Urteil des LSG Sachsen vom 25.04.2001
LSG Fss: erwerbsunfähigkeit, befristete rente, psychiatrisches gutachten, leistungsfähigkeit, berufsunfähigkeit, erwerbsfähigkeit, coxarthrose, wahrscheinlichkeit, heilbehandlung, abklärung
Sächsisches Landessozialgericht
Urteil vom 25.04.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Chemnitz S 17 RA 97/99
Sächsisches Landessozialgericht L 4 RA 97/99
I. Auf die Berufung wird das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 25. März 1999 aufgehoben. Die Beklagte wird
unter Abänderung des Bescheides vom 16.01.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.07.1997
verurteilt, dem Kläger ab 01.03.2000 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren. II. Außergerichtliche Kosten
sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Der am ...1941 geborene Kläger erlangte im Juli 1959 den Facharbeiterabschluss als Mechaniker. In diesem Beruf war
er bis 1961 tätig. Von 1961 bis 1964 absolvierte er ein Direktstudium an der Ingenieurschule für Feinwerktechnik J ...
und erlangte den staatlichen Abschluss als Ingenieur. Nach seinen Angaben war er anschließend als
Montageingenieur, Kundendienst-Ingenieur, Vertragsbearbeiter Absatz, Gruppenleiter Versand und zuletzt vom
01.06.1988 bis 31.12.1992 als Abteilungsleiter für den Versand tätig.
Seit dem 01.01.1993 ist der Kläger arbeitslos. Vom 23.01.1995 bis 10.10.1995 bezog er Krankengeld, für die Dauer
einer Heilbehandlung vom 11.10.1995 bis 08.11.1995 Übergangsgeld und daran anschließend für die Zeit vom
09.11.1995 bis 02.01.1997 sowie vom 01.08.1997 bis 11.11.1997 erneut Krankengeld. Vom 01.01.1993 bis
21.01.1995, vom 03.01.1997 bis 07.08.1997 sowie ab 12.11.1997 bis 22.03.1998 erhielt der Kläger Leistungen der
Bundesanstalt für Arbeit.
Seit November 1995 hat das Versorgungsamt eine beim Kläger bestehende "Funktionsbehinderung der Wirbelsäule
mit Nerven- und Muskelreizerscheinungen" mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 20 festgestellt (Bescheid vom
15.03.1996).
Am 07.08.1996 beantragte er bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
In der Zeit vom 11.01.1995 bis 08.11.1995 hielt sich der Kläger zu einer Heilbehandlung in der Fachklinik Bad F ...
auf. Nach dem ärztlichen Entlassungsbericht vom 14.11.1995 besteht bei ihm ein lokales Lumbalsyndrom bei
degenerativen Veränderungen mit Wurzelreizung L 2/3/4 rechts, eine Coxarthrose II. Grades, rechts mehr als links mit
mäßigen Funktionsstörungen, eine Rheumatoidarthritis ohne wesentliche Funktionsstörungen sowie Adipositas. Die
bisherige Tätigkeit als Versandleiter könne er nur noch halb- bis unter vollschichtig ausüben. Für leichte körperliche
Tätigkeiten im Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen, ohne einseitige Körperhaltung, ohne Überkopfarbeit,
ohne Bücken, Hocken und Knien sowie ohne Heben, Tragen und Bewegen von Lasten über 5 kg bestehe ein
vollschichtiges Leistungsvermögen. Ein ergonomisch optimaler Arbeitsplatz (Sitzmöbel) sei erforderlich.
Zur medizinischen Abklärung des Leistungsvermögens holte die Beklagte im Verwaltungsverfahren ein
orthopädisches Gutachten, erstattet nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 04.12.1996 von der Fachärztin
für Chirurgie Dr. H ..., ein. Die Sachverständige stellte als zusammenfassende Diagnosen - chronisches lumbales
Pseudoradikulärsyndrom, - Coxarthrose rechts, beginnend links, - Adipositas fest. Die Leistungsfähigkeit im
Arbeitsleben sei begrenzt und für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit bleibend eingeschränkt. Dem Kläger seien noch
leichte körperliche Tätigkeiten im Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen, ohne Wirbelsäulenzwangshaltungen
vollschichtig zumutbar.
Mit Bescheid vom 16.01.1997 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit
ab. Beim Kläger lägen zwar degenerative Veränderungen der Wirbelsäule ohne schwerwiegende
Funktionseinschränkungen, Hüftgelenksverschleiß mit mäßigen Funktionseinschränkungen sowie belastendes
Übergewicht vor. Er sei aber noch in der Lage, eine Beschäftigung als leitender und aufsichtsführender Techniker im
Innendienst vollschichtig auszuüben. Ferner bestehe ein vollschichtiges Leistungsvermögen für Tätigkeiten des
allgemeinen Arbeitsfeldes. Daher sei er weder berufs- noch erwerbsunfähig noch invalide.
Auf den Widerspruch des Klägers holte die Beklagte eine Stellungnahme ihres berufskundlichen Dienstes vom
22.05.1997 ein und wies danach den Widerspruch mit Bescheid vom 31.07.1997 zurück. Eine Minderung der
Leistungsfähigkeit, die einen Rentenanspruch begründe, liege nicht vor. Der Kläger sei noch in der Lage, vollschichtig
Tätigkeiten ohne monotone statische Belastungen des Achsenorgans auszuüben. Andauernde Zwangshaltungen,
Hebebelastungen über 12 kg, gehäuftes Bücken sowie Nässe- und Kälteexpositionen seien zu vermeiden. Diesem
Leistungsbild entspreche die Tätigkeit eines Versandleiters. Versandleiter seien in nahezu allen Branchen eingesetzt.
Ihnen obliege die Leitung, Organisation und Überwachung der Versandabteilung, die Planung, Terminierung und
Überwachung des damit zusammenhängenden Schriftwechsels, die Personalführung sowie die Organisation des
Fuhrparks. In Großbetrieben gebe es eigenständige Versandabteilungen, in Kleinbetrieben sei der Arbeitsplatz
eingegliedert in die Verkaufs-, Auftrags- oder Exportabteilung. Üblich sei auch ein kombinierter Arbeitsplatz als
Versandleiter und Lagerleiter. Lediglich in kleinen Betrieben sei der Versandleiter auch körperlich mitarbeitend
eingesetzt. In allen anderen Betrieben arbeite er verwaltend, disponierend, überwachend und kontrollierend und übe
somit eine physisch nicht belastende Tätigkeit aus. Die Ausübung dieser Tätigkeit stehe dem Leistungsvermögen des
Klägers nicht entgegen. Die Vermittlung eines geeigneten Arbeitsplatzes falle in den Risikobereich der
Arbeitsverwaltung.
Mit der am 29.08.1997 vor dem Sozialgericht Chemnitz erhobenen Klage führte der Kläger sein Begehren weiter. Die
der Rentenablehnung zugrunde liegenden Gutachten seien unvollständig, ungenau und parteilich. Von der Gutachterin
sei er nicht umfassend untersucht worden. Aufgrund seiner vorhandenen Ausfallerscheinung im rechten Bein sei er
mehrmals gestürzt. Er könne die bisherige Tätigkeit als Versandleiter nicht mehr ausüben.
Zur Aufklärung des medizinischen Sachverhalts zog das Sozialgericht ein Gutachten des Arbeitsamtes Z ... vom
18.04.1997 bei, wonach dem Kläger ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte Arbeit in wechselnder
Körperhaltung, ohne Zeitdruck, ohne häufiges Bücken, ohne Zwangshaltungen sowie ohne schweres Heben und
Tragen bescheinigt worden war. Das gesundheitliche Leistungsbild dürfte jedoch nicht mehr den Anforderungen an die
letzte Tätigkeit als Versandleiter entsprechen. Ferner holte das Sozialgericht Befundberichte des Allgemeinmediziners
Dr. M ... und des Chirurgen Dr. T ..., einen Arztbrief des Neurologen Dipl.-Med. M ... sowie
Arbeitsunfähigkeitsgutachten des MDK Sachen vom 25.04.1995, vom 27.06.1995 und vom 04.11.1997 ein.
Das Sozialgericht gab ferner ein orthopädisches Gutachten, erstattet am 22.07.1998 von Prof. Dr. D ..., in Auftrag.
Der Sachverständige stellte nach ambulanter Untersuchung des Klägers folgende Gesundheitsstörungen fest: -
Coxarthrose rechts, - Osteoporose, - polyradikuläres vertebragenes lumbales Schmerzsyndrom mit Teilparesen der
rechten unteren Extremität bei schweren degenerativen Veränderungen an der Lendenwirbelsäule, - retropatellare
Chondropathie links.
Zum Leistungsbild führte er aus, dem Kläger seien noch leichte Tätigkeiten vorwiegend im Sitzen und zeitweise im
Gehen und Stehen, ohne Arbeiten in Rumpfzwangshaltungen sowie ohne Heben und Tragen von Lasten über 5 kg
vollschichtig zumutbar. Nach Auswertung einer Kernspintomographie vom 08.10.1998 bestätigte der Sachverständige
in einer ergänzenden Stellungnahme vom 30.11.1998 diese Leistungseinschätzung. Danach sei der Kläger mit starker
Einschränkung der Belastbarkeit prinzipiell als erwerbsfähig einzuschätzen.
Das Sozialgericht gab der Klage mit Urteil vom 25.03.1999 teilweise statt. Es hob den Bescheid vom 16.01.1997 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.07.1997 auf und verurteilte die Beklagte, dem Kläger ab 01.08.1996
eine Rente wegen Berufsunfähigkeit und für die Zeit vom 01.07.1998 bis 30.06.2001 eine befristete Rente wegen
Erwerbsunfähigkeit zu gewähren. Der Kläger sei seit 08.11.1995 berufsunfähig im Sinne des § 43 Sechstes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB VI). Dem Berufsschutz unterliege die letzte Tätigkeit des Klägers als Versandleiter. Diesen
Beruf könne er nach den beigezogenen medizinischen Befunden nicht mehr vollschichtig ausüben. Bei der Tätigkeit
eines Versandleiters handele es sich nicht um eine leichte körperliche Arbeit, die überwiegend im Sitzen verrichtet
werde. Es könne vielmehr nicht ausgeschlossen werden, dass diese Tätigkeit zum Teil im Freien und zum Teil unter
Gefährdung durch Zugluft auszuüben sei. Je nach Organisationsstruktur des jeweiligen Betriebes müsse der
Versandleiter auch praktisch mitarbeiten, d. h. teilweise müssten schwere Lasten gehoben, getragen oder bewegt
werden. Dies ergebe sich aus den berufskundlichen Informationen der Bundesanstalt für Arbeit (BO 701/1 und gabi
781 b). Aufgrund der orthopädischen Leistungseinschränkungen sei der Kläger jedoch nicht mehr in der Lage,
derartige Tätigkeiten auszuüben. Hinsichtlich der sozial-medizinischen Einschätzung folgte das Sozialgericht dem
ärztlichen Entlassungsbericht vom 14.11.1995. Danach stünden beim Kläger die Wirbelsäulenbeschwerden und die
Hüftgelenkserkrankung im Vordergrund. Aufgrund des lokalen Lumbalsyndroms sei der Kläger nur noch in der Lage,
Tätigkeiten in geschlossenen Räumen auszuüben. Soweit er im Freien unter Gefährdung durch Kälte, Nässe und
Zugluft arbeiten müsste, würde sich sein Gesundheitszustand erheblich verschlechtern. Diese sozial-medizinische
Einschätzung werde letztlich auch durch das orthopädische Gutachten der Dr. H ... vom 04.12.1996, das Gutachten
des Arbeitsamtes Zwickau vom 18.04.1997 und das orthopädische Gutachten von Prof. Dr. D ... vom 22.07.1998
bestätigt. Da eine Tätigkeit, auf die der Kläger ausgehend von seinem beruflichen Werdegang und dem festgestellten
medizinischen Leistungsbild noch zumutbar verwiesen werden könnte, weder von der Beklagten benannt worden,
noch sonst ersichtlich sei, sei er seit der Entlassung aus der Heilbehandlung ab 08.11.1995 berufsunfähig.
Nach dem vom Bundessozialgericht (BSG) zur Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit entwickelten
Mehrstufenschema sei die Tätigkeit als Versandleiter der Gruppe mit dem Leitberuf des qualifizierten Angestellten
zuzuordnen. Er könne daher sozial zumutbar nur auf Tätigkeiten verwiesen werden, für die eine Ausbildungsdauer von
mehr als zwei Jahren erforderlich sei. Ausgehend von diesem Grundsatz existiere keine Tätigkeit, auf die der Kläger
zumutbar verwiesen werden könnte. Die von der Beklagten benannte Tätigkeit als leitender und aufsichtsführender
Techniker im Innendienst könne der Kläger nach Ansicht des SG nicht innerhalb von drei Monaten vollwertig ausüben,
da ihm sowohl die Vorkenntnisse fehlten und er eine entsprechende Ausbildung in einem anderen Wirtschaftssystem
absolviert habe. Seine letzte Tätigkeit als Versandleiter habe er im Jahr 1992 aufgeben müssen. Somit habe er seit
mehr als zwei Jahren entsprechenden Kenntnisse nicht mehr verwenden und vertiefen können. Eine Rente wegen
Berufsunfähigkeit stehe ihm daher nach § 99 Abs. 1 SGB VI ab 01.08.1996 zu. Ferner bestehe ein Anspruch auf
Gewährung einer befristeten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für die Zeit vom 01.07.1998 bis 30.06.2001, denn der
Kläger sei seit dem 12.12.1997 erwerbsunfähig im Sinne des § 44 Abs. 2 SGB VI. Seit diesem Zeitpunkt sei der
Kläger nach dem medizinischen Leistungsbild nur noch in der Lage, untervollschichtig leichte Tätigkeiten zu
verrichten. Diese Leistungseinschätzung ergebe sich aus dem orthopädischen Gutachten von Prof. Dr. D ... vom
22.07.1998 und dem Arztbrief des Neurologen Dipl.-Med. M ... vom 17.12.1997. Da der Kläger nur untervollschichtig
leichte Tätigkeiten verrichten könne, liege im Sinne eines verschlossenen Teilzeitarbeitsmarktes Erwerbsunfähigkeit
vor. Insoweit sei nach § 102 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI nur eine Zeitrente zu gewähren.
Vor dem 12.12.1997 sei der Kläger nicht erwerbsunfähig gewesen, denn er habe leichte Tätigkeiten vollschichtig
verrichten können. Dies ergebe sich letztlich aus dem Gutachten des Arbeitsamtes Zwickau vom 18.04.1997.
Erstmals mit der neurologischen Untersuchung bei Dipl.-Med. M ... am 12.12.1997 habe ein Radikulärsyndrom mit der
Folge einer untervollschichtigen Leistungsfähigkeit des Klägers objektiviert werden können.
Gegen das der Beklagten am 15.04.1999 zugestellte Urteil richtet sich die am 10.05.1999 eingelegte Berufung.
Die Beklagte trägt vor, dem Urteil könne weder aus medizinischer noch aus berufskundlicher Sicht gefolgt werden.
Der Kläger sei grundsätzlich vollschichtig leistungsfähig und könne weiter in seinem Beruf arbeiten. Der
Sachverständige Prof. Dr. D ... habe bei Gegenüberstellung der klinischen und der apparativ-technischen Befunde
eine Diskrepanz festgestellt und ein MRT zum Ausschluss einer Nervenwurzelkompression durch einen
Bandscheibenvorfall erstellen lassen. Er sei schließlich zu dem Ergebnis gelangt, dass beim Kläger eine quantitative
Leistungseinschränkung nicht vorliege. Demgegenüber habe das Sozialgericht ohne eigene Sachkunde die
vorliegenden medizinischen Befunde fehlerhaft als erhebliche neurologische Ausfälle gedeutet und daraus eine
zeitliche Leistungsminderung auch für leichte Tätigkeiten angenommen. Zur fundierten Sachabklärung sei bei diesem
Vorgehen aber eine neurologische Begutachtung zwingend erforderlich gewesen. Aber auch aus berufskundlicher
Sicht sei der Beurteilung des SG nicht zu folgen. Einem Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit sei der Beruf
eines Versandleiters zugrunde zu legen. Diese Tätigkeit entspreche nach dem Schreiben des Klägers vom 09.11.97
qualitativ der Gehaltsgruppe 6 des Manteltarifvertrages für die Angestellten der Sächsischen Metall- und
Elektroindustrie. Die genannte Gehaltsgruppe sei die zweithöchste im Gefüge des hier einschlägigen Tarifvertrages.
Sie umfasse Tätigkeiten sehr schwieriger Art, die nach allgemeinen Richtlinien selbständig ausgeführt werden und in
eigener Verantwortung Entscheidungen von erheblicher Bedeutung für den Betriebs- oder Geschäftsablauf in einem
Arbeitsbereich einschließen und/oder Grundlagen für derartige Entscheidungen liefern sowie Meistertätigkeiten, die in
großen vielseitigen oder mehreren Arbeitsbereichen in der Regel mit unterstellten Meistern nach allgemeinen
Richtlinien selbständig ausgeführt werden, mit Führungsaufgaben und fachlicher Verantwortung für die unterstellten
Arbeitnehmer und/oder Auszubildenden. Tätigkeiten der Gehaltsgruppe 6 erfordern neben einer abgeschlossenen mehr
als zweijährigen Berufsausbildung zusätzliche umfangreiche Fach- und Spezialkenntnisse, wie sie z. B. durch eine
einschlägige Hochschul-, Fachhochschulausbildung oder Meisterfortbildung sowie mehrjährige Berufserfahrung
erworben werden.
Sofern die tarifliche Einstufung den qualitativen Wert der ausgeübten Tätigkeit widerspiegele, sei davon auszugehen,
dass der Kläger eine hochqualifizierte Tätigkeit ausgeübt habe. Ihm sei daher ein Berufsschutz zuzubilligen, der im
Rahmen einer Prüfung nach § 43 Abs. 2 SGB VI die Verweisung auf an- und ungelernte Tätigkeiten ausschließe. Das
beratungsärztliche Votum habe dem Kläger ein vollschichtiges Leistungsvermögen für körperlich leichte Tätigkeiten
vorwiegend im Sitzen, jedoch auch zeitweise mit der Möglichkeit des Stehens und Gehens, ohne Arbeiten in
Rumpfzwangshaltung oder Tätigkeiten, die mit Heben und Tragen von Gewichten über 5 kg einhergehen, attestiert.
Dieses eingeschränkte Leistungsprofil habe zwar zur Folge, dass der Kläger die zuletzt langjährig ausgeübte Tätigkeit
als Versandleiter, bei der er selbst mit Hand anzulegen hatte, nicht mehr verrichten könne. Daraus folge jedoch nicht,
dass er generell nicht mehr in der Lage wäre, die Tätigkeit eines Versandleiters vollschichtig auszuüben. Vielmehr
seien Versandleiter in nahezu allen Branchen zu finden. Lediglich in kleineren Betrieben sei der Versandleiter auch
körperlich mitarbeitend eingesetzt. In allen anderen Betrieben, insbesondere in größeren Betrieben arbeite er
verwaltend, disponierend, überwachend und kontrollierend. Dabei handele es sich, wie der Berufsinformationskarte BO
701/1 zu entnehmen ist, um körperlich leichte Arbeit in Büros, die überwiegend im Sitzen, zeitweise im Gehen und
Stehen ausgeübt werde. Zugluft- und Witterungsexpositionen, die bei Arbeiten in Hallen und auf Verladerampen
entstehen können, könnten arbeitsplatzabhängig auftreten, seien jedoch nicht berufstypisch. Da die besonderen
Gegebenheiten eines bestimmten Arbeitsplatzes bei der Beurteilung eines BU-Rentenanspruchs unberücksichtigt
bleiben müssten (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 4), sei der Kläger weiterhin fähig, eine Tätigkeit als Versandleiter
auszuüben. Eine Erörterung von Verweisungstätigkeiten und deren soziale Zumutbarkeit erübrige sich daher (BSG
vom 12.11.80 - 1 RA 91/79).
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 25.03.1999 aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit Rente wegen
Berufs- und Erwerbsunfähigkeit vor dem 01.03.2000 begehrt wird.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Der Senat hat zur Beurteilung des Leistungsvermögens des Klägers ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten,
erstattet am 06.02.2000 von Prof. Dr. R ..., eingeholt. Die körperliche und neurologische Untersuchung ergab außer
einem lokalen Zervikal- und Lumbalsyndrom das Vollbild einer sensomotorischen symmetrischen Polyneuropathie.
Die motorischen evozierten Potentiale wiesen dementsprechende deutliche Verzögerungen zu den Beinen auf.
Psychisch lagen beim Kläger keine Störungen vor. Die Ultraschalluntersuchung der hirnversorgenden Gefäße und das
EEG waren ohne pathologischen Befund. Die psychologischen Tests ergaben bei deutlich überdurchschnittlicher
Intelligenz keine Hinweise auf Hirnleistungsversagen. Der Sachverständige Prof. Dr. R ... stellte auf Grund der
Untersuchung folgendeneurologisch-psychiatrische Diagnosen: - Sensomotorisch-vegetative distale symmetrische
Polyneuro pathie, - lokales Zervikal- und Lumbalsyndrom, - radikuläres Syndrom S 1 rechts.
Die festgestellten Gesundheitsstörungen bestünden wahrscheinlich seit Rentenantragstellung, sicher aber seit Mitte
1998. Aufgrund dieser Gesundheitsstörungen könne der Kläger keiner regelmäßigen täglichen Erwerbstätigkeit
nachgehen, weder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, noch als Versandleiter oder im Bürobereich. Die glaubhaft
vorgetragenen täglichen Dauerschmerzen seien teilweise durch die Wirbelsäulensyndrome und teilweise durch die
Polyneuropathie bedingt. Letztere habe zu deutlichen Störungen der sensiblen, motorischen und vegetativen
(sudomotorischen) Nervenfasern geführt. Der Kläger sei dringend behandlungsbedürftig. In absehbarer Zeit sei jedoch
nach der Einschätzung des Sachverständigen eine sozialmedizinisch relevante Besserung nicht zu erreichen. Aus
neurologischer Sicht sei der Kläger aber in der Lage, viermal täglich eine Wegstrecke von mehr als 500 Metern mit
zumutbarem Zeitaufwand und ohne übermäßige Anstrengung zurückzulegen. Der Neurologe geht davon aus, dass das
Leistungsvermögen des Klägers um mindestens 2/3 desjenigen eines geistig und körperlich gesunden Versicherten
gemindert sei. Der ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen vom 15.05.2000 zufolge, sei das vom Kläger
glaubhaft beschriebenen Schmerzsyndrom allein ausreichend, um eine Erwerbsunfähigkeit zu begründen, unabhängig
davon welcher Anteil der Polyneuropathie und welcher dem radikulären Syndrom zugerechnet werde.
Der Senat hat den Sachverständigen Prof. Dr. R ... in der mündlichen Verhandlung am 13.12.2000 zur Erläuterung
seines Gutachtens gehört. Wegen seiner Angaben wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Nach Auswertung der Einlassungen des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte mit
Schreiben vom 05.03.2001 im Wege eines Vergleichsvorschlages ein deutlich reduziertes Leistungsvermögen des
Klägers seit Februar 2000 und damit einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 01.03.2000 auf Dauer
anerkannt. Der Kläger hat dieses Vergleichsangebot nicht angenommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen
und auf die beigezogene Verwaltungsakte, die dem Senat vorlagen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte mit der Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden (§ 153
Abs. 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 [SGG]).
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist einerseits ein Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen
Berufsunfähigkeit ab 01.08.1996, und damit ab dem Monat der Rentenantragstellung (vgl. § 99 Abs. 1 Satz 2 SGB
VI). Streitig ist aber auch, ob - wie vom Sozialgericht angenommen - aufgrund eines nur noch unter vollschichtigen
Leistungsvermögens und eines verschlossenen Teilzeitarbeitsmarktes ab 12.12.1997 der Leistungsfall der
Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist und eine Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung einer befristeten Rente wegen
Erwerbsunfähigkeit ab dem siebenten Kalendermonat nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit und damit
ab 01.07.1998 besteht (§ 101 Abs. 1, § 102 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI). In diesem Umfang ist die Beklagte vom
Sozialgericht - indessen hinsichtlich beider Zeitpunkte zu Unrecht - jeweils zur Leistungsgewährung verurteilt worden.
Im Ergebnis der vom Senat durchgeführten medizinischen Sachaufklärung war auf die Berufung der Beklagten das
erstinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit sich danach für den Kläger ein
Leistungsanspruch für die Zeit vom 01.08.1996 bis 28.02.2000 ergibt. Erst aufgrund der im Berufungsverfahren
erfolgten neurologisch-psychiatrischen Begutachtung des Klägers hat sich ein derart deutlich reduziertes
Leistungsvermögen des Klägers objektivieren lassen, dass daraus ab 01.03.2000 ein Anspruch auf Rente wegen
Erwerbsunfähigkeit auf Dauer resultiert. Seit 01.03.2000 war die Beklagte daher - wie von ihr mit dem Vergleich vom
05.03.2001 auch anerkannt - zur Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu verpflichten.
Der Bewertung des Sozialgerichts folgt der Senat nicht, denn der Kläger ist weder seit 01.08.1996 berufsunfähig im
Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI noch bereits seit 12.12.1997 erwerbsunfähig im Sinne des § 44 Abs. 2 SGB VI.
Berufsunfähigkeit im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung besteht, anders als vom
SG angenommen, nicht. Der Kläger ist nach seinem medizinischen Leistungsbild und unter Zugrundelegung seiner
beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten weiterhin bis März 2000 als Versandleiter, zumindest aber als gehobener
Sachbearbeiter im kaufmännischen oder technischen Bereich vollschichtig einsatzfähig.
Zutreffend gehen die Beklagte und das Sozialgericht davon aus, dass als Beruf des Klägers seine zuletzt seit 1988
ausgeübte Tätigkeit als Abteilungsleiter Versand zugrunde zu legen ist. Diese Tätigkeit war qualitativ in die
Gehaltsgruppe 6 des Manteltarifvertrages für die Angestellten der Sächsischen Metall- und Elektroindustrie eingestuft
und war damit der zweithöchsten Gehaltsgruppe im Gefüge des hier einschlägigen Tarifvertrages zugeordnet. Nach
ihrem qualitativen Wert ist die vom Kläger zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Abteilungsleiter Versand damit im
Mehrstufenschema der Gruppe der Angestellten mit hoher beruflicher Qualität zuzuordnen. Sofern der Kläger nach
seinem medizinischen Leistungsbild nicht mehr in der Lage ist, dem Anforderungsprofil im bisherigen Beruf gerecht zu
werden, ist ihm im Rahmen einer Prüfung nach § 43 Abs. 2 SGB VI Berufsschutz dahin zuzubilligen, dass eine
Verweisung auf an- und ungelernte Tätigkeiten ausgeschlossen ist. Der Kläger kann insoweit sozial zumutbar nur auf
Tätigkeiten der nächst niedrigeren Stufe und damit auf Angestelltentätigkeiten, für die eine regelmäßige Ausbildung
mehr als zwei Jahren erforderlich ist, verwiesen werden.
Die Frage einer zumutbaren Verweisungstätigkeit stellt sich allerdings nur, wenn - wovon das Sozialgericht
ausgegangen ist - der Kläger aus medizinischer Sicht seinen bisherigen Beruf nicht mehr ausüben könnte. Das ist
nach Überzeugung des Senates unter Berücksichtigung der beigezogenen medizinischen Unterlagen und Gutachten
für die vom Sozialgericht angegebene, oben genannte, vor dem 01.03.2000 liegende Zeit noch nicht der Fall.
Zur typisierenden Beschreibung des Arbeitsplatzes eines Versandleiters hat das Sozialgericht zwar zutreffend die
berufskundlichen Unterlagen der Bundesanstalt für Arbeit (Berufsinformationskarte BO 701/1; gabi 781 b)
herangezogen. Danach ist die Tätigkeit eines Versandleiters als körperlich leichte, überwiegend sitzende Arbeit in
geheizten und klimatisierten Räumen, zeitweise in Werk- und Lagerhallen, mit der Möglichkeit zu gelegentlichem
Gehen und Stehen anzusehen. Zwar können gelegentlich auch Arbeiten bei Zugluft und unter Witterungseinflüssen im
Freien auszuüben sein. Derartige Tätigkeiten sind aber abhängig vom konkreten Arbeitsplatz, zum Beispiel, wenn in
einem kleineren Betrieb die Tätigkeit eines Versandleiters mit der eines Lagerleiters verbunden ist.
Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts gehören derartige Einflüsse aber nicht zu den typischen
Belastungssituationen im Berufsbild eines Versandleiters, auch wenn dies auf dem bisherigen Arbeitsplatz des
Klägers bis 1992 der Fallgewesen sein sollte. Je nach den betrieblichen Gegebenheiten und der Organisationsstruktur
ist der Versandleiter - wie sich aus der Berufsinformationskarte BO 701/1 und gabi 781 b ergibt - überwiegend
verwaltend, disponierend, überwachend und kontrollierend tätig. Derartige körperlich leichte Tätigkeiten vorwiegend im
Sitzen, jedoch auch zeitweise mit der Möglichkeit des Stehens und Gehens, ohne Arbeiten in Rumpfzwangshaltung
und ohne Tätigkeiten, die mit Heben und Tragen von Gewichten über 5 kg einhergehen, kann der Kläger unter
Zugrundelegung seines medizinischen Leistungsvermögens noch vollschichtig ausüben.
Diese Leistungseinschätzung ergibt sich nach Überzeugung des Senates sowohl aus dem orthopädischen Gutachten
des Prof. Dr. D ... vom 22.07.1998 als auch aus dem im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten der Chirurgin
Dr. H ... vom 04.12.1996 und den sozial-medizinischen Einschätzungen des Entlassungsberichts der Fachklinik Bad
F ... vom 14.11.1995. Übereinstimmend stellen die medizinischen Sachverständigen fest, dass beim Kläger zwar
bedingt durch die nachgewiesenen Beeinträchtigungen insbesondere am Stütz- und Bewegungsapparat eine
Leistungseinschränkung für schwere bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten besteht. Der Kläger ist jedoch für
körperlich leichte Tätigkeiten vollschichtig leistungsfähig. Zwar weisen die Sachverständigen darauf hin, der Kläger
könne seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit nicht mehr vollschichtig ausführen. Dies erstreckt sich aber allein auf die
vom Kläger beschriebene, in der Vergangenheit als Abteilungsleiter Versand tatsächlich ausgeübte Tätigkeit bis 1992
an seinem letzten Arbeitsplatz. Denn der Kläger hat dargelegt, dass er mittelschwere und teilweise auch körperlich
schwere Arbeiten habe erledigen müssen. Insoweit hat sich die Beklagte aber - bezogen auf die medizinischen
Feststellungen - zweifelsfrei dahin eingelassen, dass derartige körperlich schwere Arbeiten vom Kläger nicht erwartet
werden und dass diese auch dem typischen Berufsbild eines Versandleiters nicht entsprechen.
Unstreitig bestehen beim Kläger nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen schwere degenerative
Veränderungen an der Lendenwirbelsäule, die Ursache für ständige Schmerzen der Lendenwirbelsäle mit Ausstrahlung
in das rechte Bein sind. Während ein im Dezember 1997 diagnostiziertes Radikulärsyndrom der Wurzeln L 4 und L 5
zumindest die Muskelausfälle und Muskelschwächen des Fußhebers und des Musculus quadriceps erklären konnte,
war die neurologische Diagnostik nicht abgeschlossen und blieben nach dem Gutachten von Prof. Dr. D ... vom
Kläger geklagte neurologische Einschränkungen ungeklärt. Aufgrund dieser nicht ausreichenden diagnostischen
Abklärung des bestehenden radikulären Schmerzsyndroms hielt der Sachverständige Prof. Dr. D ... den Kläger zwar
nicht für "arbeitseinsatzfähig". Zur Abklärung der zunächst festgestellten Diskrepanz zwischen elektroneurographisch
und neurologischem Befund, wurde im Oktober 1998 ein Magnetresonanztomogramm der Lendenwirbelsäule
durchgeführt. Nach Auswertung dieser Befunde schlussfolgert der Sachverständige, wie sich bereits aus dem
Gutachten vom 22.07.1998 ergibt, dass beim Kläger wegen des Radikulärsyndroms zwar eine starke Einschränkung
der Belastbarkeit besteht, er aber prinzipiell für körperlich leichte Tätigkeiten als erwerbsfähig einzuschätzen ist.
Diesen sachverständigen Bewertungen schließt sich der Senat an. Es besteht zwar beim Kläger auch eine
Coxarthrose rechts, die für Gehen und Stehen limitierend wirkt. Diese bedingt jedoch keine Einschränkung der
Leistungsfähigkeit für leichte, vorwiegend im Sitzen zu realisierende Tätigkeiten.
Da der Kläger trotz seines eingeschränkten Leistungsbildes in seinem bisherigen Beruf zumindest bis zum Zeitpunkt
eines weiteren Absenkens der Leistungsfähigkeit weiterhin vollschichtig tätig sein kann, ist er nach § 43 Abs. 2 SGB
VI nicht bereits seit August 1996 berufsunfähig.
Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit hat der Kläger für die Zeit ab 01.03.2000, nicht dagegen bereits für die
vom SG angenommene Zeit nach einem Leistungsfall vom 12.12.1997. Insoweit ist Erwerbsunfähigkeit erst mit dem
dem Zeitpunkt der Untersuchung beim Sachverständigen Prof. Dr. R ... folgenden Monat, mithin dem 01.03.2000,
nachgewiesen. Bis dahin war der Kläger - wie dargelegt - vollschichtig leistungsfähig. Damit scheidet aber bis dahin
die Zuerkennung eines Rentenanspruchs wegen Erwerbsunfähigkeit aus. Denn nach § 44 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB VI
ist nicht erwerbsunfähig, wer eine Tätigkeit vollschichtig leistungsfähig ausüben kann.
Der Senat stützt sich dabei gerade auch auf die im Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. R ... vom 06.02.2000
und der weiteren Stellungnahme vom 15.05.2000 getroffenen Feststellungen. In der nachgereichten Stellungnahme
vom 15.05.2000 führt der Sachverständige unzweideutig aus, dass die Diagnose "Polyneuropathie" bis zum Zeitpunkt
der gutachtlichen Untersuchung nicht festgestellt worden ist. Insgesamt liegen genügende gesicherte Erkenntnisse für
das Bestehen einer zur Erwerbsunfähigkeit führenden Einschränkung der Leistungsfähigkeit nach Überzeugung des
Senats zu einem früheren Zeitpunkt als dem der Begutachtung durch den Sachverständigen nicht vor.
Soweit der Sachverständige sowohl in seinem Gutachten als auch der nachgereichten Stellungnahme ausführt, es sei
"wahrscheinlich, dass bereits zum Zeitpunkt der orthopädischen Untersuchung vom Juli 1998 ... die Kombination
radikulärer und neuropathischer Faktoren zu erheblichen Leistungseinschränkungen im Sinne einer Erwerbsunfähigkeit
führten" (vgl. Stellungnahme vom 15.05.2000, S. 22), rechtfertigt dies die Zubilligung des streitbefangenen Anspruchs
zu einem früheren Zeitpunkt nicht. "Wahrscheinlichkeit" in dem vom Sachverständigen dargelegten Umfang bedeutet
nicht die für die richterliche Überzeugung und damit den Vollbeweis maßgebliche, hier aber erforderliche, an
Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Anders ausgedrückt: für den Vollbeweis ist ein so hoher Grad an
Wahrscheinlichkeit erforderlich, dass kein vernünftiger Mensch noch Zweifel am Vorliegen der streitgegenständlichen
Tatsache hat (vgl. nur BSG Breith. 1994, 46).
Der Sachverständige weist in seinem Gutachten und der nachgereichten Stellungnahme selbst darauf hin, dass es
sich bei seinen Ausführungen hinsichtlich des Zeitpunkts des Eintritts der den Rentenanspruch auslösenden
Einschränkung der Leistungsfähigkeit letztlich um eine Vermutung handelt: "Der Beginn der Erkrankung, die zur
jetzigen (Untersuchungsdatum) Leistungsbeurteilung führt, ist sicher nachträglich schwer festzustellen" (so wiederum
in der Stellungnahme vom 15.05.2000, S. 22). Damit stimmen die im Gutachten vom 06.02.2000 getroffenen
Feststellungen vollinhaltlich überein. Denn im Gutachten ist wiederholt darauf hingewiesen, dass das zum Zeitpunkt
der Untersuchung bestehende Leistungsbild "wahrscheinlich" seit Juli 1998 besteht. Für die Beurteilung des
Leistungsvermögens ist aber nicht, wie vom Sachverständigen insoweit ersichtlich angenommen, der Zeitpunkt des
Krankheitsbeginns ausschlaggebend. Darauf kommt es nicht an. Maßgebend für die Zuerkennung eines
Rentenanspruchs wegen Erwerbsunfähigkeit ist vielmehr allein der Nachweis des ist, dass eine Erwerbsfähigkeit
objektiv nicht mehr besteht. Aus der Sicht der zeitlichen Entwicklung des Krankheitsverlaufs ist damit allein
maßgebend, ob und seit welchem Zeitpunkt eine Erkrankung ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie ein
vollschichtiges Leistungsvermögen nicht mehr zulässt. Dies ist indessen im Fall des Klägers erstmals mit der
Untersuchung beim Sachverständigen Prof. Dr. R ... nachgewiesen. Damit schied aber die Annahme von
Erwerbsunfähigkeit vor dem 01.03.2000 aus.
Aus den genannten Gründen war auf die Berufung das angefochtene Urteil aufzuheben und dem Kläger - unter
Abweisung der Klage im Übrigen - Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab dem 01.03.2000 zuzuerkennen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG. Für die Kostenentscheidung, die nach billigem Ermessen zu
treffen ist, war maßgebend, dass sich eine die Erwerbsunfähigkeit begründende Leistungseinschränkung erst im
Berufungsverfahren herauskristallisiert hat und die Beklagte diesen gesundheitlichen Veränderungen letztlich mit dem
Vergleichsangebot Rechnung getragen hatte.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).