Urteil des LSG Sachsen vom 23.11.2000

LSG Fss: befreiung von der versicherungspflicht, getrennt lebende ehefrau, beitrag, wartezeit, arbeitsamt, arbeitslosenhilfe, bedürftigkeit, krankengeld, landwirtschaft, eigenleistung

Sächsisches Landessozialgericht
Urteil vom 23.11.2000 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Leipzig S 2 LW 2/99
Sächsisches Landessozialgericht L 6 LW 11/00
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 21.02.2000 wird zurückgewiesen. II. Die
Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten. III. Die
Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Befreiung der Klägerin von der Versicherungspflicht zur beklagten
Landwirtschaftlichen Alterskasse in der Zeit vom 01.06.1998 bis zum 31.10.1999.
Die Klägerin ist die nicht getrennt lebende Ehefrau eines zur Beklagten beitragspflichtigen Landwirts. Die Beklagte
stellte die Versicherungspflicht der Klägerin nach § 1 Abs. 1 bis 6 des Gesetzes über die Alterssicherung der
Landwirte (ALG) mit Bescheid vom 10.11.1998 fest.
In der Zeit vom 17.01.1995 bis zum 30.09.1996 bezog die Klägerin Arbeitslosengeld (Alg). Es schloss sich eine
befristete Beschäftigung bis zum 30.09.1997 an. Danach bezog die Klägerin bis zum 25.06.1998 Alg, bzw. im
Zeitraum vom 17.03.1998 bis zum 26.04.1998 Krankengeld. Das Arbeitsamt Leipzig bewilligte anschließend vom
26.06.1998 an Arbeitslosenhilfe (Alhi) in Höhe von wöchentlich 130,76 DM (Bescheid vom 10.07.1998).
Am 19.12.1997 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Befreiung von der Versicherungspflicht gemäß § 3 ALG
mit der Begründung, dass sie regelmäßig Erwerbsersatzeinkommen in Höhe von monatlich mehr als 520,00 DM
erziele.
Mit Bescheid vom 11.11.1998 befreite die Beklagte die Klägerin für den Zeitraum vom 01.01.1995 bis zum 31.05.1998
von der Versicherungspflicht, da die Klägerin in dieser Zeit Erwerbs- bzw. Erwerbsersatzeinkommen bezogen habe,
das ein Siebtel der Bezugsgröße überschritten habe. Ab dem 01.06.1998 lehnte sie dagegen die Befreiung ab. Die seit
dem 26.06.1998 vom Arbeitsamt bewilligte Leistung Alhi habe nicht die Funktion eines Erwerbsersatzeinkommens.
Diese Leistung besitze vielmehr fürsorgerechtlichen Charakter und zähle somit nicht zu den Voraussetzungen, die
eine Befreiung von der Versicherungspflicht begründeten.
Gegen den Bescheid vom 11.11.1998 legte die Klägerin mit Schreiben vom 23.11.1998 Widerspruch ein. Von dem
Betrag der Alhi in Höhe von wöchentlich 130,76 DM seien bereits Beiträge zur Rentenversicherung abgezogen.
Deshalb beantrage sie auch ab dem 01.06.1998 die Befreiung von der Versicherungspflicht.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16.12.1998 wies die Beklagte den Rechtsbehelf der Klägerin zurück. Die von der
Bundesanstalt für Arbeit an den zuständigen Rentenversicherungsträger gezahlten Pflichtbeiträge wegen des Bezugs
von Alhi änderten nichts daran, dass die Alhi nicht als Erwerbsersatzeinkommen im Sinne des § 1 Abs. 4 ALG
anzusehen sei.
Gegen den Widerspruchsbescheid erhob die Klägerin am 12.01.1999 vor dem Sozialgericht Leipzig (SG) Klage. Sie
wiederholte ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren.
In der mündlichen Verhandlung vor dem SG Leipzig am 21.02.2000 teilte die Beklagte mit, dass die Klägerin seit dem
01.11.1999 erneut von der Versicherungspflicht befreit sei.
Bereits vor Zustellung der Urteilsgründe legte die Klägerin am 13.03.2000 gegen das klageabweisende Urteil des SG
Leipzig Berufung ein. Eine 15-jährige Wartezeit für eine Altersrente sei bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres nicht
mehr erreichbar. Im Übrigen erziele sie ein regelmäßiges Einkommen von monatlich mindestens 530,00 DM in Form
der Alhi. Von dieser würden Beiträge an den Rentenversicherungsträger abgeführt. Auch der Richter des SG Leipzig
habe Zweifel an der Rechtmäßigkeit des § 3 Abs. 4 ALG geäußert, soweit der Bezug von Arbeitslosenhilfe nicht auch
als Befreiungstatbestand gelte.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des SG Leipzig vom 21.02.2000 aufzuheben sowie den Bescheid vom 11.11.1998 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 16.12.1998 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin in der Zeit vom
01.06.1998 bis 31.10.1999 von der Versicherungspflicht zur Alterssicherung der Landwirte zu befreien.
Die Beklagte beantragt unter Hinweis auf die zutreffenden Ausführungen des SG Leipzig,
die Berufung zurückzuweisen.
Dem Senat haben die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die Verwaltungsakte der Beklagten vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Befreiung von der
Versicherungspflicht wegen des Bezugs von Alhi. Die Klägerin, die als nicht dauernd getrennt lebende Ehefrau eines
Landwirtes nach § 1 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit (i.V.m.) Abs. 1 Nr. 1 ALG seit dem 01.01.1995
versicherungspflichtig ist, erfüllt wegen des Bezugs von Alhi nicht den Befreiungstatbestand des § 3 Abs. 1 Nr. 1
i.V.m. Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 Nr. 2 ALG.
Von § 3 Abs. 4 ALG werden nur solche Leistungen umfasst, die ohne jegliche Bedürftigkeitsprüfung gewährt werden;
sie können damit tatsächlich im Sinne des (i.S.d.) § 3 Abs. 4 Satz 1 ALG "Erwerbseinkommen ... ersetzen". Dagegen
setzt die Alhi voraus, dass der Arbeitslose bedürftig ist, also seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise als durch
Alhi bestreitet oder bestreiten kann und das zu berücksichtigende Einkommen die Alhi nicht erreicht (§ 134 Abs. 1 Nr.
3, § 137 Abs. 1 AFG; § 190 Abs. 1 Nr. 5, § 193 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Dies spricht dafür,
Alhi nicht als "Erwerbsersatzeinkommen" i.S.d. § 3 ALG anzusehen (so auch BSG, Urteil vom 02.02.1999, Az. B 10
LW 9/99 R, S. 4 des amtlichen Umdrucks).
Soweit sich die Klägerin darauf bezieht, dass das Arbeitsamt von der Alhi Beiträge zur Rentenversicherung abführe
und deshalb eine weitere soziale Absicherung durch das ALG nicht erforderlich sei, ist darauf hinzuweisen, dass das
ALG für die Alterssicherung der Landwirte nur eine Teilabsicherung gewährleistet, neben der auch anderweitig z.B.
Vermögen oder Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung zum Zwecke der Alterssicherung aufgebaut
werden können und sollen. Der einheitliche Pflichtbeitrag dient dem Erwerb einer Teilversorgung von weniger als der
Hälfte einer durchschnittlichen Rente in der gesetzlichen Rentenversicherung (vgl. BSG, Urteil vom 30.06.1999, Az. B
10 LW 17/98 R S. 6 f. des amtlichen Umdrucks).
Es sprechen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, Alhi nicht als Erwerbsersatzeinkommen i.S.d. §
3 Abs. 4 ALG anzusehen. Das Zusammenspiel der Regelungen von SGB III und ALG führt in der Regel dazu, dass
Landwirte, die Alhi beziehen, ihre Beiträge zur Alterssicherung der Landwirte nicht aus eingenem Einkommen oder
Vermögen zu tragen haben. Dies ergibt sich aus Folgendem:
Die Gewährung von Alhi setzt Bedürftigkeit voraus. Hieraus folgt, dass regelmäßig der betroffene Landwirt (oder
Ehegatte: § 1 Abs. 3 ALG) einen nicht unerheblichen Anspruch auf Beitragszuschuss zu den Beiträgen zur Beklagten
hat. Der vom Betroffenen persönlich zu tragende Rest des Beitrags ist wiederum bei der Bedürftigkeitsprüfung für die
Alhi vom Einkommen abzusetzen (§ 194 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III). Dies aber bedeutet nichts anderes, als dass
der Betrag der der Klägerin zustehenden Alhi jedenfalls dann um genau den Betrag ansteigt, der als (Rest-)Beitrag zur
Beklagten zu entrichten ist, wenn eigenes Einkommen - z.B. aus der Landwirtschaft - auf die Alhi anzurechnen ist.
Dieser Absenkung der Eigenleistung an dem Beitrag zur Alterssicherung der Landwirte stehen nicht unerhebliche
Leistungsansprüche gegenüber. Für den Regelfall, dass der Landwirt bzw. sein Ehegatte in der gesetzlichen
Rentenversicherung die Wartezeit von 60 Monaten zurückgelegt hat, führt nach § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ALG jeder
Beitrag zur Beklagten zu Rentenansprüchen. Nach der genannten Vorschrift werden nämlich auf die Wartezeiten nach
dem ALG die Pflichtbeitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung angerechnet (vgl. BSG, Urteile vom
02.12.1999, Az. B 10 LW 9/99 R und B 10 LW 6/99 R, jeweils S. 6 des amtlichen Umdrucks).
Sollte die Klägerin die Wartezeit von 15 Jahren trotz der Anrechnung von Pflichtbeitragszeiten aus der gesetzlichen
Rentenversicherung bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres nicht mehr erfüllen können, hat sie die Möglichkeit,
gemäß § 75 Satz 1 Nr. 1 ALG die Erstattung der Beiträge zu beantragen.
Die Berufung der Klägerin ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Revision ist nicht zuzulassen, da in vergleichbaren Fällen bereits
Entscheidungen des BSG vorliegen, von denen nicht abgewichen wird, § 160 SGG.