Urteil des LSG Sachsen-Anhalt vom 18.11.2010

LSG San: erwerbsfähigkeit, minderung, körperliche unversehrtheit, gefühl, die post, psychiatrie, hilflosigkeit, trauma, bedingung, form

Landessozialgericht Sachsen-Anhalt
Urteil vom 18.11.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Dessau-Roßlau S 3 U 71/06
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt L 6 U 102/07
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 30 v. H. aus
einem Arbeitsunfall vom ... 2002.
Die 1955 geborene Klägerin war seit Dezember 1990 als Angestellte in einer Postfiliale tätig. Am 3. Mai 2002 erschien
gegen 17 Uhr ein maskierter Täter in der Filiale und bedrohte die Klägerin mit einer Waffe. Diese flüchtete in den von
außen vergitterten Wertraum und schloss sich dort ein. Der Täter sprang über die Schalterbande und versuchte
vergeblich, die verschlossene Tür zu öffnen. Die Klägerin verließ den Wertraum erst, nachdem der Täter die Filiale
verlassen hatte. Sie war bereits am 20. August 2001 Opfer eines Überfalls auf die Postfiliale gewesen.
Die Klägerin suchte am 4. Mai 2002 den Durchgangs- und Oberarzt der Chirurgischen Klinik des Kreiskrankenhauses
F in K. M auf, der berichtete, die Klägerin habe versucht mit der rechten Hand eine Scheibe einzuschlagen. Er
diagnostizierte eine Kontusion der rechten Hand, eine Hautabschürfung des zweiten Fingers rechts sowie eine
reaktive Stresssituation und empfahl eine psychologische Betreuung. Auf eigenen Wunsch habe er der Klägerin, die
ab dem 3. Mai 2002 arbeitsunfähig erkrankt war, ab dem 25. Mai 2002 ohne Behandlungsabschluss die
Arbeitsfähigkeit bescheinigt.
Die Klägerin begab sich daraufhin in Behandlung des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. H., der in seinem
Befundbericht vom 24. Mai 2002 angab, die Klägerin leide nach dem Postüberfall an einer schwerwiegenden
posttraumatischen Belastungsreaktion mit Angst- und Panikstörungen.
Die Beklagte zog weitere Befundberichte bei: Unter dem 10. Juni 2002 führte die praktische Ärztin Dipl.-Med. Z. aus,
die Klägerin leide an einer psychischen Stresssituation, Unruhe, Angst, Schlafstörungen und einem
Erregungszustand. Unter dem 18. Juli 2002 teilte Dipl.-Psych. H. von der Tagesklinik des St. J-Krankenhauses in D.
über den Aufenthalt der Klägerin vom 20. Juni bis 19. August 2002 mit, sie habe berichtet, den ersten Überfall "recht
gut weggesteckt" zu haben. Nach dem zweiten Überfall habe sie unter Ängsten, Schreckhaftigkeit, großer Antriebs-
und Interesselosigkeit, Schlafstörung, großer Grübelneigung und innerer Unruhe gelitten. Sie wirke altersgerecht,
emotional sehr gedrückt, deutlich deprimiert bei diskret ängstlichem Affekt mit Insuffizienzgefühlen in deutlicher
Ausprägung ohne Hinweise für Antriebs- oder psychomotorische Störungen.
Auf Veranlassung der Beklagten nahm der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. Dr. M. unter dem 21.
November 2002 zu der Erkrankung der Klägerin Stellung und führte aus, nach dem ersten Überfall im August 2001 sei
es zu einer akuten und anschließend zu einer posttraumatischen Belastungsreaktion gekommen. Dies habe den
Heilverlauf nach dem zweiten Überfall im Mai 2002 kompliziert und verzögert. Nach dem zweiten Überfall habe
zunächst ebenfalls eine akute Belastungsreaktion bestanden. Nachfolgend sei es zu einer posttraumatischen
Belastungsstörung mit Angst- und Panikstörung gekommen. Es handle sich um eine Angststörung mit allgemeiner
Angstsymptomatik und um eine posttraumatische Belastungsstörung mit konkreter und themenbezogener
Angstsymptomatik, angstbezogenem Vermeidungsverhalten sowie vermehrter affektiver Störbarkeit, Verstimmbarkeit
und Schuld- und Minderwertigkeitsgefühlen.
Der Chefarzt des Fachkrankenhauses für Psychiatrie St. J-Krankenhaus D. Dr. P. berichtete über den stationären und
nachstationären Aufenthalt der Klägerin vom 19. August bis 11. Dezember 2002, im Denken der Klägerin falle eine
starke Einengung auf. Daneben bestehe ein massives Grübeln und Gedankendrängen. Sie habe Ängste beschrieben,
die sich nicht nur auf Situationen in öffentlichen Gebäuden bezogen hätten, sondern auch in für sie offenbar sicheren
Räumen in Erscheinung getreten seien. Diese Ängste seien in Form einer massiven Schreckhaftigkeit sichtbar. Es
bestünden deutliche Schuldgefühle im Hinblick auf die Streichung ihres Arbeitsplatzes und der damit verbundenen
Schließung einer Postfiliale sowie auf die fortbestehende Arbeitsunfähigkeit. Sie sei stark deprimiert, verbunden mit
einer deutlichen Affektstarrheit. Erkennbar seien auch ein mangelndes Krankheitsgefühl sowie eine verminderte
Krankheitseinsicht. Er diagnostizierte eine posttraumatische Belastungsstörung F 43.1 der ICD-10 = Zehnte Revision
der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme der WHO aus
dem Jahre 1989, vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) ins Deutsche
übertragen, herausgegeben und weiterentwickelt).
Über den stationären Aufenthalt vom 7. März bis 4. April 2003 berichtete Dr. P., die Klägerin sei im Februar
zusammengebrochen, habe nicht aufstehen können und sei seitdem arbeitsunfähig. Sie habe keinerlei Lust mehr
verspürt; es habe der Antrieb gefehlt. Ihre Gedanken hätten sich nur noch um die Post gedreht. Sie habe ihre Arbeit
nicht zu ihrer Zufriedenheit erledigt und nicht abschalten können. Sie wirke leidend und ihr Denken sei eingeengt, bei
starkem Grübeln und Kleinheitsgedanken. Sie leide unter starken Phobien, empfinde sich ohne Hoffnung, habe stark
ausgeprägte Insuffizienzgefühle, einen verminderten Antrieb und eine leichte motorische Unruhe. Er diagnostizierte
eine mittelgradige depressive Episode (F 32.1) und eine posttraumatische Belastungsstörung (F 43.1).
Unter dem 19. September 2003 berichtete die Fachärztin für Psychiatrie/Psychotherapie und Chefärztin des
Fachkrankenhauses U. Dipl.-Med. U. über den stationären Aufenthalt der Klägerin im August 2003, die Klägerin sei
mit einer akuten depressiven Symptomatik, mit Angst und Panikattacken, Schlafstörungen und ausgeprägter
Essstörung aufgenommen worden. Die Symptomatik stehe in direktem Zusammenhang mit den Überfällen. Nach
einem Unfall der Tochter im August 2003 habe die Symptomatik erheblich zugenommen. Die Klägerin habe
Unsicherheiten im sozialen Kontakt, Rückzugstendenzen, Versagensängste, Konzentrationsstörungen,
Schlafstörungen und Appetitminderung geschildert und eine latente Suizidalität bestätigt. Sie habe Flash-backs und
Panikzustände beschrieben. Ihr Selbstwert sei in Frage gestellt. Nach den erheblichen Traumatisierungen durch die
Überfälle sei von einer Retraumatisierung durch die Gerichtsverfahren auszugehen. Hier habe die Klägerin erneut
Demütigung, Verunsicherung und somit ähnliche Gefühle, wie in der Traumasituation, erlebt.
In dem Abschlussbericht vom 3. Dezember 2003 ergänzte Dipl.-Med. U., auffällig sei bei der Klägerin eine
psychomotorische Unruhe mit hoher Anspannung und hohem Erregungspotenzial. Informationen über die
zurückliegende Traumatisierung hätten nicht erhoben werden können, weil die Klägerin zunehmend mit Unruhe
reagiert, sehr ängstlich gewirkt und der Verdacht bestanden habe, es folge ein Erregungszustand, der einer Triggerung
des Traumas gleich komme. Sie wirke erschöpft und vorgealtert mit leerem Blick. Sie vermeide häufig den
Blickkontakt.
Auf Veranlassung der Beklagten erstattete der Facharzt für Nervenheilkunde und Chefarzt der neurologischen
Abteilung der Klinik am R Dr. Dr. W. nach Untersuchung der Klägerin am 22. Juni 2004 das Gutachten vom 2. August
2004. Dieser führte aus, bereits nach dem ersten Überfall hätten sich Teilsymptome einer posttraumatischen
Belastungsreaktion gezeigt, die die Klägerin jedoch nicht wahrgenommen bzw. verdrängt habe. Nach dem zweiten
Überfall habe sich eine posttraumatische Belastungsstörung mit überwiegender Angstsymptomatik sowie Auftreten
von Panikattacken entwickelt. Die Stimmungslage sei bei der Untersuchung wechselhaft gewesen. Zum Teil habe die
Klägerin agitiert, deutlich depressiv und im Antrieb deutlich gesteigert gewirkt, insgesamt sehr nervös und unruhig. Sie
habe während des Gesprächs sehr leicht den roten Faden verloren. Die psychische Belastbarkeit sei herabgesetzt.
Die Krankheitseinsicht, das Psychogeneseverständnis und die Introspektionsfähigkeit seien nicht ausgeprägt
gewesen. Die Klägerin leide unter rezidivierend auftretenden depressiven Episoden, gegenwärtig mit mittelgradig
ausgeprägter depressiver Episode mit deutlich agitierten Anteilen. Es bestehe eine Persönlichkeitsstörung mit
anankastischen, selbstunsicheren und abhängigen Anteilen. Eine Teilsymptomatik der posttraumatischen
Belastungsstörung bestehe weiter in der Form eines ausgeprägten Vermeidungsverhaltens der Post und den Kollegen
gegenüber sowie Angst gegenüber Fremden. Die übrige Beschwerdesymptomatik, wie das Vermeiden geselliger
Abende und Schlafstörungen, seien im Rahmen der depressiven Symptomatik einzuordnen. Nach dem 4. Mai 2003
sei von einer Verschiebung der Wesensgrundlage auszugehen, da seitdem die depressive Symptomatik, die sich im
Rahmen der Persönlichkeitsstörung entwickelt habe, deutlich im Vordergrund stehe. Dies werde auch durch die
Einweisung in das Krankenhaus U. im August 2003 wegen einer akut depressiven Symptomatik und Essstörung
deutlich. Bereits vor dem Unfall habe eine psychisch relevante Schadensanlage im Sinne einer besonderen
prätraumatischen Persönlichkeitsstruktur vorgelegen. Die posttraumatische Belastungsstörung bzw. die jetzt noch
bestehende Teilsymptomatik der posttraumatischen Belastungsstörung sei ursächlich auf den Unfall vom 3. Mai 2002
zurückzuführen. Eine sogenannte Gelegenheitsursache habe nicht vorgelegen. Eine vorbestehende Vorerkrankung
bzw. Schadensanlage sei durch das Unfallereignis nicht dauernd bzw. vorübergehend verschlimmert worden. Die
unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit betrage vom 5. Mai 2003 bis 22. Juni 2004 20 v. H., anschließend 10
v. H ...
Auf der Grundlage der klinischen Testverfahren hat die Dipl.-Psych. I. in dem klinisch-psychologischen
Zusatzgutachten vom 8. August 2004 bei der Klägerin eine ausgeprägte Anpassungsstörung, mit Angst und
anhaltender depressiver Reaktion gemischt, beschrieben. Bedingt durch die posttraumatische Belastungsstörung liege
eine phobische Störung mit Neigung zu Zwangsgedanken vor. Eine Somatisierung mit körperlichen Beschwerden sei
nachweisbar. Die Klägerin fühle sich sozial entfremdet und empfinde ihr Verhalten als sozial unangepasst. Es zeige
sich eine instabile Persönlichkeitsstruktur mit vermehrten Abweichungen im Persönlichkeitsfragebogen und deutlichen
Schuldgefühlen, bezogen auf die eigene Leistungsfähigkeit und die allgemeine psychische Stabilität. Im Vergleich zu
den Vorbefunden sei die Klägerin weniger offen und habe das Bedürfnis, Fragen zu ihrer Persönlichkeit sozial
angepasster zu beantworten und sich gleichzeitig als sehr kontrolliert, zurückhaltend und wenig aggressiv zu
beschreiben. Dabei handle es sich um eine "erlernte Hilflosigkeit". Die eigene Beschreibung als "hochängstlich" sei zu
den anderen Befunden kongruent.
Unter dem 6. Oktober 2004 nahm Dipl.-Med. U. zu dem Gutachten von Dr. Dr. W. Stellung: Die depressive
Symptomatik könne keinesfalls als Restsymptomatik bezeichnet werden. Sie sei vielmehr im Rahmen der komplexen
posttraumatischen Belastungsstörung mit einer Chronifizierungstendenz entstanden. Durch die zwei Überfälle lägen
mehrfache Traumatisierungen mit einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung vor. Die Behauptung einer
prätraumatischen Persönlichkeitsstruktur sei sehr vage und eine Verschiebung der Wesensgrundlage nicht
nachvollziehbar. Zwar liege ein Symptomwechsel vor. Dieser sei allerdings auf umfangreiche Behandlungen
zurückzuführen.
Mit Bescheid vom 22. Dezember 2004 erkannte die Beklagte das Ereignis vom 3. Mai 2002 als Arbeitsunfall an,
lehnte es jedoch ab, die ab dem 5. Mai 2003 bestehenden Beschwerden in Form depressiver Beschwerden bei
bestehender Arbeitsunfähigkeit als Folgen des Arbeitsunfalls anzuerkennen. Sie bewilligte der Klägerin vom 5. Mai
2003 bis 22. Juni 2004 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 v. H ... Danach sei die
Erwerbsfähigkeit nicht mehr im rentenberechtigenden Grad gemindert.
Auf den hiergegen erhobenen Widerspruch holte die Beklagte die ergänzende Stellungnahme von Dr. Dr. W. vom 11.
April 2005 ein, der nochmals eine besondere prätraumatische Persönlichkeitsstruktur der Klägerin als
Schadensanlage unterstrich. Im Rahmen der posttraumatischen Belastungsstörung sei eine Angstsymptomatik
aufgetreten, die Teil derselben sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22. Juni 2006 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch der
Klägerin unter Bezugnahme auf die Ausführungen von Dr. Dr. W. zurück.
Mit der am 20. Juli 2006 vor dem Sozialgericht Dessau erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren, über den 22.
Juni 2004 hinaus eine Verletztenrente zu erhalten, weiter verfolgt.
Das Sozialgericht hat den Leitenden Psychologen der Berufsgenossenschaftlichen Kliniken B. Dr. U. mit der
Erstattung des Gutachtens vom 24. Januar 2007 beauftragt. Dieser hat ausgeführt, während der psychologischen
Exploration habe die Klägerin mehrfach den Kontakt abgebrochen und geweint. Hierbei habe sich eine extrem
ängstliche und vermeidende Grundhaltung gezeigt. Die posttraumatische Belastungsstörung der Klägerin sei auf die
Überfälle zurückführbar. Aufgrund der prämorbiden unauffälligen psychischen Situation sei das Überfallereignis
wesentliche Ursache der psychischen Gesamtsituation der Klägerin. Die jetzt vornehmlich depressive Stimmungslage
könne als komorbide Störung zur ursprünglichen posttraumatischen Belastungsstörung im Sinne der Störung des
Affekts verstanden werden. Die primäre Störung im Sinne der posttraumatischen Belastungsstörung sei durch
Nachhallerinnerungen an die Überfallgeschehnisse bzw. durch eine gravierende Übererregung sowie ein ausgeprägtes
Vermeidungsverhalten mit Generalisierungstendenz gekennzeichnet. Anhand der psychometrischen Verfahren habe
die Belastetheit der Klägerin festgestellt werden können. Die komorbide Störung im Sinne der Depression sei vor
allem im Fragebogen Beck-Depressions-Inventar und Brief-Symptom-Inventory deutlich geworden. Im Gegensatz zur
Ansicht von Dr. Dr. W. könne eine Verschiebung der Wesensgrundlage für die jetzige psychoreaktive Störung nicht
gefunden werden. Bei einem Drittel der Personen mit posttraumatischer Belastungsstörung sei ein chronischer Verlauf
zu erwarten; je schwerer die anfänglichen Symptome, um so höher sei das Risiko eines chronischen Verlaufs. Hier
sei vor allem das zweite Überfallgeschehen zu nennen, nach dem die Klägerin nur kurzzeitig wieder arbeitsfähig
geworden sei und dann dekompensiert habe. Die Klägerin habe auch nach therapeutischer Behandlung weiterhin eine
generalisierte Vermeidungshaltung gezeigt. Eine vorhandene Gesundheitsstörung oder anlagebedingte Anomalie sei
durch das Ereignis vom 20. August 2001 nicht richtungsgebend verändert worden. Das Ereignis vom 20. August 2001
habe zu keiner Minderung der Erwerbsfähigkeit geführt. Aufgrund des zweiten Überfalls sei die Minderung der
Erwerbsfähigkeit ab 3. Mai 2002 mit 30 v. H. zu bewerten. Die Klägerin sei infolge des zweiten Überfalls in ihrer
Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, insbesondere in ihren sozialkommunikativen Fähigkeiten, wesentlich
eingeschränkt.
Die Beklagte hat zu dem Gutachten von Dr. U. die beratungsärztliche Stellungnahme des Neurologen und Psychiaters
Prof. Dr. S. vom 26. Februar 2007 vorgelegt. Dieser hat ausgeführt, die von Dr. U. gestellten Diagnosen einer
posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer depressiven Störung seien nicht nachvollziehbar. Diese seien
weder aus der Beschwerdeschilderung noch aus der Befunderhebung herzuleiten. Die von Dr. U. eingesetzten
psychologischen Verfahren - insbesondere die Impact of Event-Skala - seien für eine gutachtliche Befunderhebung
ungeeignet, weil es sich um Selbstbeschreibungsverfahren handle. Die beiden Überfälle hätten zu einer
Anpassungsstörung im Sinne einer vorübergehenden psychischen Reaktion geführt. Die Befunde zeigten keine
wesentlichen Gesundheitsstörungen nach dem 22. Juni 2004. Der zweite Überfall sei nur bedingt als Ursache einer
posttraumatischen Belastungsstörung geeignet. Die Konfrontation mit dem Täter sei nur kurz gewesen, die Klägerin
sei weder von dem Täter verletzt, noch gefesselt, noch über eine längere Zeit bedroht oder beispielsweise als Geisel
genommen worden. Die Klägerin sei umsichtig gewesen. Die Schilderung des Vorfalles habe keine Hinweise auf einen
abnormen Erregungszustand gezeigt. Daher fehle es an dem A2-Kriterium (nach dem DSM-IV = Diagnostisches und
statistisches Manual psychischer Störungen der Amerikanischen psychiatrischen Vereinigung aus dem Jahre 1994,
deutsche Bearbeitung herausgegeben von Saß/Wittchen/Zaudig, abgedruckt in Ludolph/Schürmann/Gaidzik,
Kursbuch der ärztlichen Begutachtung, Stand Juli 2010, Abschnitt VI-2.9.1) für die Diagnose einer posttraumatischen
Belastungsstörung. Zudem fehle es an einem andauernden intensiven Wiedererleben des Vorfalls, an Flashbacks, an
Hinweisen für dissoziative Erlebnisweisen oder dissoziative Gedächtnisstörungen und an einer Dokumentation von
Schweißabsonderungen, der Hautfarbe, von Phänomenen motorischer Erregung, eines gesteigerten Reflexniveaus
oder des Blutdrucks. Es bestünde kein wesentliches angstgeprägtes Vermeidungsverhalten gegenüber Reizen, die
thematisch mit dem Vorfall assoziiert würden. Die Klägerin habe vielmehr ihre Tätigkeit wiederholt ohne
Angstattacken aufgenommen. Simulation und Aggravation habe der Gutachter nicht untersucht. Auch seien die
Kriterien einer depressiven Störung nicht dokumentiert. Die Selbstzweifel und eine ängstliche Grundstimmung seien
lediglich einer depressiven Grundstimmung zuzurechnen. Die Angstneigung der Klägerin sei differentialdiagnostisch
nicht von einer Phobie, einer generalisierten Angststörung oder einer selbstunsicheren Persönlichkeit abgegrenzt.
Allerdings sei eine prätraumatische Schadensanlage wesentlicher Ausprägung - wie sie Dr. Dr. W. gesehen habe -
nicht zu erkennen. Denn psychotherapeutische und nervenärztliche Behandlungen vor den Überfällen seien nicht
dokumentiert. Im Übrigen habe Dr. U. den Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht begründet.
Mit Urteil vom 11. Juli 2007 hat das Sozialgericht Dessau-Roßlau die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab 23. Juni
2004 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 30 v. H. zu zahlen. Zur Begründung hat es
im Wesentlichen ausgeführt, Dr. H. habe eine schwerwiegende posttraumatische Belastungsreaktion mit Angst- und
Panikstörungen beschrieben. Dr. Dr. W. habe rezidivierend auftretende depressive Episoden mit Somatisierung, eine
Persönlichkeitsstörung mit anankastischen, selbstunsicheren und abhängigen Anteilen und eine Restsymptomatik
einer posttraumatischen Belastungsstörung diagnostiziert. Dr. U. beschreibe eine chronifizierte posttraumatische
Belastungsstörung. Das Krankheitsbild der generalisierten Angststörung sei durch anhaltende Ängste charakterisiert,
die nicht auf bestimmte Auslösesituationen in der Umgebung beschränkt seien. Zur wechselhaft ausgeprägten
Symptomatik gehörten Befürchtungen, motorische Spannungszustände und vegetative Übererregbarkeit. Dieses
Krankheitsbild liege bei der Klägerin immer noch vor. Die Angststörungen wirkten sich auf die Aufmerksamkeit, die
psychomotorische Aktivität, die Kommunikationsfähigkeit, die Flexibilität, die Zielorientierung, Ausdauer, Sorgfalt und
Selbstständigkeit erheblich aus. Der hiermit verbundene soziale Rückzug schließe die Klägerin von der Teilhabe an
vielen beruflichen und außerberuflichen Aktivitäten aus. Die posttraumatische Belastungsstörung habe sich nicht auf
eine Restsymptomatik zurückgebildet. Vielmehr leide die Klägerin weiterhin hieran. Während ihres stationären
Aufenthalts in dem Fachkrankenhaus U. sei sie wegen einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung bei
depressiv strukturierter Persönlichkeitsstruktur behandelt worden. Die chronische posttraumatische
Belastungsstörung sei auf den zweiten Überfall zurückzuführen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit sei mit 30 v. H.
zu bewerten.
Gegen das am 14. August 2007 zugegangene Urteil hat die Beklagte am 27. August 2007 Berufung eingelegt. Sie ist
der Auffassung, bei der Klägerin liege keine chronische posttraumatische Belastungsstörung vor. Zwar sei es durch
das Unfallereignis zu einer Verschlimmerung einer anlagebedingten Vorschädigung gekommen, die aber kurze Zeit
nach dem zweiten Unfallereignis wieder rückläufig gewesen sei. Bei der Klägerin liege eine besondere prätraumatische
Persönlichkeitsstruktur vor. Es sei zu einer Verschiebung der Wesensgrundlage gekommen, da sich im Laufe der Zeit
die unfallbedingten Folgeerscheinungen hinter die anlagebedingten Beschwerdesymptome vollständig zurückgebildet
hätten. Es fehlten Anzeichen für außergewöhnliche Reaktionen der Klägerin wie Angst, Horror oder Verwirrtheit (A2-
Kriterium). Die Konfrontation mit dem Täter sei nur von kurzer Dauer gewesen und es habe keine zusätzliche
Krafteinwirkung oder Bedrohung stattgefunden. Die Klägerin habe sich besonnen verhalten, was eine besondere
geistige Verwirrtheit ausschließen lasse. Bei der drei Tage nach dem Ereignis stattgehabten ärztlichen Untersuchung
sei keine besondere Verstörtheit oder Auffälligkeit der Klägerin zu erkennen gewesen. Auch die B-Kriterien für eine
posttraumatische Belastungsstörung (andauerndes intensives Wiedererleben des Überfalls) seien nicht erfüllt. Die
Klägerin habe keine Albträume oder Angstausbrüche beschrieben. Ebenso wenig lägen die C- und D-Kriterien vor, da
keine dissoziativen Erinnerungsstörungen oder Erlebnisstörungen, ein Gefühl der Entfremdung von anderen Menschen
oder ähnliche Symptome geltend gemacht würden. Bei der Klägerin sei eindeutig von einer depressiv strukturierten
Persönlichkeitsstruktur auszugehen. Das Vermeidungsverhalten der Klägerin lasse sich nicht auf das Unfallereignis
zurückführen. Für die depressive Verstimmung der Klägerin sei nicht das erlittene Unfallereignis maßgeblich gewesen,
sondern vielmehr die erlittene Kränkung im Rahmen eines Gerichtsverfahrens. Die anfänglich diagnostizierte
Stresssituation zeige sich rückläufig. In den unfallnahen Schilderungen und Berichten ließen sich keine Anzeichen für
Flashbacks, verstärkte Schweißausbrüche oder ein wesentlich angstgeprägtes Vermeidungsverhalten erkennen. Zu
dem von dem Landessozialgericht von Dr. P. eingeholten Gutachten hat sich die Beklagte im Wesentlichen auf die
Stellungnahme von Prof. Dr. S. vom 29. September 2009 berufen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 11. Juli 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin hat im Wesentlichen ausgeführt, sie leide an einer chronischen posttraumatischen Belastungsstörung,
welche sie in ihrem täglichen Leben stark beeinträchtige und mit einer ausgeprägten Minderung der Erwerbsfähigkeit
einhergehe. Die Kriterien der posttraumatischen Belastungsstörung lägen nach den zutreffenden Ausführungen von
Dr. P. vor. Anlagebedingte Vorschädigungen, wie eine prätraumatische Persönlichkeitsstruktur, hätten nicht
bestanden. Auch liege keine Verschiebung der Wesensgrundlage vor. Horror und Verwirrtheit seien für eine
posttraumatische Belastungsstörung nicht erforderlich. Vielfach äußere sich das Erlebte auch durch ein
Insichgekehrtsein, große Ängstlichkeit oder Traurigkeit im täglichen Leben. Sie erlebe das ihr Wiederfahrene täglich
neu. Sie habe sich auch bereits von anderen Mitmenschen abgewandt. Psychische Beschwerden habe sie vor den
Überfällen keine gehabt. Bei ihr seien nach den Überfällen sehr wohl Beklemmungsgefühle, Schweißausbrüche und
Herzklopfen festgestellt worden. Insbesondere leide sie an Ruhelosigkeit und der Unfähigkeit zum Entspannen. Sie
unterliege einer ständigen psychischen Anspannung. Auch träten bei ihr Albträume auf. Sie habe vor allem in
Posträumen oder ähnlichen Räumlichkeiten Angstzustände, insbesondere dann, wenn keine Fluchtmöglichkeit
bestehe. Die Angstausbrüche äußerten sich in Zittern, Weinen oder besonderer Schreckhaftigkeit. Ihr Zustand habe
sich seit dem zweiten Überfall verschlechtert.
Das Landessozialgericht hat weitere Befundberichte von Dipl.-Med. U. vom 23. Februar 2009, von Dr. H. vom 4. März
2009 und von der Gemeinschaftspraxis Dipl.-Med. W ... M. vom 20. März 2009, dem ein Bericht des
Fachkrankenhauses V-G beigefügt war, eingeholt. Ferner hat es die Entlassungsberichte des Fachkrankenhauses U.
(Dipl.-Med. U.) vom 10. Januar 2005 und die ärztlichen Gutachten von der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie
Dr. K. vom 9. August 2007 und der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S. vom 10.
November 2008, beide erstellt für die Deutsche Rentenversicherung Bund, erhalten. Insoweit wird auf Blatt 168 bis
194 der Gerichtsakte verwiesen.
Das Landesozialgericht hat ferner die Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. P. mit der
Erstattung des Gutachtens vom 8. August 2009 beauftragt. Diese hat bei der Klägerin eine chronifizierte
posttraumatische Belastungsstörung (F 43.1) und eine regressiv-abhängige Persönlichkeitsstruktur (F 60.7)
diagnostiziert. Die Unfälle seien als ein auslösendes traumatisches Ereignis bzw. eine Situation außerordentlicher
Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes anzusehen. Dieses Ereignis sei durch seine Intensität, die
Unfähigkeit der Klägerin darauf adäquat zu reagieren, die Erschütterung und die dauerhaften pathogenen Wirkungen
definiert. Durch den ersten Überfall, bei dem sie den Täter erkannt hatte, sei ihr Weltbild zusammengestürzt. Sie habe
sich aber wieder gefangen. Nachdem sie sich beim zweiten Überfall im Nebenraum eingeschlossen hatte, habe sie
zwischen dem Klopfen und Hämmern des Täters und der Erlösung durch die Polizei ein Gefühl der Hilflosigkeit, ein
Ausgeliefertsein verspürt. Weil das Fenster vergittert gewesen sei, habe sie aus dem Nebenraum nicht entweichen
können, was sich in wiederkehrenden Erlebnissen, z. B. bei der Zollabfertigung, niedergeschlagen und zu Panik und
Ängsten geführt habe. Wenn auch nicht abzugrenzen sei, inwieweit die in der Persönlichkeit der Klägerin liegende
Regressionsbereitschaft und Zwanghaftigkeit Anteil an der Erlebnisverarbeitung der Überfälle gehabt habe, so seien
die nachfolgenden Ereignisse - die stationären Aufenthalte, die Depression und die Gewichtsabnahme - nicht ohne die
Überfälle zu erklären. Einerseits habe die Klägerin noch während der Krankschreibung versucht, wieder an den
Arbeitsplatz zurück zu kehren. Andererseits seien die chronischen Folgen der Unfälle fortgeschritten; so habe sie
während der Untersuchung aufdrängende Erinnerungen an das Trauma (die Rasur des ersten Täters auf der Kopfhaut,
der springende schwarze Schatten beim zweiten Überfall) gehabt. Sie leide bei der Darstellung der Tathergänge unter
Erinnerungslücken, vermenge deutlich Bilder, leide unter Albträumen mit stereotypen Abläufen und Angst. Bei der
Klägern lägen Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung vor, wie sich aufzwingende Rückerinnerungen,
partielle Amnesien, Übererregungszustände, Schreckhaftigkeit, vermehrte Reizbarkeit, deutliche
Konzentrationsstörungen, ausgeprägtes Vermeidungsverhalten, sozialer Rückzug und Interessenverlust. Sie leide
ferner unter Schlafstörung und Intoleranz gegenüber anderen Menschen. Sie lebe in sozialer Isolierung und mit
Vermeidungsverhalten, halte sich überwiegend in ihrem Haus auf, sei nur begrenzt wegefähig, ziehe sich zurück und
sei interesse- und antriebslos. Das Ausmaß des klinischen Bildes sei eindeutig und die Biografie vor den Überfällen
ohne psychische Besonderheiten. Die in der ländlichen Bevölkerung bestehende typische starke Regressions- und
Anpassungsbereitschaft der Generationen untereinander sei nicht krankhaft und habe bisher zu keinem Problem
geführt. Deshalb müsse man die jetzt bestehenden psychischen Veränderungen als Traumafolgen anerkennen.
Die Sachverständige hat weiter ausgeführt, der zweite Überfall sei geeignet gewesen, eine chronifizierte
posttraumatische Belastungsstörung herbeizuführen. Die Klägerin sei aber eher eine regressive, anpassungsbereite,
gewissenhafte Persönlichkeit, die immer durch ihre Anpassungsbereitschaft gelebt und überlebt habe. Für sie sei das
Vertrauen in andere Menschen erschüttert und sie stehe seitdem immer unter Druck und Angst. Vor dem Ereignis
habe keine Gesundheitsstörung oder anlagebedingte körperliche Anomalie vorgelegen, die richtunggebend
verschlimmert worden sei. Für die Gesundheitsstörungen könnten keine weiteren nachweisbaren Ursachen genannt
werden. Die Regressions- und Anpassungsbereitschaft der Klägerin an Ordnung und Struktur seien Teilursachen für
die Gesundheitsstörungen. Die jetzt vorliegenden Depressionen und phobischen Störungen mit wesentlichen
Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, inklusive Flashbacks, Intrusionen und sozialen Ängsten,
gehörten zu den stärkeren Störungen psychischer Traumen mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 40 v. H ...
Die Minderung der Erwerbsfähigkeit habe zuvor etwa 30 v. H. betragen. Die Klägerin sei jedoch im Laufe der Jahre
immer eingeschränkter und depressiver geworden, ohne endgültigen Stillstand. Sie sei nie zur Ruhe gekommen.
In seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 29. September 2009 hat Prof. Dr. S. ausgeführt, die
Sachverständige Dr. P. beschreibe Flashbacks der Klägerin, die keine seien. Soweit sich die Klägerin an den
rasierten Schädel des Täters erinnere, handle es sich nicht um ein Flashback. Ein Vermeidungsverhalten der
Klägerin, über die Vorfälle zu reden, oder eine wesentliche psychische oder vegetative Reaktion bei der
Berichterstattung seien nicht beschrieben. Die Erhebungen zur posttraumatischen Belastungsstörung seien in dem
Gutachten unvollständig. Der zweite Überfall sei nur bedingt geeignet gewesen, als A1-Kriterium gewertet zu werden.
Das A2-Kriterium sei ebenfalls nicht erfüllt. Der Kontakt mit dem Täter sei nur kurz gewesen. Die Klägerin sei weder
verletzt noch gefesselt noch über längere Zeit bedroht oder als Geisel genommen worden. Sie habe sich vielmehr
umsichtig verhalten. Sie habe den Vorfall bei den wiederholten Untersuchungen eingehend und ohne Hinweise für
einen abnormen Erregungszustand geschildert. Unklar sei, ob Befunde für B-Kriterien erhoben worden seien. Während
der stationären Behandlung seien weder Beobachtungen mitgeteilt, die für das Auftreten tagsüber einsetzender
intensiver Rückerinnerungen sprächen, noch seien Schlafstörungen mit entsprechenden mehrfachen Albträumen
dokumentiert. Die C-Kriterien - ein Vermeidungsverhalten, eine nichtorganisch bedingte Gedächtnisstörung und ein
wesentlicher Verlust normaler Aktivitäten - und D-Kriterien - vegetative Übererregbarkeit, Konzentrations- und
Schlafstörungen - seien nicht gesichert. Nach den Befunden bestehe kein vermehrtes vegetatives Arousal. Zum
Ausschluss von Simulation und Aggravation habe die Sachverständige nichts erfasst. Zudem fehlten Ausführungen
zur Kausalität. Die von Dr. P. diagnostizierte "aggressiv auffällige Persönlichkeitsstruktur" (F 60.7) existiere im
medizinischen Schrifttum nicht. Worauf die vorgeschlagene unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit gründe,
habe die Sachverständige nicht mitgeteilt.
Das Landessozialgericht hat die Akten des Sozialgerichts Dessau-Roßlau mit den Aktenzeichen S 3 U 70/06 und S 9
R 500/05 beigezogen.
Dem Landessozialgericht hat bei der Verhandlung und Entscheidungsfindung die Verwaltungsakte der Beklagten mit
dem Aktenzeichen vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, form- und fristgerecht eingelegte (§
151 Abs. 1 SGG) sowie auch ansonsten zulässige Berufung ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 22.
Dezember 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Juni 2006 verletzt die Klägerin in ihren Rechten
im Sinne von §§ 157, 54 SGG, soweit die Beklagte die ab dem 5. Mai 2003 bestehenden depressiven Beschwerden
der Klägerin nicht als Folgen des Arbeitsunfalls vom 3. Mai 2002 angesehen und die Bewilligung einer Verletztenrente
über den 22. Juni 2004 hinaus abgelehnt hat. Die Klägerin hat aus dem Arbeitsunfall vom 3. Mai 2002 vom 23. Juni
2004 an einen Anspruch auf die Gewährung einer Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 30 v.
H ...
Ein Anspruch auf eine Verletztenrente setzt gemäß § 56 Abs. 1 S. 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB
VII) voraus, dass die Erwerbsfähigkeit des Versicherten infolge des Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem
Versicherungsfall hinaus um mindestens 20 v. H. gemindert ist. Nach § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII richtet sich die
Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und
geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des
Erwerbslebens. Die Bemessung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit ist eine Feststellung, die das Gericht
gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen
Überzeugung unter Berücksichtigung der in Rechtsprechung und im einschlägigen Schrifttum herausgearbeiteten
allgemeinen Erfahrungssätze trifft, die in Form von Tabellenwerten oder Empfehlungen zusammengefasst sind (siehe
etwa bei Kranig in: Hauck/Noftz, SGB VII, Stand März 2010, K § 56, Anhang V). Diese sind zwar nicht für die
Entscheidung im Einzelfall bindend. Sie bilden aber die Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der
Minderung der Erwerbsfähigkeit in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und sind die Basis für den Vorschlag,
den der medizinische Sachverständige dem Gericht zur Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit unterbreitet (vgl. nur
Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 18. März 2003 - B 2 U 31/02 R - Breithaupt 2003, 565 ff.; Urteil vom 22. Juni
2004 - B 2 U 14/03 R - SozR 4-2700 § 56 Nr. 1).
Ausgehend hiervon lassen die Unfallfolgen eine Bemessung mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 30 v. H. zu.
Dabei folgt der Senat im Ergebnis den Sachverständigen Dr. U., der die Minderung der Erwerbsfähigkeit mit 30 v. H.
eingeschätzt hat, und Dr. P., die mit der Empfehlung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 40 v. H. über das
Klageziel hinaus gegangen ist. Der Empfehlung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 30 v. H. schließt sich der
Senat an. Sie bewegt sich in der Bandbreite der einschlägigen Erfahrungswerte.
Während die Kontusion der rechten Hand, die sich die Klägerin bei dem von der Beklagten als Arbeitsunfall
anerkannten Überfall vom 3. Mai 2002 zugezogen hat, folgenlos ausgeheilt ist, leidet die Klägerin auch über den 22.
Juni 2004 hinaus weiterhin an einer durch den Überfall verursachten posttraumatischen Belastungsstörung.
Während für die Beurteilung des kausalen Zusammenhangs zwischen dem Arbeitsunfall und der Gesundheitsstörung
der Beweismaßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit gilt, muss die Gesundheitsstörung mit an Gewissheit
grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein. Dieser Beweisgrad ist erfüllt, wenn kein vernünftiger, die
Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch noch zweifelt, wenn also das Gefühl des Zweifels beseitigt ist (siehe
BSG, Urteil vom 27. Juni 2006 - B 2 U 5/05 R - SozR 4-5671 § 6 Nr. 2). Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs ist
in Würdigung der vorliegenden Anknüpfungstatsachen eine posttraumatische Belastungsstörung vollbeweislich
gesichert.
Ebenso wie bei sonstigen Gesundheitsstörungen ist auch für die Anerkennung psychischer Erkrankungen als
Unfallfolgen Voraussetzung, dass die Erkrankungen, die bei dem Verletzten vorliegen und seine Erwerbsfähigkeit
mindern, konkret festgestellt werden. Eine solche Feststellung ist nicht nur allgemein vorzunehmen, sondern hat
aufgrund eines der üblichen Diagnosesysteme - der ICD-10 oder der DSM-IV - und unter Verwendung der dortigen
Schlüssel und Bezeichnungen zu erfolgen, um nachvollziehbar zu sein. Denn je genauer und klarer die bei dem
Versicherten bestehenden Gesundheitsstörungen bestimmt sind, um so einfacher sind ihre Ursachen zu erkennen und
zu beurteilen sowie letztlich die Minderung der Erwerbsfähigkeit zu bewerten (siehe BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2
U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17).
Die Beklagte ist in ihrem Bescheid vom 22. Dezember 2004 unter Hinweis auf das Gutachten von Dr. Dr. W. davon
ausgegangen, dass die Klägerin nach dem zweiten Überfall bis zum 22. Juni 2004 - dem Untersuchungstag bei Dr. Dr.
W. - an einer posttraumatischen Belastungsstörung gelitten hat, von der nach dem Untersuchungstag nur noch eine
Restsymptomatik verblieben sein soll.
Nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. P. und Dr. U. leidet die Klägerin über den 22. Juni 2004 hinaus noch
heute an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Die für die Feststellung einer posttraumatischen
Belastungsstörung erforderlichen Kriterien der DSM-IV sind ab dem 23. Juni 2004 auch weiterhin erfüllt. Diese lauten
wie folgt (nach Ludolph/Schürmann/Gaidzik, a.a.O., Abschnitt VI-2.9.1):
Die Person wurde mit einem traumatischen Ereignis konfrontiert, bei dem die beiden folgenden Kriterien vorhanden
waren:
Die Person erlebte, beobachtete oder war mit einem oder mehreren Ereignissen konfrontiert, die tatsächlichen oder
drohenden Tod oder ernsthafte Verletzung oder eine Gefahr der körperlichen Unversehrtheit der eigenen Person oder
anderer Personen beinhalteten.
Die Reaktionen der Person umfassten intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen.
Das traumatische Ereignis wird beharrlich auf mindestens eine der folgenden Weisen wiedererlebt:
Wiederkehrende und eindringliche belastende Erinnerungen an das Ereignis, die Bilder, Gedanken oder
Wahrnehmungen umfassen können.
Wiederkehrende belastende Träume von dem Ereignis.
Handeln oder Fühlen, als ob das traumatische Ereignis wiederkehrt (beinhaltet das Gefühl, das Ereignis
wiederzuerleben, Illusionen, Halluzinationen und dissoziative Flashback-Episoden, einschließlich solcher, die beim
Aufwachen oder bei Intoxikationen auftreten).
Intensive psychische Belastung bei der Konfrontation mit internalen oder externalen Hinweisreizen, die einen Aspekt
des traumaspezifischen Ereignisses symbolisieren oder an Aspekte desselben erinnern.
Körperliche Reaktionen bei der Konfrontation mit internalen oder externalen Hinweisreizen, die einen Aspekt des
traumatischen Ereignisses symbolisieren oder an Aspekte desselben erinnern.
Anhaltende Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma verbunden sind, oder eine Abflachung der allgemeinen
Reagibilität (vor dem Trauma nicht vorhanden). Mindestens drei der folgenden Symptome liegen vor:
Bewusstes Vermeiden von Gedanken, Gefühlen oder Gesprächen, die mit dem Trauma in Verbindung stehen.
Bewusstes Vermeiden von Aktivitäten, Orten oder Menschen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen.
Unfähigkeit, einen wichtigen Aspekt des Traumas zu erinnern.
Deutlich vermindertes Interesse oder verminderte Teilnahme an wichtigen Aktivitäten.
Gefühl der Losgelöstheit oder Entfremdung von anderen.
Eingeschränkte Bandbreite des Affekts (z. B. Unfähigkeit, zärtliche Gefühle zu empfinden).
Gefühl einer eingeschränkten Zukunft (z.B. erwartet nicht, Karriere, Ehe, Kinder oder normal langes Leben zu haben).
Anhaltende Symptome erhöhten Arousals (vor Trauma nicht vorhanden). Mindestens zwei der folgenden Symptome
liegen vor:
Schwierigkeiten ein- oder durchzuschlafen.
Reizbarkeit oder Wutausbrüche.
Konzentrationsschwierigkeiten.
Übermäßige Wachsamkeit (Hypervigilanz).
Übertriebene Schreckreaktion.
Das Störungsbild (Symptome unter Kriterium B, C und D) dauert länger als einen Monat.
Das Störungsbild verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen
oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.
Die posttraumatische Belastungsstörung ist neben den Stressor-Kriterien (A-Kriterien) drei Clustern zugeordnet:
Intrusionen (B-Kriterien), Vermeidungsverhalten (C-Kriterien) und Hyperarousal (D-Kriterien) (Foerster, Die
psychoreaktiven Störungen - auch außerhalb der Begutachtung ein häufig schwieriges Thema, Med Sach 106, 2010,
16, 18). Diese Symptome lagen bei der Klägerin vor.
Der Überfall vom 3. Mai 2002 war geeignet, eine posttraumatische Belastungsstörung bei der Klägerin auszulösen
(A1-Kriterium). Auch hat die Klägerin auf das Ereignis mit intensiver Furcht und Hilflosigkeit reagiert (A2-Kriterium).
Die Beklagte geht in ihrem Bescheid vom 22. Dezember 2004 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 22.
Juni 2006 selbst von einer durch den Überfall am 3. Mai 2002 hervorgerufenen posttraumatischen Belastungsstörung -
wenn auch über den 5. Mai 2003 nur als Restsymptomatik bestand - aus. Die von Prof. Dr. S. geäußerten Bedenken,
das A1-Kriterium sei nur bedingt und das A2-Kriterium nicht erfüllt, teilt der Senat nicht. Durch den Überfall vom 3.
Mai 2002 war die Klägerin mit einem Ereignis konfrontiert, welches eine ernsthafte Gefahr für die körperliche
Unversehrtheit beinhaltete. Der Täter hat noch versucht, die Tür zu dem Nebenraum, in dem sich die Klägerin
aufgehalten hat, aufzubrechen. Wäre ihm dies gelungen, wäre nicht nur die körperliche Unversehrtheit der Klägerin in
Gefahr gewesen, sondern auch ihr Leben. Auch hat die Klägerin durchgehend gegenüber den behandelnden Ärzten
und Gutachtern berichtet, sie habe während des Überfalls panische Angst gehabt. So hat Dr. P. vermerkt, die Klägerin
sei bereits in Panik verfallen, als das von ihr aufgestellte Zeitlimit zwischen dem Betreten des Gebäudes durch die
Außentür und dem Erscheinen des Täters in der Innentür, überschritten worden sei. Sie habe panische Angst
ergriffen, als der Täter versucht hat, die Tür zum Nebenraum einzutreten und sie gemerkt hat, dass das Außenfenster
vergittert war. Auch gegenüber Dr. P. hat sie berichtet, sie habe Angst gehabt, der Täter werde die Tür aufbrechen.
Hierin wird eine intensive Furcht der Klägerin deutlich. Gegenüber Dr. U. hat sie berichtet, als der Täter versucht hat,
in den Nebenraum zu gelangen, seien ihre Gedanken kreisend aufgetreten "ich komme hier nicht raus". Hierin kommt
eine Hilflosigkeit der Klägerin gegenüber dem Umstand zum Ausdruck, den Raum nicht verlassen zu können und dem
Täter möglicherweise erneut ausgesetzt zu sein, wenn die Tür seinen Tritten nicht standgehalten hätte. Die
schreckbedingte Verwirrung kommt darin zum Ausdruck, dass die Klägerin trotz des vorhandenen Fenstergitters so
nachdrücklich versucht hat, die Scheibe des Nebenraumes einzuschlagen, dass sie sich dabei verletzt hat.
Die Klägerin hat das traumatische Ereignis vom 3. Mai 2002 mindestens auf eine der in den Kriterien B1 bis B5
beschriebenen Art regelmäßig wieder erlebt. So hat sie gegenüber Dr. U. geschildert, nachts bei Schlaflosigkeit würde
sie häufig die Überfallereignisse vor dem inneren Auge sehen (B1). Bei der Präsentation von Überfallereignissen in
Fernsehsendungen zeige sie eine erhebliche Anspannung (B4). Auch hat sie bei der Begutachtung durch Dr. U. bei
der Schilderung des Überfallereignisses eine erhebliche psychische Anspannung gezeigt und musste durch eine Re-
Orientierung bezüglich des Aufenthalts im Untersuchungsraum stabilisiert werden. Dr. P. berichtet von
wiederkehrenden Erlebnissen der Klägerin mit einem Gefühl der Hilflosigkeit, als z. B. ihr Ehemann und ihre Freundin
bei der Zollabfertigung auf dem Flughafen im Jahr 2009 plötzlich verschwunden waren und sie das Gefühl hatte, sie
sei eingesperrt (B3) und einen Affektdurchbruch (Angst und Panik) erlitten hat (B5). Auch hatte sie während des
Untersuchungsgesprächs aufdrängende Erinnerungen an den zweiten Überfall, wie den springenden schwarzen
Schatten (B1).
Bei der Klägerin liegen auch mindestens drei Symptome der Kriterien C1 bis C7 vor. Dr. P. hat ein
Vermeidungsverhalten der Klägerin beschrieben, Orte allein aufzusuchen, die sie an die Überfälle erinnern. So
vermeidet es die Klägerin ohne Begleitung ihres Ehemannes eine Kaufhalle, eine Postfiliale oder ein Geldinstitut
aufzusuchen. Dr. P. berichtet, die Klägerin habe die Schilderung der Geschehnisse an der Kasse der Kaufhalle
abgebrochen und über den ersten Täter mit rasierten Streifen am Schädel in der Glatze gesprochen. Dabei ist die
Erinnerung immer wieder hochgekommen und sie war erregt. Die Schilderung der Kassensituation hat sie
offensichtlich nicht wieder aufgenommen. Dabei handelt es sich um Symptome der Kriterien C1 und C2. Für ein
solches Vermeidungsverhalten spricht auch das Scheitern der Wiedereingliederung der Klägerin nach dem H.er Modell
mit zwei bis drei Stunden täglicher Arbeitszeit im Januar 2003, obgleich sie wieder arbeiten wollte. Dr. P. hat ferner
über Erinnerungslücken der Klägerin bei der Schilderung beider Überfälle berichtet, wobei die Klägerin deutlich Bilder
vermengt und an einer partiellen Amnesie leidet. Dies sind Symptome des Kriteriums C3. Auch hat Dr. P. in dem
Verhalten der Klägerin, sich von anderen Menschen zurück zu ziehen und ihrer Interesselosigkeit, an Veranstaltungen
teilzunehmen, eine soziale Isolierung ausgemacht, wobei es sich um Symptome des Kriteriums C4 handelt. Auch Dr.
U. hat von erheblichen Rückzugstendenzen der Klägerin berichtet.
Die Klägerin zeigt auch mindestens zwei Symptome der Kriterien D1 bis D5. So berichten die behandelnden
Psychologen durchgehend von Schlafstörungen der Klägerin (D1). Gegenüber Dr. P. hat die Klägerin berichtet, sie
brauche in Räumlichkeiten die Tür und den ganzen Raum im Blickfeld (D4). Als sie mit dem Fahrrad zum
Ergotherapeuten gefahren ist, hat es sie wie ein Blitz durchzuckt mit einem Engegefühl im Hals und Thorax, als sie
jemand überholt hat (D5). Einen Affektdurchbruch hatte sie auch auf dem L.er Flughafen, als sie allein in der
Flugzeughalle gestanden hat (D5). Beim Aufsuchen einer Gaststätte mit ihren Enkelkindern hat sie, als ein Mann eine
Flasche fallenlassen hat und über ihr Enkelkind gestolpert ist, mit einem Affektdurchbruch reagiert (D5).
Schließlich liegen auch die Kriterien E und F im vorliegenden Fall vor. Die Symptome der Kriterien B, C und D dauern
bereits seit 2003 an und die Klägerin ist in sozialen und beruflichen Bereichen (Rückzugstendenz und Aufgabe der
beruflichen Tätigkeit bei der deutschen Post) erheblich beeinträchtigt.
Für das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung spricht zudem das von Dr. U. durchgeführte Verfahren
zur Abprüfung psychoreaktiver Störungskomponente (Impact of Event-Scale), welches einen Regressionswert von
x=0,31 offenbart hat. Dieser Wert lag bei der Untersuchung der Dipl.-Psych. I. sogar bei 0,61. Diese Werte lassen
tendenziell auf eine posttraumatische Belastungsstörung schließen, worauf Dr. U. hingewiesen hat.
Der Senat folgt in der Gesamtschau dieser Symptome der Einschätzungen der Sachverständigen Dr. P. und Dr. U.,
die eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert haben. Die Sachverständigen haben - ebenso wie Dr. Dr.
W. - keine Anhaltspunkte für eine Aggravation und Simulation der Klägerin festgestellt.
Die Einwände von Prof. Dr. S. vermögen aus den genannten Gründen nicht zu überzeugen. Prof. Dr. S. hat die
Klägerin nicht untersucht, während die Einschätzungen von Dr. Dr. W., Dr. U. und Dr. P. auf eine eigene
Befunderhebung und Untersuchung der Klägerin gestützt sind. Ebenso wenig überzeugt Dr. Dr. W., der ab dem 5. Mai
2003 von einer Verschiebung der Wesensgrundlage ausgeht. Für eine von ihm festgestellte psychisch relevante
Schadensanlage im Sinne einer besonderen prätraumatischen Persönlichkeitsstruktur fehlt es an jeglichen
Anhaltspunkten. Hierauf hat insbesondere Prof. Dr. S. hingewiesen. Die von Dr. Dr. W. diagnostizierten depressiven
Episoden der Klägerin hält Dr. P. für eine Folge des Traumas; derartige Störungen sind nach ihren überzeugenden
Ausführungen neben phobischen Störungen Ausdruck stärkerer Störungen psychischer Traumen. Ähnlich hat es auch
Dr. U. gesehen, der die depressive Stimmungslage als komorbide Störung zur ursprünglichen posttraumatischen
Belastungsstörung im Sinne der Störung des Affekts bezeichnet hat. Solche Erscheinungen sind im Übrigen schon
Bestandteil der C-Kriterien für eine posttraumatische Belastungsstörung. Anhaltspunkte für eine depressive
Veranlagung vor den Überfällen sind nicht ersichtlich.
Schließlich ist es auch hinreichend wahrscheinlich, dass die über den 4. Mai 2003 bestehende posttraumatische
Belastungsstörung auf den zweiten Überfall ursächlich zurück zu führen ist.
Für die Beurteilung des Kausalzusammenhangs zwischen einem Unfall und der geltend gemachten
Gesundheitsstörung gilt der Maßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit. Dies bedeutet, dass bei vernünftiger
Abwägung aller Umstände, insbesondere unter Berücksichtigung der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen
Lehrmeinung, mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden. Die bloße
Möglichkeit einer Verursachung genügt nicht. Zur Vermeidung eines nach der naturwissenschaftlich-philosophischen
Betrachtungsweise denkbaren unendlichen Ursachenzusammenhangs (Bedingungs- bzw. Äquivalenztheorie) wird die
im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung rechtlich relevante Kausalität nach der "Theorie der wesentlichen
Bedingung" eingegrenzt. Die Theorie der wesentlichen Bedingung beruht auf der naturwissenschaftlichen-
philosophischen Bedingungstheorie als Ausgangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das
nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditiosinequa-non). Aufgrund der Unbegrenztheit
der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer
zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg
verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich
unerheblichen Ursachen. Als kausal und rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer
besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Welche Ursache wesentlich ist und
welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum
Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R -
BSGE 96, 196). Dabei kann es mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben, wobei sozialrechtlich allein relevant
ist, ob das Unfallereignis wesentlich war. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd
gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende
Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung
hat. Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen
krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder
so leicht ansprechbar war, dass die Auslösung akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art
unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu
derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, a.a.O.).
In diesem Sinne war der zweite Überfall wesentliche Bedingung für die über den 4. Mai 2003 hinaus bestehende
posttraumatische Belastungsstörung. Hieran hat der Senat insbesondere deshalb keinen Zweifel, weil die bis zum 4.
Mai 2003 bestehende posttraumatische Belastungsstörung auch nach dem 4. Mai 2003 in keinem geringeren Umfang
- nicht als bloße Restsymptomatik - vorgelegen hat. Insbesondere die von Dr. P. beschriebenen Instrusionen, das
Vermeidungsverhalten und die Schreckhaftigkeit und Wachsamkeit sind in Zusammenhang mit dem Überfall,
ähnlichen Situationen und ähnlichen Orten geschildert. Allein hieraus ist der ursächliche Zusammenhang und die
rechtlich wesentliche Bedingung der Überfälle erkennbar. Demgegenüber ist die von Dr. Dr. W. beschriebene
anankastische Persönlichkeitsstruktur der Klägerin, die auch Dr. P. festgestellt hat, keine rechtlich wesentliche
Bedingung. Dr. P. hat überzeugend ausgeführt, dass die Regressions- und Anpassungsbereitschaft der Klägerin erst
nach dem zweiten Überfall zu Problemen geführt hat. Diese Persönlichkeitsstruktur war vor den Überfällen eher eine
vorteilhafte Verhaltensweise der Klägerin an ihrem Arbeitsplatz und hat sie zu einer zuverlässigen Mitarbeiterin
gemacht. Hier folgt der Senat der Einschätzung der Sachverständigen Dr. P ...
Diese posttraumatische Belastungsstörung führt infolge ihres Ausmaßes zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um
30 v. H ... Nach den Erfahrungswerten ist die Minderung der Erwerbsfähigkeit bei einem üblicherweise zu
beobachtenden Störungsbild, geprägt durch starke emotional und durch Ängste bestimmte Verhaltensweisen mit
wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit und gleichzeitig größere sozialkommunikative
Beeinträchtigungen zwischen 20 bis 30 v. H. einzuschätzen (Schönberger/Mehrtens/Valentin 8. Auflage Abschnitt
5.1.16, S. 157; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand September 2010, Anhang 12, J 04).
Nach anderer Einschätzung liegt die Minderung der Erwerbsfähigkeit bei Belastungsstörungen mit emotionaler
Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit in stärkerem Ausmaß, insbesondere mit sozialkommunikativer
Beeinträchtigung zwischen 10 und 20 v. H., in erheblichem Ausmaß, insbesondere mit starker sozial-kommunikativer
Beeinträchtigung, auch angstbestimmten Verhaltensweisen zwischen 20 und 30 v. H. und in schwerem Ausmaß,
insbesondere mit starker sozial-kommunikativer Beeinträchtigung, Angstzuständen und ausgeprägtem
Vermeidungsverhalten, Antriebsminderung, vegetativer Übererregbarkeit zwischen 30 und 50 v. H.
(Mehrhoff/Meindl/Muhr, Die Unfallbegutachtung, 12. Auflage, S. 254).
Die von Dr. U. und Dr. P. erhobenen Befunde erreichen ein schweres Ausmaß einer sozial-kommunikativen
Beeinträchtigung, von Angstzuständen und ausgeprägtem Vermeidungsverhalten bei Antriebsminderung und
vegetativer Übererregbarkeit. Die Klägerin lebt zurückgezogen, ist in Situationen, die dem zweiten Überfallereignis
ähneln, erheblich schreckhaft und zeigt diesbezüglich ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten. Daher ist die
Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit von Dr. U. mit 30 v. H. nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.