Urteil des LSG Sachsen vom 02.04.2009

LSG Fss: fahrkosten, grobe fahrlässigkeit, rücknahme, wohnung, verwaltungsakt, begriff, weiterbildung, merkblatt, subjektiv, nummer

Sächsisches Landessozialgericht
Urteil vom 02.04.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Dresden S 34 AL 1593/06
Sächsisches Landessozialgericht L 3 AL 149/08
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 10. Juni 2008 aufgehoben und die
Klage abgewiesen II. Notwendige außergerichtliche Kosten beider Instanzen sind nicht zu erstatten. III. Die Revision
wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die teilweise Rücknahme der Bewilligung von Fahrkosten sowie die damit verbundene
Erstattungsforderung in Höhe von 3.402,00 EUR.
Der 1980 geborene und in E. wohnhafte Kläger nahm vom 1. Oktober 2004 bis zum 27. September 2007 an einer
Weiterbildungsmaßnahme zum Ergotherapeuten teil. Die Ausbildungsstätte des Maßnahmeträgers, die I. med. GmbH,
eine Staatlich anerkannte Schule für Ergotherapie, befand sie in G ... Für diese Maßnahme wurden dem Kläger mit
mehreren Bescheiden für verschiedene Zeitabschnitte Leistungen für die Fahrkosten bewilligt.
Der Kläger unterschrieb am 22. September 2004 einen "Kurz-Antrag auf Förderung der Teilnahme an einer beruflichen
Weiterbildungsmaßnahme für Leistungsempfänger", der am 27. September 2004 bei der Beklagten einging. Er
bestätigte darin unter anderem, das Merkblatt 6 "Förderung der beruflichen Weiterbildung" erhalten zu haben. In dem
von ihm unterschriebenen Formular der "Erklärung über Fahrkosten" heißt es am Ende des Förderungshinweises unter
Nummer 1: "Es ist jeweils die kürzeste Straßenverbindung (einfache Fahrt) anzugeben." In der Spalte Nummer 2
Buchst. a (Pendelfahrten zwischen Wohnung und Bildungsstätte oder zwischen Arbeits- und Bildungsstätte) trug der
Kläger zur kürzesten Straßenverbindung in das Leerfeld bei der Angabe "einfach km" "55" ein. Die Spaltenüberschrift
"kürzeste Straßenverbindung" war mit einer Fußnote versehen, worin darauf hingewiesen wurde, dass die angegebene
Kilometerzahl von der Agentur für Arbeit mit Internet-Routenplaner überprüft werde, und dass der Antragsteller
zweckmäßigerweise einen Ausdruck der Entfernungsberechnung beifüge. Ein solcher Ausdruck war dem Antrag nicht
beigefügt.
Mit Bescheid vom 28. September 2004 bewilligte die Beklagte die Übernahme der Lehrgangs- und der Fahrkosten. Für
die Zeit vom 1. Oktober 2004 bis zum 28. September 2007 bewilligte sie Fahrkosten in Höhe von insgesamt 7.236,00
EUR. Dieser Betrag setzt sich aus folgenden Einzelbeträgen zusammen: - Zeitraum vom 1. Oktober 2004 bis zum 16.
September 2005 = 4.773,60 EUR, - Zeitraum vom 4. Oktober 2005 bis zum 2. Dezember 2005 = 928,80 EUR, -
Zeitraum vom 3. März 2006 bis zum 26. Mai 2006 = 1.101,60 EUR, - Zeitraum vom 28. August 2006 bis zum 29.
September 2006 = 432,00 EUR.
Im Juni 2006 stellte die Beklagte fest, dass bei der Berechnung der Fahrkosten ein Fehler unterlaufen war. Sie teilte
daraufhin dem Kläger mit Schreiben vom 29. Juni 2006 mit, dass nach den vorliegenden Erkenntnissen die
Bewilligung der Höhe der Fahrkosten teilweise zu Unrecht erfolgt sei. Dies beziehe sich auf einen Betrag von 3.402,00
EUR. In seinem Antrag vom 22. September 2004 habe er als einfache tägliche Fahrstrecke eine Entfernung vom 55
km angegeben. Nach der Überprüfung dieser Angaben mit dem Routenplaner sei festgestellt worden, dass es sich nur
um eine Entfernung von ca. 28 km handle. Nach den vorliegenden Unterlagen habe er die Überzahlung verursacht, da
er wissentlich falsche Angaben gemacht habe. Die Leistungsbewilligung sei daher teilweise aufzuheben. Vor einer
abschließenden Entscheidung habe er Gelegenheit zur Stellungnahme. Sofern bis zum 16. Juli 2007 keine Erklärung
eingegangen sein sollte, werde nach Aktenlage entschieden. Eine Reaktion des Klägers hierauf ist nicht zu
verzeichnen.
Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 31. Juli 2006 hob die Beklagte die Bewilligung von Fahrkosten ab dem
1. Oktober 2004 teilweise in Höhe von 3.402,00 EUR auf. In dem Antrag auf Fahrkosten habe der Kläger für die
einfache Fahrstrecke "55 km" angegeben, tatsächlich betrage diese jedoch lediglich ca. 28 km. Die fehlerhafte
Bewilligung sei erfolgt, weil er in seinem Antrag vom 22. September 2004 zumindest grob fahrlässig falsche Angaben
gemacht habe. Rechtsgrundlage für die Rücknahme sei § 45 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 des Zehnten Buches
Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X). Auf dieser Grundlage seien in der
Zeit vom 1. Oktober 2004 bis zum 26. Mai 2006 Fahrkosten in Höhe von 3.402,00 EUR zu Unrecht gezahlt worden.
Dieser Betrag sei gemäß § 50 SGB X zu erstatten.
Zudem erließ die Beklagte am 31. Juli 2006 einen Änderungsbescheid zum Bewilligungsbescheid vom 28. September
2004 und bewilligte für die Zeit vom 1. Oktober 2004 bis zum 28. September 2007 für die Fahrkosten Leistungen in
Höhe von insgesamt 3.402,00 EUR. Diese setzen sich wie folgt zusammen: - Zeitraum vom 1. Oktober 2004 bis zum
16. September 2005 = 2.386,80 EUR, - Zeitraum vom 4. Oktober 2005 bis zum 2. Dezember 2005 = 464,40 EUR, -
Zeitraum vom 3. März 2006 bis zum 26. Mai 2006 = 550,80 EUR.
Am 1. August 2006 erklärte der Kläger zum Anhörungsschreiben, zur Beantragung der Fahrkosten mit dem Antrag
vom 22. September 2004 sei von einer Mitarbeiterin der Bundesagentur für Arbeit erläutert worden, dass die gesamte
Fahrstrecke anzugeben sei.
Am 29. August 2006 legte der Kläger Widerspruch gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid ein. Der Antrag
auf Bewilligung von Fahrkosten sei von ihm nach bestem Wissen und Gewissen ausgefüllt worden. Auf ausdrückliche
Nachfrage sei ihm bei einem vorausgegangenen Termin bei der Agentur für Arbeit in H. erklärt worden, dass sowohl
Hin- als auch Rückweg anzugeben seien. Als Vorlage für die Erklärung habe das beigefügte Antragsformular gedient.
Zudem sei er darauf hingewiesen worden, alle Anträge würden vor Genehmigung mittels Routenplaner geprüft. Auf der
Grundlage dieser Erläuterungen habe er dann in seiner Wohnung die Antragsunterlagen ausgefüllt. Dass es sich dabei
um veränderte Formulare gehandelt habe, sei ihm nicht aufgefallen. Die Bewilligung des Antrages sei dann wie
beantragt erfolgt. Er sei davon ausgegangen, dass die angekündigte Prüfung durchgeführt worden und
ordnungsgemäß verlaufen sei. In Bezug auf die Rückforderung erklärte der Kläger, dass eine persönliche
Rücksprache am 22. August 2006 in H. bei Frau D. ergeben habe, dass der Rückzahlungszeitraum auf ein Jahr
begrenzt sei.
Das vom Kläger in Kopie beigefügte Formular einer "Erklärung über Fahrkosten" enthält an verschiedenen Stellen
folgenden Text: "Die kürzeste Fahrstrecke beträgt (für eine Hin- und Rückfahrt pro Tag) km hin und km zurück = km -
." Der Fußnotentext entspricht fast wörtlich dem oben zitierten Fußnotentext.
Im Schreiben vom 11. September 2006 führte die Beklagte aus, dass die behauptete Auskunft durch eine
Mitarbeiterin in der beschriebenen Weise vorstellbar sei, da sich die Rechtslage für die Berechnung der Fahrkosten ab
1. Januar 2004 geändert habe. Bis 31. Dezember 2003 seien Fahrkosten auf der Grundlage der Gesamtstrecke mit
0,22 EUR/km ermittelt und auf Grund von Übergangsregelungen auch im Jahr 2004 noch in dieser Höhe bewilligt
worden. Ab 1. Januar 2004 werde für die Berechung der Fahrkosten nur noch die einfache Entfernung zu Grunde zu
legen, wobei für die ersten 10 km eine Pauschale von 0,36 EUR/km und für die weiteren Kilometer eine Pauschale
von 0,40 EUR/km angesetzt würden. Diese Rechtslage sei auch auf den Kläger anzuwenden. Im Merkblatt 6, dessen
Erhalt der Kläger unterschriftlich bestätigt habe, werde auf Seite 15 erläutert, wie die Fahrkosten berechnet würden.
Der Kläger hätte deshalb zumindest das Wort "einfache Entfernung" mit Hand streichen und stattdessen eine
handschriftliche Änderung in Hin- und Rückfahrt vornehmen müssen. Zudem hätte ihm auffallen müssen, dass er
wesentlich höhere Fahrkosten bewilligt bekommen habe, als ihm zugestanden hätten. Es sei mithin nicht
nachvollziehbar, dass ihm noch im Jahr 2004 die alte Rechtslage bezüglich der Angabe einer Hin- und Rückfahrt
erläutert worden sei. Es hätte ihm auffallen müssen, dass sein täglicher Benzinverbrauch, das heißt seine
tatsächlichen Kosten bei einem durchschnittlichen Beninverbrauch von 9 l pro 100 km und einem Preis von damals
ca. 1,20 EUR/l und insgesamt 55 km/Tag, das heißt in Höhe von ca. 6,00 EUR/Tag und einem bewilligten Betrag von
21,60 EUR/Tag nicht korrekt sein könne. Es habe seiner Sorgfaltspflicht oblegen, seine Zweifel durch ein klärendes
Gespräch zu beseitigen. Dies habe der Kläger jedoch unterlassen, weshalb ihm grobe Fahrlässigkeit zu unterstellen
sei.
Der Kläger nahm mit Schreiben vom 23. September 2006 hierzu Stellung. Er weise nochmals ausdrücklich darauf hin,
dass der beigefügte Antrag Grundlage für die Erläuterung seitens des Arbeitsamtes gewesen sei.
Übergangsregelungen oder neue Rechtslagen seien dabei nicht erwähnt worden. Er habe darauf vertraut, dass die
Leistungsbewilligung den gesetzlichen Vorgaben entspreche. Ein Anlass, den Betrag nachzurechnen oder
anzuzweifeln, habe deshalb nicht bestanden. Auf ausdrückliche Nachfrage sei Hin- und Rückfahrt anzugeben
gewesen. Die angeführte Möglichkeit zur Änderung der Textvorgaben im Antragsformular habe für ihn nicht zur
Disposition gestanden, weil er den Unterschied gar nicht gekannt habe. Das Merkblatt 6 sei ihm nicht ausgehändigt
worden. Er sei vielmehr darauf verwiesen worden, dass die Fahrstrecken anhand von Routenplanern nochmals
überprüft würden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29. November 2006 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der
Kläger habe zumindest grob fahrlässig unrichtige Angaben gemacht (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X). Zudem hätte
er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes erkennen können (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Zur Antragstellung
am 22. September 2004 habe er nicht den Vordruck benutzt, welchen er als Anlage seinem Widerspruchsschreiben
beigefügt habe. Vielmehr erfrage der von ihm benutzte Vordruck die einfache Entfernung. Dort habe der Kläger
fehlerhaft 55 km eingetragen. Das Formular weise darauf hin, dass "jeweils die kürzeste Straßenverbindung (einfache
Fahrt) anzugeben" sei. Angesichts der angestrebten Bildungsmaßnahme könne dem Kläger nicht unterstellt werden,
dass er nicht in der Lage gewesen sei, den Inhalt dieses Hinweises zu verstehen. Im konkreten Fall seien dem Kläger
dann 21,60 EUR täglich für Fahrkosten bewilligt worden. Folglich sei die Bewilligung ab dem 1. Oktober 2004 teilweise
in Höhe von 10,80 EUR/täglich (10 km x 0,36 EUR zuzüglich 18 km x 0,40 EUR) zurückzunehmen. Zum Zeitpunkt der
Rücknahme seien Fahrkosten bereits bis zum 26. Mai 2006 ausgezahlt worden, d.h. für 315 Unterrichtstage. Die
Summe der zu unrecht gewährten Fahrkosten betrage mithin 3402,00 EUR. Dieser Betrag sei gemäß § 50 SGB X zu
erstatten.
Der Kläger hat am 22. Dezember 2006 Klage erhoben. Ihm sei das Ausfüllen des Formulars von "Frau D. " bei einem
Besuch in der Agentur für Arbeit – wohl im September 2004 – erläutert worden. Hierbei sei ihm ein entsprechendes
Formular mitgegeben worden. Es sei ihm erklärt worden, dass jeweils die Hin- und Rückstrecke anzugeben sei.
Entsprechend habe er auch das eingereichte Formular dann ausgefüllt. Zudem sei ihm erläutert worden, dass die
Angaben mit einem Routenplaner nachgerechnet würden.
Hierzu hat die Beklagte erwidert, bei der persönlichen Vorsprache am 22. September 2004 sei dem Kläger unter
anderem der Fahrkostenantrag ausgehändigt worden. Ausweislich des Beratungsvermerks sei an diesem Tag jedoch
keine Beratung über die Gewährung von Fahrkosten erfolgt. Dem Kläger seien die nach neuer Rechtslage geänderten
Vordrucke übergeben worden. Diese habe er am 27. September 2004 wieder bei der Beklagten abgegeben. Mit dem
Antrag auf Förderung der Teilnahme an der beruflichen Weiterbildung habe der Kläger das Merkblatt 6 (Förderung der
beruflichen Weiterbildung) erhalten. Er hätte sich daher mittels dieses Merkblatts über die zum Zeitpunkt der
Antragsstellung geltenden Bestimmungen, Hinweise und Anträge informieren können. Bei der Maßnahme zum
Ergotherapeuten handle es sich um eine anspruchsvolle Ausbildung. Der Kläger könne sich daher nicht darauf
berufen, er habe den Begriff "einfache" Fahrt nicht verstehen können, weil dieser zu kompliziert gewesen sei. Im
Übrigen hätte der Kläger anhand der überwiesenen Rate 397,80 EUR erkennen können, dass ihm Fahrkosten für die
doppelte Entfernung gewährt würden.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 10. Juni 2008 hat der Kläger erklärt: Er habe 1997 die
Hauptschule absolviert. Anschließend habe er eine Lehre zum Fliesen-, Platten- und Mosaikleger abgeschlossen.
Dann habe er seinen Zivildienst gemacht. Vor September 2004 habe er noch keine eigene Steuererklärung
abgegeben. Dies sei für ihn nicht erforderlich gewesen. Vor September 2004 habe er auch noch keinen
Fahrkostenantrag bei der Agentur für Arbeit gestellt. Den Antrag auf Blatt 3 der Leistungsakte habe er zusammen mit
einer Mitarbeiterin der Beklagten in der Agentur für Arbeit H. ausgefüllt. Dies sei in der Eingangszone in einem Bereich
mit abgetrennten Schreibtischen erfolgt. Den Namen der Mitarbeiterin könne er nicht benennen. Es sei so gewesen,
dass die Mitarbeiterin die Erklärung zu den Fahrkosten mit ihm gemeinsam ausgefüllt habe. Zu den Kilometern habe
die Mitarbeiterin nichts Konkretes gesagt. Er habe die Angabe daher so ausgefüllt, wie es ihm zu dem anderen
Formular, welches ihm zuvor mit nach Hause gegeben worden sei, erklärt worden sei. Die Mitarbeiterin habe den
Antrag an die Leistungsabteilung weitergeleitet, da diese dort noch geprüft werde. Bei dem Eintrag der
Kilometerangabe "55" habe er das Formular nicht noch einmal genauer gelesen, insbesondere habe er sich keine
genauen Gedanken über das Wort "einfache" gemacht, weil er bereits zuvor in Kenntnis des anderen Formulars,
welches er bereits vorgelegt habe, davon ausgegangen sei, dass die Hin- und Rückfahrt einzutragen sei.
Mit Urteil vom 10. Juni 2008 hat das Sozialgericht den Bescheid vom 31. Juli 2006 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 29. November 2006 aufgehoben. Die Annahme von grober Fahrlässigkeit sei nicht
gerechtfertigt. Mit dem Begriff "einfach" könne auch zum Ausdruck gebracht werden, dass es sich hierbei um eine
direkte Fahrt – ohne Umwege – handle. Hinzu komme, dass dem Kläger zuvor bereits einmal ein solches Formular
erläutert worden sei. Damals habe es sich um das bis Ende 2003 verwandte Formular gehandelt, in welchem der
Gesamtweg für die Hin- und Rückfahrt einzutragen gewesen sei. Für das Gericht sei daher nachvollziehbar, dass sich
der Kläger hierdurch veranlasst gesehen habe, auch in diesem Antrag die Gesamtstrecke anzugeben. Auch in der
Bewilligung sei kein augenfälliger Fehler enthalten, da insbesondere die Berechnung der Fahrkosten in dem Bescheid
nicht offengelegt sei. Nach Überzeugung des Gerichts habe der Kläger allein durch die Höhe der bewilligten
Fahrkosten (zunächst 397,80 EUR/monatlich) nicht auf Grund einfachster und naheliegender Überlegungen erkennen
müssen, dass ihm ein falscher Betrag zuerkannt worden sei. Zum einen habe die Kammer hierbei berücksichtigt,
dass laut ADAC die Gesamtkosten für einen mit einem (günstigen) Mittelklassewagen zurückgelegten Autokilometer
bei durchschnittlich 0,40 EUR lägen, sodass die bewilligten Fahrkosten in Höhe von ca. 0,40 EUR pro gefahrenen
Kilometer nicht gänzlich ungewöhnlich erscheinen mussten. Zudem habe der Kläger in der mündlichen Verhandlung
glaubwürdig angegeben, dass er zu diesem Zeitpunkt einen Pkw Audi Coupé gefahren habe, der ca. 10 l auf 100 km
Benzin verbrauche. Vor dem Hintergrund seiner Kraftstoffkosten sei daher der Kläger nachvollziehbar davon
ausgegangen, dass der bewilligte Betrag nicht zu hoch sei.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 30. Juni 2008 zugestellte Urteil am 28. Juli 2008 Berufung eingelegt. Im
Gegensatz zur Auffassung des Sozialgerichts sei von grober Fahrlässigkeit auszugehen. Gerade dann, wenn der
Kläger die Angaben mit dem früheren Formblatt vergleiche, müsse ihm aufgefallen sein, dass dort nach der Hin- und
Rückfahrt, nicht jedoch nach der einfachen Fahrt gefragt worden sei. Soweit im Dezember 2003 die finanziellen
Leistungen während der Teilnahme an einer beruflichen Weiterbildung besprochen worden seien, hätte es sich damals
um 0,22 EUR/km gehandelt. Insofern hätte sich bei 55 km für die Fahrkosten ein Monatsbetrag von 229,90 EUR (55
km x 0,22 EUR/km x 19 Tage/Monat) ergeben. Dem Kläger sei dann ab September 2004 eine monatliche
Fahrkostenpauschale von fast 400,00 EUR bewilligt worden. Bereits durch einfachste Überlegungen hätte ihm
auffallen müssen, dass dies nicht stimmen könne. Eine Fahrkostenpauschale von 397,80 EUR monatlich entspreche
einem Betrag von 21,00 EUR täglich. Dies sei für die einfache Fahrstrecke von 28 km täglich sehr erheblich. Selbst
wenn sein damaliges Auto einen Verbrauch von 10 l auf 100 km gehabt hätte, er also für die täglichen Fahrten zur
Bildungsstätte ungefähr 5 l Benzin verbraucht hätte und sich damit für den Kläger im Jahr 2004 bei einem
durchschnittlichen Preis 1,15 EUR für den Liter "Super" ein monatlicher Benzinpreis von 109,25 EUR ergeben hätte (5
l/Tag x 1,15 EUR x 19 Tage), sei es eher unwahrscheinlich, dass der Gesetzgeber Teilnehmern von
Bildungsmaßnahmen eine Fahrkostenpauschale zuerkenne, die weit über den tatsächlichen Benzinkosten liege.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgericht Dresden vom 10. Juni 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Das von der Beklagten angeführte Rechenbeispiel entziehe sich der Kenntnis der Klägerseite. Jedoch seien die
Benzinkosten nur ein Bruchteil der Kosten eines Fahrzeugs. Die größten Positionen seien Abschreibung,
Versicherung, Steuer und Wartung. Die beigelegte Beispielsrechnung des ADAC aus dem Sommer 2008 gehe zum
Beispiel von Kosten zwischen 103,4 Cent bis 52,3 Cent/km bei einem Audi A6 mit 10,8 l Super und einer Fahrleistung
zwischen 10.000 km bis 30.000 km aus. Das billigste Fahrzeug, ein Peugeot, koste 43 Cent/km bei einer unterstellten
Fahrleistung von 30.000 km. Bei realistischen 15.000 km pro Jahr liege kein Fahrzeug unter 6 1 Cent/km. Im
vorliegenden Falle gehe es um eine Erstattung von 44 Cent/km. Selbst wenn zum damaligen Zeitpunkt die
Benzinkosten geringer gewesen seien, sei mit der Bewilligung kein "Gewinn" zu machen gewesen.
In der mündlichen Verhandlung vom 2. April 2009 hat der Senat den Kläger angehört und die Zeugen G. D. ,
Fachassistentin bei der Agentur für Arbeit S. , vernommen.
Zum weiteren Vorbringen der Beteiligten und zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge
sowie die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
I. Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung ist neben dem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 31. Juli 2006
auch der Änderungsbescheid vom selben Tag. Denn beide Bescheide stellen sich dem Kläger gegenüber als Einheit
dar. Während im Aufhebungs- und Erstattungsbescheid "negativ" dargestellt wird, welche Leistungen der Kläger nach
Auffassung der Beklagten zu Unrecht erhalten hat, werden im Änderungsbescheid "positiv" die ihm zustehenden
geringeren Leistungen beziffert.
Auf Grund dessen ist der Widerspruch des damals noch nicht anwaltlich vertretenen Klägers vom 29. August 2006
dahingehend auszulegen, dass er über den ausdrücklich bezeichneten Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 31.
Juli 2006 auch den Änderungsbescheid vom selben Tag umfassen soll.
Schließlich beinhalten der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid und der Änderungsbescheid Teilaufhebungen der
ursprünglichen Leistungsbewilligung nicht nur der Höhe nach, sondern auch in zeitlicher Hinsicht. Denn beide
Bescheide betreffen nur die drei Zeiträume, die die Gesamtzeit vom 1. Oktober 2004 bis 26. Mai 2006 umfassen.
Keine Erwähnung fand in den beiden Bescheiden hingegen der Zeitraum vom 28. August 2006 bis zum 29. September
2006. Insoweit behielt die Leistungsbewilligung im Bescheid vom 28. September 2004 in Höhe von 432,00 EUR
Bestand.
II. Die zulässige Berufung ist begründet. Das Sozialgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Denn der
Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 31. Juli 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.
November 2006 ist rechtmäßig.
1. Rechtsgrundlage für die teilweise Rücknahme der Entscheidung über die Übernahme von Fahrkosten für den
Zeitraum vom 1. Oktober 2004 bis zum 26. Mai 2006 ist § 45 Abs. 1 und 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X i. V. m. § 330 Abs. 2
des Dritten Buches Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III).
Gemäß § 45 Abs. 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet
oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar
geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder
für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X darf ein rechtswidriger
begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des
Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer
Rücknahme schutzwürdig ist. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X nicht
berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher
Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Wenn die in § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X genannten
Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes vorliegen, ist dieser
Verwaltungsakt gemäß § 330 Abs. 2 SGB III mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
Hieran gemessen erweist sich die angefochtene Rücknahmeentscheidung als rechtmäßig.
a) Der Bewilligungsbescheid vom 28. September 2004, ein den Kläger begünstigender Verwaltungsakt, war von
Anfang an rechtswidrig (§ 45 Abs. 1 SGB X), weil der Kläger keinen Anspruch auf Übernahme von Fahrkosten in der
bewilligten Höhe hatte.
Maßgebend für den Anspruch des Klägers auf Übernahme von Fahrkosten ist § 81 SGB III in der vom 1. Januar 2004
bis 31. Dezember 2008 geltenden Fassung (vgl. Artikel 1 Nr. 55 des Gesetzes vom 23. Dezember 2003 [BGBl. I S.
2848]). Gemäß § 81 Abs. 1 Nr. 1 SGB III konnten Fahrkosten für Fahrten zwischen Wohnung und Bildungsstätte
(Pendelfahrten) übernommen werden. Als Fahrkosten waren gemäß § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB III für jeden Tag, an dem
der Teilnehmer die Bildungsstätte aufsucht, eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer der Entfernung
zwischen Wohnung und Bildungsstätte von 0,36 EUR für die ersten zehn Kilometer und 0,40 EUR für jeden weiteren
Kilometer anzusetzen. Für die Bestimmung der Entfernung war die kürzeste Straßenverbindung maßgebend (vgl. § 81
Abs. 2 Satz 3 SGB III).
Ausgehend hiervon hatte der Kläger, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist, im Zusammenhang mit der
Teilnahme an der Bildungsmaßnahme zum Staatlich anerkannten Ergotherapeut in der Zeit vom 1. Oktober 2004 bis
28. September 2007 dem Grunde nach einen Anspruch auf Übernahme von Fahrkosten. Auf der Grundlage der vom
Kläger angegebenen Entfernung von 55 km errechnete die Beklagte im Bewilligungsbescheid vom 28. September
2004 einen Anspruch in Höhe von täglich 21,60 EUR (10 km x 0,36 EUR zuzüglich 45 km x 0,40 EUR). Tatsächlich
beträgt die kürzeste Straßenverbindung zwischen dem Wohnort des Klägers, E. , und der Bildungsstätte in G. jedoch
nur ca. 28 km. Daraus folgt ein Anspruch in Höhe von täglich 10,80 EUR (10 km x 0,36 EUR zuzüglich 18 km x 0,40
EUR). Dies ergibt für die drei Ausbildungsabschnitte in der Zeit vom 1. Oktober 2004 bis zum 26. Mai 2006 einen
Gesamtanspruch in Höhe von 3.402,00 EUR. Diese rechnerisch korrekte Leistungsbewilligung ist nunmehr im
Änderungsbescheid vom 31. Juli 2006 enthalten.
In dem den Betrag von 3.402,00 EUR übersteigenden Umfang war der Bewilligungsbescheid vom 28. September 2008
aufzuheben.
b) Das Vertrauen des Klägers in den unveränderten Fortbestand der Leistungsbewilligung war auch nicht geschützt.
Denn der Bewilligungsbescheid vom 28. September 2004 beruhte auf Angaben, die der Kläger gemäß § 45 Abs. 2
Satz 3 Nr. 2 SGB X in wesentlicher Beziehung zumindest grob fahrlässig unrichtig gemacht hat.
Statt der einfachen Strecke zwischen E. und G. gab der Kläger im Antragsformular die Strecke für die Hin- und
Rückfahrt, nämlich 55 km, an.
Zur der Überzeugung des Senats machte der Kläger diese Angabe grob fahrlässig. Grobe Fahrlässigkeit ist nach der
Legaldefinition des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Halbsatz 3 SGB X gegeben, wenn der Begünstigte die erforderliche
Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (statt vieler:
BSG, Urteil vom 31. August 1976 – 7 RAr 112/74 – BSGE 42, 186 = JURIS-Dokument Rdnr. 19, m. w. N.) kommt es
für die Frage der groben Fahrlässigkeit auf die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit, das Einsichtsvermögen und
Verhalten des Leistungsempfängers sowie auf die besonderen Umstände des Falles an (subjektiver
Fahrlässigkeitsbegriff). Grobe Fahrlässigkeit setzt hiernach eine Sorgfaltspflichtverletzung ungewöhnlich hohen Aus-
maßes, das heißt eine besonders grobe und auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung voraus, die
das gewöhnliche Maß der Fahrlässigkeit erheblich übersteigt. Subjektiv schlechthin unentschuldbar ist ein Verhalten,
wenn schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden, wenn nicht beachtet wird, was im
gegebenen Fall jedem einleuchten muss.
Die Fragestellung im Antragsformular bot bei einer sorgfältigen Lektüre keine Anhaltspunkte für etwaige Irritationen.
Unter Nummer 4 der "Erklärung über Fahrkosten" wurde gefordert, die zu Beginn der Maßnahme zurückzulegenden
Entfernungen einzutragen. Bei allen in Betracht kommenden Fahrten war die "kürzeste Straßenverbindung" "einfach"
einzutragen. Der Begriff "einfach" ist im Bereich des Verkehrswesens ein gebräuchlicher Begriff, der auch den Kunden
geläufig ist. Wenn bei der Personenbeförderung zum Beispiel mit der Bahn, einem Bus, einem Schiff oder anderen
Verkehrsmitteln wie einer Seilbahn nicht ein Fahrschein für die Hin- und Rückfahrt gelöst werden soll, sondern nur für
die Hinfahrt oder nur für die Rückfahrt, wird am Fahrkartenautomaten oder von einem Mitarbeiter der
Beförderungsunternehmens ein Fahrschein für eine "einfache" Fahrt angeboten oder von dem zu befördernden Kunden
nachgefragt. Dafür, dass dem Kläger dieser Sprachgebrauch nicht bekannt sein könnte, sind keine Anhaltspunkte
ersichtlich.
Soweit das Sozialgericht in diesem Zusammenhang ausgeführt hat, mit dem Begriff "einfach" könne auch zum
Ausdruck gebracht werden, dass es sich um eine direkte Fahrt ohne Umwege handle, findet dieses
Sprachverständnis weder im Antragsformular noch im allgemeinen Sprachgebrauch eine Stütze. Der Kläger selbst hat
bei seinen persönlichen Einlassungen auch nie geltend gemacht, die maßgebende Passage im Antragsformular seien
unklar oder mehrdeutig gewesen. Vielmehr hat er seine unzutreffende Entfernungsangabe immer mit einer
entsprechenden Auskunft durch Mitarbeiter der Beklagten begründet.
Soweit von Klägerseite dem Vorwurf der Beklagten, die Entfernungsangabe im Fahrkostenantrag sei grob fahrlässig
unrichtig gemacht worden, mit der Behauptung entgegengetreten worden ist, die Angabe gehe auf eine Auskunft von
Mitarbeitern der Beklagten zurück, konnte ein Nachweis hierfür auch auf Grund der vom Gericht durchgeführten
Beweisaufnahme nicht erbracht werden.
Zu belegen war nach den Unterlagen der Beklagten lediglich, dass es mit dem Kläger bereits im Dezember 2003 ein
Beratungsgespräch bezüglich eventueller finanzieller Leistungen bei der Durchführung einer Bildungs- oder
Rehabilitationsmaßnahme gab. Ferner steht fest, dass der Kläger das bis Ende 2003 gültige Formular zur
Beantragung von Fahrkosten für eine Bildungsmaßnahme in seinem Besitz hatte, das er zusammen mit seinem
Widerspruch einreichte. Es war allerdings bereits nicht festzustellen, wann und in welchem Zusammenhang der Kläger
in den Besitz dieses alten Formulars gekommen war, insbesondere dass der Kläger dieses Formular erst im Jahr
2004 und zeitnah zum Antritt der Bildungsmaßnahme erhielt.
Für das vom Kläger behauptete Gespräch, in dem ihm die Auskunft zu den einzutragenden Entfernungsangaben
gemacht worden sein soll, und für das er die Zeugin D. als Gesprächspartnerin benannt hat, gibt es keine schriftlichen
Belege. Auch die Vernehmung der Zeugin hat diesbezüglich nichts ergeben. Sie hat angegeben, dass sie seit 1990
mit Unterbrechungen bei der Agentur für Arbeit S. ist. Im Jahr 2004 und bis zum Ende des Jahres 2006 war sie im
Vorzimmer des Geschäftsleiters eingesetzt und dort unter anderem mit der Registratur und dem Telefondienst betraut.
Auf ausdrückliche Frage hat sie erklärt, dass sie während ihres Einsatzes im Vorzimmer des Geschäftsleiters nicht
an derer Stelle aushalf, weil sie die anderen Arbeiten damals nicht erfüllen konnte. Diese Aussagen sind von
Klägerseite unwidersprochen geblieben.
Unabhängig davon, dass sich die behauptete fehlerhafte Auskunftserteilung nicht hat belegen lassen, hält der Senat
den Vortrag des Klägers für nicht glaubhaft. Denn der Vortrag wurde während des Verfahrens wiederholt geändert und
gesteigert. Dies betrifft neben Angaben zu einzelnen Details insbesondere den Ort, an dem der Kläger das
Antragsformular ausgefüllt haben will, und die näheren Umstände hierbei. Im Widerspruchsschreiben gab der Kläger
zunächst an, die Antragsunterlagen nach der behaupteten fehlerhaften Auskunft, die ihm anlässlich einer
vorangegangenen Termins bei der Agentur für Arbeit H. erteilt worden sei, in seiner Wohnung ausgefüllt zu haben. In
der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht erklärte der Kläger dann, den Fahrkostenantrag zusammen mit
einer Mitarbeiterin der Beklagten in der Agentur für Arbeit H. ausgefüllt zu haben. Zu den Kilometern habe die
Mitarbeiterin nichts Konkretes gesagt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 2. April 2009 gab der Kläger
schließlich an, den Antrag in der Agentur für Arbeit zusammen mit einer Mitarbeiterin ausgefüllt zu haben. Die
Mitarbeiterin habe auch gesagt, dass die Hin- und Rückfahrtstrecke anzugeben ist.
Der Senat ist davon überzeugt, dass die ersten Angaben des Klägers in seinem Widerspruchsschreiben zutreffend
sind und er den Fahrkostenantrag in seiner Wohnung ausgefüllt hat. Diese Variante des klägerischen Vortrags ist
auch geeignet zu erklären, weshalb er mit dem Widerspruchsschreiben das bis Ende 2003 geltende Formular der
"Erklärung über Fahrkosten" vorlegte. Wäre hingegen der vorliegend maßgebende Fahrkostenantrag in den Räumen
der Agentur für Arbeit H. oder einer anderen Agentur vom Kläger zusammen mit einem Mitarbeiter der Beklagten
ausgefüllt worden, wie die Kläger später behauptet hat, wäre nicht plausibel zu erklären, wie und aus welchem Grund
das veraltete Formular beim Ausfüllen des verwendeten und im Jahr 2004 aktuellen Formulars ins Spiel gekommen
sein könnte.
Soweit der Kläger möglicherweise unter Rückgriff auf ein ihm früher ausgehändigtes Antragsformular, hier das
Formular für einen Fahrkostenantrag aus dem Jahr 2003, und hierzu erteilten Auskünften seitens der Beklagten zu
einem späteren Zeitpunkt, hier im September 2004, ein ihm nunmehr neu ausgehändigtes Formular ausfüllt, gebot es
die ihm obliegende Sorgfalt, das neue Formular gewissenhaft durchzulesen. Es konnte und musste ihm dann ohne
Weiteres auffallen, dass im Zusammenhang mit den geforderten Entfernungsangaben nunmehr nicht mehr nach der
"Hin- und Rückfahrt", sondern der "einfachen" Fahrstrecke gefragt war. Wenn dem Kläger nach der Lektüre unklar
gewesen wäre, ob mit den veränderten Passagen im Antragsformular auch veränderte Inhalte verbunden sein sollte,
wäre es seine Pflicht gewesen, sich diesbezüglich zu erkundigen.
Der Vorwurf, grob fahrlässig unrichtige Angaben gemacht zu haben, wird auch nicht dadurch abgeschwächt oder
ausgeräumt, dass in dem Antragsformular darauf hingewiesen wurde, die angegebene Kilometerzahl werde von der
Agentur für Arbeit mit Internet-Routenplaner überprüft. Denn durch die Überprüfung seiner Angaben durch die Beklagte
wird der Kläger nicht von seiner Pflicht entbunden, richtige Angaben zu machen.
Der Kläger ist schließlich auch nicht in seiner Einsichts- oder Urteilsfähigkeit vermindert, wovon sich der Senat in der
mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck verschaffen konnte. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass
das Antragsformular weder vom Umfang noch von den Fragestellungen oder den betroffenen Inhalten erhöhte
Anforderungen stellt.
Da sich der Kläger wegen der grob fahrlässig gemachten unrichtigen Angaben zur Entfernung zwischen Wohnung und
Bildungsstätte gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X nicht auf Vertrauen berufen kann, kann dahingestellt bleiben,
ob auch, wie die Beklagte im Widerspruchsbescheid vertreten hat, der Vertrauensausschlusstatbestand des § 45 Abs.
2 Satz 3 Nr. 3 SGB X erfüllt ist. Danach kann sich der Begünstigte nicht auf Vertrauen berufen, soweit er die
Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Denn für den
Ausschluss des Vertrauens und damit verbunden der Pflicht der Beklagten, den Bewilligungsbescheid, soweit er
rechtswidrig ist, auch für die Vergangenheit aufzuheben, ist es ausreichend, wenn die Voraussetzungen eines der in §
45 Abs. 2 Satz 3 SGB X aufgeführten Ausschlusstatbestände erfüllt sind.
c) Die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X für die teilweise Rücknahme der Fahrkostenbewilligung ist gewahrt.
Nach dieser Regelung muss die Behörde die Rücknahme innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun,
welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes beginnt diese Jahresfrist erst dann zu laufen, wenn die Behörde
entweder objektiv eine sichere Kenntnis der Tatsachen hatte, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen
begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen, oder subjektiv von der Richtigkeit und
Vollständigkeit der ihr vorliegenden Informationen überzeugt war; dies ist regelmäßig erst nach der gemäß § 24 SGB
X durchgeführten Anhörung des Betroffenen der Fall (vgl. BSG, Urteil vom 8. Februar 1996 – 13 RJ 35/94 – BSGE 77,
295 = SozR 3-1300 § 45 Nr. 27). Die Beklagte hatte nach Aktenlage frühestens am 29. Juni 2006 davon Kenntnis,
dass der Bewilligungsentscheidung in diesem Sinne fehlerhaft war. Denn an diesem Tag wurde eine Überprüfung der
Entfernungsangaben mit einem Routenplaner, wohl im Zusammenhang mit der am selben Tag durchgeführten
Überprüfung der vom Kläger am 18. Mai 2006 gemachten Entfernungsangaben im "Fragebogen zur Förderung der
Teilnahme an einer beruflichen Weiterbildungsmaßnahme", durchgeführt. Bereits etwa einen Monat später, unter dem
31. Juli 2006, wurden dann die angefochtenen Bescheide erlassen.
d) Soweit der Kläger vorträgt, ihm sei gesagt worden ist, dass der Rückzahlungszeitraum auf ein Jahr begrenzt sei,
kann dahingestellt bleiben, ob diese Auskunft in dieser Weise erteilt worden ist. Denn sowohl die Jahresfrist des § 45
Abs. 4 Satz 2 SGB X als auch der Umfang der Bewilligungsaufhebung, nämlich soweit die Bewilligungsentscheidung
rechtswidrig ist (vgl. § 45 Abs. 1 SGB X), ist vom Gesetzgeber bindend vorgeschrieben. Eine etwaige hiervon
abweichende, fehlerhafte Auskunft kann deshalb weder ein Vertrauen dahin, die Bewilligungsentscheidung werde nicht
oder nur in geringerem Umfang aufgehoben, noch die Rechtswidrigkeit der Aufhebungsbescheid begründen.
2. Soweit die Beklagte die Erstattung der zu Unrecht erbrachten Leistungen fordert, beruht dies auf § 50 Abs. 1 SGB
X. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt. Die Höhe der geltend gemachten Erstattungsforderung ist
rechnerisch zutreffend.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
IV. Gründe für die Zulassung der Revision (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.