Urteil des LSG Sachsen vom 08.08.2001

LSG Fss: zahnbehandlung, liquidation, fahrtkosten, amalgamentfernung, berufungssumme, klagebegehren, aufnehmen, arzneimittelkosten, telefon, bezahlung

Sächsisches Landessozialgericht
Urteil vom 08.08.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Dresden S 16 KR 197/97
Sächsisches Landessozialgericht L 1 KR 18/99
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 24.09.1998 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über Ansprüche der Klägerin auf Kostenerstattung.
Die am ... geborene Klägerin stellte am 03.01.1997 bei der Beklagten, bei der sie gesetzlich krankenversichert ist,
einen Leistungsantrag. Sie leidet unter Hautproblemen (Akne und Ekzeme), an Haarausfall und an chronischer
Rhinitis. Sie hat vorgetragen, darüber hinaus bestehe bei ihr eine Quecksilbervergiftung; dies belegten ein DPMS-
Mobilisationstest und ein Speicheltest. Daher beanspruche sie die Kostentragung seitens der Beklagten für den
Austausch der vorhandenen Amalgamfüllungen mit Trans-Lit-Füllungen (Zementfüllungen). Wegen der Einzelheiten
wird auf das Antragsschreiben der Klägerin vom 03.01.1997 und auf die weiteren Schreiben vom 24.01.1997 und vom
23.02.1997 nebst Anlagen verwiesen (Bl. 2/8, 19/21 Verwaltungsakte [VA]). Die Behandlung hat die Klägerin bereits
im November 1996 mit dem Ziel des Amalgamaustausches bei sämtlichen betroffenen Zähnen aufnehmen lassen. Die
Behandlung erfolgte im Zeitraum vom 22.11.1996 bis zum 16.12.1997.
Am 13.01.1997 legte die Klägerin der Beklagten eine handschriftliche Äußerung des Facharztes für Allgemeinmedizin
Dr. L ... (07.01.1997) und die folgenden Rechnungen bzw. Vorausberechnungen vor, auf die ebenfalls verwiesen wird
(Bl. 10/18 VA):
- GOZ-Gebührenvorausberechnung vom 09.01.1997 711,61 DM - GOZ-Liquidation vom 12.11.1996 182,70 DM - GOZ-
Liquidation vom 07.02.1997 718,46 DM.
Mit Bescheid vom 14.02.1997 lehnte die Beklagte den Antrag mit dem Hinweis ab, es sei nicht zu ersehen, weshalb
bei der Zahnbehandlung nicht erprobte und praxisübliche Füllmaterialien zur Anwendung gelangen sollten; Kunststoff-
Füllungen seien bei gegebener zahnmedizinischer Indikation ohne Weiteres über die Krankenversichertenkarte
abzurechnen. Eine Amalgamunverträglichkeit sei nicht zu ersehen. Insoweit komme allein der Epicutantest in
Betracht; dieser habe indessen belegt, dass eine Amalgamunverträglichkeit nicht bestehe. Andere Testmethoden
seien nicht anerkannt.
Auf den Widerspruch wies die Bekagte auf die Ablehnung vom 14.02.1997 hin und wies den von der Klägerin
aufrechterhaltenen Widerspruch mit Bescheid vom 20.11.1997 zurück.
Hiergegen hat sich die am 22.12.1997 erhobene Klage gerichtet, auf die das Sozialgericht (SG) wie folgt ermittelt hat:
Im Befundbericht des Facharztes F ... vom 16.03.1998 wird Bezug genommen auf den beigefügten Epicutantest vom
08.10.1996; darin ist als Ergebnis der Testung "negativ" beurteilt. Im Befundbericht des Zahnarztes Dr. K ... vom
24.03.1998 ist ausgeführt, er habe bei der Klägerin eine Entgiftungsberatung geführt und in deren Ergebnis "DMPS-
Schnüffeln" zur Entgiftung empfohlen. Bei der Klägerin liege eine Amalgamunverträglichkeit vor. Im Befundbericht der
Fachzahnärztin H ... vom 30.03.1998 ist angegeben, sie habe vom 22.11.1996 bis zum 16.12.1997 auf Wunsch der
Klägerin sämtliche Amalgamfüllungen entfernt. Seitdem sei es zu einer deutlichen Besserung der Beschwerden
gekommen. Nach ihrem Befundbericht vom 06.04.1998 hat die Praktische Ärztin K ... die Klägerin im zeitraum vom
18.09.1996 bis zum 28.11.1996 behandelt und dabei u.a. eine EAP-Testung durchgeführt, in deren Verlauf sie als
Diagnose "erworbene Allergie durch Quecksilber aus Zahnmaterialien" gestellt habe. Nach der Amalgamentfernung sei
es zur Beschwerdefreiheit gekommen. Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. L ... hat unter dem 25.03.1998 berichtet,
bei der Klägerin sei im Zeitraum von November 1996 bis Dezember 1997 eine Entgiftung mit DMPS vorgenommen
worden. Die Fachärztin für Dermatologie/Allergologie Dr. W ... hat berichtet (27.03.1998), die Epicutantestung habe
"Amalgam negativ" ergeben. Schließlich hat das SG bei dem Chefarzt Prof. Dr. M ... (Akademisches
Lehrkrankenhaus D ...) ein toxikologisches Gutachten beigezogen, das der Sachverständige unter dem 20.07.1998
erstattet hat. Der Sachverständige hat ausgeführt, sowohl der DMPS- als auch der "Kaugummi"-Test seien aus
toxikologischer Sicht nicht aussagefähig. Die Quecksilberwerte lägen beim Epicutantest im Normalbereich. Die Werte
bei DMPS lägen im Normalbereich (vor DMPS) bzw. seien "relativ hoch" gewesen (nach DMPS); allerdings sei eine
Bewertung dieser Ergebnisse problematisch, weil bislang Studien über die maßgeblichen Zusammenhänge fehlten.
Wegen der Einzelheiten wird auf die genannten Berichte und das Gutachten (Bl. 100/108 SG-Akte) verwiesen.
Das SG hat die Klage durch Urteil auf mündliche Verhandlung am 24.09.1998 in Abwesenheit der Klägerin
abgewiesen. Streitig seien die Kosten des Austausches der Zahnfüllungen mit den Beträgen über die Gesamtsumme
von 989,97 DM. Es sei nicht nachgewiesen, dass die früher vorhanden gewesenen Amalgam-Füllungen für die von der
Klägerin behaupteten Beschwerden ursächlich gewesen seien. Im Übrigen habe sich die Klägerin die streitbefangenen
Leistungen selbst beschafft, ohne zuvor bei der Beklagten eine entsprechende Kostenübernahmezusage eingeholt zu
haben. Das SG hat die Beschwerde nicht zugelassen.
Gegen das am 04.12.1998 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 28.12.1998 Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt,
der das SG nicht abgeholfen und dem Senat vorgelegt hat. Der Senat hat die Berufung mit Beschluss vom
22.04.1999 zugelassen.
Die Klägerin trägt vor, das SG habe versäumt, das Klagebegehren hinreichend zu ermitteln. Ihr gehe es um die
Kostenübernahme von insgesamt 11.700,39 DM aus Arzt- und Laborkosten, Arzneimittelkosten, Fahrtkosten und
Kosten für Telefon und Rechnungsheft, das der Senat zu den Akten genommen hat. Wegen der weiteren Einzelheiten
wird auf das schriftliche Vorbringen der Klägerin Bezug genommen (Bl. 3 f., 27 f. d.A.).
Die im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht anwesende und nicht vertretene Klägerin beantragt sinngemäß,
unter Abänderung des Urteils des SG Dresden vom 24.09.1998 und des Bescheides vom 14.02.1997 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 20.11.1997 die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 11.700,39 DM wegen
Erstattung sämtlicher aus dem Austausch der bestehenden Amalgamfüllungen entstandenen Kosten einschließlich
Arzneimittel-, Fahrt- und Telefonkosten zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bezieht sich auf die angefochtene Entscheidung.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen, auf das von
der Klägerin vorgelegte Kostennachweisheft und auf die Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen
Verhandlung, Beratung und Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte in Abwesenheit der ordnungsgemäß geladenen Klägerin verhandeln und entscheiden (§§ 110, 153
Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
Die Berufung ist zulässig. Der Beschwerdewert übersteigt die Berufungssumme von 1.000 DM. Der Klägerin geht es
nicht lediglich, wie vom SG unzutreffend angenommen, um eine Kostenerstattung in Höhe von 989,97 DM, sondern
vielmehr um den mit der Beschwerdebegründung dargelegten Erstattungsbetrag in Höhe von 11.700,39 DM. Bereits in
ihrem an die Beklagte gerichteten Schreiben vom 03.01.1997 hat die Klägerin den unzweideutigen Antrag gestellt, die
"volle" Kostenübernahme des Austausches der Amalgamfüllungen gegen Alternativen einschließlich der (aus ihrer
Sicht) erforderlichen Entgiftungsmaßnahmen zu erhalten. Ebenso hat die Klägerin in der Klageschrift vom 17.12.1997
ausgeführt, sie beantrage "die volle Kostenübernahme" für den Austausch (ihrer) Zahnfüllung aus Amalgam. Allein
dies belegt, dass es der Klägerin nicht lediglich auf die vom SG benannten zwei Rechnungsbelege geht. Unabhängig
davon hat die Klägerin der Beklagten Rechnungen bzw. Vorausberechnungen vorgelegt (GOZ-
Gebührenvorausberechnung vom 09.01.1997: 711,61 DM; GOZ-Liquidation vom 12.11.1996: 182,70 DM; GOZ-
Liquidation vom 07.02.1997: 718,46 DM), die ersichtlich Streitgegenstand sind und bereits ihrerseits die
Berufungssumme übersteigen.
Die auch im Übrigen rechtzeitig eingelegte und mithin zulässige Berufung ist indessen unbegründet. Die angefochtene
Entscheidung ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat in den streitgegenständlichen Bescheiden den
Antrag auf Kostenerstattung mit Recht abgelehnt. Der Klägerin stehen die behaupteten Ansprüche nicht zu.
Soweit die Klägerin einen Anspruch auf Bezahlung der aus Zahnsanierung (Austausch der Amalgamfüllungen)
entstandenen Kosten 11.700,30 DM) erhebt, ist dieser nicht begründet. Die Klägerin begehrt insoweit
"Kostenübernahme" aus einer Behandlung, die ausweislich der in dem von ihr selbst vorgelegten
Kostennachweisheftes enthaltenen Belege im Zeitraum ab dem 05.11.1996 (vgl. die Rechnung der Zahnärztin Dr. S.
vom 12.11.1996) und damit vor der ersten insoweit nachgewiesenen Antragstellung (03.01.1997) aufgenommen
worden ist. Allein hierauf kommt es an. Denn nachdem die fragliche Zahnbehandlung bereits durchgeführt worden ist,
richtet sich das Klagebegehren auf Kostenerstattung (vgl. dazu auch BSGE 80, 181 f. = SozR 3-2500 § 13 Nr. 14).
Die mithin als einzige Anspruchsgrundlage denkbare Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 SGB V scheidet aus. Die von
der Klägerin vorgelegten streitbefangenen Rechnungen nebst "Gebührenvorausberechnung" vom 09.01.1997 weisen
zweifelfsfrei nach, dass der von der Klägerin vorgesehene Füllungsaustausch im Rahmen eines zeitlich
zusammenhängenden Behandlungsgeschehens bereits im November 1996 begonnen hat. Insoweit hat die Klägerin
mit der Behandlung sämtlicher, ursprünglich mit Amalgamfüllungen versehener Zähne (14, 16, 26, 27, 36 und 47) vor
der ersten Antragstellung begonnen. Indessen setzt die Kostenerstattung - außer bei hier nicht zu ersehenden
besonders eilbedürftigen Fällen - die Einschaltung der Krankenkasse vor der Behandlung voraus (vgl. BSG SozR 3-
2500 § 13 Nr. 15 m.w.N.; seitdem st. Rspr.). Die Klägerin hat aber die Behandlung bereits vor der Antragstellung im
Sinne eines die genannten Zähne erfassenden einheitlichen Behandlungsgeschehens aufnehmen lassen (05.11.1996)
und erst nachfolgend (03.01.1997) bei der Beklagten einen Leistungsantrag gestellt.
Unabhängig von dem Vorstehenden sind die maßgeblichen Leis- tungsvoraussetzungen für den von der Klägerin
behaupteten Anspruch nicht erfüllt. Die Aussichten, mit Hilfe der Amalgamentfernung eine Besserung des
Gesundheitszustands zu erreichen, gehen auch nach der gegenwärtig geltenden Sachlage über mehr oder weniger
fundierte Hypothesen nicht hinaus. Mit wissenschaftlich anerkannten Mitteln kann heute (noch) nicht nachgewiesen
werden, dass im individuellen Behandlungsfall die von manchen für eine Quecksilbervergiftung für typisch gehaltenen
Beschwerden auf das Quecksilber zurückzuführen sind, das aus Amalgamfüllungen freigesetzt werde. Insoweit macht
sich der Senat die im Urteil des BSG vom 06.10.1999 (Az., B 1 KR 14/98 R; vgl. auch BSGE 84, 90, 94 f,)
getroffenen Erwägungen zu eigen, die Gegenstand des Rechtsgeprächs in der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Soweit die Klägerin Kostenerstattung für selbst beschaffte Arzneimittel-, Fahrt- und Telefonkosten geltend macht, ist
die Klage ebenfalls nicht begründet. Hinsichtlich der Arzneimittelkosten fehlt es an den erforderlichen
vertragsärztlichen Verordnungen. Soweit die Klägerin Fahrtkosten in Rechnung stellen will, erstrecken sich diese nach
ihrem eigenen Vorbringen auf die im Verlauf des Jahres 1997 im Zusammenhang mit der streitgegenständlichen
Zahnbehandlung stehenden Maßnahmen. Weil die Fahrtkosten unselbständige Nebenleistungen sind, scheidet ein
Anspruch aus. Denn insoweit wäre erforderlich, dass die maßgebliche Hauptleistung (hier: Zahnbehandlung) selbst in
der Leistungspflicht der Beklagten steht. Dies ist aber, wie dargelegt, nicht der Fall. Soweit die Klägerin schließlich
den Ersatz von entstandenen Telefonkosten geltend macht, scheidet ein Anspruch ebenfalls aus. Insoweit sind die
Träger der gesetzlichen Krankenversicherung nicht zur Leistung verpflichtet.
Aus den genannten Gründen hatte die Berufung keinen Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).