Urteil des LSG Sachsen vom 20.09.2005

LSG Fss: arbeitslosigkeit, arbeitsamt, meldung, arbeitsfähigkeit, arbeitsunfähigkeit, insolvenz, beendigung, datum, handbuch, beratungspflicht

Sächsisches Landessozialgericht
Beschluss vom 20.09.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Dresden S 10 AL 1622/01
Sächsisches Landessozialgericht L 3 AL 257/04
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 12.10.2004 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin im Wege der Überprüfung nach § 44 SGB X bereits ab
18. Dezember 2000 Arbeitslosengeld (ALG) zu bewilligen hat.
Die am ...1976 geborene Klägerin stand zuletzt in den Zeiträumen vom 01. Mai – 15. Juni 2000 sowie vom 19. Juni
2000 – 15. Januar 2001 in verschiedenen versicherungs-pflichtigen Beschäftigungsverhältnissen. Über das Vermögen
ihrer letzten Arbeitgeberin, der K ... C ... GmbH in D ..., wurde am 01. Dezember 2000 das Insolvenzverfahren
eröffnet.
Bereits am 16. November 2000 sprach die Klägerin persönlich im Arbeitsamt Dresden vor und gab an, ihre
Arbeitgeberin habe einen Insolvenzantrag laufen. Die Entscheidung falle am 01. Dezember 2000. Sie habe noch keine
Kündigung und auch keine Freistellung erhal-ten. Nach den Unterlagen der Beklagten wurde ihr aus diesem Anlass ein
"Antrag Bewer-bungskosten mit Merkblatt" ausgehändigt. Weiter wurde sie darauf hingewiesen, sie solle am ersten
Tag der Arbeitslosigkeit ALG beantragen solle.
Am 04. Dezember 2000 sprach die Klägerin erneut im Arbeitsamt vor. Sie wolle sich ar-beitslos melden, da bereits ein
Insolvenzverfahren laufe. Seitens des Arbeitsamtes wurde ihr jedoch deswegen, weil sie seit dem 04. Dezember 2000
arbeitsunfähig krankgeschrie-ben war, bedeutet, sie solle sich spätestens am ersten Tag der "Gesundschreibung"
melden. Bis zum 17. Dezember 2000 war die Klägerin arbeitsunfähig.
Bereits am 20. Dezember 2000 ging ein Schreiben der Klägerin vom 19. Dezember 2000 Arbeitsamt Dresden ein, in
welchem sie ausführte, sie bedanke sich für die freundliche Beratung vom 04. Dezember 2000 und habe sich sofort
mit Erfolg mit dem Insolvenzver-walter in Verbindung gesetzt. Nach dem beigefügten Kündigungsschreiben des
Insolvenz-verwalters war das Arbeitsverhältnis fristgemäß zum 15.01.2001 gekündigt und die Kläge-rin ab dem 18.
Dezember 2000 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses von der Arbeit freigestellt worden. In dem Schreiben des
Insolvenzverwalters hieß es weiter, die Klägerin solle sich unverzüglich bei ihrem Arbeitsamt melden. Aus dem
Arbeitsverhältnis stehe ihr kein Resturlaub mehr zu.
In der Zeit bis zum 17. Dezember 2000 erhielt die Klägerin Lohnfortzahlung. Für den Zeit-raum vom 19. Juni – 17.
Dezember 2000 wurde ihr ein Arbeitsentgelt von 16.586,67 DM bei vollschichtiger Beschäftigung bescheinigt.
Am 16. Januar 2001 sprach die Klägerin beim Arbeitsamt vor und stellte den aktenkundi-gen ausdrücklichen
Arbeitslosengeldantrag.
Gegen den Bewilligungsbescheid vom 12. Februar 2001, mit dem die Beklagte das ALG erst ab 16. Januar 2001
gewährte, legte die Klägerin Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 09. März 2001 wies die Beklagte den
Widerspruch zurück. Die persönliche Arbeitslosmeldung sei erst am 16. Januar 2001 erfolgt. Bei der Vorsprache am
04. Dezember 2000 sei die Klägerin darauf hingewiesen worden, dass eine persönliche Arbeitslosmeldung spätestens
am ersten Tag ihrer Arbeitsfähigkeit erfolgen müsse. Hiergegen legte die Klägerin keine Klage ein.
Mit am 12. September 2001 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben ihrer Prozessbe-vollmächtigten begehrte die
Klägerin die Überprüfung der vorgenannten Entscheidungen gem. § 44 SGB X mit dem Ziel, ihr ALG bereits ab dem
18. Dezember 2000 zu bewilli-gen. Bereits am 04. Dezember 2000 sei besprochen worden, dass das bestehende
Arbeits-verhältnis beendet werde, also Arbeitslosigkeit eintreten werde. Es sei klar gewesen, dass der Klägerin vom
Insolvenzverwalter gekündigt werde. Die zuständige Arbeitsberaterin habe der Klägerin geraten, beim
Insolvenzverwalter die Freistellung für die Dauer der Kündigungsfrist zu beantragen. Dies habe die Klägerin auch
getan. Da sie aber vom 04. Dezember 2000 – 17. Dezember 2000 arbeitsunfähig krank gewesen sei, habe der Arbeit-
geber erst am 18. Dezember 2000 das Arbeitsverhältnis gekündigt und die Klägerin bis zum 15. Januar 2001 von der
Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt.
Bereits am 04. Dezember 2000 seien der Klägerin die Unterlagen zur Beantragung von ALG zugestellt worden, weil
die Arbeitslosigkeit in allernächster Zeit zu erwarten gewesen sei. Die Klägerin sei nicht darüber informiert worden,
dass sie bereits während der Freistel-lung durch den Insolvenzverwalter Anspruch auf ALG habe.
Sofort nach Erhalt der Kündigung habe die Klägerin die ihr am 04. Dezember 2000 über-gebenen Unterlagen
eingereicht und ALG beantragt. Am 16. Januar 2001 habe sie noch-mals persönlich vorgesprochen und nachgefragt,
ob alle Unterlagen vorlägen. Dieser Be-such sei als persönliche Arbeitslosmeldung gewertet worden. Bereits die
Vorsprache am 04. Dezember 2000 habe jedoch gem. § 123 Abs. 1 S. 2 SGB III als Arbeitslosmeldung gewertet
werden müssen. Wenn die Klägerin darauf hingewiesen worden wäre, dass sie auch während der Freistellung
Anspruch auf ALG habe, sich aber zu Beginn der Freistel-lungsphase noch einmal arbeitslos melden müsse, so hätte
sie dies auch sofort getan. Eine solche Beratung habe auch nahe gelegen.
Mit Bescheid vom 02. Oktober 2001 teilte die Beklagte der Klägerin mit, der zu überprü-fende Bescheid sei nicht zu
beanstanden, so dass es bei der dortigen Entscheidung verblei-be.
Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. November 2001 zurück.
Der zur Überprüfung gestellte Bescheid sei nicht unrichtig gewesen.
Die hiergegen am 11. Dezember 2001 beim Sozialgericht Dresden (SG) eingegangene Kla-ge, mit der über das
Vorbringen im Überprüfungsverfahren hinaus darauf hingewiesen wurde, dass die Klägerin sich nach ihrer Gesundung
telefonisch bei der Mitarbeiterin der Beklagten, Frau K. gemeldet und ihr sowohl von der Kündigung berichtet als auch
das Schreiben vom 19. Dezember 2000 eingereicht habe, hat das Sozialgericht nach Anhörung der Klägerin mit Urteil
vom 12. Oktober 2004 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der dem Bewilligungsbescheid vom 12.
Februar 2001 zugrunde liegende Sachverhalt habe sich nicht als unrichtig erwiesen. Selbst ein schuldhaf-tes
Unterlassen einer sich aufdrängelnden Beratung führe nicht dazu, dass von einer Ar-beitslosenmeldung vor dem 16.
Januar 2001 auszugehen sei. Im Wege des Herstellungsan-spruchs könnten nur sozialrechtliche Voraussetzungen
aus dem Wirkungskreis des pflicht-verletzenden Sozialleistungsträgers fingiert werden; die unterlassene
Arbeitslosmeldung sei aber eine Begebenheit aus dem tatsächlichen Bereich, die dem Zuständigkeitsbereich und den
Gestaltungsmöglichkeiten der Beklagten entzogen sei.
Vor dem 16. Januar 2001 fehle es an der Anspruchsvoraussetzung der Arbeitslosmeldung. In der Vorsprache am 04.
Dezember 2000 sei eine solche nicht zu sehen, denn die Klägerin habe nicht den Beginn ihrer Arbeitslosigkeit
benannt, der auch noch nicht habe bestimmt werden können. Für eine wirksame Arbeitslosmeldung sei aber – im
Gegensatz zur leis-tungsrechtlich nicht relevanten Meldung, dass man Arbeit suchend oder von Arbeitslosig-keit
bedroht sei – erforderlich, dass der Beginn der Arbeitslosigkeit bestimmt werde. Die Arbeitslosmeldung sei die
Anzeige des Arbeitslosen, dass der Versicherungsfall Arbeitslo-sigkeit eingetreten sei und solle der Arbeitsagentur die
unverzügliche Vermittlung des Ar-beitslosen und damit die schnelle Beendigung der Arbeitslosigkeit ermöglichen
(Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, § 10 Rnr. 74). Diesen Zweck könne die
Arbeitslosmeldung aber nur erfüllen, wenn der Beginn der Arbeitslosig-keit bekannt sei. Sie sei deshalb inhaltlich die
Erklärung der Tatsache, dass für einen be-stimmten Arbeitnehmer zu einem gewissen Zeitpunkt die Arbeitslosigkeit
eintrete und be-schränke sich auf den vom Antragsteller benannten Zeitraum.
Die Beschäftigungslosigkeit der Klägerin sei nicht bereits am 04. Dezember 2000 be-stimmbar gewesen. Sie sei erst
mit der Freistellungserklärung des Insolvenzverwalters ein-getreten. Diese sei aber erst im Kündigungsschreiben vom
14. Dezember 2000 ausgespro-chen worden. Die Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit am 04. Dezember 2000
ent-halte keine Aussage über deren Ende und damit das Wiedereintreten der Arbeitsfähigkeit. Dies sei wegen des
ungewissen Ereignisses der Gesundung naturgemäß auch nicht mög-lich.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der diese ihren bis-herigen Vortrag im
Wesentlichen wiederholt. Sie meint, ihre Erklärung vom 04. Dezember 2000, sie werde in nächster Zeit arbeitslos
werden, sei in Verbindung mit der schriftlichen Mitteilung vom 19. Dezember 2000, aus dem die
Beschäftigungslosigkeit hervorgehe, als "persönliche Arbeitslosmeldung" anzusehen. Eine erneute persönliche
Vorsprache habe auch nach Sinn und Zweck des Erfordernisses der persönlichen Arbeitslosmeldung keinen
eigenständigen Sinn mehr gehabt.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichtes Dresden vom 12. Oktober 2004 abzuändern und die Be- klagte
unter Aufhebung des Bescheides vom 02. Oktober 2001 in Gestalt des Wider- spruchsbescheides vom 30. November
2001 zu verurteilen, den Bescheid vom 12. Februar 2001 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 09. März 2001
zurück- zunehmen und ihr Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe auch für die Zeit vom 18. Dezember 2000 bis zum
15.01.2001 zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin habe am 04. Dezember 2000 lediglich mitgeteilt, dass sie wegen Insolvenz ihrer Arbeitgeberin zu einem
noch offenen Zeitpunkt voraussichtlich arbeitslos werde und zurzeit krank sei. Sie sei zu diesem Zeitpunkt weder
gekündigt noch von der Arbeit freige-stellt gewesen, noch habe ein Datum festgestanden, zu dem sie arbeitslos
werden würde. Zudem habe sie wegen Krankheit keine Beschäftigung ausüben können. Daher habe am 04. Dezember
2000 keine Arbeitslosigkeit vorgelegen und die Klägerin habe sich auch nicht wirksam arbeitslos melden können.
Auch § 122 SGB III greife nicht zugunsten der Klägerin ein, denn es habe nicht festgestanden, wann die Klägerin
konkret beschäftigungs-los werde. Auch habe es offen gestanden, wann sie wieder arbeitsfähig sein werde. Der
sozialrechtliche Herstellungsanspruch greife nicht. Gegen eine Beratungspflichtverletzung spreche schon die in den
Beratungsvermerken dokumentierte Belehrung der Klägerin, sie solle sich am ersten Tag ihrer Genesung erneut
persönlich zu melden.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und der
Leistungsakte der Beklagten Bezug genommen.
II.
Die Berufung ist statthaft, § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Wert des
Beschwerdegegenstandes übersteigt 500,00 EUR, denn die Klägerin begehrt für den Zeit-raum vom 18. Dezember
2000 bis zum 15. Januar 2001, mithin für vier Wochen und einen Tag Arbeitslosengeld nach dem von der Beklagten
zugrunde gelegten Bemessensentgelt von 890,00 DM wöchentlich in Leistungsgruppe A, allgemeiner Leistungssatz.
Bereits für den Zeitraum ab dem 01. Januar 2001 begehrt die Klägerin angesichts des wöchentlichen Leistungssatzes
von 338,66 DM (täglich 48,38 DM) einen Betrag von 725,70 DM. Hinzu kommen weitere 328,93 DM wöchentlich
(täglich 46,99 DM) für die Zeit vom 18. Dezem-ber 2000 bis zum 31. Dezember 2000, mithin 610,87 DM. Der
Gesamtbetrag beläuft sich mithin auf 1.336,57 DM = 683,38 EUR.
Die Berufung ist im Übrigen zulässig, insbesondere innerhalb der Frist des § 151 Abs. 1 SGG eingelegt worden.
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Insoweit wird auf die zutreffenden Entscheidungs-gründe des angefochtenen
Urteils Bezug genommen, § 153 Abs. 2 SGB.
Ergänzend ist noch hinzuzufügen, dass eine Beratungspflichtverletzung der Beklagten nicht feststellbar ist, denn die
Beklagte hat der Klägerin zwar möglicherweise nicht gera-ten, sich mit Beginn der Freistellung zu melden. Sie hat
aber darauf hingewiesen, dass die Klägerin sich am ersten Tag nach Ablauf der Arbeitsunfähigkeit wieder melden
solle. Hät-te die Klägerin dies getan, hätte sie sich auch an dem (zufällig hiermit zusammenfallenden) ersten Tag der
Arbeitslosigkeit rechtszeitig persönlich gemeldet. Selbst wenn der Vortrag der Klägerin, sie sei nicht zutreffend belehrt
worden, als wahr unterstellt wird, ist bei die-ser Sachlage jedenfalls keine Kausalität einer in Betracht zu ziehenden
Verletzung der Beratungspflicht ersichtlich.
Auch die Argumentationen der Klägerin, die Vorsprache am 04. Dezember 2000 sei in Verbindung mit dem Schreiben
vom 19. Dezember 2000 – das im Übrigen erst am 20. De-zember 2000 bei der Beklagten eingegangen ist -
insgesamt als persönliche Arbeitslosen-meldung zu werten, führt nicht zu dem von ihr gewünschten Ergebnis. Das
Schreiben vom 19. Dezember 2000 ist als solches keine persönliche Arbeitslosenmeldung. In der Vor-sprache am 04.
Dezember 2000, die ebenfalls als solche nicht als persönliche Arbeitslo-senmeldung gewertet werden kann, liegt kein
Sachverhalt, der es ermöglichen würde, einer späteren schriftlichen Erklärung, aus der der Zeitpunkt der
Arbeitslosigkeit hervorgeht, die Wirkung einer vor Eingang des Schreibens erfolgten persönlichen Arbeitslosmeldung
beizumessen.
Schließlich greift § 122 Abs. 1 S. 2 SGB III nicht zugunsten der Klägerin ein. Danach ist eine Meldung auch zulässig,
wenn die Arbeitslosigkeit noch nicht eingetreten, der Eintritt der Arbeitslosigkeit aber innerhalb der nächsten zwei
Monate zu erwarten ist. Auch hierfür ist jedoch Voraussetzung, dass der Eintritt der Arbeitslosigkeit bereits
datumsmäßig fest-steht (Brand, Niesel, SGB III, Rdnr. 3 zu § 122). Selbst wenn man die Auffassung vertre-ten wollte,
es müsse nur hinreichend wahrscheinlich sein, dass innerhalb der nächsten zwei Monate gerechnet ab der
entsprechenden Vorsprache, die als Arbeitslosmeldung gelten sollte, der Versicherungsfall hinreichend wahrscheinlich
eintrete, ist diese Voraussetzung vorliegend nicht erfüllt, denn die Klägerin war zu dem insoweit maßgebenden
Zeitpunkt – dem 04. Dezember 2000 – arbeitsunfähig erkrankt. Zu diesem Zeitpunkt war eine Ge-sundung und damit
die Verfügbarkeit der Klägerin nicht absehbar (vgl. hierzu Urteil des Senats vom 12.12.2001 – L 3 AL 21/00).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Die Gründe für die Zulassung der Revision, § 160 Abs. 2 SGG, liegen nicht vor.