Urteil des LSG Sachsen vom 10.07.2006

LSG Fss: leiter, einfluss, historische auslegung, ddr, sicherheit, verordnung, produktion, regierung, techniker, industrie

Sächsisches Landessozialgericht
Urteil vom 10.07.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Chemnitz S 16 R 155/05
Sächsisches Landessozialgericht L 7 R 733/05
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 19. Juli 2005 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte als Versorgungsträger für das Zusatzversorgungssystem nach
Nummer 1 der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschafts-überführungsgesetz (AAÜG) verpflichtet ist,
Beschäftigungszeiten der Klägerin als Zeiten der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz und
die in diesem Zeitraum erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.
Der Klägerin war von der Ingenieurschule für Maschinenbau und Textiltechnik K ... mit Urkunde vom 26. Juli 1968 die
Berechtigung verliehen worden, die Berufsbezeichnung Ingenieur führen zu dürfen. Die Klägerin war ausweislich der
Eintragungen im Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung sowie der vorgelegten Arbeitsverträge vom 2. September
1968 bis 30. April 1969 beim VEB Feinspinnerei E ... als stellvertretende Werkleiterin, vom 1. Mai 1969 bis 13. Mai
1971 bei der FDJ-Kreisleitung Z ... als Sekretärin der Grundorganisation (GO) Feinspinnerei E ... und vom 17. Mai
1971 bis über den 30. Juni 1990 hinaus beim VEB Vereinigte Baumwollspinnereien und Zwirnereien, Feinspinnerei E
..., als Technologe und Sicherheitsinspektor sowie zuletzt ab 5. Juli 1986 als Leiter der Abteilung Sicherheit
beschäftigt. Ab dem 1. Mai 1979 entrichtete sie Beiträge zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR).
Die Klägerin war nicht in ein Zusatzversorgungssystem einbezogen. Sie gab im Rahmen des Antrages auf
Überführung von Zusatzversorgungsanwartschaften an, nicht anerkannte Verfolgte im Sinne der Gesetzes über den
Ausgleich beruflicher Benachteiligungen für Opfer politischer Verfolgung im Beitrittsgebiet zu sein und auch keinen
entsprechenden Antrag gestellt zu haben.
Mit Bescheid vom 29. November 2002 lehnte die Beklagte die Feststellung der angegebenen Beschäftigungszeiten
als Zugehörigkeitszeiten zur Altersversorgung der technischen Intelligenz sowie der entsprechenden Arbeitsverdienste
mit der Begründung ab, dass die Klägerin am 30. Juni 1990 keine dem Kreis der obligatorisch
Versorgungsberechtigten zuzuordnende Beschäftigung ausgeübt habe. Hiergegen legte die Klägerin unter dem 19.
Dezember 2002 Widerspruch ein und führte aus, dass ihre Tätigkeit beim VEB Verei-nigte Baumwollspinnereien und
Zwirnereien, Feinspinnerei E ..., den Abschluss als Ingenieur erfordert habe. Sie legte zahlreiche Arbeits- und
Änderungsverträge, einen Arbeitskräfte Stammdatenbeleg sowie den Funktionsplan für ihre Tätigkeit als Leiter der Ab-
teilung Sicherheit vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 2004 wies die Be-klagte den Widerspruch als
unbegründet zurück und führte aus, dass die letzte Tätigkeit als Sicherheitsinspektor keine ingenieurtechnische
Tätigkeit im Sinne der maßgeblichen Be-stimmungen der Versorgungsordnung gewesen sei.
Die Klägerin hat am 21. Januar 2005 Klage zum Sozialgericht Chemnitz erhoben und zur Begründung vorgetragen,
dass sie auch am 30. Juni 1990 eine ingenieurtechnische Tätigkeit ausgeübt habe. Sie sei in ihrer Funktion unter
anderem für den Brandschutz sowie die Gestaltung arbeitssicherer und erschwernisfreier Arbeitsplätze zuständig
gewesen. Des Weiteren habe die Intensivierung der Produktion durch Nutzung der Erkenntnisse von Wissenschaft
und Technik zu ihrem Aufgabenbereich gehört. Auf Grund dieses Aufgabenbereichs habe sie auch bedeutenden
Einfluss auf den Produktionsprozess gehabt. Ohne ihre berufliche Qualifikation als Ingenieur wäre ihr die Ausübung
dieser Tätigkeit nicht mög-lich gewesen.
Mit Urteil vom 19. Juli 2005 hat das Sozialgericht Chemnitz die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt,
dass die Klägerin keinen Anspruch auf die begehrten Feststellungen habe. Die Klägerin falle nicht unter den
Anwendungsbereich des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes, weil sie am 1. August 1991, dem
Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens dieses Gesetzes, weder einen Versorgungsanspruch noch eine Versor-
gungsanwartschaft gegen den Versorgungsträger gehabt habe. Auch habe sie keine fingier-te
Versorgungsanwartschaft im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes be-sessen. Bei ihr fehle es am
Stichtag 30. Juni 1990 an einer ingenieurtechnischen Beschäftigung mit hervorragendem Einfluss auf den
Produktionsprozess. Sie habe vielmehr Tätig-keiten verwaltender Natur wahrgenommen. Dies ergebe sich sowohl aus
ihren eigenen Angaben als auch aus den vorgelegten Unterlagen, insbesondere dem bereits im Widerspruchsverfahren
vorgelegten Funktionsplan. Danach habe die Klägerin vorwiegend Planungs- und Kontrollaufgaben gehabt. Diese seien
zwar zur Aufrechterhaltung des Betrie-bes notwendig, nicht jedoch unmittelbar dem Produktionsprozess zuzuordnen
gewesen. Tätigkeiten verwaltungstechnischer Art führten nach den maßgeblichen Versorgungsbestimmungen nicht zu
einer obligatorischen Einbeziehung in das Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz. Das Urteil ist der
Klägerin am 26. Juli 2005 zugestellt worden.
Die Klägerin hat am 26. August 2005 Berufung eingelegt und zur Begründung ergänzend ausgeführt, dass den
maßgeblichen versorgungsrechtlichen Bestimmungen eine Eingrenzung auf ingenieurtechnisches Personal mit
unmittelbarem und hervorragendem Einfluss auf die Produktion nicht zu entnehmen sei.
Die Klägerin beantragt:
Das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 19. Juli 2005 sowie der Bescheid der Beklagten vom 29. November 2002
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2004 werden aufgehoben. Die Beklagte wird
verpflichtet, die Zeiten vom 2. September 1968 bis zum 30. Juni 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zum
Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz und die in diesem Zeit-raum erzielten Arbeitsentgelte
festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten aus beiden Verfahrenszügen sowie
die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genom-men.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet, weil das Sozialgericht im Ergebnis zu Recht die Klage abgewiesen hat. Der
Bescheid der Beklagten vom 29. November 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember
2004 ist rechtmäßig, weil die Klägerin keinen Anspruch auf die begehrten Feststellungen hat.
In dem Verfahren nach § 8 des Gesetzes zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und
Sonderversorgungssystemen des Beitrittsgebiets (Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz - AAÜG) vom
25. Juli 1991 (BGBl. I S. 1606, 1677; zuletzt geändert durch das Gesetz vom 21. Juni 2005 [BGBl. I S. 1672]), das
einem Vor-merkungsverfahren nach § 149 Abs. 5 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches - Ge-setzliche
Rentenversicherung (SGB VI) ähnlich und außerhalb des Rentenverfahrens durchzuführen ist (dazu stellvertretend:
BSG, Urteil vom 18. Juli 1996 - 4 RA 7/95 - SozR 3-8570 § 8 Nr. 2), ist die Beklagte nur dann zu den von der Klägerin
begehrten Feststel-lungen verpflichtet, wenn diese dem persönlichen Anwendungsbereich des Anspruchs- und
Anwartschaftsüberführungsgesetzes nach § 1 Abs. 1 AAÜG unterfällt. Erst wenn dies zu bejahen ist, ist in einem
weiteren Schritt festzustellen, ob sie Beschäftigungszeiten zurückgelegt hat, die einem Zusatzversorgungssystem,
hier der Zusatzversorgung der technischen Intelligenz, zuzuordnen sind (§ 5 AAÜG).
Gemäß § 1 Abs. 1 AAÜG gilt das Gesetz für Ansprüche und Anwartschaften (= Versorgungsberechtigungen), die auf
Grund der Zugehörigkeit zu Versorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind (Satz 1). Soweit die
Regelungen der Versorgungssysteme einen Verlust der Anwartschaft bei Ausscheiden aus dem Versorgungssystem
vor dem Leistungsfall vorsahen, gilt dieser Verlust als nicht eingetreten (Satz 2).
1. Die Klägerin war bei Inkrafttreten des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes am 1. August 1991
nicht Inhaber einer erworbenen Versorgungsberechtigung im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG. Einen "Anspruch"
auf Versorgung (= Vollrecht) besaß sie zu diesem Zeitpunkt nicht, weil schon kein "Versorgungsfall" (Alter, Invalidität)
eingetreten war.
Sie war zu diesem Zeitpunkt auch nicht Inhaber einer bestehenden Versorgungsanwartschaft im Sinne des § 1 Abs. 1
Satz 1 AAÜG. Dies hätte vorausgesetzt, dass sie in das Versorgungssystem einbezogen gewesen wäre. Eine solche
Einbeziehung in das Zusatzversor-gungssystem der technischen Intelligenz konnte durch eine Versorgungszusage in
Form eines nach Artikel 19 Satz 1 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen
Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands - Einigungsvertrag - vom 31. August 1990
(BGBl. II S. 889, ber. S 1239) bindend gebliebenen Verwaltungsaktes, durch eine Rehabilitierungsentscheidung auf
der Grundlage von Artikel 17 des Einigungsvertrages oder durch eine Einzelentscheidung, zum Beispiel auf Grund
eines Einzelvertrages (vgl. § 1 Abs. 3 der Zweiten Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die zusätzliche
Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 24. Mai
1951 [GBl. Nr. 62 S. 487; im Folgenden: 2. DB]) erfolgen. Keine dieser Voraussetzungen ist vorliegend erfüllt.
2. Auch der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG ist nicht erfüllt. Die Klägerin war zu keinem Zeitpunkt vor dem
30. Juni 1990 in ein Versorgungssystem einbezogen und vor Eintritt des Leistungsfalls ausgeschieden (Fall einer
gesetzlich fingierten Versorgungsan-wartschaft).
3. Die Klägerin war am 1. August 1991 auch nicht Inhaber einer fingierten Versorgungsanwartschaft im Sinne der vom
Bundessozialgericht in ständiger Rechtsprechung (vgl. Urteile vom 9. April 2002 - B 4 RA 31/01 R - SozR 3-8570 § 1
Nr. 2 S. 14, vom 10. April 2002 - B 4 RA 34/01 R - SozR 3-8570 § 1 Nr. 3 S. 20; vom 10. April 2002 - B 4 RA 10/02 R
- SozR 3-8570 § 1 Nr. 5 S. 33, vom 9. April 2002 - B 4 RA 41/01 R - SozR 3-8570 § 1 Nr. 6 S. 40, vom 9. April 2002 -
B 4 RA 3/02 R - SozR 3-8570 § 1 Nr. 7 S. 60, vom 10. April 2000 - B 4 RA 18/01 R - SozR 3-8570 § 1 Nr. 8 S. 74)
vorgenommenen erwei-ternden verfassungskonformen Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG.
Danach ist bei Personen, die am 30. Juni 1990 in ein Versorgungssystem nicht einbezogen waren und die
nachfolgend auch nicht auf Grund originären Bundesrechts einbezogen wurden, zu prüfen, ob sie aus der Sicht des
am 1. August 1991 gültigen Bundesrechts nach den am 30. Juni 1990 gegebenen Umständen einen Anspruch auf
Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätten. Ein solcher fiktiver Anspruch hängt im Bereich der
Zusatzversorgung der technischen Intelligenz gemäß § 1 der Verordnung über die zusätzliche Al-tersversorgung der
technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (nachfolgend: VO-AVItech) vom 17.
August 1950 (GBl. Nr. 93 S. 844) und der Zweiten Durchführungsbestimmung von drei Voraussetzungen ab, nämlich
von (1) der Berechtigung, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraus-setzung), und (2) der
Ausübung einer entsprechenden Tätigkeit (sachliche Voraussetzung), und zwar (3) in einem volkseigenen
Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwe-sens im Sinne von § 1 Abs. 1 der 2. DB oder in einem
durch § 1 Abs. 2 der 2. DB gleichgestellten Betrieb (betriebliche Voraussetzung). Maßgeblich für das
Sprachverständnis ist hierbei der staatliche Sprachgebrauch der Deutschen Demokratischen Republik am 2. Oktober
1990 (BSG, Urteil vom 9. April 2002 - B 4 RA 31/01 R - SozR 3-8570 § 1 Nr. 2 S. 13).
Dieser Rechtsauslegung schließt sich der erkennende Senat an.
Ausgehend hiervon hat die Klägerin keinen Anspruch auf eine fiktive Versorgungsanwartschaft. Denn die Klägerin
erfüllt nicht die vom Bundessozialgericht geforderte sachliche Voraussetzung. Zum einen war die Klägerin als
Abteilungsleiterin Teil des verwaltungstechnischen Personals, das nur im Ermessenswege in das
Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz einbezogen werden konnte (a). Zum anderen war die Tätigkeit
in der Abteilung Sicherheit - unabhängig von der Stellung als Abteilungsleiterin - keine inge-nieurtechnische Tätigkeit
in dem vom Bundessozialgericht geforderten Sinn (b).
a) In § 1 Abs. 1 der 2. DB werden zwei Personengruppen unterschieden: Die in § 1 Abs. 1 Unterabs. 1 der 2. DB
genannte (z.B. Ingenieure, Konstrukteure und Architekten) war obligatorisch in das Zusatzversorgungssystem
einzubeziehen. Die Einbeziehung der unter § 1 Abs. 1 Unterabs. 2 der 2. DB bezeichneten Personengruppe, zu der
auch die Abteilungsleiter gehörten, setzte einen Antrag des Werkdirektors und eine Entscheidung durch das
zuständige Fachministerium bzw. die zuständige Hauptverwaltung voraus. Nach der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichtes wurden alle Regelungen kein Bundesrecht, die eine bewertende oder Ermessensentscheidung
eines Betriebes, eines Direktors oder einer staatlichen Stelle der DDR vorsahen (vgl. BSG, Urt. vom 9. April 2002 - B
4 RA 31/01 R - SozR 3-8570 § 1 Nr. 2 S. 13). Diese Rechtsprechung hat zur Folge, dass sämtliche in § 1 Abs. 1
Unterabs. 2 der 2. DB aufgeführte Personengruppen, mithin auch Abteilungsleiter, keinen Anspruch auf eine fiktive
Versorgungsanwartschaft im Bereich der Zusatzversorgung der technischen Intelligenz haben.
Die Formulierung "Personen, die verwaltungstechnische Funktionen bekleiden" in § 1 Abs. 1 Unterabs. 2 der 2. DB
erfasst nicht nur Beschäftigte, die nicht berechtigt waren, den Titel eines Ingenieurs oder Technikers zu führen,
sondern sämtliche Personen mit verwal-tungstechnischen Funktionen. Dies ergibt sich aus Folgendem:
aa) Aus dem Wortlaut und der Systematik der Regelungen des Zusatzversorgungssystems ergibt sich, dass die in § 1
Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 der 2. DB genannten Personengruppen am Produktionsprozess beteiligt sein mussten, um
einen Anspruch auf eine fiktive Versor-gungsanwartschaft zu haben
Im Wortlaut von § 1 Abs. 1 Unterabs. 2 der 2. DB wird sodann zwischen Personen, "die verwaltungstechnische
Funktionen bekleiden" und Personen, die "durch ihre Arbeit bedeutenden Einfluß auf den Produktionsprozeß
ausüben", unterschieden. Der Normgeber der Zweiten Durchführungsbestimmung hat also zwischen Personen mit
ingenieurtechnischen und verwaltungstechnischen Funktionen unterschieden.
Für diese Auslegung spricht auch die Behandlung der Werkdirektoren in der Zweiten Durchführungsbestimmung.
Werkdirektoren hatten nach § 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 der 2. DB einen obligatorischen Anspruch auf die
Zusatzversorgung. Da es keine Beschränkung auf Werkdirektoren, die nicht den Titel Ingenieur oder Techniker hatten,
gab, folgt daraus im Umkehrschluss, dass der Normgeber sich veranlasst sah, auch Werkdirektoren, die den Titel
Ingenieur oder Techniker führen durften, ausdrücklich in den Anwendungsbereich des Zusatzversorgungssystems der
technischen Intelligenz einzubeziehen.
Ein gegenteiliges Ergebnis kann nicht aus dem Zusatz "die nicht den Titel eines Ingenieurs oder Technikers haben,
aber durch ihre Arbeit bedeutenden Einfluss auf den Produktions-prozess ausüben" am Ende von § 1 Abs. 1
Unterabs. 2 der 2. DB hergeleitet werden. Die-ser Zusatz bezieht sich nur auf die unmittelbar vorhergehenden Worte
"andere Spezialis-ten" und nicht auf die eingangs genannten "anderen Personen". Denn diese "anderen Per-sonen"
sind gerade durch ihre verwaltungstechnischen Funktionen, mithin durch ihren leitenden Einfluss auf die Abläufe und
Tätigkeiten im Betrieb, und nicht durch den Einfluss auf den Produktionsprozess gekennzeichnet.
bb) Diese aus dem Wortlaut und der Systematik hergeleitete Auslegung wird durch die historische Auslegung
gestützt.
Zwar sind die Normsetzungsmaterialien zur Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen
Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950 und zur Zweiten
Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den
volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 24. Mai 1951 für die vorliegende Rechtsfrage nicht ergie-big.
Betreffend die 26. Sitzung der Regierung der DDR am 24. Mai 1951 hat das Bundes-archiv zum einen den Entwurf für
das Kommunique des Politbüros der SED über die Ver-besserung der Lage der Intelligenz vom 23. April 1951 für die
Sitzung am 25. April 1951 übersandt. Gegenstand waren Fragen der außertariflichen Entlohnung in Verbindung mit
Einzelverträgen und der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen
gleichgestellten Betrieben. Es wurde unter anderem ausgeführt, dass es kein Geheimnis sei, "dass die westdeutsche
Protektoratsregierung im Auftrage der anglo-amerikanischen Kriegsbrandstifter dazu übergegangen ist,
Wissenschaftler und In-genieure unserer Deutschen Demokratischen Republik aus ihrer friedlichen Arbeit abzu-
werben, um sie dem amerikanischen Krieg dienstbar zu machen." Das Politbüro kritisierte die mangelhafte
Durchführung der einschlägigen Verordnungen und forderte unter ande-rem die Regierung auf, eine
Durchführungsverordnung für die zusätzliche Altersversor-gung zu erlassen und die Schaffung ähnlicher
Bestimmungen für die übrigen Angehörigen der geistigen Berufe zu prüfen. Die Begründung zur (Dritten)
Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Verbesserung der Entlohnung der Arbeiter und Angestellten in den
volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 24. Mai 1951 enthält Ausfüh-rungen zur bisherigen
Entwicklung und dem Sachstand sowie Auftrage der Regierung der DDR unter anderem an die Minister für Arbeit und
der Finanzen sowie die zu beteiligenden Fachminister, die Leiter der volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betriebe
der In-dustrie, des Eisenbahn- und Bauwesens, die Staatliche Plankommission sowie den Förder-ausschuss für die
deutsche Intelligenz. Beide Dokumente enthalten keine Ausführungen zur Frage, welcher Personenkreis konkret der
technischen Intelligenz zugerechnet wird, und zu einer etwaigen differenzierten Behandlung von verschiedenen
Gruppen der techni-schen Intelligenz.
Jedoch entspricht die oben dargestellte Auslegung dem Ansatz der Ersten Durchführungs-bestimmung zur
Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen
gleichgestellten Betrieben vom 26. September 1950 (GBl. Nr. 111 S. 1043; im Folgenden: 1. DB). Zum Kreis der
Versorgungsberechtigten gehörten nach § 1 Satz 1 der 1. DB: "Ingenieure, Chemiker und Techniker, die konstruktiv
und schöpferisch in einem Produktionsbetrieb verantwortlich tätig sind und hervorragenden Einfluss auf die
Herstellungsvorgänge nehmen, sowie konstruktiv und schöpferisch tätige Baumeister und Architekten." Neben dieser
Regelung für obligatorisch Begünstigte enthielt § 1 Satz 2 der 1. DB folgende Ermessensregelung: " Die Leiter
industrieller Ferti-gungsbetriebe und der Vereinigungen volkseigener Betriebe können, sofern die vorgenann-ten
Voraussetzungen auf sie zutreffen, in den Kreis der Versorgungsberechtigten einbezogen werden." Diese Zweiteilung
von obligatorischer und fakultativer Einbeziehung einerseits sowie die Unterscheidung von ingenieurtechnischer und
verwaltungstechnischer Tä-tigkeit andererseits wurde in der Zweiten Durchführungsbestimmung vom 24. Mai 1951
fortgeführt und detaillierter ausgestaltet.
cc) Eine Stütze findet diese Auslegung in der Anordnung über die Einführung der Rahmenrichtlinie für die neue
Gliederung der Beschäftigten der Industrie und des Bauwesens vom 10. Dezember 1974 (GBl. 1975 Nr. 1 S. 1,
geändert durch die Anordnung Nr. 2 vom 13. Oktober 1982 [GBl. I Nr. 37 S. 616]). Sie kennt ebenfalls die
Unterscheidung.
Danach wurde nach Nummer 2 die Zuordnung der Beschäftigten im jeweiligen Arbeitsbereich zu einer der folgenden
Tätigkeitshauptgruppen vorgenommen: (10) Produktionsper-sonal, (11) Produktionsarbeiter, (12) Ingenieurtechnisches
Personal, (20) Produktionsvor-bereitendes Personal, (30) Leitungs- und Verwaltungspersonal, (50)
Betreuungspersonal, (60) Pädagogisches Personal und (90) Übriges Personal. Nach Absatz 3 Satz 2 der Erläute-rung
zur Gruppe 10 (einschließlich 11 und 12) gehören das Leitungs- und Verwaltungsper-sonal in den produzierenden
Bereichen nicht zum Produktionspersonal. Eine entsprechende Regelung findet sich in Absatz 4 der Erläuterung zu
Gruppe 20. Das Leitungspersonal wird im ersten Spiegelstrich der Erläuterung zur Gruppe 30 als "Werktätige zur
Leitung (Anlei-tung, Entscheidung, Organisation, Koordinierung, Kontrolle) politischer, technisch-ökonomischer und
sozialer Prozesse eines bestimmten Verantwortungsbereiches" definiert.
In Anwendung der sich aus der Rahmenrichtlinie ergebenden Vorgaben ist hinsichtlich der Tätigkeit der Klägerin als
Leiter der Abteilung Sicherheit ausweislich des im Wider-spruchsverfahren vorgelegten Arbeitskräfte-
Stammdatenbelegs für die Klägerin eine Zuordnung zur Tätigkeitshauptgruppe Leitungspersonal vorgenommen
worden. Danach ist die Klägerin als Abteilungsleitern Sicherheit nach dem Kriterium der Tätigkeitshauptgrup-pe nicht
dem Produktionspersonal (ingenieurtechnisches Personal) zuzuordnen.
dd) Ein weiteres Indiz dafür, dass im Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz bewusst zwischen
ingenieurtechnischen und verwaltungstechnischen Funktionen unterschieden worden ist, ist die Dritte
Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Verbesserung der Entlohnung der Arbeiter und Angestellten in den
volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 24. Mai 1951 (GBl. Nr. 62 S. 488). Nach § 1 Abs. 1 Satz 2
dieser Durchführungsbestimmung gehörten zur technischen Intelligenz " Ingenieure, Kon-strukteure, Techniker,
Chemiker, Werkleiter, Leiter großer Werkabteilungen, hervorragen-de Wirtschaftler, Leiter von Laboratorien, Leiter von
Arbeitsvorbereitungsabteilungen in größeren Betrieben, Bauingenieure, Bautechniker, Statiker und Bauleiter von
großen Baustellen." Diese Durchführungsbestimmung sah im Gegensatz zu § 1 Abs. 1 der 2. DB keine
Unterscheidung zwischen Personen mit ingenieurtechnischen und mit verwaltungstechni-schen Funktionen vor. Es
gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei der unterschied-lichen Ausgestaltung und Textfassung der beiden
Durchführungsbestimmungen, die am selben Tag, dem 24. Mai 1951, von der Regierung der DDR erlassen wurden,
um ein Re-daktionsversehen handelt. Vielmehr lässt sich der Unterschied zwischen beiden Durchfüh-
rungsbestimmungen dadurch erklären, dass die Regierung der DDR unterschiedliche Ansätze zur Verbesserung der
wirtschaftlichen Lage der technischen Intelligenz verfolgte. Zum einen sollten Anreize kurzfristig bei der Entlohnung,
zum anderen langfristig bei der Altersversorgung gesetzt werden. Beide Ansätze müssen sich in ihrer Ausgestaltung
nicht zwangsläufig decken. Es kann dahingestellt bleiben, ob beide Ansätze und die maßgeblichen Regelwerke
aufeinander abgestimmt waren. Denn es besteht für die bundesdeutschen Gerichte keine Rechtsgrundlage, diese
Regelungen, die nach der Herstellung der Einheit Deutschlands nicht bundesdeutsches Recht geworden sind, zu
korrigieren.
ee) Die Unterscheidung von Ingenieuren, die ingenieurtechnisch tätig waren, und solchen, die zwar eine ihrer
Qualifikation adäquate Tätigkeit ausgeübt haben, die aber nicht mehr unmittelbar mit dem Produktionsprozess
verbunden war, fand ihre Parallele in der betrieb-lichen Voraussetzung für einen Anspruch auf eine
Versorgungsanwartschaft. Dort wurde zwischen volkseigenen Produktionsbetrieben und solchen volkseigenen
Betrieben unter-schieden, die zwar für die Produktion notwenig waren, denen aber die Produktion nicht das Gepräge
verliehen hat. Erstere werden von § 1 Abs. 1 der 2. DB erfasst; letztere sind, wie zum Beispiel die
Konstruktionsbüros, in § 1 Abs. 2 der 2. DB genannt.
ff) Die Benennung von stellvertretenden Direktoren, Abteilungsleitern und Produktionsleitern in § 1 Abs. 1 Unterabs. 2
der 2. DB sind als gesetzlich festgelegte Regelbeispiele von "Personen, die verwaltungstechnische Funktionen
bekleiden" formuliert. Der Normgeber ordnete Personen mit diesen Funktionen typisierend dem
verwaltungstechnischen Bereich zu.
Diese typisierende Zuordnung entspricht auch dem allgemeinen Sprachverständnis in der DDR. So wird sowohl im
Lexikon des Arbeitsrechts (Berlin 1972) als auch im Lexikon Arbeitsrecht von A bis Z (Berlin 1983 sowie 2. Aufl.,
Berlin 1987) unter dem Stichwort "Abteilungsleiter" auf das Stichwort "leitender Mitarbeiter" verwiesen. Im Lexikon der
Wirtschaft - Arbeit, Bildung, Soziales - (Berlin 1982) wird unter dem Stichwort "Leiter" ausgeführt, er sei "Werktätiger,
der im Leitungsbereich einer Organisationseinheit - z.B. Betrieb, Kombinat, Universität, Fachschule, Krankenhaus,
Staatsorgan - tätig ist und Lei-tungsfunktionen ausübt (leitender Mitarbeiter, leitender Kader, Leitungskader)." Leiter
sei "jede Person, die anderen vorgesetzt ist - Brigadier, Meister, Abt.-leiter, Direktor, Minister -, diesen Aufgaben
übertragen und Weisungen erteilen darf,". Im Organigramm unter dem Stichwort "Leitungspyramide" wird der
hierarchische Aufbau - von oben nach unten - wie folgt dargestellt: Direktor - Bereichsleiter - Abteilungsleiter -
Sektoren-/Gruppenleiter.
Die nicht an den Umständen des Einzelfalles orientierte Normanwendung ist auch bei an-deren
Tatbestandsmerkmalen der Zweiten Durchführungsbestimmung üblich. So wird beim Begriff "Ingenieur", d.h. bei der
persönlichen Voraussetzung; darauf abgestellt, ob die betreffende Person berechtigt war, den Titel "Ingenieur" zu
führen, und nicht darauf, ob sie als Ingenieur tätig war (BSG, Urteil vom 10. April 2000 - B 4 RA 18/01 R - SozR 3-
8570 § 1 Nr. 8 S. 77). Hinsichtlich des Begriffs "volkseigener Betrieb" wird auf die Rechtsform und die
Rechtsgrundlage - einschließlich der Bezeichnung des Betriebes sowie dessen Eintragung in das Register der
volkseigenen Wirtschaft - (BSG, Urteil vom 9. April 2002 - B 4 RA 3/02 R - SozR 3-8570 § 1 Nr. 7 S. 61) abgestellt
und nicht darauf, wie die Eigentumsverhältnisse an dem Betrieb gestaltet waren.
Auf Grund der abstrakten Zuordnung des Abteilungsleiters in § 1 Abs. 1 Unterabs. 2 der 2. DB zum
verwaltungstechnischen Bereich bedarf es keiner Ermittlungen, welche Aufga-ben die genannten Personen tatsächlich
ausgeübt haben.
b) Unabhängig von ihrer Stellung als Abteilungsleiterin hat die Klägerin in der Abteilung Sicherheit auch keine
ingenieurtechnische Tätigkeit im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes zum
Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz ausgeübt.
Das Bundessozialgericht fordert hierzu in seiner aktuellen Rechtsprechung, dass der Betreffende "ingenieurtechnische
Arbeiten" (Urteil vom 18. Dezember 2003 - B 4 RA 20/03 R - SozR 4-8570 § 1 Nr. 2 S. 14 RdNr. 37) ausgeführt oder
eine seiner beruflichen Qualifikation entsprechende "ingenieurtechnische Beschäftigung" (Urteil vom 26. Oktober 2004
- B 4 RA 23/04 R - SozR 4-8570 § 1 Nr. 6 S. 34 RdNr. 17) ausgeübt hat (vgl. auch das Urteil vom 10. Februar 2005 -
B 4 RA 48/04 R - JURIS-Dokument RdNr. 29).
Nach dem Regelungskontext der Zweiten Durchführungsbestimmung, der Beschreibung des Begriffes
"ingenieurtechnisches Personal" in Nummer 2 der Anlage zur Anordnung über die Einführung der Rahmenrichtlinie für
die neue Gliederung der Beschäftigten der Industrie und des Bauwesens vom 10. Dezember 1974 (GBl. I Nr. 1 S. 1)
und dem Sprach-gebrauch in der DDR (vgl. Ökonomisches Lexikon, H - P, Berlin [3. Aufl.], Stichwort:
Ingenieurtechnisches Personal; ähnlich bereits: Lexikon der Wirtschaft - Industrie, Berlin [1970], Stichwort: Ingenieur-
technisches Personal) war ingenieurtechnisch tätig, wer in den produzierenden Einheiten der Betriebe für die
Durchführung des technologischen Prozesses eingesetzt war. Diese Voraussetzung erfüllt die Klägerin nicht.
Nach der oben bezeichneten Rahmenrichtlinie waren die Betriebe in neun Hauptbereiche zu gliedern: die
produktionsdurchführenden Bereiche (10), die Produktionshilfsbereiche (20), die produktionsvorbereitenden Bereiche
(30), die Leitungs- und produktionssichern-den Bereiche (40), Beschaffung und Absatz (50), Kultur-, Sozialwesen und
Betreuungsein-richtungen (60), Kader und Bildung (70), Betriebssicherheit (80) und die übrige Arbeitsbe-reiche (90).
Die Sicherheitsangelegenheiten waren danach ein von der Produktion getrennter Aufgaben- und Betriebsbereich. In
Anwendung der sich aus der Rahmenrichtlinie ergebenden Vorgaben ist hinsichtlich der Tätigkeit der Klägerin als
Sicherheitsinspektor bezie-hungsweise als Leiter der Abteilung Sicherheit ausweislich des im Widerspruchsverfahren
vorgelegten Arbeitskräfte-Stammdatenbelegs für die Klägerin eine Zuordnung zum Arbeitsbereich Verwaltung
vorgenommen worden. Danach ist die Klägerin nach dem Kriterium des Arbeitsbereichs nicht der Produktion und
damit nicht dem Ingenieurtechnischen Personal zuzuordnen. Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung
darauf verwiesen hat, dass sie zum Beispiel im Rahmen ihrer Verantwortung für den Brandschutz bei der Organisation
von Produktionsabläufen oder der Beschaffung von Maschinen beteiligt gewesen ist, begründet dies nur einen
mittelbaren Einfluss auf den Produktionsprozess. Auch der Umstand, dass für eine bestimmte Arbeitsstelle
ingenieurtechnische Kenntnisse sinnvoll oder erforderlich waren, ist nicht ausreichend, um allein damit eine
ingenieurtechnische Tätigkeit bejahen zu können.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.