Urteil des LSG Sachsen vom 29.11.2001

LSG Fss: rente, arbeitslosigkeit, beruf, belastung, anstellung, kaufmann, umschulung, spondylodese, geringfügigkeit, arbeitslosenversicherung

Sächsisches Landessozialgericht
Urteil vom 29.11.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Chemnitz S 7 KN 447/00
Sächsisches Landessozialgericht L 6 KN 33/01
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 27. April 2001 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten. III.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist der Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU).
Der am ... geborene Kläger war bis zum 31.01.1991 ununterbrochen versicherungspflichtig tätig, und zwar bei der
Wismut als Kollektor. Anschließend war er bis zum 30.08.1991 arbeitslos. Es schloss sich eine Tätigkeit im Rahmen
einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) beim Landratsamt Schwarzenberg an (Abfallberater). Dieses
Arbeitsverhältnis war befristet bis zum 31.08.1992. Danach war der Kläger wieder arbeitslos, und zwar bis zum
09.07.1994. Während dieser Zeit erfolgte eine Umschulung zum Kaufmann in der Grundstücks- und
Wohnungswirtschaft. In diesem Beruf fand der Kläger dann auch eine Anstellung bei der T ... GmbH, welche jedoch
zum 31.10.1994 wiederum endete. Die anschließende Arbeitslosigkeit (01.11.1994 bis 31.01.1995) beendete der
Kläger selbst, indem er eine selbständige Tätigkeit als Sachverständiger für Haus- und Grundbewertung aufnahm. Da
in dieser Zeit die berufliche Belastung seiner Ehefrau im Justizvollzug u.a. wegen laufender
Fortbildungsveranstaltungen äußerst überdurchschnittlich war, übernahm der Kläger in dieser Zeit auch die
Beaufsichtigung der beiden schulpflichtigen Kinder Jenny (geb. 23.03.1987) und Maria (geb. 04.05.1989). Im ersten
Jahr seiner Tätigkeit erzielte er noch keinen Gewinn (01.02.1995 bis 31.12.1995: Verlust von 9.631,37 DM). Im
anschließenden Jahr 1996 betrug der Gewinn aber immerhin schon 12.476,60 DM. Weil im dritten Jahr dann wieder
ein Verlust entstand, und zwar in Höhe von 21.506,63 DM, gab der Kläger das Gewerbe zum 31.12.1997 wieder auf.
Nach fünf Monaten der Arbeitslosigkeit fand er eine Anstellung im Autohaus M ... als Automobilverkäufer zum
01.06.1998. Im Dezember 1998 wurde der Kläger erwerbsunfähig. Grund dafür war eine schwere Lumbago-
Symptomatik nach einem Verkehrsunfall von 1983 mit Wirbelkörperfraktur, die auch durch eine Spondylodese nicht
ausreichend hatte stabilisiert werden können.
Seinen Antrag auf EU-Rente wies die Beklagte mit Bescheid vom 12.11.1999 ab: Die versicherungsrechtlichen
Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Im 5-Jahreszeitraum vom 01.12.1993 bis zum 30.11.1998 seien nur zwei Jahre
und ein Kalendermonat mit entsprechenden Beiträgen belegt. Der dagegen erhobene Widerspruch des Klägers wurde
mit Bescheid vom 28.08.2000 als unbegründet zurückgewiesen: Zwar verlängere sich der 5-Jahreszeitraum um
Berücksichtigungszeiten, also z.B. um Kindererziehungszeiten, dies aber nur, soweit während dieser Zeit eine
selbständige Tätigkeit nicht ausgeübt worden sei.
Mit der dagegen erhobenen Klage machte der Kläger geltend, die Tätigkeit als selbständiger Immobilienkaufmann sei
noch weniger als geringfügig gewesen, da er insgesamt nur Verlust gemacht habe.
Das Sozialgericht (SG) Chemnitz hat mit Urteil vom 27.04.2001 die Klage unter Bezugnahme auf die Begründung der
Beklagten abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit welcher er noch einmal die
überdurchschnittliche Belastung der Ehefrau in der Zeit seiner Selbständigkeit im Einzelnen belegte und seine
Argumentation aus der Vorinstanz, die Zeit seiner selbständigen Tätigkeit müsse in Wirklichkeit als
Kindererziehungszeit berücksichtigt werden, wiederholt.
Er beantragt,
das Urteil des SG Chemnitz vom 27.04.2001 sowie den Bescheid der Beklagten vom 12.11.1999 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 28.08.2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Rente wegen EU
ab dem 01.12.1998 zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Chemnitz vom 27.04.2001 zurückzuweisen.
Dem Senat liegen neben den Gerichtsakten beider Instanzen die Verwaltungsakten der Beklagten vor.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG die angefochtenen Bescheide der Beklagten
bestätigt.
Dem Kläger steht kein Anspruch auf EU-Rente zu, da die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht gegeben
sind. Der Kläger kann in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der EU (01.12.1993 bis 31.11.1998) keine drei Jahre mit
Pflichtbeitragszeiten nachweisen. Beiträge wurden lediglich gezahlt in der Zeit der Arbeitslosigkeit vom 01.12.1993 bis
zum 09.07.1994 (sechs Monate), während des Arbeitsverhältnisses vom 11.07.1994 bis 31.10.1994 (vier Monate),
während der Umschulung vom 01.11.1994 bis zum 31.01.1995 (drei Monate) sowie während der Arbeitslosigkeit vom
01.01.1998 bis zum 31.05.1998 (fünf Monate) sowie der sich anschließenden nichtselbständigen Tätigkeit als
Autoverkäufer (01.06. bis 31.12.1998, sieben Monate). Während der letzten 60 Monate vor Eintritt der EU sind daher
nur 25 Monate mit Pflichtbeiträgen belegt, nicht jedoch, wie es nach dem Gesetz erforderlich wäre, 36 Monate.
Maßgebend ist der genannte 5-Jahreszeitraum, insbesondere tritt wegen eventueller Berücksichtigungszeiten keine
Verlängerung des Zeitraumes ein. Gemäß § 44 Abs. 4 i.V.m. § 43 Abs. 3 Nr. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch
(SGB VI) a.F. verlängert sich der 5-Jahreszeitraum nur dann um Berücksichtigungszeiten, wenn während dieser
Zeiten eine selbständige Tätigkeit nicht ausgeübt worden ist, die mehr als geringfügig oder nur unter Berücksichtigung
des Gesamteinkommens geringfügig war.
Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob die Zeit vom 01.02.1995 bis zum 31.12.1997 für den Kläger als
Berücksichtigungszeit im Sinne des § 57 SGB VI berücksichtigt werden kann, da jedenfalls für die hier allein
entscheidende Frage der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Rente wegen EU der Tatbestand der
gleichzeitig ausgeübten selbständigen Tätigkeit einer Verlängerung des 5-Jahreszeitraumes nach dem eindeutigen
Gesetzeswortlaut entgegensteht. Der Senat hat keinen Zweifel daran, dass die selbständige Tätigkeit in einem
Umfang ausgeübt worden ist, welcher die Bezeichnung der Geringfügigkeit im Sinne des § 8 Viertes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB IV) nicht erlaubt. Ein Aufwand von weniger als 15 Stunden pro Woche (also weniger als drei
Stunden pro Tag) wurde vom Kläger zu keinem Zeitpunkt behauptet und würde auch nicht glaubwürdig sein. Der
Kläger hatte der Beklagten gegenüber diese Zeit immer als Zeit der selbständigen Tätigkeit angegeben, so in seiner
Tätigkeitsübersicht zum Rentenantrag, im Rentenantrag selber ("Kaufmann") und auch während des Klageverfahrens.
Die theoretische Möglichkeit, dass der Kläger in Wahrheit sich in dieser Zeit praktisch ausschließlich um die
Erziehung seiner Kinder gekümmert hat und nur wegen der Internalisierung eines überkommenen
Rollenverständnisses einen Beruf angegeben hat, den er in Wahrheit nur völlig nebenbei ausgeübt hat, schließt der
Senat aus. Immerhin hätte es dann näher gelegen, die Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung weiter zu
beziehen, auch sprechen die nicht unerheblichen Investitionen, die der Kläger in diesen Beruf getätigt hat, gegen ein
zeitlich nur geringfügiges Engagement. Der Umstand, dass summa summarum die Tätigkeit in den ersten drei Jahren
keinen Gewinn abgeworfen, sondern Verluste verursacht hat, spricht für sich genommen, wie der Gesetzeswortlaut
klarstellt, nicht für eine geringfügige Tätigkeit. Im Übrigen wurde zumindest im Jahr 1996 die damals geltende
Geringfügigkeitsgrenze von (42.000,00 DM: 7 =) 6.000,00 DM um mehr als das Doppelte überschritten. Dass bei dem
Gang in die Selbständigkeit in den ersten drei Jahren in der Regel Verluste zu erwarten sind, ist überdies allgemein
bekannt und kann nicht die ausgeübte selbständige Tätigkeit in den Hintergrund treten lassen. Andere Tatbestände,
die beim Kläger die EU-Rentenanwartschaft aus der gesetzlichen Rentenversicherung trotz des Gangs in die
Selbständigkeit erhalten hätten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere liegen auch die Voraussetzungen des § 44 Abs. 4
SGB VI i. V. m. §§ 43 Abs. 4, 53 Abs. 2 SGB VI nicht vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG), Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs. 2 SGG sind nicht gegeben.