Urteil des LSG Sachsen vom 25.01.2010

LSG Fss: erwerbsfähigkeit, facharzt, arbeitsmarkt, minderung, altersrente, auskunft, wechsel, berufsunfähigkeit, behinderung, krankheit

Sächsisches Landessozialgericht
Urteil vom 25.01.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Chemnitz S 9 R 525/06
Sächsisches Landessozialgericht L 7 R 582/08
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 2. Oktober 2008 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über ein Recht des Klägers auf Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Der im. 1948 in Ungarn geborene Kläger ist gelernter Maschinenschlosser und arbeitete bis November 1999 als
Schlosser bzw. Schweißer. Von Oktober 2003 bis März 2004 und November 2004 bis April 2005 nahm er an einer
Arbeitsbeschaffungsmaßnahme teil. Nach eigenen Angaben war er zuletzt im Oktober 2005 geringfügig als
Reinigungskraft beschäftigt.
Vom 15. März bis 5. April 2000 wurden dem Kläger Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erbracht.
Am 31. Mai 2000 beantragte der Kläger erstmals die Leistung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Seine
Erwerbsfähigkeit sei seit ca. 1998 wegen Beschwerden der Hals- und Lendenwirbelsäule, der linken Schulter und
durch einen hohen Blutdruck aufgehoben. Er könne keine Arbeiten mehr verrichten. Mit Bescheid vom 4. Dezember
2000 in der Fassung der Bescheide vom 10. September 2001 und 20. Dezember 2001 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 5. Februar 2002 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab Juni 2000 Rente wegen
Berufsunfähigkeit und lehnte die Bewilligung von Renten wegen Erwerbsunfähigkeit, teilweiser und voller
Erwerbsminderung ab. Klage wurde gegen den Widerspruchsbescheid vom 5. Februar 2002 nicht erhoben. Die Rente
wegen Berufsunfähigkeit wurde unter Berücksichtigung der jeweiligen Hinzuverdienste bis Juni 2008 geleistet.
Auf Antrag vom 19. Juni 2008 bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 14. Januar 2009 ab Juli 2008
Altersrente für schwerbehinderte Menschen. Widerspruch wurde dagegen nicht erhoben.
Am 28. Oktober 2005 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Leistung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Wegen folgender Gesundheitsstörungen sei er erwerbsgemindert: Bandscheibenvorfall, Bluthochdruck, Lumbago
Ischias (jeweils seit dem 31. Mai 2000) und subacromiales Impingementsydrom und veraltete
Rotatorenmanschettenruptur rechts, Hypertonus, Hypercholesterinämie (jeweils seit dem 25. Mai 2005, entsprechend
den Diagnosen einer Epikrise vom 30. Mai 2005 über einen stationären Krankenhausaufenthalt des Klägers vom 25.
Mai bis 31. Mai 2005). Er könne keine Arbeiten mehr verrichten.
Die Beklagte zog daraufhin die medizinischen Unterlagen aus den vorangegangenen Rehabilitations- und
Rentenverfahren - u. a. Reha-Entlassungsbericht vom 5. April 2000, Gutachten des Sozialmedizinischen Dienstes
(SMD) der Landesversicherungsanstalt Sachsen vom 25. Juni 2001 von Dipl.-Med. U1 auf orthopädischem
Fachgebiet und vom 16. Januar 2004 von Dr. med. S1 auf sozialmedizinischem Fachgebiet und ein Gutachten vom
27. April 2004 eines ungarischen staatlichen medizinischen Gutachteninstituts - bei und ließ den Kläger am 10.
Januar 2006 erneut von Dipl. Med. U1 auf orthopädischem Fachgebiet begutachten.
Sodann lehnte die Beklagte den Antrag vom 28. Oktober 2005 mit Bescheid vom 19. Januar 2006 ab. Eine volle
Erwerbsminderung liege nicht vor.
Dagegen erhob der Kläger am 13. Februar 2006 Widerspruch. Er sei eine multimorbide und im 58. Lebensjahr
stehende Person. Aufgrund der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes sei die teilweise Erwerbsminderung einer
vollständigen Erwerbsminderung gleichzustellen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23. März 2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger sei weder
teilweise noch voll erwerbsgemindert. Denn nach den vorliegenden ärztlichen Unterlagen könne er leichte bis
mittelschwere Arbeiten mit Einschränkungen mindestens sechs Stunden verrichten. Eine Summierung
ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung sei nicht festgestellt
worden. Deshalb sei die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit nicht erforderlich.
Dagegen hat der Kläger am 29. März 2006 Klage beim Sozialgericht Chemnitz (SG) erhoben.
Das SG hat berufskundliche Gutachten und Ergänzungen hierzu von Dipl.-Verwaltungswirtin H1 vom 13. April 2000,
16. Juni 2000, 4. November 2002, 26. September 2003 und 12. Mai 2005, Auskünfte über berufs- und
wirtschaftskundliche Fragen der Bundesanstalt für Arbeit (BA), Landesarbeitsamt Sachsen, vom 14. Dezember 1999,
Auszüge aus den - von der BA herausgegebenen - Berufsinformationskarten zu den Berufsordnungen 784 und 793
sowie nicht klassifizierte Ausführungen zu den Berufen, Berufsbildern bzw. Tätigkeiten als Bürohilfskraft/-kräfte,
Hauswarte/Hauswartinnen, Materialverwalterin, Mitarbeiter/in in der bzw. einer Poststelle, (einfache/r) Pförtner/Pfört-
nerinnen, Pförtner in Verwaltungsgebäuden, Registratorin und Wachmann beigezogen. Auf deren Inhalte wird Bezug
genommen (Blatt 108ff der SG-Akte).
Des Weiteren hat das SG Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers angefordert und Dr. med. G1 ,
Facharzt für Orthopädie/Chirotherapie, mit der Erstattung eines Gutachtens auf orthopädischem Fachgebiet
beauftragt. Im Gutachten vom 13. Februar 2008 wird unter Diagnosen Folgendes ausgeführt: - chronisches
Schmerzsyndrom mit Punktum maximum im Bereich der oberen Lendenwirbelsäule und beidseitiger ISG-Irritation mit
resultierenden Funktionsminderungen leichten bis mittleren Grades und chronischer pseudoradikulärer
Schmerzausstrahlung in das linke Bein, - cervicales Schmerzsyndrom bei degenerativen Veränderungen der
Halswirbelsäule und Funktionsminderungen leichten bis mittleren Grades ohne radikuläre Ausfallerscheinungen, -
Bewegungseinschränkungen des rechten Schultergelenkes leichten Grades mit Einschränkungen vor allem der
passiven Beweglichkeit und Kraftminderung des Musculus supraspinatus und des Musculus deltoideus bei Zustand
nach operativer Therapie eines subacromiellen Engpasssysndroms, - Dupuytren`sche Kontraktur des 4. und 5.
Fingers rechts leichten Grades, - Schwerhörigkeit (Grenzbefund zur Hörgeräteversorgung?), - medikamentös
behandelter Bluthochdruck und - ungarischer Staatsbürger mit nach eigenen Angaben nicht vorhandener Fähigkeit
sich schriftlich deutsch auszudrücken, wohl aber ausreichender Fähigkeit des Lesens von Texten in deutscher
Sprache. Der Kläger könne unter Beachtung weiterer Einschränkungen körperlich leichte, mit dem linken Arm selten
mittelschwere, Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Auf den weiteren Inhalt des Gutachtens wird
ebenso Bezug genommen (Blatt 145ff der SG-Akte).
Weiterhin hat das Gericht auf Antrag des Klägers Prof. Dr. med. L1 , Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, mit der
Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Nach dem Gutachten vom 5. August 2008 sei dem Kläger noch eine
Tätigkeit von drei bis unter sechs Stunden möglich. Auf den weiteren Inhalt des Gutachtens wird verwiesen (Blatt
222ff der SG-Akte).
Mit Urteil vom 2. Oktober 2008 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Rente wegen
voller oder teilweiser Erwerbsminderung, da er auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich
zumindest leichte Tätigkeiten unter Beachtung weiterer Einschränkungen verrichten könne. Dies ergebe sich aus dem
Gutachten von Dr. med. G1 , dem sich die Kammer anschließe. Die Einschätzung von Prof. Dr. med. L1 sei nicht
schlüssig nachvollziehbar. Bei Feststellung vergleichbarer Bewegungseinschränkungen komme der Gutachter
aufgrund des chronifizierten Schmerzsyndroms mit der Notwendigkeit der ständigen Einnahme von Opioid-Analgetika
zu einer Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens, da hierdurch Aufmerksamkeit, Konzentration und
Ausdauer in unterschiedlichem Ausmaß beeinträchtigt seien. Entsprechende Beeinträchtigungen habe Dr. med. G1
nicht festgestellt. Auch das chronische Schmerzsyndrom führe nicht zu einer rentenrechtlichen Relevanz. Aus dem
vom Kläger geschilderten Tagesablauf und seinen Schmerzangaben ergebe sich keine zeitliche Einschränkung für
eine zumindest leichte Tätigkeit. Dementsprechend habe auch Dr. med. G1 , der ebenso Facharzt für spezielle
Schmerztherapie sei, ein vollschichtiges Leistungsvermögen für möglich gehalten. Die Benennung einer konkreten
Tätigkeit sei nicht erforderlich. Denn auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien Tätigkeiten vorhanden, die der Kläger
ohne Lese- und Schreibkenntnisse mit seinen gesundheitlichen Einschränkungen verrichten könne.
Das Urteil wurde dem Bevollmächtigten des Klägers am 23. Oktober 2008 zugestellt. Am 24. November 2008, einem
Montag, legte der Kläger Berufung gegen das Urteil ein (ursprüngliches Aktenzeichen: L 5 R 582/08).
Das Gericht hat von den behandelnden Ärzten des Klägers, Dr. med. R1 , Facharzt für Orthopädie, und Dipl. Med. S2
, Facharzt für Allgemeinmedizin, ergänzende Auskünfte zu deren im Verfahren beim SG erstatteten Befundberichten
angefordert. Auf den Inhalt der Stellungnahmen von 10. September 2009 (Dr. med. R1 ) und 28. September 2009
(Dipl. Med. S2 ) - jeweils nebst Anlagen hierzu - wird Bezug genommen (Blatt 79ff der Gerichtsakte).
Der Kläger meint, nach dem Gutachten von Prof. Dr. med. L1 seien ihm nur noch Tätigkeiten von drei bis unter sechs
Stunden möglich. Weiterhin seien danach die üblichen Verweisungstätigkeiten (Mitarbeiter einer Poststelle, Bürokraft
bzw. Pförtner) untauglich. Dies werde in der Entscheidung des SG nicht ausreichend gewürdigt. Nach Einschätzung
von Prof. Dr. med. L1 seien bei ihm medikamentöse - durch Opioid-Analgetika - und physische (durch den Bezug auf
die Ausführungen im Gutachten vom 5. August 2008 richtig wohl: psychische) Beeinträchtigungen gegeben. Dass Dr.
med. G1 hierzu nichts ausgeführt habe, beruhe auf nicht ausreichender Fachkenntnis.
Auf Nachfrage des Gerichts hat der Kläger vorgetragen, er habe von Oktober 2005 bis Oktober 2006 Arbeitslosengeld
II und danach bis zum Beginn der Altersrente ausschließlich Rente wegen Berufsunfähigkeit bezogen. Den
Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit Chemnitz habe er seit Oktober 2005 bis zur Vollendung seines 58.
Lebensjahres im Juni 2006 zur Verfügung gestanden. Im Oktober 2005 sei er für drei Wochen geringfügig als
Reinigungskraft für zwei Stunden täglich beschäftigt gewesen. Aufgrund der Arbeitsschwere sei er erkrankt und habe
diese Tätigkeit nicht mehr ausführen können. Die Altersrente habe er ohne Vorbehalte beantragt.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 2. Oktober 2008 aufzuheben und die Beklagte unter
Aufhebung des Bescheides vom 19. Januar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. März 2006
dem Grunde nach zu verurteilen, ihm unter Berücksichtigung seines Antrages vom 28. Oktober 2005 Rente wegen
voller Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweise auf ihre Ausführungen im Widerspruchs- und Klageverfahren. Aus der Berufungsbegründung ergebe sich
keine andere Beurteilung des Sachverhaltes. Auch nach Vorlage der ergänzenden Befundberichte folge ihr SMD der
Leistungseinschätzung aus dem Gutachten vom 13. Februar 2008. Der Kläger könne weiterhin leichte, zeitweise
mittelschwere Tätigkeiten mit Einschränkungen sechs Stunden und mehr verrichten.
Dem Senat lagen die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge vor. Sie waren
Gegenstand der Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte, Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage
abgewiesen. Denn die zulässige Klage gegen den Bescheid vom 19. Januar 2006 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 23. März 2006 war unbegründet. Der Kläger hat kein Recht auf Rente wegen voller
Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI). Denn er ist nicht voll
erwerbsgemindert. Anspruch auf Rente besteht nach § 34 Abs. 1 SGB VI, wenn die für die jeweilige Rente
erforderliche Mindestversicherungszeit (Wartezeit) erfüllt ist und die jeweiligen besonderen versicherungsrechtlichen
und persönlichen Voraussetzungen vorliegen. Nach § 34 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI (in der ab dem 1. Januar 2008
geltenden Fassung) ist nach bindender Bewilligung einer Rente wegen Alters oder für Zeiten des Bezugs einer solchen
Rente der Wechsel in eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ausgeschlossen (vgl. allg. hierzu und zu den
davor geltenden Fassungen z.B. Niesel in: KassKomm, Band 1, Stand 61. Ergänzungslieferung, 1. April 2009, § 34
SGB VI, Rn 50ff). Somit wäre die vom Kläger begehrte Rente wegen voller Erwerbsminderung nur dann nicht
ausgeschlossen, wenn sie am oder vor dem 1. Juli 2008 beginnen würde. Denn die dem Kläger mit Bescheid vom 14.
Januar 2009 für die Zeit ab dem 1. Juli 2008 bewilligte und geleistete Rente für schwerbehinderte Menschen ist eine
Rente wegen Alters (§ 33 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI), so dass ein Wechsel im Sinne des § 34 Abs. 4 SGB VI nur dann
nicht vorliegt, wenn die andere Rente (hier: Rente wegen voller Erwerbsminderung) vor oder gleichzeitig mit der Rente
wegen Alters beginnt (so z.B. Niesel, a.a.O., Rn 52 und Deutsche Rentenversicherung Bund, SGB VI, Kommentar,
12. Auflage 2008, § 34 Nr. 4.1, Seite 212).
Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze
Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie teilweise bzw. voll erwerbsgemindert
sind (persönliche Voraussetzung), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre
Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit (besondere versicherungsrechtliche Voraussetzung)
und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung
auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes
mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Volle Erwerbsminderung besteht gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2
SGB VI bei einem Leistungsvermögen von unter drei Stunden. Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen
Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann (§ 43 Abs. 3
Halbsatz 1 SGB VI). Dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 Halbsatz 2 SGB
VI). Aufgrund der Annahme der Verschlossenheit des allgemeinen Teilzeitarbeitsmarktes für Menschen mit -
insbesondere - quantitativ verminderter Erwerbsfähigkeit kommt bei einem Leistungsvermögen von über drei, aber
unter sechs Stunden werktäglich eine sogenannte arbeitsmarktbedingte Rente wegen voller Erwerbsminderung in
Betracht (vgl. hierzu z.B. Niesel, a.a.O., § 43 SGB VI, Rn 30ff). Ob die Voraussetzungen hierfür - insbesondere bei
einem das 58. Lebensjahr vollendeten und nicht mehr dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Versicherten (vgl. §
65 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch, § 428 Sozialgesetzbuch Drittes Buch) - noch gegeben sind, bedarf in
diesem Verfahren keiner Entscheidung (siehe hierzu z.B. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 8. April 2009 -
L 18 R 875/08, Rn 19 und 43). Zwar könnten sich insoweit sowohl die tatsächlichen Bedingungen (insbesondere durch
die Zunahme von geringfügigen Beschäftigungen und Teilzeitarbeit) als auch die rechtlichen Rahmenbedingungen
(insbesondere durch die gesetzliche Förderung von geringfügigen Beschäftigungen und Teilzeitarbeit) seit den
Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) - Großer Senat vom 11. Dezember 1969 - GS 4/69 - und 10.
Dezember 1976 - GS 2/75 u.a. - geändert haben (darauf zu Recht hinweisend z.B. Lambert, SGb 2007, 394, 395, Fn
3). Jedoch konnte eine auch danach rentenrechtsbegründende Leistungsminderung des Klägers mit einem
Rentenbeginn am oder vor dem 1. Juli 2008 nicht nachgewiesen werden. Denn sog. arbeitsmarktbedingte Renten
wegen voller Erwerbsminderung werden befristet (§ 102 Abs. 2 Satz 1 und 5 Halbsatz 1 SGB VI) und nicht vor Beginn
des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet (§ 101 Abs. 1 SGB VI).
Daher müssten beim Kläger die Anspruchsvoraussetzungen einer derartigen arbeitsmarktbedingten Rente spätestens
im Dezember 2007 erfüllt gewesen sein, damit diese zumindest am 1. Juli 2008 (vgl. weiterhin § 99 Abs. 1 Satz 1
SGB VI) beginnen könnte.
Entscheidend ist somit, ob der Kläger spätestens im Dezember 2007 wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht
absehbare Zeit außerstande war, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes irgendeine
Tätigkeit mindestens sechs Stunden werktäglich zu verrichten, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Einschränkung
der Erwerbsfähigkeit auf längere Dauer ("nicht absehbare Zeit"), das heißt für länger als sechs Monate vorliegen
muss. Dies ergibt sich ebenso aus § 101 Abs. 1 SGB VI (sog. Systemabgrenzung zum Recht der gesetzlichen
Krankenversicherung) und ist (auch) rückblickend festzustellen (vgl. hierzu z.B. BSG, Urteil vom 6. September 2001 -
B 5 RJ 44/00 R, Rn 18). Die tatsächliche Minderung der Erwerbsfähigkeit (u.a. Eintritt, Umfang, Dauer) ist
beweispflichtig und bedarf des Vollbeweises. Tatsachen sind im Sinne des Vollbeweises bewiesen, wenn sie in so
hohem Grade wahrscheinlich sind, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des
Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche
Überzeugung zu begründen (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B, Rn 4). Die Anwendung eines
anderen (insbesondere milderen) Beweismaßstabes (vgl. hierzu z.B. BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 4 R
29/06 R, Rn 116) sieht das Gesetz insoweit nicht vor.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme konnte nach Überzeugung des Senats eine rentenrechtsbegründende
Leistungsminderung des Klägers (die o.g. persönliche Voraussetzung) bis zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht
nachgewiesen werden. Denn nach allen gutachtlichen Bewertungen medizinischer Art seit 2000 - Reha-
Entlassungsbericht vom 5. April 2000 sowie Gutachten von 25. Juni 2001, 16. Januar 2004 und 10. Januar 2006 -
konnte der Kläger jedenfalls bis Februar 2008 - Gutachten vom 13. Februar 2008 - unter den üblichen Bedingungen
des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden (werk-)täglich zumindest leichte körperliche Tätigkeiten, -
zuletzt - unter Vermeidung einer längeren sitzenden Arbeitshaltung, bei einer möglichen Sitzdauer bis zu sechzig
Minuten, in geschlossenen Räumen und im Freien unter weiterer Vermeidung von schwerem Heben und Tragen,
permanent mittelschwerem Heben und Tragen, Zwangshaltungen und Tätigkeiten in Kopfhöhe, über Kopfhöhe mit
Gebrauch des rechten Armes, mit Aussetzen von Nässe und Kälte sowie axialer Wirbelsäulenbelastung, verrichten.
Nichts anderes kann den medizinischen Ausführungen im ungarischen Gutachten vom 27. April 2004 entnommen
werden, das offenbar nach Aktenlage und unter Bezug auf das Gutachten vom 16. Januar 2004 erstattet wurde. Die
weiteren, insbesondere rechtlichen Bemerkungen in diesem Gutachten sind nicht verwertbar. Denn sie beruhen auf
einer von § 43 SGB VI abweichenden Rechtslage.
Soweit sich der Kläger für sein Begehren auf die Bewertung seiner Erwerbsfähigkeit durch den Sachverständigen Prof.
Dr. med. L1 im Gutachten vom 5. August 2008 beruft, kann zwar eine Verschlechterung seines
Gesundheitszustandes und Leistungsvermögens nicht ausgeschlossen werden. Jedoch ist dieses Gutachten nach
Überzeugung des Senats nicht geeignet, den Eintritt einer Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers auf unter
sechs Stunden täglich bis zum Dezember 2007 und damit eine rentenrechtsbegründende Leistungsminderung für eine
sog. arbeitsmarktbedingte Rente wegen voller Erwerbsminderung nachzuweisen. Denn auch nach dem Gutachten
vom 5. August 2008 konnte der Kläger zu diesem Zeitpunkt noch körperlich leichte Tätigkeiten mit qualitativen
Einschränkungen - Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen zu gleichen Teilen, Arbeiten nur in geschlossenen
Räumen, ohne Heben und Tragen von Lasten, häufigen Bügen, Überkopfarbeiten, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten,
an Maschinen und am Fließband, in Kälte oder Hitze - verrichten. Zwar sei die Fähigkeit zur Verrichtung derartiger
Tätigkeiten nach dem Sachverständigen Prof. Dr. med. L1 auf drei bis unter sechs Stunden beschränkt. Ein Nachweis
des Eintrittes dieser zeitlichen Minderung bis spätestens im Dezember 2007 konnte mit diesem Gutachten nach
Überzeugung des Senats jedoch nicht nachgewiesen werden. Insoweit wird nach § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz
(SGG) zunächst auf die Gründe des Urteiles des SG vom 2. Oktober 2008 verwiesen und bis auf nachfolgende
Ergänzungen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen.
Der Sachverständige Prof. Dr. med. L1 hat zur Begründung der von ihm angenommenen Beschränkung ausgeführt,
sie resultiere aus einer Bewegungseinschränkung der rechten Schulter und aus einem chronifizierten
Schmerzsyndrom mit der Notwendigkeit einer ständigen Einnahme von Opioid-Analgetika. Dieses Leistungsbild
bestehe zumindest seit 2006/2007 (neurologische Ausfälle, zunehmende Schmerzstörung mit Opioid-Gabe). Damit ist
eine Erwerbsminderung des Klägers bis Dezember 2007 nicht nachgewiesen. Denn sowohl nach den Ausführungen zu
3. im Befundbericht von Dr. med. R1 vom 25. Oktober 2007 - wie übrigens ebenso nach den insoweit identischen
Ausführungen in dessen ergänzender Auskunft vom 10. September 2009 bei weiterhin mitgeteilter letzter Vorstellung
des Klägers am 1. Dezember 2008 - als auch nach den orientierenden neurologischen Untersuchungen des Klägers
am 6. Februar 2008 durch den Sachverständigen Dr. med. G1 (vgl. Seite 12ff des Gutachtens) bestanden die vom
Sachverständigen Prof. Dr. med. L1 bei der Untersuchung des Klägers am 25. Juli 2008 festgestellten neurologischen
Ausfälle zuvor nicht. Dem entsprechend führte der Sachverständige Prof. Dr. med. L1 aus, das Gutachten vom 6.
(richtig: 13.) Februar 2008 sei aus heutiger neurologischer Sicht (Hervorhebung im Original) zu ergänzen (vgl.
insbesondere Seite 12ff des Gutachtens). Damit kann unter Umständen eine Verschlechterung der Erwerbsfähigkeit
des Klägers nach Februar 2008, aber nicht bis Dezember 2007 nachgewiesen werden. Nichts anderes gilt für die vom
Sachverständigen Prof. Dr. med. L1 zur Begründung seiner Bewertungen weiterhin angeführten Beeinträchtigungen
der Erwerbsfähigkeit des Klägers durch die Opioid-Analgetika-Gabe. Der von ihm mitgeteilte Beginn dieser Medikation
ab 2006/2007 beruht bereits nach eigenen Angaben auf einer Annahme, die nicht durch aktenkundige Unterlagen
belegt ist (vgl. insbesondere Seite 19 des Gutachtens). Danach erscheint erst im Gutachten vom 13. Februar 2008 ein
entsprechender Vermerk (T-long ret. 200 mg - täglich eine Tablette, vgl. auch Seite 5 des Gutachtens vom Februar
2008). Der Vergleich der Angaben des Klägers bei den Untersuchungen durch die beiden Sachverständigen ergibt eine
Erhöhung der Schmerzmedikation (vgl. jeweils Seite 5 des Gutachtens). Dies könnte auf - durch Dipl. Med. S2 -
zusätzlich verordneten Schmerzmedikamenten nach einer Rippenfraktur des Klägers im April 2008 beruhen (vgl.
dessen ergänzende Auskunft vom 22. September 2009 unter 5.a und den Notfall-/Vertretungsschein vom 2. April
2008). Ein Nachweis der o.g. zeitlichen Einschränkung der Erwerbsfähigkeit vor Februar 2008 lässt sich damit nicht
begründen. Denn auch - der nach Dipl. Med. S2 für die Behandlung der Skelettbeschwerden zuständige - Dr. med. R1
hat in seiner ergänzenden Auskunft vom 10. September 2009 mitgeteilt, er habe Opioide nur einmalig verordnet.
Angesichts des Vorstehenden bedarf es keiner Entscheidung, ob der Sachverständige Prof. Dr. med. L1 in seinem
Gutachten tatsächlich die unteren Extremitäten des Klägers verwechselte, wie der SMD der Beklagten in seiner
Stellungnahme vom 27. August 2008 meint. Denn dessen von Dr. med. G1 abweichende gutachtliche
Leistungsbeurteilung des Klägers überzeugt den Senat nicht.
Schließlich bestehen keine Gründe für die Annahme einer Gefahr der Verschlossenheit des allgemeinen
Arbeitsmarktes für den Kläger. Denn die qualitativen Leistungseinschränkungen sind weder schwer und spezifisch
("schwere spezifische Leistungsbehinderung", vgl. hierzu z.B. BSG Urteil vom 23. Mai 2006 - B 13 RJ 38/05 R, Rn
21ff) noch ungewöhnlich (vgl. hierzu z.B. BSG, Urteil vom 10. Dezember 2003 - B 5 RJ 64/02 R, Rn 19). Sie stellen
auch keine größere Summierung gewöhnlicher Leistungseinschränkungen (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 20. August
1997 - 13 RJ 39/96, Seite 7 und Seite 9f zur Beschreibung "leichte Tätigkeit"). Vielmehr genügt das qualitative
Restleistungsvermögen des Klägers für körperliche Verrichtungen wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren,
Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Packen, Zusammensetzungen von Teilen (vgl. hierzu BSG,
Urteil vom 20. August 1997, a.a.O., Seite 10), wie es bei ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert wird. Damit
bedarf keiner Entscheidung, ob dieser Rechtsprechung des BSG zu folgen ist (abweichend hierzu z.B. Thüringer
Landessozialgericht, Urteil vom 30. September 2009 - L 3 R 365/08).
Nichts anderes ergibt sich insoweit aus den eingeschränkten Deutschkenntnissen des Klägers. Denn der Kläger ist
kein muttersprachlicher Analphabet (vgl. zu einer derartigen Konstellation z.B. BSG, Urteil vom 10. Dezember 2003 -
B 5 RJ 64/02, Rn 13 und 25ff). Die Unfähigkeit eines "Ausländers" (Inländers ohne deutsche Staatsangehörigkeit),
deutsch zu sprechen, bleibt nach der vorgenannten Entscheidung als Kriterium insoweit außer Betracht. Ob dem zu
folgen, kann dahingestellt bleiben, da der Kläger, wenn auch leicht eingeschränkt, in der deutschen Sprache und
Schrift kommunikationsfähig ist. Dies ergibt sich aus den - dem Grunde nach - übereinstimmenden Feststellungen
und Bewertungen der Sachverständigen Dr. med. G1 und Prof. Dr. med. L1 (vgl. Seite 19 des Gutachtens vom 13.
Februar 2008 sowie Seite 11ff und 21 des Gutachtens vom 5. August 2008).
Der Umstand, dass es in einer Zeit angespannter Arbeitsmarktlage schwierig ist, einen passenden Arbeitsplatz zu
finden, und die Bundesagentur für Arbeit zu einer derartigen Vermittlung nicht in der Lage ist, ist kein Grund zur
Gewährung einer der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Denn bei bestehender Fähigkeit (nicht:
Möglichkeit), mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein, ist - wie bereits erwähnt - der jeweilige
Arbeitsmarkt kraft Gesetzes nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 Halbsatz 2 SGB VI).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§§ 161 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. 160 Abs. 2 Nr. 1f SGG) sind nicht gegeben.