Urteil des LSG Sachsen vom 01.09.2010

LSG Fss: curriculum vitae, unnötige kosten, unparteilichkeit, kritik, prozess, gutachter, beweiswürdigung, anerkennung, versicherer, auflage

Sächsisches Landessozialgericht
Beschluss vom 01.09.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Chemnitz S 8 U 410/07
Sächsisches Landessozialgericht L 6 U 222/09 B
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 15.09.2009 wird zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Die Beschwerde richtet sich gegen einen Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz, mit welchem dieses die Ablehnung
des Sachverständigen Dr. A wegen Besorgnis der Befangenheit für unbegründet erklärt hat. Streitig sind die Folgen
eines Arbeitsunfalls vom 14.07.2004. Streitig ist insbesondere, ob - ein ausgeprägtes zervikozephales Syndrom mit
Nacken- und Hinterkopfbeschwerden, - eine zervikobrachiales Syndrom Areal C6/C7 mit neurologischen Defiziten, -
Bewegungseinschränkungen und Schmerzen der Halswirbelsäule, - deutliche Reduktion der Alltagsleistungsfähigkeit,
- sensible Ataxie und Stereodysgnosie am 2.-4. Finger rechts, - Schwindelgefühl und Übelkeit bei Drehbewegungen
des Halses Unfallfolgen sind.
Im gegen die ablehnenden Bescheide der Beklagten angestrengten Klageverfahren vor dem Sozialgericht Chemnitz
wurde zunächst eine neurologisches Gutachten bei Frau Dr. B eingeholt, außerdem war beabsichtigt, Dr. C zum
Sachverständigen auf unfallchirurgischem Gebiet zu ernennen. Die Klägerin wandte daraufhin ein, dass Dr. C in einer
Powerpointpräsentation folgende "gutachterliche Bewertung" abgegeben habe: "Wichtigster Kofaktor - Hauptbedingung
in den meisten Fällen der leichten HWS-Distorsion - ist das Versichertsein und die unbewusste oder bewusste
Erwartung einer Entschädigung." In der Zusammenfassung heißt es dann: "Sigmund Freud: im Hintergrund wirkt ein
selbstsüchtiges, nach Schutz und Nutzen strebendes Ich-Motiv, das erst ruht, nachdem eine Entschädigung erreicht
oder diese endgültig abgelehnt wurde.". Das Sozialgericht änderte daraufhin die Beweisanordnung vom 27.05.2009
dahingehend ab, dass statt C auf unfallchirurgischem Sachgebiet nunmehr Dr. A , K zum Sachverständigen ernannt
werde. Daraufhin wurde Dr. A wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Die Ablehnung wurde damit begründet,
dass Dr. A nach dem Kenntnisstand der Klägerin ausschließlich für die Versicherungswirtschaft, sei sie privat oder
sozialversicherungsrechtlich organisiert, tätig sei. Hierbei würden tatsächlich bestehende Beschwerdebilder durch den
Sachverständigen A regelmäßig unter Bezugnahme auf die Begriffe Adaptionskausalität oder Belastungskonformität
abgelehnt. Diese Vorgehensweise sei nicht durch medizinische Erfahrungssätze, die auf wissenschaftlicher
Grundlage basierten und von den beteiligten Fachkreisen überwiegend akzeptiert würden, gedeckt. Vorgelegt wurde
der Aufsatz "Strategie und Taktik" - Die LWS-Bandscheibenschäden im Spiegel der orthopädischen Deutung und
Rechtsprechung -. Dort heißt es u. a.: schließlich befragt, auf welche Erkenntnisse welche epidemiologischen
und/oder klinischen Studien mit wie vielen StudienteilnehmernInnen er seine Adaptionslehre stütze und wie sie sich -
vor allem die dort gewonnenen Befunde prozentual auf die LWS und BWS verteilen, musste A eingestehen: "Es gibt
keine Studien. Dass ein belastungskonformes Schadensbild entstehen muss, ist Ergebnis meiner Überlegungen". Auf
verblüffte Nachfrage aus dem Publikum der versammelten Orthopäden, Arbeits- und Gewerbemediziner, Sozialrichter
etc., wie das von ihm propagierte belastungskonforme Schadensbild in klinisch-orthopädischen Studien beschrieben
sei und ob nicht wenigstens er selbst eine klinische Studie durchgeführt habe, auf die er sich berufen könne,
bekräftigte A laut und vernehmlich coram publico: "Es gibt keine klinischen Studien, auch nicht aus meinem Institut".
Das Sozialgericht hat die Ablehnung mit Beschluss vom 15.09.2009 für unbegründet erklärt.
Nach § 118 Abs. 1 SGG i. V. m. § 406 Abs. 1 Satz 1, 42, Abs. 1 und Abs. 2 ZPO könne ein gerichtlich bestellter
Sachverständiger aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigten, wegen Besorgnis der
Befangenheit abgelehnt werden. Der Ablehnungsantrag müsse im Regelfall spätestens zwei Wochen nach
Bekanntgabe der Ernennung des Sachverständigen gestellt werden (§ 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Danach sei die
Ablehnung lediglich dann zulässig, wenn glaubhaft gemacht werde, dass der Ablehnungsantrag vorher nicht geltend
gemacht werden konnte (§ 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Unzulässig sei die Ablehnung eines Sachverständigen, daher
regelmäßig, wenn sie erst nach Kenntnis des schriftlichen Gutachtens geltend gemacht werde (Krasney/Udsching,
Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Auflage, 2005, Rn. 180 unter III.). Die Beweisanordnung vom
27.05.2009 sei vom Gericht am 28.07.2009 abgeändert worden. Die Mitteilung diesbezüglich sei am 29.07.2009
erfolgt. Der Klägervertreter habe dieses Schreiben am 31.07.2009 erhalten. Das Ablehnungsgesuch sei am
14.08.2009, also zwei Wochen später bei Gericht eingegangen. Die geltend gemachten Ablehnungsgründe seien
mithin unverzüglich vorgebracht worden.
Der Antrag sei jedoch nicht begründet. Eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit habe zu erfolgen, wenn ein
Grund vorliege, der geeignet sei, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen.
Unerheblich sei in diesem Zusammenhang, ob der Sachverständige tatsächlich befangen sei oder das Gericht selbst
Zweifel an der Unvoreingenommenheit und der sachlich-objektiven Haltung des Sachverständigen hege. Es komme
ausschließlich darauf an, ob ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftigem Überlegen, d. h. bei
objektivierter Betrachtungsweise Bedenken gegen die Unparteilichkeit haben könne. Rein subjektive, unvernünftige
Vorstellungen und Gedankengänge des Ablehnenden schieden somit aus (Hinweis auf Thomas/Putzo, ZPO, 28.
Auflage, 2007, § 42 Rn. 9). Dementsprechend müssten objektive Gründe vorliegen, die von dem Standpunkt eines
ruhig und besonnenen denkenden Verfahrensbeteiligten nach Würdigung sämtlicher Umstände des Falles Anlass zu
der Befürchtung gäben, der Sachverständige stehe dem Streit der Parteien nicht neutral gegenüber und werde sein
Gutachten nicht unparteiisch und nach bestem Wissen und Gewissen erstatten (Hinweis auf OLG Naumburg,
Beschluss vom 10.10.2006, Az.: 10 W 72/06 m. w. N.). Ausgehend von diesem Beurteilungsmaßstab erweise sich
das Ablehnungsgesuch als nicht gerechtfertigt. Ob der Sachverständige Dr. A ausschließlich für die
Versicherungswirtschaft tätig sei, könne für dessen Ernennung zum Sachverständigen durch das Gericht keine Rolle
spielen. Insbesondere werde vom Gericht nicht von den einzelnen Sachverständigen vor deren Beauftragung ein
umfassendes Tätigkeitsprofil angefordert. Ob ein Arzt daher hauptsächlich für private Unfallversicherungen oder
Berufsgenossenschaften tätig werde, sei bei der Beauftragung mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens
ohne Bedeutung. Allein der Umstand, dass ein Arzt als Beratungsarzt für eine bestimmte Berufsgenossenschaft tätig
werde, die im jeweiligen Verfahren beteiligt sei, veranlasse das Gericht, in solchen Fällen von einer gerichtlichen
Beauftragung dieses Arztes abzusehen. Im Übrigen sei der Sachverständige bei der Abfassung seines Gutachtens
ausschließlich der ärztlichen Berufsordnung unterworfen und zur objektiven Meinungsbildung verpflichtet, worauf sich
das Gericht verlassen können müsse. Anhaltspunkte, dass dies bei Dr. A , der vom SG Chemnitz häufig als
Gutachter herangezogen werde, nicht der Fall sein sollte, seien nicht ersichtlich und seien auch nicht vorgetragen.
Auch könne Gutachten, die allein für private Unfallversicherungen tätig seien, eine Parteilichkeit nicht vorgeworfen
werden. Die weitere Bezugnahme auf den vorgelegten Artikel von einer dem Gericht unbekannten Autorin ( ...)
rechtfertige die Annahme eines Misstrauens gegen die Unparteilichkeit des Gutachters ebenfalls nicht. Die Zeitschrift,
aus der der Artikel stamme, werde vom Verband arbeits- und berufsbedingte Erkrankter e. V. herausgegeben, deren
verantwortliche Redakteurin die Verfasserin des Artikels sei. In diesem Artikel erfolge eine kritische
Auseinandersetzung mit der Praxis der Anerkennung der Berufskrankheiten 2108 bis 2110 (bandscheibenbedingte
Erkrankungen der Lendenwirbelsäule), wobei insbesondere die Frage der Abgrenzung von beruflich erworbenen
bandscheibenbedingten Erkrankungen im Gegensatz zur privat bedingten Volkskrankheit Bandscheibenschaden im
Vordergrund stehe. Dabei würden auch Dr. A und dessen Ausführungen zur belastungsadaptiven Reaktionen im
Zusammenhang mit den bandscheibenbedingten Erkrankungen der Lendenwirbelsäule in den Blickpunkt gestellt.
Einen Zusammenhang mit Halswirbelsäulenschäden, insbesondere bedingt durch Arbeitsunfälle, habe das Gericht
diesem Artikel jedoch nicht entnehmen können. Vielmehr gehe es in dem vorgelegten Artikel um die
Lendenwirbelsäule und die mit der Anerkennung der Berufskrankheit 2108 verbundenen Schwierigkeiten der Kausalität
von beruflicher Einwirkung und aufgetretenem Schadensbild. Von der Halswirbelsäule sei dabei nicht die Rede. Es
könne auch den Interpretationen des Artikels nicht entnommen werden, dass Dr. A sich in irgendeiner Weise mit
diesem Schadensbild an der HWS auseinandergesetzt hätte, insbesondere auch nicht im Zusammenhang mit Arbeits-
oder Verkehrunfällen. Von den im Artikel erwähnten Zitaten könne darauf ebenfalls nicht geschlossen werden. Auch
sei nirgends zu erkennen, dass sich Dr. A für die Versicherten negativ in einer Weise geäußert habe, das
Halswirbelsäulenschäden als Unfallfolge nicht anerkennungsfähig sein sollten.
Gegen den am 17.09.2009 zugestellten Beschluss richtet sich die am 19.10.2009 beim Sozialgericht Chemnitz
eingegangene Beschwerde. Dr. A sei seit 1980 nur noch gutachterlich tätig. Im Rahmen seiner gutachterlichen
Tätigkeit leite er das 1988 gegründet so genannte Institut für medizinische Begutachtungen in K. Die Tätigkeit dieses
Instituts beziehe sich schwerpunktmäßig auf gesetzliche und private Versicherer mit einer hieraus resultierenden
wirtschaftlichen Abhängigkeit. Das Institut trete auch unter deutlicher Berufung auf diese schwerpunktmäßige
Tätigkeit für gesetzliche und private Versicherer werbend am Markt auf. Es bestehe eine wirtschaftliche Verflechtung
mit diesen Versicherern, die weit über geschäftliche Kontakte, die sich im üblichen Rahmen hielten, hinausgehe. Das
SG könne sich auch nicht darauf zurückziehen, dass der Sachverständige bei der Abfassung seines Gutachtens
ausschließlich der ärztlichen Berufsordnung unterworfen und zur objektiven Meinungsbildung verpflichtet sei.
Ausgehend von diesem Grundsatz hätte dann jede Anbindung eines Sachverständigen an eine Berufsordnung die
Unbeachtlichkeit von Befangenheitsgründen zur Folge. Dies widerspreche aber der maßgeblichen gesetzlichen
Regelung. Im Übrigen würden auch seitens ärztlicher Berufsordnungen keine Festlegungen hinsichtlich einer
Sachverständigentätigkeit von Ärzten getroffen. Dr. A sei nicht nur wirtschaftlich, sondern auch durch
Veröffentlichungen in der einschlägigen Literatur eng mit gesetzlichen und privaten Versicherern verbunden. Die
Tatsache, dass er sich gegenüber der Anerkennung von Lendenwirbelsäulenerkrankungen für die Versicherten negativ
geäußert habe, lasse auch eine entsprechende Haltung, was HWS-Verletzungen angehe, erwarten.
Der Senat hat Dr. A die Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, die dieser mit Schreiben vom 02.07.2010
wahrnahm. Im Institut für medizinische Begutachtung (IMW, Interdisziplinärische medizinische Begutachtung) würden
von mehr als 500 Auftraggebern Gutachten durch die verschiedenen Fachkollegen veranlasst. Er selbst erstelle fast
ausschließlich nur noch Gerichtsgutachten, um die man sich bekanntlich nicht bewerbe, sondern die durch
Beweisbeschluss auf den benannten Sachverständigen zugetragen würden. Der Einfachheit halber habe er sein
Curriculum vitae beigefügt, in dem sich zumindest indirekt widerspiegele, welche Wertschätzung er in der
wissenschaftlichen Medizin und in wissenschaftlichen Gesellschaften erfahren habe. Er selbst habe die
wissenschaftliche Literatur zur gutachtlichen Überprüfung von Halswirbelsäulentraumen in den letzten Jahren
nachhaltig geprägt; dies habe möglicherweise auch dem Sozialgericht Chemnitz die Veranlassung gegeben, ihn als
Sachverständigen zu benennen.
Die Beteiligten haben sich mit der Entscheidung durch den Einzelrichter gemäß § 155 Abs. 3 und 4 SGG
einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen (SG-Akte ab Bl. 143) und die
beigezogene Beklagtenakte Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Gemäß § 406 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG kann ein
Sachverständiger aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Während
der Sachverständige also ebenso wie der Zeuge Beweisperson ist, sind die Rechtsfolgen bei einer möglicherweise
problematischen Beziehung zum Beweisthema grundsätzlich anders geregelt. Während der "befangene Zeuge" weder
von Gesetzes wegen ausgeschlossen ist noch wegen Befangenheit abgelehnt werden kann und sich allenfalls durch
Geltendmachung seines Zeugnisverweigerungsrechts gemäß §§ 383 ff. ZPO selbst für "befangen" erklären kann, wird
mit § 406 ZPO die richterähnliche Stellung des Sachverständigen im Prozess deutlich. Es genügt eben nicht, wie bei
einer Zeugenaussage, die Beteiligten auf das "Nachher" zu vertrösten, also auf die Beweiswürdigung, im Rahmen
derer dann alles, was persönlich oder sachlich gegen die Beweisperson und ihre Ausführungen einzuwenden sei,
vorgebracht werden könne. Aus diesem Grunde überzeugt auch nicht die Entscheidung des Thüringer
Landessozialgerichts vom 09.09.2008 (L 6 B 187/08 U), in welcher auf die Bestimmung des § 109 SGG verwiesen
wird, mit welchen Klägern im Sozialgerichtsprozess die Möglichkeit gegeben werde, für sie ungünstige
Begutachtungen durch einen Arzt ihres Vertrauens überprüfen zu lassen. Die vom Gesetz ausdrücklich vorgesehene
Ablehnung des Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit kann nicht mit dem Hinweis auf die ja immer
noch mögliche Beweiswürdigung unterlaufen werden.
Mit § 406 ZPO würdigt das Gesetz die richterähnliche Stellung des Sachverständigen im Prozess. So wie den
Richtern vom Grundgesetz (Artikel 92) die rechtsprechende Gewalt "anvertraut" ist, welches indiziert, dass dieses
Vertrauen im jeweiligen Prozess auch von den Parteien mitgetragen werden kann und muss, so ist auch bei dem vom
Gericht ernannten Sachverständigen ein Vertrauen der Prozessparteien in seine Integrität und Unparteilichkeit
Voraussetzung für ein allseits als ordnungsgemäß empfundenes Verfahren. Dies ist bei Zeugen durchaus nicht so.
Zwar müssen Zeugen die Wahrheit sagen, hieraus zu schlussfolgern, sie täten es deswegen auch immer, wäre jedoch
ausgesprochen naiv und ein Urteil, welches die Glaubwürdigkeit eines Zeugen allein mit §§ 153 ff. StGB begründet,
wäre wohl in hohem Maße kritikwürdig. Aus diesem Grunde ist der Einwand der Beschwerdeführerin gegen den
angefochtenen Beschluss insoweit berechtigt, als die Verpflichtung zur "ärztlichen Berufsordnung und zur objektiven
Meinungsbildung" gerade kein Gegenargument gegen eine mögliche Befangenheit ist. Diese Verpflichtungen bestehen
für alle Sachverständigen, § 406 ZPO würde damit also leerlaufen.
Die richterähnliche Stellung des Sachverständigen beruht im Wesentlichen auf seiner fachlichen Autorität. Bei der
richterlichen Autorität ist es nicht so, sie ist gewissermaßen eine Autorität kraft Amtes, das Gemeinsame besteht
aber darin, dass in Grenzen endgültige und verbindliche und nicht mehr überprüfbare Aussagen und Entscheidungen
getroffen werden können.
Letztendlich wird es sowohl dem Gericht als auch den Parteien bzw. den Beteiligten in vielen Fällen nicht in letzter
Konsequenz möglich sein, ein wissenschaftliches Gutachten - auf welchem Fachgebiet auch immer es erstattet
wurde - einschließlich dem wissenschaftlichen Apparat in allen Einzelheiten nachzuvollziehen und zu "zerpflücken".
Das wissenschaftliche Gutachten ist eben mehr als eine Bekundung über eine Wahrnehmung: Der Sachverständige
erklärt nicht, diese und jene im Anhang genannten Bücher gelesen zu haben und dabei diese und jene Lehrsätze
behalten zu haben; er erklärt vielmehr, gestützt auf seine wissenschaftliche Autorität, dass dies oder jenes in seinem
Fachgebiet "eben so ist". Er gibt dem Gericht nicht nur Hinweise, damit es selber herausfinden möge, welches der
aktuelle Stand in seiner Wissenschaft und zum Beispiel die "herrschende medizinisch-wissenschaftliche
Lehrmeinung" ist, er stellt sie vielmehr fest und wenn gegen diese Feststellung nichts wirklich Substantiiertes von
anderen wissenschaftlichen Autoritäten vorgebracht wird, hat es damit sein Bewenden. Urteilsähnlich sind bestimmte
Lehrsätze oder Auffassungen statuiert und dem Gericht bleibt nur möglich, diese zu übernehmen.
Da Gutachter aber ebenso wie Richter nur Menschen sind, besteht immer die Möglichkeit einer gewissen
Fachblindheit, einer Einseitigkeit, einer Unvollkommenheit, die Gefahr, dass wichtige Einzelheiten übersehen werden,
dass aufgrund der Beschäftigung mit sehr vielen gleichgelagerten (aber dann doch nicht wirklich identischen) Fällen
sich eine gewisse Routine einstellt, die zu Vorfestlegungen führen kann etc. Das Gesetz kann und will diese ganzen
Eventualitäten nicht eliminieren, ein gewisser Vorschuss an Vertrauen wird den Parteien bzw. Beteiligten sowohl
Richtern wie auch Sachverständigen gegenüber abgefordert.
Beim Sachverständigen ist grundsätzlich zu unterscheiden zwischen fachlicher und persönlicher Kritik. Fachliche
Kritik - wenn sie denn möglich ist - wird in der Regel zu einer relativ unproblematischen Situation führen: Das
Gutachten, welches widerlegt ist, kann insoweit nicht der Entscheidung zugrunde gelegt werden, ohne dass es noch
nötig wäre, sich mit den Gründen für die Fehlerhaftigkeit oder der Person des Gutachters aufzuhalten. Schwieriger ist
der Fall, in welchem eine solche sachliche Kritik nicht gelingt, aber trotzdem bei dem unterlegenen Beteiligten die
Überzeugung besteht, dieses Gutachten sei falsch, einseitig und parteiisch, was auf eine besondere Beziehung des
Sachverständigen zu der Gegenpartei geschoben wird. Im Rahmen der Beweiswürdigung wird es dann kaum noch
gelingen, die auf die fachliche Autorität des Sachverständigen gestützten Aussagen in Zweifel zu ziehen oder zu
widerlegen; in diesem Fall muss schon die Autorität als solche wirksam in Zweifel gezogen werden. Es besteht dann -
die kaum aussichtsreiche - Möglichkeit der nachträglichen Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit; vom
Gesetz vorgesehen ist allerdings als Normalfall die Ablehnung vor der Erstattung des Gutachtens, dass also Zweifel,
die an der Person des Sachverständigen festgemacht werden, auch vorgebracht werden, sobald diese Person
feststeht.
Eine erfolgreiche Ablehnung des Sachverständigen bewirkt, dass er nicht herangezogen wird, oder, sollte er das
Gutachten schon erstattet haben, dass dieses Gutachten vollständig nicht verwertet wird, dass es also als nicht
geschrieben gilt und dass das Gericht auch nicht hilfsweise den einen oder anderen Satz zu seiner privaten
Fortbildung zur Kenntnis nehmen und unterschwellig in das Urteil einfließen lassen darf. Das Gericht hat also mit der
Stattgabe eines Ablehnungsantrags implizit sich selbst zu bescheinigen, dass dieser Sachverständige wegen der
möglichen, vom Gericht aber nicht bemerkten einseitigen Beeinflussung vom Gericht ferngehalten werden muss, also
überhaupt nicht gehört werden darf. Es muss dabei aber - und hierdurch wird die Sache kompliziert - nicht seinen
eigenen Standpunkt einnehmen, sondern den des "objektivierten Beteiligten" wie das Sozialgericht schon mit anderen
Worten ausgeführt hat. Von daher ist die Entscheidung des Landgerichts Köln vom 15.01.2004 (23 T 1/04) ein
Negativbeispiel für die Stattgabe eines Ablehnungsgesuchs mit unzutreffenden Gründen. Dort heißt es: "Der vom
Amtsgericht ernannte Sachverständige Dr. L. ist an dem Institut für medizinische Begutachtung in D. tätig. Dieses
Institut ist wie alle ähnlichen Einrichtungen in anderen Städten nach der langjährigen Erfahrung des Gerichts ganz
überwiegend im Auftrage von Versicherungsgesellschaften tätig. Deshalb besteht zumindest eine wirtschaftliche
Abhängigkeit. Die Versicherungsgesellschaften beauftragen den Sachverständigen regelmäßig mit Gutachten,
insbesondere dann, wenn die Versicherungsnehmer Gutachten vorgelegt haben, die ihren Anspruch stützen. Dabei
gelangt der Sachverständige regelmäßig zu anderen, der jeweiligen Versicherung günstigeren Ergebnissen. Deshalb
beauftragt das Gericht den Sachverständigen überhaupt nicht mit Gutachten. In Fällen vorgerichtlicher Gutachten des
Sachverständigen verwertet das Gericht diese auch nicht als Urkunden, sondern holt immer ein neues Gutachten ein."
Es ist dem Landgericht sicher unbenommen, bestimmte Sachverständige nicht zu beauftragen. Es ist ihm aber nicht
gestattet, dies auch der Vorinstanz vorzuschreiben. In dem zur Entscheidung stehenden Fall wäre es darauf
angekommen, ob die "ganz überwiegende Tätigkeit im Auftrage von Versicherungsgesellschaften" aus der Sicht des
objektivierten Beteiligten, der dies auch vorgebracht haben müsste, ausreicht, um eine Befangenheit zu bejahen. Dies
wird in der Allgemeinheit von der Rechtsprechung einhellig verneint. Nicht einmal ein häufiges Tätigwerden für den
konkreten Prozessgegner reicht für die Besorgnis der Befangenheit aus, wenn insoweit eine wirtschaftliche
Unabhängigkeit besteht (OLG Köln, Entscheidung vom 04.03.1992 - 27 W 12/92 - VersR 1992, 58). Hingegen
überzeugt die vom Thüringer Landessozialgericht (Entscheidung vom 09.09.2008, Az. L 1 B 187/08 U) gegen jene
Entscheidung des Landgerichts Köln vorgebrachte Argumentation, im sozialrechtlichen Verfahren gälten andere
Maßstäbe, weil die Sozialversicherungsträger wie die Sozialgerichte den öffentlich-rechtlichen Auftrag hätten, die
Durchsetzung der Rechte der Bürger in einem rechtstaatlich geordneten Verfahren zu gewährleisten. Mit dieser
Begründung ließe sich auch vertreten, dass aufgrund der Verpflichtung nicht der Sozialversicherungsträger zum
Gesetzesvollzug eine Vermutung für die Richtigkeit ihrer Entscheidungen spreche, was wohl wiederum Zweifel an der
Unbefangenheit des Richters nähren könnte. Tatsache ist, dass auch privaten Versicherungsgesellschaften nicht die
betrügerische Verkürzung von Ansprüchen ihrer Versicherten gestattet ist, weswegen aber trotzdem bei
wirtschaftlicher Abhängigkeit eines Gutachters von einem solchen Unternehmen aus der Sicht des objektivierten
Beteiligten Zweifel aufkommen könnten, dass eine wirklich unabhängige Begutachtung erfolgt. Diese Zweifel brauchen
nicht mit einem Verdacht zu tun zu haben, der Gutachter werde seine gesetzlichen Pflichten verletzen und aus falsch
verstandener Loyalität ein unrichtiges Gutachten erstellen. Vielmehr genügt schon der Gedanke, dass eine gewisse
Betriebsblindheit entstehen mag, wenn routinemäßig immer von der einen Seite - also beispielsweise vom Standpunkt
eines privaten Versicherungsunternehmens aus - Fälle bearbeitet werden.
Eine solche Situation ist bei Dr. A ganz zweifelsohne nicht gegeben: Auch in seinem von der Beschwerdeführerin zu
Verfügung gestellten Internetauftritt weist er darauf hin, dass er für die verschiedensten privaten und öffentlichen
Versicherungsträger und für Gerichte tätig ist, eine wirtschaftliche Abhängigkeit von einer irgendwie fassbaren
Vermögensmasse oder einem konkreten Rechtssubjekt besteht somit nicht. Beratungsarzt ist er nicht bei der
Beklagten des vorliegenden Ausgangsverfahrens, sondern bei der Sozialversicherung für ... in K ... Er selbst hat
ausgeführt, dass das Institut für mehr als 500 Auftraggeber tätig wird; die Gefahr einer wirtschaftlichen Abhängigkeit
oder einer irgendwie gearteten "Führung" durch einzelne Auftraggeber kann daher nicht gesehen werden. Im Übrigen
dürfte selbst eine Beratungstätigkeit beim Prozessgegner nicht automatisch die Befangenheit rechtfertigen (vgl.
Bayerisches Oberlandesgericht - BayObLG - Entscheidung vom 17.09.1987 BReg 3 Z 76/87, NJW - RR 1988, 163).
Eine Zusammenarbeit mit dem Prozessgegner kann nur dann ausnahmsweise die Befangenheit begründen, wenn im
Arzthaftungsprozess der Sachverständige gerade mit diesem beklagten Arzt ständig zusammengearbeitet hat (OLG
Oldenburg, Entscheidung vom 28.06.2007 - 5 W 77/07 - MDR 2008, 44).
Nicht entschieden zu werden braucht, inwieweit eine Befangenheit, bestimmte Berufskrankheitenverfahren betreffend,
bestehen könnte. Das Sozialgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass der genannte Aufsatz von Vogel die
bandscheibenbedingten Erkrankungen der Lendenwirbelsäule (BK Nr. 2108 bis 2110) betrifft. Bekanntlich hat Dr. A
maßgeblich an den mittlerweile allgemein verwendeten, gleichwohl aber von den Unfallversicherungsträgern
veranlassten Konsensempfehlungen mitgewirkt. Nach der Rechtsprechung des Landgerichts Karlsruhe kann eine
frühere Tätigkeit bei der Erstellung von Richtlinien (dort: Unfallersatztarife im Auftrag des Bundesverbandes der
Autovermieter) die Befangenheit eines Sachverständigen unter Umständen rechtfertigen (LG Karlruhe, Entscheidung
vom 30.10.2006, - 1 T 36/06 - VersR 2007, 226). Ob es gerechtfertigt erscheint, alle Autoren der
Konsensempfehlungen deswegen in Verfahren, die BK Nr. 2108 bis 2110 betreffend, wegen Befangenheit abzulehnen,
braucht nicht entschieden zu werden. Ebenso wenig muss entschieden werden, ob aufgrund eines Leserbriefes -
Berufskrankheiten betreffend - der Eindruck der Befangenheit entstanden sein kann, da es im vorliegenden Verfahren
um Arbeitsunfallfolgen geht. Der Leserbrief lautet: " als Beratungsarzt einer bundesweit tätigen Berufsgenossenschaft
kann man beobachten, dass zwischenzeitlich die weit überwiegende Zahl der Antragsfälle schlicht sinnlos ist,
dennoch das Prüfungsverfahren - wenn erst einmal eingeleitet - ordnungsgemäß durchgeführt werden muss und damit
unnötige Kosten verursacht. Als Berufssachverständiger wird man dann in der Tat mit Betroffenen konfrontiert, die,
gestützt von ihren betreuenden Ärzten, eine Kohlhas’che Mentalität entwickelt haben und einem rationalen Argument
nicht mehr zugänglich sind, nicht selten bereits getragen werden von einem "Patientenschutzbund", der solche Fälle
auch in die Öffentlichkeit trägt und versucht, die Versicherungsträger und sogar die Gerichte in ein Zwielicht zu
rücken. Dr. med. A , Institut für medizinische Begutachtung, ..., , Deutsches Ärzteblatt.Heft."
Entsprechende Äußerungen von Dr. A über Halswirbelsäulenverletzungen sind nicht bekannt und wurden auch -
worauf es ankommt - von der Klägerin nicht vorgebracht. Die "werbende Tätigkeit des Instituts für medizinische
Begutachtung", auf die sich die Beschwerdeführerin beruft zur Stützung ihres Ablehnungsgesuchs, rechtfertigt
ebenfalls keine Befangenheitsbesorgnis (vgl. LG Mönchengladbach, Entscheidung vom 21.04.1993 - 1 O 71/92 WuM
1993, 415 bis 416). Auch die behauptete "wirtschaftliche Verflechtung" - wobei nicht dargetan ist worin, diese konkret
besteht - mit gesetzlichen und privaten Unfallversicherern rechtfertigt nicht die Besorgnis der Befangenheit. Auch in
seinem Internetauftritt weist Dr. A darauf hin, dass das Institut eine von der Ärztegemeinschaft getragene
unabhängige Einrichtung ist, welche infolge der breiten Streuung der Auftraggeber nicht wirtschaftlich abhängig sind.
Es erscheint fernliegend, dass im konkreten Fall ein "versicherungsfreundliches", also einen Anspruch ablehnendes
oder ihn schmälerndes Gutachten aus dem Grunde erstellt werden wird, damit weiterhin Aufträge aus dem Bereich der
Sozialversicherungsträger erteilt werden. Eine solch durchgehende "Verkommenheit" (man müsste es so bezeichnen)
des ganzen Systems anzunehmen, entspricht nicht mehr dem Standpunkt eines " ruhig und besonnen denkenden
Verfahrensbeteiligten". Die Klägerin darf daher nicht befürchten, dass Dr. A. aus unterstelltem Gewinnstreben ihre
HWS-Problematik vorsätzlich unrichtig einschätzt.
Es ist daher mit dem Sozialgericht festzustellen, dass keine Gründe für die Ablehnung wegen Befangenheit vorliegen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).