur Begründung hat er ausgeführt, er habe erst am 4. Mai 2009 um 10:49 Uhr auf dem Hauptbahnhof
Magdeburg bei dem Versuch, den Fahrschein zu kaufen, erfahren, dass der bewilligte Betrag von 128,00 EUR nicht
ausreiche. Da er keinen Termin bei der Antragsgegnerin gehabt habe, sei es nicht möglich gewesen, dort vorzuspre-
chen, um den Fehlbetrag für die Fahrt zu erhalten. Es sei rechtlich unzulässig, "mal eben" bei der Antragsgegnerin
vorbeizugehen. Der Bewilligungsbescheid lasse nur einen Wider-spruch als Rechtsbehelf zu. Er habe am 30. April
2009 auch nicht die Leistungen so wie bewilligt beantragt; vielmehr habe er einen Blankoantrag ausfüllen müssen. Mit
Schriftsatz vom 4. Juni 2009 hat der Antragsteller eingeräumt, ihm sei bekannt gewesen, dass die teuerste
Zugverbindung 2. Klasse 235,00 EUR koste. Deshalb habe er diesen Betrag beantragt, um sicher gehen zu können,
dass er das Vorstellungsgespräch auch wahrnehmen könne. Die Angaben der Antragsgegnerin zur Nutzung von
Sparpreisen bei der Bahn seien realitäts-fremd. Der Sparpreis gelte nur für ein begrenztes Fahrkartenkontingent.
Dieses sei je nach Nachfrage binnen weniger Minuten oder Stunden nach Auflage ausverkauft. Die Antrags-gegnerin
habe ihn nicht auf den Sparpreis verweisen dürfen, da das Kontingent ausge-schöpft gewesen sei. Es treffe nicht zu,
dass die Antragsgegnerin ihn bei Auszahlung des bewilligten Betrags auf den Sparpreis und dessen Bedingungen
hingewiesen habe. Aus dem Bewilligungsbescheid vom 30. April 2009 ergebe sich dazu nichts. Die Antragsgegnerin
versuche, ihn mit wahrheitswidrigem Vortrag zu schikanieren.
Mit Widerspruchsbescheid vom 9. Juni 2009 hat die Antragsgegnerin den Widerspruch des Antragstellers vom 28. Mai
2009 gegen den Sanktionsbescheid vom 26. Mai 2009 zurück-gewiesen. Nachdem der Antragsteller mit Schreiben
vom 30. Juli 2009 erklärt hat, er habe bislang den Widerspruchsbescheid nicht erhalten, hat sie denselben am 18.
August 2009 erneut an ihn versandt.
Im Erörterungstermin des SG vom 28. Juli 2009 hat der Antragsteller erklärt, er sei von seiner Sachbearbeiterin nicht
informiert worden, dass für das Angebot "Dauer-Spezial" der Bahn eine Vorverkaufsfrist von drei Tagen gelte. Er habe
sich am 27. April 2009 am Fahrkar-tenschalter nach den Fahrtkosten erkundigt. Dort habe er erfahren, dass die Fahrt
im schlechtesten Fall 235,00 EUR koste. Hinweise, dass das Sparpreiskontingent begrenzt sei, habe er erst später
bekommen.
Mit Beschluss vom 3. August 2009 hat das SG den Antrag auf Anordnung der aufschieben-den Wirkung des
Widerspruchs abgelehnt. Der Antragsteller habe das Vorstellungsgespräch ohne wichtigen Grund nicht
wahrgenommen. Es sei ihm zuzumuten gewesen, bereits am 30. April 2009 die Fahrkarte zum Preis von 128,00 EUR
zu erwerben. Das SG ist davon ausgegan-gen, dass dem Antragsteller am 30. April 2009 bekannt war, dass bei
sofortigem Kauf eine Fahrkarte zum Preis von 128,00 EUR erhältlich war. Er habe am 30. April 2009 auch nur diesen
Betrag beantragt. Seine dem widersprechenden Angaben seien – auch nach dem im Erörterungstermin hinterlassenen
Eindruck – unglaubhaft.
Gegen diesen Beschluss hat der Antragsteller am 5. August 2009 Beschwerde eingelegt und zur Begründung
ergänzend zum bisherigen Vortrag ausgeführt, er selbst habe die Antrags-gegnerin handschriftlich am 30. April 2009
darauf hingewiesen, dass mit Fahrtkosten ab 229,00 EUR zu rechnen sei.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 3. August 2009 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung seines
Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 26. Mai 2009 in der Fassung des Änderungsbescheids
vom 7. Juni 2009 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Antragsteller hätte seine gehobenen intellektuellen Fähigkeiten zum Erwerb einer Bahnfahrkarte einsetzen
müssen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen
Verwaltungsakten der Antragsgegnerin ergänzend Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechts-schutzes ist zulässig,
insbesondere form- und fristgerecht eingelegt sowie statthaft (§§ 173, 172 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 iVm § 144 Abs. 1 Satz
1 SGG).
Durch die die begehrte Anordnung der aufschiebenden Wirkung kann die im Bescheid vom 4. Mai 2009 verfügte
Regelung vorläufig wiederaufleben. Dieser Bescheid regelt die Leis-tungsbewilligung für den laufenden
Bewilligungszeitraum vom 1. Mai bis zum 30. September 2009. Hier geht es nur um den Sanktionszeitraum vom 1.
Juni bis zum 31. August 2009, für den mit Bescheid vom 26. Mai 2009 das ALG II auf Null abgesenkt worden ist.
Die Beschwerde ist unbegründet, da die Voraussetzungen für eine Anordnung der aufschie-benden Wirkung des
Widerspruchs gegen den Bescheid oder der noch zu erhebenden Klage gegen den Bescheid vom 26. Mai 2009 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juni 2009 nicht vorliegen. Zu Recht hat das SG den Antrag auf
Anordnung der aufschieben-den Wirkung abgelehnt.
Das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers ist statthaft nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG. Danach kann das
Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Wider-spruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende
Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Ist im Zeitpunkt der Entscheidung der
Verwaltungs-akt schon vollzogen, kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen (§ 86b Abs. 1 Satz 2
SGG).
Nach § 39 Nr. 1 SGB II in der hier maßgeblichen, seit dem 1. Januar 2009 gültigen Fassung (Art. 2 Nr. 14 des
Gesetzes vom 21. Dezember 2008, BGBl. I S. 2917) haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen
Verwaltungsakt, der die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufhebt, zurücknimmt, widerruft oder
herabsetzt, keine aufschiebende Wirkung. Der hier im Wege der isolierten Anfechtungsklage anzugreifende
Sanktionsbe-scheid gemäß § 31 SGB II entscheidet über eine Absenkung, hier über den vollständigen Wegfall bereits
bewilligter Leistungen für die Dauer von drei Monaten. Der dagegen einge-legte Rechtsbehelf hat daher keine
aufschiebende Wirkung.
Einen ausdrücklichen gesetzlichen Maßstab für die gerichtliche Anordnung der aufschieben-den Wirkung von
Widerspruch und Klage sieht § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG nicht vor. Das Gericht entscheidet aufgrund einer
Interessenabwägung (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 86b RN 12). Es trifft dabei
in jedem Fall eine eigene Ermessensentscheidung über die Aufhebung der sofortigen Vollziehung nach denselben
Gesichtspunkten wie die Widerspruchsbehörde in den Fällen des § 86a Abs. 2 SGG. Bei offensichtlicher
Aussichtslosigkeit der Hauptsache überwiegt in der Regel das Vollzugsinteresse, umgekehrt bei offensichtlicher
Erfolgsaussicht der Hauptsache das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Die offensichtliche Rechtmäßigkeit
des betroffenen Verwaltungsaktes oder fehlende Erfolgsaussichten von Widerspruch und/oder Klage können allein das
besondere Vollzugsinteresse jedoch nicht begründen oder eine Prüfung ersetzen oder entbehrlich machen. Sie können
nur zur Folge haben, dass die vorhandenen, ihrer Art nach dringlichen Vollzugsinteressen grundsätzlich als
schwerwiegender anzusehen sind als das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung seines
Rechtsbehelfs. Bei der zu treffenden Abwägung der Interessen sind dabei vor allem die Natur, Schwere und
Dringlichkeit der dem Betroffenen auferlegten Belastungen und die Möglichkeit oder Unmög-lichkeit einer etwaigen
späteren Rückgängigmachung der Maßnahme und ihre Folgen zu berücksichtigen.
Nach der im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summari-schen Prüfung der Sach-
und Rechtslage bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Recht-mäßigkeit des angegriffenen Sanktionsbescheids. Im
vorliegenden Fall überwiegt das Interesse der Antragsgegnerin am Vollzug dieses Bescheids gegenüber dem
Interesse des Antragstellers an einer aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Dem Vollzug entge-
genstehende, überzuordnende Interessen des Antragstellers liegen nach der Bewertung des Senats nicht vor.
Gemäß § 31 Abs. 1 SGB II wird das Arbeitslosengeld II unter Wegfall des Zuschlags nach § 24 SGB II in einer ersten
Stufe um 30 vom Hundert der für den erwerbsfähigen Hilfebedürfti-gen nach § 20 SGB II maßgebenden Regelleistung
abgesenkt, wenn er die in § 31 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB II bezeichneten Pflichtverletzungen begeht. Eine
Pflichtverletzung liegt u.a. nach § 31 Abs. 1 Nr. 1c SGB II vor, wenn der Hilfebedürftige sich trotz Belehrung über die
Rechtsfolgen weigert, eine Arbeitsgelegenheit anzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige
einen wichtigen Grund für sein Verhalten nachweist. Bei der ersten wiederholten Pflichtverletzung nach § 31 Abs. 1
SGB II wird das Arbeitslosengeld II um 60 vom Hundert der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 SGB II
maßge-benden Regelleistung gemindert. Bei jeder weiteren wiederholten Pflichtverletzung nach § 31 Abs. 1 SGB II
wird das Arbeitslosengeld II um 100 vom Hundert gemindert (§ 31 Abs. 3 Satz 1, 2 SGB II). Absenkung und Wegfall
treten grundsätzlich mit Wirkung des Kalendermonats ein, der auf das Wirksamwerden des Verwaltungsaktes folgt,
der die Absenkung oder den Wegfall der Leistung feststellt (§ 31 Abs. 6 Satz 1 SGB II). Der hier streitgegenständliche
Bescheid ordnet - wie oben ausgeführt - die Absenkung der Grundsicherungsleistung um 100 vom Hundert für die
Monate Juni bis August 2009 an.
Schon aus der einschneidenden Wirkung der in § 31 Abs. 3 Satz 1, 2 SGB II vorgesehenen Rechtsfolgen ergibt sich,
dass von einer "Wiederholung" nur dann die Rede sein kann, wenn ein Leistungsempfänger durch einen ersten
Absenkungsbescheid bereits auf die Pflichtver-letzung hingewiesen worden ist und danach sein Verhalten fortsetzt
(vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24. September 2007, L 20 B 169/07 AS ER, juris). Die vom
Gesetzgeber gewollte Warnwirkung der vorangegangenen Sanktionen kann sich nur auf ein Verhalten beziehen, das
zeitlich nach dem Erlass eines ersten und zweiten Absenkungsbe-scheides liegt. Eine solche weitere wiederholte
Pflichtverletzung liegt hier vor, weil der Antragsteller sich nicht am 4. Mai 2009 bei der ARGE Mannheim vorgestellt
hat.
Um eine (erste) wiederholte Pflichtverletzung im Sinne von § 31 Abs. 3 Satz 1 SGB II, die zu einer Kürzung um 60
Prozent berechtigt, handelte es sich bereits bei dem Pflichtverstoß des Antragstellers am 14. Juli 2008, der
Gegenstand der Beschwerdeentscheidung des Senats vom 23. Dezember 2008 (Az. L 5 B 565/08 AS ER und L 5 B
566/08 AS ER) war. Auf die dortigen Ausführungen zur ersten Pflichtverletzung am 20. Mai 2008 und zur wiederholten
Pflichtverletzung am 14. Juli 2008 wird ausdrücklich ergänzend Bezug genommen und insoweit von einer erneuten
Darstellung abgesehen.
Der damit geahndete letzte Pflichtverstoß führte zu einem Sanktionszeitraum vom 1. No-vember 2008 bis zum 31.
Januar 2009. Dieser lag weniger als ein Jahr zurück, als sein hier streitiger erneuter Pflichtverstoß am 4. Mai 2009
erfolgte, so dass die Regelung des § 31 Abs. 3 Satz 4 SGB II nicht greift, die eine wiederholte Pflichtverletzung
ausschließt, wenn der Beginn des vorangegangenen Sanktionszeitraums länger als ein Jahr zurückliegt. Das
Unterlassen der Wahrnehmung des Vorstellungstermins Mannheim ist ein Pflichtverstoß gemäß nach § 31 Abs. 1 Nr.
1c SGB II, denn dadurch hat der Antragsteller das Zustande-kommen eines Arbeitsverhältnisses vereitelt und sich
letztlich trotz ordnungsgemäßer Belehrung über die Rechtsfolgen im Vermittlungsvorschlag vom 9. April 2009
geweigert, eine Arbeitsgelegenheit anzunehmen.
Absenkung und Wegfall treten grundsätzlich mit Wirkung des Kalendermonats ein, der auf das Wirksamwerden des
Verwaltungsakts folgt, der die Absenkung oder den Wegfall der Leistungen feststellt (§ 31 Abs. 6 Satz 1 SGB II). Der
hier streitgegenständliche Bescheid ordnet die Absenkung der Grundsicherungsleistung für die Monate Juni bis
August 2009 an. Die gesetzliche Fristenregelung ist hier eingehalten, denn dem Antragsteller ist der streitige
Sanktionsbescheid vom 26. Mai 2009 spätestens am 28. Mai 2009 zugegangen. Bereits an diesem Tag ist er im
Wege des Widerspruchs und des einstweiligen Rechtsschutzes gegen den Bescheid vorgegangen. Die verfügte
Absenkung für die Dauer von drei Monaten entspricht der Vorgabe in § 31 Abs. 6 Satz 2 SGB II.
Aufgrund der zweiten wiederholten Pflichtverletzung war die Antragsgegnerin berechtigt, die Regelleistung des
Antragstellers nach § 20 SGB II sowie die Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung im vorgenannten
Sanktionszeitraum vollständig zu versagen.
Der Antragsteller hatte auch keinen wichtigen Grund, den Vorstellungstermin am 4. Mai 2009 bei der ARGE Mannheim
nicht wahrzunehmen. Es ist nicht glaubhaft, dass er am 30. April 2009 – bei Auszahlung der bewilligten
Bewerbungskosten iHv 168,00 EUR – nicht gewusst hat, dass die Bahnfahrkarte im Tarif "Dauer-Spezial" exakt den
hierfür bewilligten Betrag von 128,00 EUR kostete, und dass es zur Wahrnehmung dieses Sonderpreises erforderlich
war, die Bahnfahrkarte mindestens drei Tage vor Fahrtantritt zu lösen. Dies wäre dem Antragsteller am 30. April 2009
unproblematisch möglich gewesen, denn ihm waren die bewilligten Leistungen bar ausgezahlt worden und der
Hauptbahnhof Magdeburg liegt nach Kenntnis des Senats etwa 150 Meter – ein Fußweg von weniger als fünf Minuten
– vom Sitz der Antragsgegnerin entfernt. Sowohl am 30. April 2009 als auch am 1. Mai 2009 wäre ein Erwerb der
Bahnfahrkarten zu den Bedingungen des Sonderpreistarifs von 128,00 EUR möglich gewesen. Dass dies faktisch
jedenfalls am 30. April 2009 möglich war, weil noch Kontingente vorhanden waren, ergibt sich aus der
Internetrecherche der Antragsgegnerin vom 30. April 2009. Nach deren ausgedrucktem Ergebnis waren Fahrkarten
zum Preis von 128,00 EUR im Sonderpreissegment "Dauer-Spezial" verfügbar. Ausweislich der Internetrecherche der
Antragsgegnerin waren lediglich die besonders günstigen Angebote des Segments "Dauer-Spezial" zum Preis von je
29,00 EUR für Hin- und Rückfahrt nicht (mehr) verfügbar.
Dies entspricht den Erfahrungen der Berichterstatterin mit Buchungen von Bahnfahrkarten. Die besonders günstigen
Tarife von 29,00 bzw. 39,00 EUR pro Fahrt sind bei begehrten Strecken regelmäßig kurz nach Buchbarkeit, 91 Tage
vor dem gewünschten Reisetermin, bereits ausgebucht. Dies gilt jedoch nicht für die anderen Sonderpreise der Bahn
im Seg-ment "Dauer-Spezial", in dem – preislich gestaffelt – weitere Fahrkartenkontingente zu gegenüber dem
Normalpreis 2. Klasse ermäßigten Beträgen erhältlich sind. Die teuerste Variante im Segment "Dauer-Spezial" bzw.
der "Sparpreis 25" ist zumeist noch kurz vor Ablauf der dreitätigen Buchungsfrist erhältlich. Dies ist auch das
Ergebnis einer Kontrollre-cherche vom 16. August 2009 der Berichterstatterin. Danach konnte am Sonntag, den 16.
August 2009, noch für Mittwoch, den 19. August 2009, eine Bahnfahrkarte von Magdeburg nach Mannheim, Abfahrt
Magdeburg 11:00 Uhr, Rückfahrt, Donnerstag, den 20. August 2009, um 8:31 Uhr, zum Preis von 128,00 EUR
gebucht werden. Zudem waren weitere Sonde-rangebote zum Preis von 138,00 EUR und 147,00 EUR (Sparpreis 25)
mit unterschiedlichen Rückfahrmöglichkeiten, jeweils bei Abfahrt ab Magdeburg Hauptbahnhof um 11.00:Uhr möglich.
Unerheblich ist daher der Einwand des Antragstellers, das Kontingent sei am 30. April 2009 schon ausgeschöpft
gewesen. Da er noch nicht einmal behauptet hat, sich vor dem Reisetag um eine solche Fahrkarte bemüht zu haben,
handelt es sich um eine reine Spekulation.
Jedenfalls am 30. April 2009 war der Erwerb einer Fahrkarte für die Bahnfahrt nach Mann-heim zu dem von der
Antragsgegnerin bewilligten Betrag noch möglich. Es war dem An-tragsteller auch zuzumuten, die benötigte
Bahnfahrkarte vorab zu erwerben, um die Bewer-bungskosten gering zu halten.
Weiterhin ist der Senat davon überzeugt, dass die Angaben der Antragsgegnerin im Vermerk der Sachbearbeiterin
vom 27. Mai 2009 zutreffend sind. Sie stellt einen plausiblen Gesche-hensablauf dar. Nachdem der Antragsteller
Fahrkarten zum Preis von 98,00 EUR pro Strecke am 27. April 2009 beantragt hatte, sah sie Anlass zu überprüfen, ob
ein so hoher Aufwand für Bahnfahrt und Übernachtungskosten erforderlich war. Nachdem sie die günstigere
Möglichkeit recherchiert hatte, sprach sie das weitere Vorgehen mit ihrer Teamleiterin ab, die sogleich telefonisch den
Antragsteller über das Ergebnis informierte. Es ist davon auszuge-hen, dass der Antragsteller bei dieser Gelegenheit
nicht nur über die Höhe des bewilligten Betrags für die Fahrkarte und die Hotelübernachtung informiert wurde, sondern
auch darüber, wie sich der Betrag zusammensetzte. Am 30. April 2009 – vermutlich kurz vor Bewilligung und
Auszahlung des Betrags – erfolgte eine erneute Kontrollrecherche seitens der Sachbearbeiterin, um sicherzustellen,
dass der bewilligte Betrag auch aktuell noch ausreichte, um eine Fahrkarte zu erwerben. Es erscheint lebensfremd,
dass die Sachbear-beiterin den Antragsteller bei dieser Gelegenheit nicht über die Gesamtzusammensetzung des
Betrags von 168,00 EUR hinwies. Ihre Angabe, das Ergebnis ihrer Recherche – sowohl hinsichtlich der Bahnfahrkarte
als auch hinsichtlich des Hotels – sei dem Antragsteller in Kopie ausgehändigt worden, gibt dem Senat keinen
Anhaltspunkt davon auszugehen, dass dieses Vorbringen nicht der Wahrheit entsprechen könnte.
Der Senat geht auch davon aus, dass der Antragsteller schon vor dem 30. April 2009 über die Möglichkeiten
preiswerterer Fahrkarten informiert war. Im Rahmen seines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens beim SG hat er
vorgetragen, er habe – was nicht zutrifft – bei der Antragsgegnerin einen Betrag von 235,00 EUR für die Bahnfahrkarte
beantragt, weil dies die höchsten Kosten für eine Fahrt 2. Klasse nach Mannheim und zurück gewesen seien. Aus
dem Vortrag ist erkennbar, dass er sich zuvor über die Fahrpreise bei der Bahn erkundigt hat. Es erscheint völlig
abwegig, dass sich ein gebildeter Mensch bei dieser Gelegenheit nicht über die Höhe der Sonderpreise und deren
Konditionen informiert hat. Der Senat glaubt den dahingehenden Ausführungen des Antragstellers nicht. Der
Antragsteller war zudem in der Lage, selbst im Internet ein ihm genehmes Hotel der gehobenen Mittelklasse für die
bevorstehende Übernachtung auszusuchen. Dieselbe Anstrengung war ihm in Hinblick auf die Verbindungs- und
Fahrpreisrecherche bei der Bahn möglich. Der Senat geht daher davon aus, dass der Antragsteller sich bewusst erst
am Morgen des Vorstellungsgesprächs zum Hauptbahnhof begeben hat, um eine Fahrkarte zu erwerben, obwohl er
wusste, dass zu diesem Zeitpunkt der von der Antragsgegnerin bewilligte Betrag nicht ausreichen würde. Unerheblich
ist daher die Behauptung, die Antragsgegnerin habe ihn am 30. April 2009 gezwungen, einen Blankoantrag
auszufüllen, wobei nachträglich der bewilligte Betrag eingesetzt worden wäre. Es liegt daher eine Pflichtverletzung iSv
§ 31 Abs. 3 iVm Abs. 1 Nr. 1c SGB II vor.
Anhaltspunkte für ein Vorliegen der Voraussetzungen von § 31 Abs. 3 Satz 5 SGB II für eine notwendige
Ermessensausübung liegen nicht vor, denn der Antragsteller hat sich nicht nachträglich bereit erklärt, seinen Pflichten
nachzukommen. Soweit er mit der Begründung, er wolle noch das Vorstellungsgespräch bei der ARGE Mannheim
absolvieren, von der Antragsgegnerin die Bewilligung weiterer Fahrtkosten begehrt (Widerspruchsschreiben vom 28.
Mai 2009), ist dies nach der Überzeugung des Senats nicht die Ankündigung zukünftigen "Wohlverhaltens" (vgl. Rixen
in Eicher/Spellbrink: SGB II, 2. Aufl. 2008, § 31 RN 57a), sondern ein weiterer Versuch, die Antragsgegnerin zur
Bewilligung von weiteren, letztlich unnötigen Leistungen zu bewegen.
Zudem hat die Antragsgegnerin im angegriffenen Bescheid auf die Möglichkeit der Bewilli-gung von Sachleistungen
oder geldwerten Leistungen (Lebensmittelgutscheine) hingewie-sen.
Nach alledem ist die vollständige Versagung der SGB II-Leistungen im Zeitraum vom 1. Juni bis zum 31. August 2009
nicht zu beanstanden. Da der angegriffene Bescheid offensichtlich rechtmäßig ist, überwiegt das Interesse der
Antragsgegnerin am Vollzug der Leistungskür-zung. Besondere Interessen des Antragstellers am Nichtvollzug sind
weder vorgetragen noch ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).