Urteil des LSG Sachsen-Anhalt vom 28.07.2005

LSG San: rücknahme der klage, vergleich, hauptsache, ermessen, beendigung, kostenregelung, anwaltskosten, kostenverteilung, gerichtsgebühr, bekanntmachung

Landessozialgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss vom 28.07.2005 (rechtskräftig)
Sozialgericht Dessau-Roßlau S 6 KR 97/03
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt L 4 B 7/05 SF
Der Beschluss des Sozialgerichts Dessau vom 30. Dezember 2004 wird abgeändert. Die Kosten des Verfahrens
werden gegeneinander aufgehoben. Die Gerichtskosten tragen die Beteiligten je zur Hälfte. Der Streitwert des
Beschwerdeverfahrens wird mit 1.849,69 EUR festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Beteiligten des Ausgangsverfahrens stritten über die Höhe einer Forderung der Beschwerdeführerin gegen die
Beschwerdegegnerin auf Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen und die Zahlungsmodalitäten. Das Verfahren
wurde in der Hauptsache durch übereinstimmende Erledigungserklärungen der Parteien nach einem außergerichtlichen
Vergleich beendet. Unter Punkt 3 des Vergleiches heißt es: "Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander
aufgehoben."
Mit Beschluss vom 30. Dezember 2004 hat das Sozialgericht Dessau entschieden:
Der Streitwert wird auf 32.448,19 EUR festgesetzt. Die Kosten haben die Beschwerdegegnerin zu 1/4 und die
Beschwerdeführerin zu 3/4 zu tragen.
Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstandes sei nach billigem
Ermessen über die Kosten zu entscheiden. Aus dem Inhalt des Vergleiches ergebe sich die Kostenquotelung.
Gegen den ihr am 7. Januar 2005 zugestellten Beschluss hat die Beschwerdeführerin am 21. Januar 2005
Beschwerde eingelegt. Das Sozialgericht Dessau hat der Beschwerde mit Beschluss vom 1. Februar 2005 nicht
abgeholfen, weil diese nicht zulässig sei, und sie dem Landessozialgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Zur Begründung hat die Beschwerdeführerin erklärt, das Verfahren sei durch einen Vergleich erledigt worden, der
bestimmt habe, dass die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufgehoben würden. Das heiße, dass die Parteien je
50 v. H. der reinen Gerichtskosten zahlten und die Rechtsanwalts- und Nebenkosten jede Partei selbst zu tragen
habe.
Die Beschwerdeführerin beantragt,
den Kostenbeschluss vom 30. Dezember 2004 aufzuheben und zu entscheiden, dass die Kosten entsprechend dem
Vergleich zu tragen seien.
Die Beschwerdegegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält die Beschwerde für unzulässig, weil nach § 197a Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in
Verbindung mit § 158 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ein Rechtsmittel gegen den Beschluss nicht
vorgesehen sei.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Akte des Sozialgerichts (S 6 KR 98/03 ER) und die Beschwerdeakte
verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig.
Nach § 197a Abs. 1 Halbsatz 2 SGG sind auf das Verfahren, wenn keine der nach § 183 SGG privilegierten Personen
als Kläger oder Beschwerdeführerin teilnimmt, für die Kostengrundentscheidung die §§ 154 bis 162 VwGO
anzuwenden. Die Beschwerdegegnerin gehört nicht zu den nach § 183 SGG privilegierten Personen. Nach § 183 Satz
1 SGG in der ab 2. Januar 2002 geltenden Fassung ist das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit für
Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, Behinderte oder deren
Sonderrechtsnachfolger kostenfrei, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind.
Die Beschwerdegegnerin ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts und streitet mit der Beschwerdeführerin über die
Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages für ihre Arbeitnehmer. Auf sie ist deshalb nicht § 183, sondern §
197a SGG anzuwenden.
Die Verweisung in § 197a Abs. 1 SGG erfasst auch § 158 Abs. 2 VwGO. Dieser bestimmt, dass die Entscheidung
über die Kosten unanfechtbar ist, wenn eine Entscheidung in der Hauptsache nicht ergangen ist. Das ist hier der Fall.
Der Ausschluss der Beschwerdemöglichkeit für Verfahren, die gerichtskostenpflichtig sind, hätte im
sozialgerichtlichen Verfahren zur Folge, dass die Kostenentscheidung, die wegen der Gerichtskosten für den
Kostenschuldner belastender ist, nicht mit der Beschwerde angegangen werden kann, während die hinsichtlich der
Kosten privilegierten Personen des § 183 SGG und die an diesen Verfahren beteiligten Sozialleistungsträger die nach
§ 193 SGG ergangene isolierte Kostenentscheidung anfechten können (Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage 2002 § 197a
Rdnr. 21). § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG bedarf deshalb einer einschränkenden Auslegung (vgl. LSG Nordrhein-
Westfalen, Beschluss vom 25. August 2003 - L 5 B 25/03 KR - Breithaupt 2003, S. 877 m.w.N; ebenso LSG Berlin,
Beschluss vom 28. April 2004 - L 6 B 44/03 AL ER - SGB 2500 S. 55; Knittel in Hennig, SGG, Stand: September
2002, § 197a Rdnr. 17; a. A. LSG Celle, Beschluss vom 6. Oktober 2004 - L 3 B 79/03 KA – Breithaupt 2005 S. 446;
HessLSG, Beschluss vom 29. März 2004 - L 14 B 55/03 P; Meyer-Ladewig, a.a.O. hält nur Gegenvorstellungen für
zulässig). Die Gesetzesmaterialien zu § 197a SGG enthalten keinen Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber die
Absicht gehabt hat, durch die Änderung des Kostenrechts für bestimmte sozialgerichtliche, nunmehr
gerichtskostenpflichtige Verfahren die Beschwerdemöglichkeit gegen die isolierte Kostengrundentscheidung des
Sozialgerichts auszuschließen. Die Anwendung von § 158 Abs. 2 VwGO in den von § 197a SGG erfassten Verfahren
führte zu einem Widerspruch innerhalb des sozialgerichtlichen Verfahrensrechts, wenn die gerichtskostenpflichtigen
Verfahren entgegen § 172 SGG von der Beschwerdemöglichkeit gegen die isolierte Kostengrundentscheidung
ausgeschlossen wären. Die unterschiedliche Behandlung der Beteiligten, je nachdem ob ein Rechtsstreit
gerichtskostenpflichtig ist oder nicht, ist nicht deshalb gerechtfertigt, weil die Kostenvorschriften nach der VwGO
zumeist nur an das Unterliegen oder Obsiegen in der Hauptsache anknüpften (so das LSG Celle, a.a.O.). Für die
Kostenentscheidung, die nach Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache notwendig wird, gilt dies gerade nicht.
§ 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO sieht vor, dass in diesen Fällen nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des
Sach- und Streitstandes zu entscheiden ist.
Die Beschwerde hat auch Erfolg. Im Ausgangsrechtsstreit ging es um die Höhe der von der Beschwerdegegnerin zu
zahlenden Beitragssumme nach einem teilerlassenden Vergleich und um die Frage der sofortigen Vollstreckung. Der
Vergleich, den die Beteiligten zur Beendigung des Rechtsstreits geschlossen haben, sieht vor, dass die Kosten
gegeneinander aufzuheben sind. Mit dieser Formulierung ist gemeint, dass die Beteiligten einander keine Kosten zu
erstatten haben und sie die Gerichtskosten je zur Hälfte tragen. Diese vertragliche Kostenregelung ist für die
Beteiligten ebenso bindend wie der materiellrechtliche Teil des Vergleichs (HessLSG, Beschluss vom 9. April 2002 –
L 13 B 98/00 RJ). Sie haben sich mit dem Vergleichsabschluss verpflichtet, die Gerichtskosten je zur Hälfte zu tragen
und keine gegenseitigen Kostenforderungen zu erheben. Für eine abweichende gerichtliche Entscheidung ist
demgegenüber kein Grund ersichtlich.
Das Sozialgericht Dessau hat seine Entscheidung auch nicht weiter begründet, sondern nur auf das Ergebnis des
Verfahrens verwiesen. Das Ergebnis des Verfahrens ist jedoch ein außergerichtlicher Vergleich mit einer
Kostenverpflichtung. Für diesen gilt zwar § 195 SGG nicht, wonach jeder Beteiligte seine Kosten zu tragen hat, wenn
in einem gerichtlichen Vergleich keine Bestimmung über die Kosten getroffen worden ist. Aus dieser Regelung kann
jedoch geschlossen werden, dass nach der gesetzlichen Wertung bei der Beendigung eines Rechtsstreits durch
Vergleich eine Kostenregelung, wie sie die Beteiligten in dem außergerichtlichen Vergleich festgelegt haben, als
grundsätzlich angemessen anzusehen ist. Bedenken gegen die vereinbarte Kostenverteilung sind nicht ersichtlich.
Auch die Beschwerdegegnerin hat solche Einwände nicht vorgetragen. Im Verfahren vor dem Sozialgericht Dessau
hat auch keine Partei einen Antrag auf eine Kostenentscheidung gestellt.
Der Beschluss des Sozialgerichts Dessau war abzuändern und zu entscheiden, dass die Beteiligten einander keine
Kosten zu erstatten haben und beide die Gerichtskosten je zur Hälfte tragen.
Den Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren hat das Gericht mit 1.849,69 EUR festgesetzt. Nach § 13 Abs. 1
des Gerichtskostengesetzes (GKG), das hier noch in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Dezember 1975
(BGBl. I S. 3047), zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 5 des Gesetzes vom 12. März 2004 (BGBl. I S. 390),
anzuwenden ist (Art. 1 § 72 Nr. 1 des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts –
Kostenrechtsmodernisierungsgesetz – KostRMoG – vom 5. Mai 2004 – BGBl. I S. 718), ist in Verfahren vor den
Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit der Streitwert vorbehaltlich der folgenden Vorschriften
nach der sich aus dem Antrag der Beschwerdeführerin für sie ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu
bestimmen. Bietet der bisherige Sach- und Streitstand hierfür keine genügenden Anhaltspunkte, so ist ein Streitwert
von 4.000,00 EUR anzunehmen. Betrifft der Antrag eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten
Verwaltungsakt, so ist deren Höhe maßgebend (§ 13 Abs. 2 GKG). Die Bedeutung der Sache für die
Beschwerdeführerin entspricht in der Regel ihrem wirtschaftlichen Interesse an der erstrebten Entscheidung und ihren
Auswirkungen.
Der Gegenstandswert richtet sich hier nach dem Antrag der Beschwerdeführerin, mit dem sie erreichen will, dass die
Kosten des Hauptsacheverfahrens gegeneinander aufgehoben werden, d. h. dass jede Partei ihre eigenen Kosten
ganz und die Gerichtskosten zur Hälfte trägt. Sie wendet sich nicht dagegen, dass sie ihre eigenen außergerichtlichen
Kosten zu tragen hat, sie möchte lediglich, dass die Beschwerdegegnerin - entsprechend dem abgeschlossenen
Vergleich - die Hälfte der Gerichtskosten und ihre eigenen Kosten ganz übernimmt.
Nach § 22 Abs. 3 GKG ist für den Streitwert der Betrag der Kosten maßgebend, wenn die Prozesshandlung die
Kosten des Rechtsstreits ohne den Hauptanspruch betrifft. Da die Beschwerdegegnerin anwaltlich vertreten war, sind
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens zunächst ein Viertel der Gerichtskosten aus dem Ausgangsstreitwert von
32.448,19 EUR und die Anwaltskosten. Nach Nr. 4110 des Kostenverzeichnisses zum GKG entfällt bei Rücknahme
der Klage vor Ablauf des Tages, an dem ein Beweisbeschluss, eine Anordnung einer Beweiserhebung oder ein
Gerichtsbescheid unterschrieben ist und früher als eine Woche vor Beginn des Tages, der für die mündliche
Verhandlung vorgesehen war, die Verfahrensgebühr. Für den Beschluss nach § 197a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 161 Abs.
2 VwGO entsteht eine Gebühr in Höhe von 1,5. Diese Gebühr beträgt aus dem Ausgangsstreitwert von 32.448,19
EUR 830,25 EUR. Da nur die Übernahme eines Viertels der Gerichtskosten im Streit steht, ist der Gegenstandswert
des Beschwerdeverfahrens aus der Gerichtsgebühr auf 207,56 EUR festzusetzen. Dem Prozessbevollmächtigten der
Beschwerdeführerin steht eine Prozessgebühr zu, die aus dem Hauptsachestreitwert 747,00 EUR beträgt (§ 116 Abs.
2 der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte in der bis zum 30. Juni 2004 geltenden Fassung - BRAGO). Da das
Verfahren durch Vergleich beendet worden ist, kann er zusätzlich eine Vergleichsgebühr in Höhe von 1.120,50 EUR
beanspruchen (§ 23 BRAGO). Hinzu kommen die Postpauschale und die Mehrwertsteuer, insgesamt 2.189,50 EUR
(§§ 25 Abs. 2, 26 BRAGO). Da nur die Übernahme von drei Viertel der Anwaltskosten im Streit steht, ist der
Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens auf insgesamt 1.849,69 EUR (207,56 EUR + 1.642,13 EUR)
festzusetzen.
Der Beschluss ist nach § 177 SGG unanfechtbar. Auf § 178a SGG wird hingewiesen.