Urteil des LSG Sachsen vom 11.11.2010

LSG Fss: ausbildung, beurlaubung, hochschule, wichtiger grund, vorläufiger rechtsschutz, hauptsache, besuch, begriff, semesterbeitrag, immatrikulation

Sächsisches Landessozialgericht
Beschluss vom 11.11.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Leipzig S 9 AS 2003/10 ER
Sächsisches Landessozialgericht L 7 AS 435/10 B ER
I. Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 14. Juni 2010 wird aufgehoben. Der Antrag
vom 09.03.2010 wird abgelehnt.
II. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes um Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes
nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.03.2010 bis zum 31.08.2010.
Der 1986 geborene Antragsteller und Beschwerdegegner (im Folgenden Beschwerde- gegner) ist seit dem 01.10.2007
an der Hochschule für Wirtschaft, Technik und Kultur L (HTWK) immatrikuliert. Ausweislich einer Bescheinigung der
HTWK vom 07.10.2009 über die Beurlaubung vom Studium wurde er für das Wintersemester 2009/2010 (Zeitraum
01.09.2009 bis 28.02.2010) vom Studium beurlaubt. Grund hierfür sei die Vorbereitung auf eine Prüfung.
Am 13.10.2009 beantragte der Beschwerdegegner bei der Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin (im Folgenden
Beschwerdeführerin) die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II. Er gab an, er habe das Urlaubssemester
beantragt, da er im Grundstudium statt wie erlaubt drei Prüfungen vier Prüfungen offen habe und somit die Prüfungen
der Nachfolgesemester nicht ablegen könne. Die offenen Prüfungen seien durch Krankheit und wegen einer fehlenden
Zulassung zu einer Prüfung, die im Urlaubssemester nachgeholt werde, entstanden. Da ihm die Beratungsstelle an
der HTWK geraten habe, ein Urlaubssemester zu nehmen, habe er es beantragt. Im Urlaubssemester bekomme man
keine Förderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG). Die Förderung durch BAföG sei jedoch
wegen der offenen Prüfungen ohnehin ausgesetzt und werde nach Erreichen des Leistungsstandes wieder einsetzen.
Eben diesen Leistungsstand werde er in dem Urlaubssemester erreichen. Dies sei möglich, da er weiterhin den
Semesterbeitrag zahlen müsse und somit auch Prüfungen ablegen sowie Vorlesungen weiterhin besuchen könne.
Leistungen nach dem SGB II habe er beantragt, um seine Miete und Lebenshaltungskosten decken zu können.
Die Beschwerdeführerin lehnte den Antrag mit Bescheid vom 20.10.2009 ab. Die gesetzlichen Voraussetzungen für
den Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II lägen nicht vor, weil der Beschwerdegegner während seines
Urlaubssemesters weiterhin sein Studium betreibe. Er hole offene Prüfungen nach, besuche Vorlesungen und zahle
den Semesterbeitrag. Der Beschwerdegegner legte hierauf einen Bescheid des Amtes für Ausbildungsförderung des
Studentenwerks L vom 16.10.2009 vor, wonach Leistungen nach dem BAföG wegen Fehlens der gesetzlichen
Voraussetzungen nach § 15 Abs. 2 BAföG für den Bewilligungszeitraum Oktober 2009 bis Februar 2010 abgelehnt
wurden. In Kalendermonaten, für die der Auszubildende beurlaubt sei, bestehe kein Anspruch auf
Ausbildungsförderung.
Mit dem Widerspruch gegen den Bescheid vom 20.10.2009 führte der Beschwerdegegner aus, er sei für den
Arbeitsmarkt frei verfügbar. Er müsse jedoch den Semesterbeitrag bezahlen, um dann nach dem Urlaubssemester
weiter studieren zu dürfen. Weiterhin habe er die Möglichkeit, sich für offene Prüfungen anzumelden, um diese
nachholen zu können. Die Vorlesungen dürfe er in dieser Zeit nicht besuchen, jedoch habe er erklärt, dass er an
Vorlesungen teilnehmen werde, da dies manchmal geduldet werde. Die Vorbereitung zur Weiterführung seines
Studiums finde komplett in seiner Freizeit statt. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.03.2010 wurde der Widerspruch
zurückgewiesen.
Am 15.04.2010 beantragte der Beschwerdegegner wiederum die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II. Dem
Antrag war eine Erklärung des Beschwerdegegners beigefügt, er gebe eine Erklärung zu den Gründen der Beurlaubung
vom Studium nicht ab, da eine solche nicht erforderlich sei. Ferner legte er eine Bescheinigung der HTWK vom
14.10.2010 über die Beurlaubung vom Studium für das Sommersemester 2010 (Zeitraum 01.03.2010 bis 31.08.2010)
vor. Als Grund der Beurlaubung ist auf der Bescheinigung vermerkt "sonstige Gründe". Der Antrag wurde mit dem hier
streitgegenständlichen Bescheid vom 27.04.2010 abgelehnt. Nach Aktenlage ergebe sich kein neuer Tatbestand
hinsichtlich der Beurlaubung vom Studium. Es sei davon auszugehen, dass der Beschwerdegegner sein Studium
entsprechend seinem Antrag vom 27.08.2009 auch jetzt weiterhin betreibe, weil er sich weigere, eine Begründung für
die Beurlaubung vom Studium abzugeben.
Am 28.05.2010 stellte der Beschwerdegegner beim Sozialgericht Leipzig (SG) einen Antrag auf einstweiligen
Rechtsschutz mit dem Begehren, ihm vorläufig monatlich 551,03 EUR zu bezahlen. Er habe, abgesehen vom
abgezweigten Kindergeld, zuletzt für August 2009 BAföG erhalten und lebe im Übrigen von der Inanspruchnahme
seiner Kreditkarte und der Überziehung seiner Konten. Dem Antrag war eine eidesstattliche Versicherung des
Beschwerdegegners vom 19.05.2010 beigefügt, in welcher er versichert hat, er habe seit dem Sommersemester 2009
die HTWK nicht mehr besucht und insbesondere an keinen Veranstaltungen teilgenommen. Er beabsichtige, sein
Studium im Wintersemester 2010/2011 fortzusetzen. Grund für die Pause sei, dass er ab dem Wintersemester
2009/2010 keine BAföG-Leistungen mehr erhalten habe, weil er die Prüfungen in Produktions- und Anlagenwirtschaft,
Baumechanik, Wirtschaftsstatistik und Grundlagen Baubetrieb nicht bis zum Ende des dritten Fachsemesters
erfolgreich abgelegt habe. BAföG-Leistungen werde er erst wieder erhalten können, wenn er die Prüfungen absolviert
habe. Derzeit habe er noch 70,00 EUR Bargeld und seine Konten seien bereits mit fast 9.000,00 EUR im Minus. An
Einnahmen könne er nur mit Kindergeld rechnen.
Das SG hat am 14.06.2010 einen Beschluss erlassen, mit welchem die Beschwerdeführerin verpflichtet worden ist,
dem Beschwerdegegner für die Zeit vom 01.03.2010 bis zum 31.08.2010 Leistungen nach dem Zweiten Buch
Sozialgesetzbuch in Höhe von monatlich 551,00 EUR zu zahlen. Der Anordnungsanspruch sei gegeben, weil der
Beschwerdegegner während seiner Beurlaubung mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit Anspruch auf Gewährung von
Leistungen nach dem SGB II habe. Bei seinem Hochschulstudium handele es sich zwar dem Grunde nach um eine
förderungsfähige Ausbildung. Im Rahmen des BAföG förderungsfähig, und zwar bereits dem Grunde nach, sei jedoch
eine Ausbildung nur dann, wenn eine Ausbildungsstätte besucht werde oder wenn die Ausbildung an einer
Ausbildungsstätte durchgeführt werde. Hieraus folge, dass der Beschwerdegegner keinen Anspruch auf Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II habe, soweit er eine Ausbildungsstätte besuche. Umgekehrt
sei demnach eine Ausbildung, die an keiner Ausbildungsstätte betrieben werde, nicht förderungsfähig. Ein solcher Fall
sei die Beurlaubung. An der Grundvoraussetzung für eine Förderung nach dem BAföG, nämlich dem Besuch einer
Ausbildungsstätte, fehle es, wenn und solange der Auszubildende von der Ausbildungsstätte beurlaubt sei. Die
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beziehe sich auf den inzwischen außer Kraft getretenen § 26
Bundessozialhilfegesetz (BSHG), der nahezu wortgleich und inhaltlich identisch mit § 7 Abs. 5 SGB II sei. Da beide
Vorschriften auch den gleichen Zweck verfolgten, nämlich die Ausbildungsgeförderten aus dem Kreis der Sozialhilfe
bzw. Alg-II-Berechtigten auszuschließen, könnten nach Auffassung der Kammer die zu § 26 BSHG ergangenen
Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes für die Auslegung des § 7 Abs. 5 SGB II uneingeschränkt
herangezogen werden. Dies führe dazu, dass § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II einem Anspruch auf Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhaltes für die Zeit der Beurlaubung nicht entgegenstehe. Die HTWK habe die Voraussetzungen für
eine Beurlaubung bejaht. Sofern der Beschwerdegegner die beiden Urlaubssemester zur Prüfungsvorbereitung habe
nutzen wollen, liege hierfür ein wichtiger Grund für eine Beurlaubung im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2b der
Immatrikulationsordnung der HTWK vom 31.03.2010 (ImmaO) vor. Soweit die Voraussetzungen für eine Beurlaubung
nach der Immatrikulationsordnung vorlägen, habe dies zur Folge, dass es am Besuch einer Ausbildungsstätte fehle.
Damit fehle es an der Förderungsfähigkeit im Rahmen des BAföG. Deshalb finde § 7 Abs. 5 SGB II keine
Anwendung. Der Beschwerdegegner habe einen ungedeckten Bedarf von März 2010 bis August 2010 in Höhe von
551,00 EUR monatlich. Insoweit sei auch der Anordnungsanspruch für eine vorläufige Leistung gegeben.
Gegen die ihr am 14.06.2010 zugegangene Beschwerde hat die Beschwerdegegnerin am 13.07.2010 Beschwerde
eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, das Urlaubssemester diene vorliegend allein der zeitlichen
Streckung des Studiums, da der Beschwerdegegner zunächst die Ablegung von insgesamt vier Prüfungen als Grund
für das Urlaubssemester angegeben habe und da Prüfungen Leistungen seien, die in der Regelstudienzeit zu
erbringen seien. Somit sei gerade keine Unterbrechung, sondern eine Fortführung der Ausbildung gegeben. Soweit das
SG meine, es fehle an einem Besuch der Ausbildungsstätte, werde verkannt, dass die Prüfungen den Kern der von
einem Studenten zu erbringenden Studienleistungen darstellten und nach Zeit und Ort auf Bestimmung der
Hochschule abzulegen seien, also sehr wohl an einer Ausbildungsstätte. Hiernach sei es für die Entscheidung nach
dem SGB II nicht sachgerecht, die Ausbildung des Antragstellers in förderfähige und nicht förderfähige Abschnitte
aufzuspalten. Dies sei schon mit dem Grundsatz unvereinbar, dass es für § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II nur auf die
Förderfähigkeit einer Ausbildung dem Grunde nach ankomme, also alle individuellen Besonderheiten wie z. B. die
Überschreitung der Höchstförderdauer außer Betracht zu bleiben hätten und die Ausbildung nur als Ganzes als
förderfähig oder nicht förderfähig einzustufen sei. Im Übrigen wolle § 7 Abs. 5 SGB II eine zeitweise indirekte
Ausbildungsförderung durch Leistungen nach dem SGB II gerade vermeiden.
Der Beschwerdeführer beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 14.06.2010 aufzuheben und den Antrag auf Gewährung einstweiligen
Rechtsschutzes vom 27.05.2010 abzulehnen.
Der Beschwerdegegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er habe in den beiden Urlaubssemestern keine Veranstaltungen der HTWK besucht und keine Prüfungen abgelegt.
Die Auffassung, dass es sich bei einem Urlaubssemester um eine abstrakt förderfähige Ausbildung bzw. bei der
Urlaubsgewährung um einen individuellen BAföG-Ausschlussgrund handele, werde nicht geteilt. Derjenige, der sich im
Urlaubssemester befinde, befinde sich gerade nicht in der Ausbildung. Die bloße Möglichkeit, Prüfungen abzulegen,
könne nicht unter dem Begriff der Ausbildung subsumiert werden. Von einem individuellen bzw. persönlichen BAföG-
Ausschlussgrund könne keine Rede sein, da ausnahmslos kein Student im Urlaubssemester BAföG-Leistungen
beziehen könne. Die Erwägung, dass man BAföG-Leistungen beziehen könne, wenn kein Urlaubssemester vorliege,
überspanne den Begriff der abstrakten Förderfähigkeit.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten
und die Verwaltungsakten der Beschwerdeführerin verwiesen.
II.
Die gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist
begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG können die Gerichte auf Antrag, der gemäß § 86b Abs. 3 SGG bereits vor
Klageerhebung zulässig ist, zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis
eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
Dazu sind gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) sowohl der durch die
Anordnung zu sichernde, im Hauptsacheverfahren geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) als auch der
Grund, weshalb die Anordnung ergehen und dieser Anspruch vorläufig bis zur Entscheidung der Hauptsache gesichert
werden soll (Anordnungsgrund), glaubhaft zu machen. Außerdem kann das Gericht dem Wesen und Zweck der
einstweiligen Anordnung entsprechend grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und dem Ast. nicht schon in
vollem Umfang das gewähren, was er im Hauptsacheverfahren erreichen kann. Die summarische Prüfung kann sich
insbesondere bei schwierigen Fragen auch auf Rechtsfragen beziehen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG,
9. Aufl., § 86b RdNr. 16c; vgl. hierzu auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19.12.2008 - L 9 B 192/08 KR
ER), wobei dann die Interessen- und Folgenabwägung stärkeres Gewicht gewinnt (Binder in Hk-SGG, 2. Aufl., § 86b
RdNr. 42). Zu berücksichtigen ist insoweit, dass dann, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes
schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das
Hauptsacheverfahren nicht mehr beseitigt werden können und wenn sich das Gericht in solchen Fällen an den
Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren will, die Sach- und Rechtslage abschließend geprüft werden muss. Ist
eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist aufgrund einer
Folgenabwägung zu entscheiden (Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05).
Letzteres bestätigend hat das BVerfG in seiner Entscheidung vom 25.02.2009 - 1 BvR 120/09 weiter ausgeführt, dass
das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechtsposition umso weniger
zurückgestellt werden darf, je schwerer die Belastungen des Betroffenen wiegen, die mit der Versagung vorläufigen
Rechtsschutzes verbunden sind. Art 19 Abs. 4 Grundgesetz verlange auch bei Vornahmesachen jedenfalls dann
vorläufigen Rechtsschutz, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden,
zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre.
Ein Anordnungsgrund liegt vor, wenn sich aus den glaubhaft gemachten Tatsachen ergibt, dass es die individuelle
Interessenlage des Antragstellers unter Umständen auch unter Berücksichtigung der Interessen des Antragsgegners,
der Allgemeinheit oder unmittelbar betroffener Dritter unzumutbar erscheinen lässt, den Antragsteller zur
Durchsetzung seines Anspruchs auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen (Finkelnburg u.a., Vorläufiger
Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Aufl. 2008, RdNr. 108 m.w.N.; ähnlich: Krodel, NZS 2002, 234 ff). Ob
die Anordnung derart dringlich ist, beurteilt sich insbesondere danach, ob sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile
oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen, ebenso schwer wiegenden Gründen nötig erscheint. Dazu
müssen Tatsachen vorliegen bzw. glaubhaft gemacht sein, die darauf schließen lassen, dass der Eintritt des
wesentlichen Nachteils im Sinne einer objektiven und konkreten Gefahr unmittelbar bevorsteht (vgl. Keller, a.a.O., §
86b RdNr. 27a).
Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht isoliert nebeneinander. Vielmehr verhalten sie sich in einer
Wechselbeziehung zueinander, in welcher die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender
Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (des Anordnungsgrundes) zu verringern sind und umgekehrt.
Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein
bewegliches System (HessLSG, Beschluss vom 29.09.2005 - L 7 AS 1/05 ER; Keller, a.a.O., § 86b RdNrn. 27 und 29
m.w.N). Ist eine Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf
einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes
Recht nicht vorhanden ist. Ist eine Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die
Anforderungen an den Anordnungsgrund, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund
verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der
Sach- oder Rechtslage im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht möglich ist, hat das Gericht im Wege
einer Folgenabwägung zu entscheiden, welchem Beteiligten ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache eher
zuzumuten ist.
Gemessen hieran hat der Beschwerdegegner einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Nach
summarischer Prüfung erfüllt er zwar die Voraussetzungen des § 19 i.V.m. § 7 Abs. 1 SGB II, da er das 15.
Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Er ist auch erwerbsfähig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr.
2, § 8 Abs. 1 SGB II), hilfebedürftig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 9 SGB II) und hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in
der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II). Von den Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach dem SGB II ist er aber gemäß § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II als Auszubildender ausgeschlossen.
Nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG dem Grunde nach
förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Dem Grunde nach
förderungsfähig in diesem Sinne ist eine Hochschulausbildung nach Ansicht des Senates auch dann, wenn ein an
einer Hochschule Eingeschriebener (an einer Universität Immatrikulierter) ein Urlaubssemester - aus welchem Grunde
auch immer - absolviert (a.A. Sächs.LSG, Beschluss vom 13.01.2010 - L 2 AS 762/09 B ER - nicht veröffentlicht -;
LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 05.02.2008 - L 25 B 146/08 AS ER, RdNr. 7; SG Leipzig, Beschluss vom
05.11.2009 - S 9 AS 3293/09 ER, RdNr. 22, beide zitiert nach Juris). Hierbei folgt der Senat der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichtes (BSG), soweit dieses in seiner Entscheidung vom 01.07.2009 (Az. B 4 AS 67/08 R, RdNr. 14)
in einem Verfahren, in welchem der Kläger zwar immatrikuliert war (im streitgegenständlichen Zeitraum im 32. Fach-
und 29. Hochschulsemester, wobei er sich seit mehreren Semestern in der Phase des Abschlusses des
Hauptstudiums befand), es nicht für maßgeblich erachtet hat, in welchem Umfang die Hochschule tatsächlich besucht
wurde, sondern wegen der Immatrikulation an der Hochschule das Vorliegen einer dem Grunde nach
förderungsfähigen Ausbildung bejaht hat.
Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 25.08.1999 - 5 B 153/99, 5 PKH 53/99) steht
dem nach Auffassung des Senates nicht entgegen. Soweit bezüglich dieser Entscheidung in der Datenbank Juris als
"Orientierungssatz" formuliert ist, es fehle an der Grundvoraussetzung für eine Förderung nach dem BAföG, dem
Besuch einer Ausbildungsstätte, wenn und solange der Auszubildende von der Ausbildungsstätte beurlaubt sei und
deshalb stehe 26 Bundessozialhilfegesetz - der fast wortgleich mit § 7 Abs. 5 SGB II war - einem Anspruch auf
Sozialhilfe nicht entgegen, betrifft dies nach den Gründen der Entscheidung eine Fallgestaltung, in welcher eine
Beurlaubung wegen Pflege und Erziehung eines Kindes der dortigen Klägerin erfolgt war, weswegen eine
Missbrauchsbefürchtung nicht gerechtfertigt sei (a.a.O., RdNr. 3). Hinzu kommt, dass zum Zeitpunkt der
Entscheidung des BVerwG während der Zeit einer Beurlaubung von der Hochschule ein Betreiben des Studiums in der
Regel nicht möglich war und jedenfalls Studien- und Prüfungsleistungen grundsätzlich nicht erbracht werden konnten
(z.B. § 16 Abs. 3 Satz 1 Sächsisches Hochschulgesetz (SächsHG) in der Fassung vom 11.06.1999), während
jedenfalls im Freistaat Sachsen die Hochschulen Studierenden nunmehr sogar ermöglichen sollen, Studien- und
Prüfungsleistungen an der Hochschule, an der die Beurlaubung ausgesprochen wurde, zu erbringen (§ 20 Abs. 3
SächsHSG in der seit 10.12.2008 geltenden Fassung). Diese Möglichkeit wird von den Sächsischen Hochschulen
auch genutzt (vgl. hierzu SächsLSG, Beschluss vom 28.06.2010 - Az. L 7 AS 337/10 B ER, RdNr. 17m.w.N.). Dass
auch das Amt für Ausbildungsförderung des Studentenwerks L. nicht davon ausgeht, dass der Anspruch auf
Leistungen nach dem BAföG während eines Urlaubssemesters deswegen entfällt, weil eine Hochschule i.S.d. § 2
Abs. 1 Nr. 6 BAföG nicht besucht würde, ergibt sich im Übrigen aus der Begründung des Bescheides dieses Amtes,
mit welchem die Versagung von Leistungen aufgrund eines Urlaubssemesters nicht mit dem Fehlen der
Voraussetzungen § 2 Abs. 1 Nr. 6 BAfÖG begründet wird, sondern auf § 15 Abs. 2 BAföG verwiesen wird.
Hiernach ist nach der heutigen Sach- und Rechtslage im Unterschied zu dem vom BVerwG entschiedenen Fall die
Missbrauchsbefürchtung gerechtfertigt.
Die Förderfähigkeit einer Hochschulausbildung führt hiernach bei gegebener Immatrikulation zum Ausschluss der
Leistungen nach dem SGB II, ohne dass es darauf ankäme, ob das Studium betrieben wird. Hierzu hat der
erkennende Senat bereits in seinem Beschluss vom 29.06.2010 (L 7 AS 756/09 B ER; m.w.N.) Folgendes ausgeführt:
"Die Ausschlussregelung ist auf die Erwägung zurückzuführen, dass bereits die Ausbildungsförderung nach dem
BAföG auch die Kosten des Lebensunterhalts umfasst und deshalb im Grundsatz die Grundsicherung nicht dazu
dient, durch Sicherstellung des allgemeinen Lebensunterhalts das Betreiben einer dem Grunde nach anderweitig
förderungsfähigen Ausbildung zu ermöglichen. Die Ausschlussregelung soll die nachrangige Grundsicherung davon
befreien, eine – versteckte – Ausbildungsförderung auf zweiter Ebene zu ermöglichen (vgl. Bundessozialgericht
(BSG), Urteil vom 01.07.2009 – B 4 AS 67/08 R, RdNr. 13). [ ] Bei einem Hochschulstudium handelt es sich um eine
dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 6 BAföG. Allein die Förderungsfähigkeit
der Ausbildung dem Grunde nach zieht die Folge des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II nach sich. Individuelle
Versagensgründe, die im Verhältnis zum Träger der Förderungsleistung eingetreten sind, bleiben außer Betracht (vgl.
BSG, Urteil vom 06.09.2007 – B 14/7b AS 36/06 R, RdNr. 15 ff. m.w.N.) Dies gilt auch dann, wenn die Ausbildung
tatsächlich nicht betrieben wird."
Hieran hält der Senat fest. Während der Zeit der Beurlaubung bleiben die Rechte und Pflichten des Studenten gemäß
§ 22 SächsHSG mit Ausnahme der Verpflichtung zum ordnungsgemäßen Studium unberührt; es wird Studenten
gemäß § 20 Abs. 3 SächsHSG sogar ermöglicht, Studien- und Prüfungsleistungen an der Hochschule, an der die
Beurlaubung ausgesprochen wurde, zu erbringen. Somit sind die Studierenden nach den hochschulrechtlichen
Bestimmungen durch eine Beurlaubung vom Studium gerade nicht daran gehindert, einzelne Studien- und
Prüfungsleistungen abzulegen: Sie können also trotz Beurlaubung im Grunde ihr Studium weiter vorantreiben oder
fortsetzen, ohne dass dieser Zeitraum auf die abgelegten Fachsemester angerechnet würde. Die hochschulrechtliche
Möglichkeit, den Studienablauf flexibel zu gestalten, kann umgekehrt aber nicht dazu führen, dass entgegen dem
gesetzgeberischen Anliegen der Ausschlussregelung des § 7 Abs. 5 SGB II für eine an sich förderfähige Ausbildung
an einer Hochschule Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II erbracht werden, obwohl die
Ausbildung auch während des genehmigten Urlaubssemesters rechtmäßig bzw. praktisch zulässig dadurch betrieben
werden kann, dass einzelne Studien- und Prüfungsleistungen an der betreffenden Hochschule erbracht werden dürfen.
In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BSG (z.B. Urteil vom 01.07.2009, a.a.O.) kommt es somit auf die
abstrakte Förderfähigkeit der Ausbildung an, nicht auf die Frage, ob die Ausbildungsstätte tatsächlich besucht wird.
Denn von der Beschwerdeführerin kann auch nicht verlangt werden, dass sie dies im Einzelfall ermittelt, weil derartige
Ermittlungen nicht mit den behördlichen Möglichkeiten und Gegebenheiten im Rahmen der Massenverwaltung im
Einklang stehen. Hinzu kommt, dass anders als die anderen Hilfebedürftigen, die keine nach BAföG förderfähige
Ausbildung verfolgen, die beurlaubten Studierenden auch nicht für die Vermittlung in ein Beschäftigungsverhältnis zur
Verfügung stehen, gerade weil sie sich noch in der (Hochschul-)¬Ausbildung befinden.
Die vom 2. Senat des SächsLSG in Bezug genommene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss
vom 25.08.1999 – 5 B 153/99) zu der § 7 Abs. 5 SGB II entsprechenden Vorschrift des Bundessozialhilfegesetzes
kann hier auch deshalb nicht ohne weiteres Geltung beanspruchen, weil im aufeinander abgestimmten
Regelungsgefüge des SGB II die Härtefallregelung des § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II dazu dient, unerwünschte
Ergebnisse im Einzelfall abzumildern. Es liegt insoweit nahe, das erforderliche sozialstaatliche Korrektiv bei der
Anwendung des § 7 Abs. 5 SGB II in dieser Regelung für besondere Härtefälle zu erblicken und als abschließend
anzusehen. Damit wird zudem der Gleichklang mit den Vorschriften des BAföG deutlich, wonach Leistungen zur
Ausbildungsförderung ebenfalls teilweise als Darlehen gewährt werden (vgl. § 17 Abs. 2, 3 BAföG). Somit hat der
Beschwerdegegner keinen Anspruch auf die Regelleistung einschließlich der Kosten der Unterkunft und Heizung. Er
war nicht exmatrikuliert, sondern ausweislich der Immatrikulationsbescheinigung auch während des Urlaubssemesters
immatrikuliert.
Er hat auch keinen Anspruch auf Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts in Form eines Darlehens nach § 7 Abs. 5
Satz 2 SGB II. Danach können in besonderen Härtefällen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, allerdings
nur als Darlehen und nicht als Beihilfe oder Zuschuss gewährt werden. Liegt ein besonderer Härtefall vor, hat die
Verwaltung in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens Art und Umfang der Leistungsgewährung zu prüfen. Im Hinblick
auf das "Ob" der Leistungsgewährung wird alsdann im Regelfall von einer Ermessensreduktion auf Null auszugehen
sein (vgl. Valgolio in Hauck/Noftz, SGB II, Stand Februar 2007, § 7 RdNr. 93; so wohl auch Brühl/Schoch in Münder,
SGB II, 2. Aufl. 2007, § 7 RdNr. 103).
Bei dem Begriff des "besonderen Härtefalls" handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen
Ausfüllung in vollem Umfang der rechtlichen Überprüfung durch das Gericht unterliegt (vgl. zum Vorliegen einer
besonderen Härte im Rahmen von § 9 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 3 KfzHV auch BSG, Urteil vom 08.02.2007 - B 7a AL
34/06 R). Die Verwaltung hat keinen Beurteilungsspielraum; ihr steht auch keine Einschätzungsprärogative zu (vgl.
hierzu auch BSG, Urteil vom 30.10.2001 - B 3 P 2/01 R, BSGE 89, 44). Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl.
Beschlüsse vom 28.06.2010 und 29.06.2010, a.a.O.) kann von einem besonderen Härtefall ausgegangen werden,
wenn der Lebensunterhalt während der Ausbildung durch Förderung auf Grund von BAföG/SGB III-Leistungen oder
anderen finanziellen Mittel - sei es Elternunterhalt oder Einkommen aus eigener Erwerbstätigkeit - gesichert war, die
nun kurz vor Abschluss der Ausbildung entfallen. Gleiches gilt für den Fall der Unterbrechung der bereits weit
fortgeschrittenen und bisher kontinuierlich betriebenen Ausbildung auf Grund der konkreten Umstände des Einzelfalls
wegen einer Behinderung oder Erkrankung. Denkbar ist auch, dass die nicht mehr nach den Vorschriften des BAföG
oder der §§ 60 bis 62 SGB III geförderte Ausbildung objektiv belegbar die einzige Zugangsmöglichkeit zum
Arbeitsmarkt darstellt (vgl. BSG, Urteil vom 06.09.2007 - B 14/11b AS 36/06 R, RdNr. 21-24; BSG, Urteil vom
06.09.2007 - B 14/7b AS 28/06 R).
Die Voraussetzungen für die Annahme eines Härtefalls sind vorliegend weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Der
Beschwerdegegner befand sich vielmehr wie viele andere Studenten auch in der Situation, dass er - nach seinem
Vortrag - erforderliche Prüfungen nicht zum vorgeschriebenen Zeitpunkt abgelegt hatte und auch deshalb ein
Anspruch auf Leistungen nach dem BAföG nicht bestand (§§ 9, 48 Abs. 1 BAföG). Dies allein rechtfertigt aber noch
nicht die Annahme einer besonderen Härte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Diese Entscheidung ist endgültig, § 177 SGG.