Urteil des LSG Sachsen vom 06.12.2010

LSG Fss: arbeitsentgelt, hauptsache, niedersachsen, rechtsmittelbelehrung, arbeitgeberbescheinigung, härte, betrug, firma, zivilprozessordnung

Sächsisches Landessozialgericht
Beschluss vom 06.12.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Chemnitz S 6 AL 483/09
Sächsisches Landessozialgericht L 1 AL 212/09 B PKH
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 07. Oktober 2009 wird als
unzulässig verworfen.
Gründe:
I.
Der Kläger und die Beklagte streiten in der Hauptsache über die Höhe des dem Beschwerdeführer von der Beklagten
bewilligten Arbeitslosengeldes für die Zeit vom 10.01.2009 bis 01.04.2009. Hier wendet sich der Kläger als
Beschwerdeführer gegen die Versagung der für das Hauptsacheverfahren beantragten Prozesskostenhilfe (PKH).
Auf seinen Antrag vom 08.01.2009 bewilligte die Beklagte dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 26.02.2009
Arbeitslosengeld ab 10.01.2009 für 540 Kalendertage. Dabei ging sie von einem in der Zeit vom 10.01.2008 bis
09.01.2009 an 308 Tagen erzielten Arbeitsentgelt von 14.181,01 EUR aus und legte ein tägliches Bemessungsentgelt
von 46,04 EUR zu Grunde; der tägliche Zahlbetrag belief sich auf 19,94 EUR.
Hiergegen legte der Beschwerdeführer bei der Beklagten am 10.07.2009 Widerspruch im Hinblick auf die Höhe des
ihm bewilligten Arbeitslosengeldes ein. In seinem Fall müsse der zweijährige Bemessungsrahmen zu Grunde gelegt
werden.
In der Verwaltungsakte der Beklagten befindet sich keine Arbeitgeberbescheinigung über die in der Zeit von Januar
2007 bis Juni 2007 erzielten Arbeitsentgelte des Beschwerdeführers (vgl. Blatt 168 der Verwaltungsakte der
Beklagten).
Mit Veränderungsmitteilung vom 01.04.2009 teilte der Beschwerdeführer der Beklagten mit, eine vom 02.04.2009 bis
18.12.2009 befristete Tätigkeit als Sicherungsposten aufzunehmen.
Mit Änderungsbescheid vom 12.06.2009 bewilligte die Beklagte dem Beschwerdeführer Arbeitslosengeld vom
10.01.2009 bis 01.04.2009. Dabei ging sie von einem in der Zeit vom 10.01.2008 bis 09.01.2009 an 305 Tagen
erzielten Arbeitsentgelt von 14.181,01 EUR aus und legte ein tägliches Bemessungsentgelt von 46,50 EUR zu
Grunde; der tägliche Zahlbetrag belief sich auf 20,21 EUR.
Durch Widerspruchsbescheid vom 18.06.2009 wies die Beklagte den Widerspruch des Beschwerdeführers zurück.
Ihm sei zutreffend Arbeitslosengeld unter Zugrundelegung eines täglichen Bemessungsentgelts von 46,50 EUR
bewilligt worden. Ihm stehe ab 10.01.2009 ein Anspruch auf Arbeitslosengeld in Höhe von 19,94 EUR täglich zu.
Dagegen hat der Beschwerdeführer am 08.07.2009 Klage beim Sozialgericht Chemnitz (SG) erhoben und gleichzeitig
beantragt, ihm PKH zu gewähren.
Mit Beschluss vom 07.10.2009 hat das SG die Bewilligung von PKH abgelehnt. Es bestehe kein Anspruch auf
Gewährung von PKH, weil dem Beschwerdeführer kein höheres Arbeitslosengeld zustehe. Insbesondere die
Voraussetzungen von § 130 Abs. 3 Satz 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) lägen nicht vor, weil das
Bemessungsentgelt aus dem bis zum 10.01.2007 erweiterten Bemessungsrahmen das Bemessungsentgelt aus dem
einjährigen Regelbemessungsrahmen unterschreite.
Mit Schreiben vom 09.11.2009 hat der Beschwerdeführer Lohnabrechnungen über sein in der Zeit von Januar bis Juni
2007 erzieltes Arbeitsentgelt vorgelegt (beitragspflichtige Bruttoarbeitsentgelte: im Januar 2007: 1.699,18 EUR;
Februar 2007: 1.550,21 EUR; März 2007: 1.564,78 EUR; April 2007: 1.937,85 EUR; Mai 2007: 1.891,79 EUR; Juni
2007: 1.501,92 EUR).
Danach erzielte der Beschwerdeführer in der Zeit von Januar 2007 bis Juni 2007 Arbeitsentgelt in Höhe von
10.145,73. Ausweislich der Arbeitgeberbescheinigung der Firma W GmbH vom 19.01.2009 erzielte er in der Zeit von
Juli 2007 bis Dezember 2007 Arbeitsentgelt in Höhe von 7.826,69 EUR. Das beitragspflichtige Bruttoarbeitsentgelt
des Beschwerdeführers im Jahre 2007 betrug insgesamt 17.972,42 EUR.
Der Beschwerdeführer trägt vor, ihm stehe höheres Arbeitslosengeld zu.
Der Beschwerdeführer beantragt sinngemäß, den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 07. Oktober 2009
aufzuheben und ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin X zu bewilligen.
Dem Senat haben die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge vorgelegen.
II.
Die Beschwerde ist nicht statthaft (§§ 172 Abs. 1, 73 a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG] i. V. m. § 127 Abs.
2 Satz 2 Zivilprozessordnung [ZPO] und § 144 Abs. 1 SGG)
Nach § 172 Abs. 1 SGG findet die Beschwerde an das Landessozialgericht (LSG) statt, soweit nicht in diesem
Gesetz anderes bestimmt ist. § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG verweist seinerseits auf die Vorschriften der ZPO über die
PKH. Diese Vorschriften "gelten entsprechend". § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO schließt die PKH-Beschwerde im
Zivilprozess aus, wenn der Streitwert der Hauptsache den in § 511 ZPO genannten Betrag (600,00 EUR) nicht
übersteigt und der PKH-Antrag mangels Erfolgsaussicht abgelehnt worden ist. Die nach § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG
angeordnete entsprechende Anwendung im Sozialgerichtsprozess bedeutet, dass die PKH-Beschwerde nach § 172
Abs. 1 SGG ausgeschlossen ist, wenn die Berufung in der Hauptsache nicht kraft Gesetzes eröffnet ist. Dies sind die
in § 144 Abs. 1 SGG genannten Tatbestände, die der Zulassung der Berufung bedürfen.
Der Senat schließt sich im Ergebnis und in der Begründung der Rechtsprechung anderer LSG an, die die
Statthaftigkeit der PKH-Beschwerde auf der Grundlage der §§ 172 Abs. 1, 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 127
Abs. 2 Satz 2 ZPO und § 144 Abs. 1 SGG für ein nicht berufungsfähiges Klageverfahren gänzlich verneint haben, und
zwar auch dann, wenn die Zulassung der Berufung in Betracht kommt (Hessisches LSG, Beschluss vom 04.10.2010
– L 7 AS 436/10 B – juris; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27.09.2010 – L 20 AS 1602/10 B PKH – juris;
Bayerisches LSG, Beschluss vom 29.07.2010 – L 16 AS 331/10 B ER – juris, dort zu einem einstweiligen
Rechtsschutzverfahren, aber einschränkungslos auch für Hauptsacheverfahren; LSG Niedersachsen-Bremen,
Beschluss vom 23.12.2009 – L 15 AS 812/09 – juris; Bayerisches LSG, Beschluss vom 10.12.2009 – L 7 AS 563/09
B PKH – juris; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11.09.2009 – L 20 AS 1322/09 B PKH – juris; Schleswig-
Holsteinisches LSG, Beschluss vom 04.11.2009 – L 9 B 50/09 AS PKH – juris, dort zu einem einstweiligen
Rechtsschutzverfahren, aber einschränkungslos auch für Hauptsacheverfahren; Bayerisches LSG, Beschluss vom
22.10.2009 – L 7 AS 525/09 B PKH – juris, dort zu einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren, aber
einschränkungslos auch für Hauptsacheverfahren; Sächsisches LSG, Beschluss vom 18.08.2009 – L 2 AS 321/09 B
PKH – juris, dort zu einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren, aber einschränkungslos auch für
Hauptsacheverfahren; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16.07.2009 – L 34 AS 1124/09 B PKH – juris, dort zu
einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren, aber einschränkungslos auch für Hauptsacheverfahren; Hessisches LSG,
Beschluss vom 08.07.2009 – L 6 AS 174/09 B – juris; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 04.06.2009 – L 33 R
130/09 B PKH – juris; Thüringer LSG, Beschluss vom 04.06.2009 – L 9 B 33/09 AS – juris; LSG Berlin-Brandenburg,
Beschluss vom 13.05.2009 – L 34 B 2136/08 AS PKH – juris; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 20.02.2009 – L 5
B 305/08 AS, L 5 B 304/08 AS – JMBl LSA 2009, 166; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 05.12.2008 – L 8
AS 4968/08 PKH-B – juris, dort zu einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren, aber einschränkungslos auch für
Hauptsacheverfahren; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.07.2008 – L 7 SO 3120/08 PKH-B – juris, dort zu
einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren, aber einschränkungslos auch für Hauptsacheverfahren, allerdings unter
unzutreffender Annahme, dass der Beschwerdeausschluss sich aus der entsprechenden Anwendung des § 172 Abs.
3 Nr. 1 SGG ergebe; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15.07.2008 – L 12 B 18/07 AL – Breith 2008, 906,
offen gelassen für den Fall, dass der Beschwerdewert der Berufung nicht erreicht wird, aber in der Hauptsache
Zulassungsgründe im Sinne des § 144 Abs. 2 SGG ersichtlich sind; Thüringer LSG, Beschluss vom 14.07.2008 – L 7
B 19/08 AS – NZS 2009, 62; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 06.09.2005 – L 8 AL 1862/05 PKH-B – juris;
a. A. [ohne Unterscheidung nach Klage- oder Antragsverfahren in der Hauptsache]): LSG Berlin-Brandenburg,
Beschluss vom 10.06.2010 – L 5 AS 610/10 B PKH – juris; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 06.05.2010 – L
7 AS 5876/09 B – juris; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 06.05.2010 – L 1 SO 52/10 B ER – juris; LSG
Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 29.03.2010 – L 6 AS 122/10 B – juris; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom
06.01.2010 – L 2 R 527/09 B – juris; Sächsisches LSG, Beschluss vom 01.10.2009 – L 7 AS 294/09 B PKH – juris;
LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16.07.2009 – L 28 B 1379/08 AS PKH – juris; LSG Rheinland-Pfalz,
Beschluss vom 09.07.2009 – L 1 AY 6/09 B – juris; LSG Hamburg, Beschluss vom 31.03.2009 – L 5 B 187/08 PKH
AL – juris, jedenfalls seit 01.04.2008; Sächsisches LSG, Beschluss vom 18.03.2009 – L 7 B 446/08 AS-PKH – juris;
LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 23.02.2009 – L 13 AS 3835/08 PKH-B – juris; LSG Berlin-Brandenburg,
Beschluss vom 16.07.2008 – L 29 B 1004/08 AS PKH – ZFSH/SGB 2008, 555; LSG Niedersachsen-Bremen,
Beschluss vom 06.05.2008 – L 6 B 48/08 AS – NdsRpfl 2008, 379; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss
vom 19.04.2007 – L 16 B 9/07 KR – Breith 2007, 812; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom
18.04.2007 – L 19 B 42/06 AL – juris; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.01.2007 – L 13 AS 4100/06 PKH-
B – juris; LSG für das Saarland, Beschluss vom 28.06.2004 – L 6 B 11/01 AL – juris; LSG Berlin, Beschluss
03.07.1985 – L 14 Ar-S 37/85 – Breith 1986, 180).
Ein in der hier streitigen Hauptsache ergehendes Urteil bzw. ein Gerichtsbescheid ist nicht kraft Gesetzes
berufungsfähig.
Es ist festzustellen, dass das vom Beschwerdeführer im Jahr 2007 an 365 Tagen erzielte Arbeitsentgelt mit
17.972,42 EUR, dessen Berücksichtigung er begehrt, zusammen mit dem im Jahr 2008 an 305 Tagen erzielten
Arbeitsentgelt von 14.181,01 EUR zu einem höheren täglichen Bemessungsentgelt, nämlich ([17.972,42 EUR +
14.181,01 EUR =] 32.153,43 EUR: 670 Tage =) 47,99 EUR (statt einem Bemessungsentgelt von 46,50 EUR und
einem Leistungssatz von 20,21 EUR), führen würde. Angesichts eines streitigen Zeitraums vom 10.01.2009 bis
01.04.2009 ist der Beschwerdeführer durch eine – unterstellte – Klageabweisung nicht mit einem Betrag von mehr als
750,00 EUR beschwert.
Die Zulässigkeit der Beschwerde folgt auch nicht aus der (falschen) Rechtsmittelbelehrung des SG, nach der gegen
den Beschluss die Beschwerde zum LSG eröffnet sei. Eine unzutreffende Rechtsmittelbelehrung kann ein
Rechtsmittel, das gesetzlich ausgeschlossen ist, nicht eröffnen (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl, Vor §
143 Rn. 14 b).
Ergänzend ist darauf hinzuweisen: Die Frage, ob eine unbillige Härte schon bei einer Differenz der Entgelte um
weniger als 10 % angenommen werden kann, ist mittlerweile höchstrichterlich zu Ungunsten des Klägers entschieden
(Bundessozialgericht, Urteil vom 24.11.2010 – B 11 AL 30/09 R), auch wenn noch zwei weitere Revisionsverfahren
anhängig sind (B 7 AL 9/09 R und B 11 AL 21/10 R).
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).