Urteil des LSG Sachsen-Anhalt vom 23.02.2005

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Landessozialgericht Sachsen-Anhalt
Urteil vom 23.02.2005 (rechtskräftig)
Sozialgericht Halle (Saale) S 9 AL 605/01
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt L 2 AL 55/03
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 8. Mai 2003 wird zurückgewiesen. Die
Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger Insolvenzgeld zusteht.
Der am 1958 geborene Kläger war bis zum 1. Januar 2001 bei der Firma P & Co. GmbH in K. als Maurer mit einem
Stundenlohn von 24 DM beschäftigt. Für den abgerechneten Monat Dezember 2000 hat der Kläger keinen Lohn
erhalten.
Er beauftragte am 26. Februar 2001 die Rechtsanwälte Dr. B & Partner. In der Vollmacht lautet es: " ( ...) wird hiermit
in Sachen B. , R .../. P. & Co. GmbH wegen Arbeitslohn Vollmacht erteilt ( ...). Die Vollmacht gilt für alle Instanzen
und erstreckt sich auch auf Neben- und Folgeverfahren aller Art (z.B. Arrest und einstweilige Verfügung,
Kostenfestsetzungs-, Zwangsvollstreckungs, Interventions-, Zwangsversteigerungs-, Zwangsverwaltungs- und
Hinterlegungsverfahren sowie Konkurs- und Vergleichsverfahren über das Vermögen des Gegners). ( ...)"
Der Prozessbevollmächtigte erwirkte beim Arbeitsgericht Ulm – Kammern Ravensburg – – am 28. März 2001 ein
inzwischen rechtskräftiges Versäumnisurteil über den Nettolohn für den Monat Dezember 2000 in Höhe von 2.633,72
DM nebst Zinsen.
Am 11. Juli 2001 wurde über das Vermögen der P. & Co. GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet und Rechtsanwalt D.
als Insolvenzverwalter eingesetzt.
Rechtsanwalt I. von der Kanzlei Dr. B. & Partner übersandte dem Kläger am 4. September 2001 folgendes Schreiben:
"In Ihrer Angelegenheit gegen P. & Co. GmbH teilt das Amtsgericht Wangen mit, dass mit Beschluss des
Amtsgerichts Ravensburg vom 11.07.2001 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der P. & Co. GmbH eröffnet
wurde. Bitte wenden Sie sich an ihr Amtsgericht und beantragen Insolvenzgeld. Dies sollten Sie bis zum 11.10.2001
(Ausschlussfrist) erledigt haben."
Der Kläger stellte am 13. September 2001 einen Antrag auf Insolvenzgeld bei der Beklagten. Er machte keine
konkrete Summe geltend. Auf den Hinweis der Beklagten, dass die Antragsfrist versäumt sei, antwortete der Kläger,
dass er von seinem Anwalt falsch informiert worden sei. Er sei zunächst beim Amtsgericht gewesen, dort habe man
ihn an das Arbeitsamt verwiesen. Also sei er auf schnellsten Wege dahin gefahren und habe sich den Antrag (am 13.
September 2001) aushändigen lassen.
Die Beklagte hat vorsorglich 5000 DM für Insolvenzgeld für den Kläger beim Insolvenzverwalter zur Eintragung in der
Tabelle angemeldet.
Mit Bescheid vom 2. Oktober 2001 lehnte die Beklagten den Antrag des Klägers auf Insolvenzgeld ab, da er die
Ausschlussfrist nicht eingehalten habe. Eine Nachfrist könne ihm nicht gewährt werden, da er innerhalb der
Antragsfrist von dem Insolvenzereignis erfahren habe. Den Umstand, dass ihm sein Rechtsanwalt eine falsche
Antragsfrist genannt habe, müsse er sich als Versäumung seines Beauftragten zurechnen lassen. Der Widerspruch
des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 10. Oktober 2001).
Der Kläger hat sein Begehren mit seiner Klage vom 8. November 2001 beim Sozialgericht Halle weiterverfolgt. Zur
Begründung hat er ausgeführt, dass er sich das Verschulden seines Bevollmächtigten nicht zurechnen lassen müsse,
da sich dessen Vollmacht nicht auf den Antrag auf Insolvenzgeld bezogen habe. Er habe ihn lediglich beauftragt,
gegen den ehemaligen Arbeitgeber seine Arbeitslohnforderung durchzusetzen.
Die Beklagte hat hervorgehoben, dass der Kläger nicht an einer rechtzeitigen Antragstellung gehindert gewesen sei.
So habe er innerhalb der Antragsfrist erfahren, dass über das Vermögen seines ehemaligen Arbeitgebers das
Insolvenzverfahren eröffnet worden sei. Im übrigen könne von einer Begrenzung des Mandats auf die Vertretung nur
im arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht die Rede sein, da die Vollmacht umfassend ausgestaltet gewesen sei.
Mit Urteil vom 8. Mai 2003 hat das Sozialgericht Halle der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger
Insolvenzgeld in gesetzlicher Höhe zu zahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe die Antragsfrist
nicht unter Außerachtlassung derjenigen Sorgfalt, die einem gewissenhaften Antragsteller zuzumuten sei, versäumt.
Er habe sich auf die falschen Auskünfte seines Rechtsanwaltes verlassen dürfen und den Rechtsirrtum des Anwaltes
nicht zu vertreten. Da sich die Vollmacht des Rechtsanwaltes allein auf das arbeitsgerichtliche Verfahren bezogen
habe, seien seine Prozessbevollmächtigten nicht verpflichtet gewesen, ihn über die Möglichkeit eines Anspruchs auf
Insolvenzgeld zu beraten und selbst einen entsprechenden Antrag auf Insolvenzgeld zu stellen.
Gegen das ihr am 13. Juni 2003 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 25. Juni 2003 Berufung eingelegt. Sie hat
betont, dass allein der Eintrag "wegen Arbeitslohn" in der Vollmacht diese nicht zu einer eng auf das Arbeitsrecht
bezogenen mache. Es dürfte dem Kläger um die Realisierung seines Anspruchs gegangen sein, wobei es für ihn
unerheblich gewesen sei, ob im Rahmen von Lohn- oder Lohnersatzansprüchen. Es könne nicht sein, dass sie wegen
einer Falschberatung des Anwalts im laufenden Auftragsverhältnis zur Zahlung von Insolvenzgeld verpflichtet sei und
damit mangels eingetretenen Schadens einem Haftpflichtprozess gegen den Bevollmächtigten der Boden entzogen
werde.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 8. Mai 2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist ergänzend zu dem bisherigen Vorbringen der Auffassung, es komme allein darauf an, ob die Vollmacht seine
Prozessbevollmächtigten befähigt habe, ihn im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens auf Zahlung von Insolvenzgeld
zu vertreten. Im übrigen komme es allein auf das Innenverhältnis an. In diesem habe er keinen Auftrag erteilt, ein
Insolvenzgeldverfahren durchzuführen. Der Hinweis auf die Insolvenzfrist sei außerhalb des Mandates erfolgt und sei
daher für die Zurechnung ohne Bedeutung.
Der Berichterstatter hat im Erörterungstermin vom 26. Februar 2004 den Kläger als Partei befragt und Rechtsanwalt I.
als Zeugen vernommen. Für den Inhalt der Zeugenaussage wird auf das betreffende Sitzungsprotokoll verwiesen. Im
übrigen wurde die Zeugenaussage von Rechtsanwalt I. im Parallelverfahren L 2 AL 135/02 mit dem Einverständnis der
Beteiligten im Wege des Urkundsbeweises beigezogen. Auch auf das Protokoll zu dieser Sitzung wird Bezug
genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Leistungsakten der Beklagten und die Gerichtsakte verwiesen. Die
Akten haben vorgelegen und sind vom Senat bei seiner Entscheidung berücksichtigt worden.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist nach den §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft, weil der Wert des
Beschwerdegegenstandes 500 EUR übersteigt. Die Berufung ist auch form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 151
SGG).
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 2. Oktober 2001 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 10. Oktober 2001 ist nicht rechtmäßig. Der Kläger hat Anspruch auf das beantragte
Insolvenzgeld.
Anspruch auf Insolvenzgeld haben Arbeitnehmer nach § 183 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches – Drittes Buch –
Arbeitsförderungsrecht (SGB III), wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei 1. Eröffnung des Insolvenzverfahrens
über das Vermögen ihres Arbeitgebers, 2. Abweisung des Antrages auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels
Masse oder 3. vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des
Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in
Betracht kommt, (Insolvenzereignis) für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche
auf Arbeitsentgelt haben.
Es liegt das Insolvenzereignis der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des ehemaligen
Arbeitgebers vor. Zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung am 11. Juli 2001 hatte der Kläger einen durchsetzbaren
Anspruch auf Arbeitsentgelt für den letzten Monat seines Beschäftigungsverhältnisses, nämlich für den Monat
Dezember 2000. Für diesen Anspruch hatte er beim Arbeitsgericht bereits einen Titel erwirkt.
Gem. § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III muss das Insolvenzgeld innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach
dem Insolvenzereignis beantragt werden. Hat der Antragsteller die Frist aus Gründen versäumt, die er nicht zu
vertreten hat, kann ihm nach Satz 2 der Vorschrift eine Nachfrist eingeräumt werden.
Der Kläger hat den Antrag auf Insolvenzgeld nicht innerhalb der Frist von zwei Monaten nach der Eröffnung des
Insolvenzverfahrens gestellt. Das Insolvenzverfahren wurde am 11. Juli 2001 eröffnet, so dass die Frist am Dienstag,
dem 11. September 2001, ablief. Den Antrag hat der Kläger erst zwei Tage später, nämlich am 13. September 2001,
gestellt. Ihm ist jedoch nach § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III eine Nachfrist einzuräumen, da er die Frist nicht aus
Gründen versäumt hat, die er zu vertreten hat.
Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger innerhalb der Antragsfrist von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
Kenntnis erlangt hat. Grundsätzlich hat der Antragsteller die Ausschlussfrist aus von ihm zu vertretenden Gründen
versäumt, wenn er selbst während der laufenden Frist von der Insolvenz seines Arbeitgebers erfahren hat (vgl. Urteil
des Bundessozialgerichts – BSG - vom 18. Januar 1990 – 10 RAr 14/89 – EzS 89/66). Durch das Schreiben seines
Anwaltes vom 4. September 2001 hat der Kläger Kenntnis über die Insolvenzeröffnung innerhalb der Antragsfrist
erlangt. Gleichwohl ist ihm selbst die Fristversäumnis nicht vorzuwerfen, da er sich auf die Auskunft seines
Rechtsanwaltes über den Ablauf der Frist verlassen durfte. Denn es stellt einen Wiedereinsetzungsgrund dar, wenn
der Betroffene eine falsche Auskunft von einer Person erhält, auf deren Sachkunde er vertrauen darf und die er nicht
mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hat (vgl. BSG, Urteil vom 29. Oktober 1992 – 10 RAr 14/91 –
SozR 3-4100 § 141 e Nr. 2). Ein Rechtsanwalt ist als Organ der Rechtspflege eine solche sachkundige Stelle.
Das Verhalten oder die Kenntnis seines bevollmächtigten Rechtsanwalts kann dem Kläger nicht zugerechnet werden,
da dieser ihn insoweit nicht vertreten hat und es nicht zu seinem Pflichtenkreis gehörte, seinen Mandanten über die
Frist zu informieren.
Die Regelung in § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III stellt wie die Vorgängerregelung § 141e Abs. 1 Satz 3 des
Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) eine spezialgesetzliche Ausprägung des Rechtsinstituts der Wiedereinsetzung in
den vorigen Stand dar (§ 27 des Sozialgesetzbuches – Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und
Sozialdatenschutz – SGB X - und § 67 SGG). Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 SGB X ist das Verschulden eines Vertreters
dem Vertretenen zuzurechnen (vgl. auch §§ 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung – ZPO - in Verbindung mit § 202
SGG). Neben dem unmittelbaren Verfahrensbevollmächtigten ist dem Vertretenen auch das Verschulden solcher
Personen zuzurechnen, die er nicht beauftragt und bevollmächtigt, bestimmte Erklärungen abzugeben bzw. gegenüber
einer Behörde oder einem Gericht aufzutreten, sondern denen insoweit lediglich Vorbereitungshandlungen oblagen;
darüber hinaus ist jedenfalls das Verschulden einer Person dann zurechenbar, wenn der Dritte im Rahmen des ihm
erteilten Auftrages tätig wird (vgl. BSG, Urteil vom 29. Oktober 1992 – 10 RAr 14/91 – a. a. O.). Damit kommt es
darauf an, ob der Prozessbevollmächtigte des Klägers im Rahmen des ihm erteilten Auftrages auch zur Stellung des
Insolvenzgeldantrages befugt war oder ihm jedenfalls eine Informationspflicht oblag, der er nicht ausreichend
nachgekommen ist. In diesem Fall dürfte der Arbeitnehmer auf die Regressansprüche gegen seinen Anwalt verwiesen
werden. Es kommt demnach auf die Würdigung des Mandatsverhältnisses zwischen dem Kläger und dem
Prozessbevollmächtigten an, ob dieses so auf die rein arbeitsgerichtliche Durchsetzung gegen den Arbeitgeber
eingegrenzt wurde, dass der Anwalt nicht verpflichtet war, den Kläger rechtzeitig über das Insolvenzereignis zu
informieren (vgl. BSG a. a. O.). Das Ausmaß der Aufklärungspflichten des Rechtsanwaltes hängt von dem konkreten
Mandatsumfang ab (vgl. Vollkommer/Heinemann, Anwaltshaftung, 2. Aufl., Rn. 158). Zunächst ist zwischen dem
Anwaltsvertrag im Innenverhältnis zwischen Mandant und Rechtsanwalt und der Vertretungsbefugnis nach außen
durch die Prozessvollmacht zu unterscheiden. Dabei kann die Vollmacht nur für einen Teil des Mandats erteilt
werden, d. h. der Auftrag ist weitergehend gefasst; ebenso kann umgekehrt im Innenverhältnis eine Beschränkung der
umfassenderen Außenvollmacht bestehen.
Nach außen ist die Rechtsanwaltskanzlei durch eine Formularvollmacht umfassend bevollmächtigt worden. Die
Standardvollmacht erstreckt sich auf Neben- und Folgeverfahren aller Art. Beispielhaft werden dabei die
Zwangsvollstreckung sowie Konkurs- und Vergleichsverfahren über das Vermögen des Gegners genannt. Insofern war
der Rechtsanwalt nach außen auch bevollmächtigt, die Forderung des Klägers zur Tabelle beim Insolvenzverwalter
anzumelden.
Diese Außenvollmacht hat nur eine indizielle Bedeutung für die Rechte und Pflichten im Innenverhältnis. Hierbei ist zu
berücksichtigen, dass die Vollmacht nicht individuell für das einzelne Mandat formuliert wird, sondern in Form eines
Vordruckes pauschal alle denkbaren Handlungsmöglichkeiten abdecken soll. Da die Durchführung von Neben- und
Folgeverfahren eigene Anwaltskosten auslöst, kommt es darauf an, ob der Rechtsanwalt auch im Innenverhältnis
insoweit tätig werden durfte. Der Kläger hat in seinem Auftrag das Mandat der Rechtsanwälte so eingegrenzt, dass es
nicht mehr zu deren Pflichten gehörte, auf die Eröffnung der Insolvenz und die Insolvenzantragsfrist hinzuweisen.
Dies steht für den Senat nach der Beweisaufnahme und unter Berücksichtigung der äußeren Umstände fest. Der
Umfang des Mandats richtet sich nach dem erkennbaren Willen des Auftraggebers, so dass der Rechtsanwalt im
Regelfall die umfassende Beratung und Vertretung in einer Rechtsangelegenheit schuldet (Vollkommer/Heinemann,
Rn. 5). Andererseits fallen für die verschiedenen Abschnitte des Verfahrens und die Folgeverfahren unterschiedliche
Gebühren an, so dass der Mandant zur Begrenzung der Kosten ein Interesse daran hat, den Rechtsanwalt nur gezielt
für einzelne Aufgaben zu bevollmächtigen. So sind die Gebühren im Rahmen der Durchsetzung einer Lohnforderung
aufgeteilt. Während der Auftrag für die Durchführung des Verfahrens bis zur Erteilung der Vollstreckungsklausel reicht
(vgl. § 37 Bundesgebührenordnung für Rechtanwälte vom 26. Juli 1957, gültig bis zum 30. Juni 2004 - BRAGO), löst
die Zwangsvollstreckung eine neue Gebühr aus (vgl. § 57 BRAGO). Davon zu trennen ist eine Vertretung im
Insolvenzverfahren. Diese kann entweder nur im Vorfeld der Eröffnung erfolgen (§ 72 BRAGO), sich allein auf die
Anmeldung der Forderung (§ 75 BRAGO) oder umfassend auf das Insolvenzverfahren beziehen (§ 73 BRAGO). Die
Vertretung im Rahmen eines Sozialverwaltungsverfahrens, um einen Antrag auf Insolvenzgeld bei der Agentur für
Arbeit zu stellen, erfordert regelmäßig einen gesonderten Auftrag.
Nach der Aussage des Klägers sollte der Rechtsanwalt den Lohn gegenüber dem Arbeitgeber einklagen. Hierbei
handelt es sich um die arbeitsgerichtliche Durchsetzung des arbeitsrechtlichen Anspruches. Dabei umfasste das
Mandat nach dem Willen des Klägers auch die Zwangsvollstreckung. So hat Rechtsanwalt I. den Kläger über die
ergriffenen Maßnahmen im Rahmen der Zwangsvollstreckung auf dem laufenden gehalten. Weitere Vorstellungen
hatte der Kläger nicht. Insbesondere dachte er nach seiner Aussage nicht an einen Insolvenzfall. Vielmehr ging er
davon aus, dass er seinen Lohn noch von seinem Arbeitgeber bekommen könnte und nach der Winterpause dort
wieder eingestellt werden würde. Diese Ausführungen sind nachvollziehbar. Sie entsprechen den Vorstellungen eines
Arbeitnehmers, der noch nie etwas mit einer Arbeitgeberinsolvenz zu tun gehabt hat. Hierzu korrespondiert die
Aussage des Zeugen I ... , dass über Insolvenzfragen nicht gesprochen wurde und er sich insoweit nicht beauftragt
fühlte.
Wie dargestellt umfasst die Vertretung im Rahmen der Zwangsvollstreckung nicht auch eine solche im Rahmen des
Insolvenzverfahrens und erst recht nicht die Vertretung im Insolvenzgeldverfahren. Das Insolvenzgeld muss
gegenüber der Bundesagentur für Arbeit in einem Sozialverwaltungsverfahren geltend gemacht werden. Es handelt
sich um einen eigenen öffentlich-rechtlichen Anspruch mit einem neuen Anspruchsgegner. Den Antrag auf
Insolvenzgeld kann der Arbeitnehmer selbst stellen, weil hierfür keine rechtlichen Kenntnisse vonnöten sind. Dagegen
würde die Beauftragung eines Rechtsanwaltes mit dieser Handlung gesonderte Kosten hervorrufen, die auch bei
Bewilligung der beantragten Leistung von der Beklagten nicht zu erstatten sind. Ein Auftrag zu einem solchen
Tätigwerden hat der Kläger nicht erteilt, er wäre auch von der Außenvollmacht nicht gedeckt.
Der Kläger hat auch keinen Auftrag für die Vertretung im Insolvenzverfahren oder isoliert für die Anmeldung der
Forderung beim Insolvenzverwalter erteilt, aus welchem als Nebenpflicht eine Beratungspflicht über den Anspruch auf
Insolvenzgeld entstehen könnte. Auch die Anmeldung zur Tabelle beim Insolvenzverwalter geht über den üblichen
Auftrag hinaus, Lohn einzuklagen und im Wege der Zwangsvollstreckung durchzusetzen. Sie begründet nach § 75
BRAGO einen eigenen Gebührentatbestand, der nicht schon von dem Auftrag zur Zwangsvollstreckung umfasst ist.
Es ist daher einleuchtend, dass Rechtsanwalt I. hierzu einen gesonderten Auftrag für nötig hielt. Ist dagegen der
Bevollmächtigte mit der Prüfung von Ansprüchen eines Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber im Konkurs beauftragt,
gehört es nach dem Grundsatz "des sichersten Weges" zu den Pflichten des Anwaltes, den Mandanten nicht nur über
die Möglichkeit, den Anspruch zur Tabelle anzumelden, zu informieren, sondern auch über den Anspruch auf
Insolvenzgeld (vgl. Vollkommer/Heinemann Rn 711; AG Siegburg, Urteil vom 3. September 1987 - 7 C 171/87 - NJW
RR 1989, 155). Nur bei der anwaltlichen Prüfung der Ansprüche eines Arbeitnehmers gegen seinen insolventen
Arbeitgeber ist die Berücksichtigung des Insolvenzgeldes ohne gesonderten Auftrag geboten. Fehlt es jedoch an
einem Auftrag, Ansprüche im Insolvenzfall zu prüfen und durchzusetzen, muss der Rechtsanwalt auch nicht über die
Frist für den Insolvenzgeldantrag informieren. Es würde die Pflichten eines Rechtsanwaltes überspannen, bei jeder
Lohnklage zugleich als Nebenpflicht über mögliche Ansprüche und Fristen für den Fall der Insolvenz informieren zu
müssen.
Gehörte es demnach nicht zu den Pflichten von Rechtsanwalt I. , den Kläger über das Insolvenzereignis und die
ablaufenden Fristen zu informieren, so muss sich der Kläger die mitgeteilte fehlerhafte Frist auch nicht zurechnen
lassen. Die Falschinformation über die Dauer der Frist ist insoweit nicht anders zu behandeln als eine unterlassene
Information. Eine Pflicht zu einer solchen Information bestand - wie oben dargestellt – nicht.
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 Abs. 1 und 4 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da es sich um eine Einzelfallentscheidung auf rechtlich gesicherter Grundlage
handelt.