Urteil des LSG Sachsen vom 21.09.2010

LSG Fss: vorläufiger rechtsschutz, berufliche tätigkeit, anrechenbares einkommen, verpflegung, hauptsache, erlass, gehalt, form, verfügung, wohnung

Sächsisches Landessozialgericht
Beschluss vom 21.09.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Chemnitz S 44 AS 2505/10 ER
Sächsisches Landessozialgericht L 7 AS 395/10 B ER
I. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 01.06.2010
aufgehoben, soweit er nicht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe betrifft. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung wird abgelehnt.
II. Die Antragsgegnerin hat den Antragstellern deren außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um die vorläufige Bewilligung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch ab
dem 01.05.2010, insbesondere um die Frage der Anrechnung von sog. Verpflegungsaufwendungen als Einkommen
der Bedarfsgemeinschaft der Antragsteller und Beschwerdegegner (im Folgenden: Bg.).
Die 1984 bzw. 1983 geborenen Bg. zu 1. und 2., die seit 2005 im Leistungsbezug der Antragsgegnerin und
Beschwerdeführerin (im Folgenden: Bf.) stehen, leben mindestens seit 2005 in einer gemeinsamen Wohnung. Seit
18.08.2008 arbeitete der Bg. zu 2. als Kraftfahrer in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis mit einer regelmäßigen
Arbeitszeit von 48 Stunden pro Woche. Als Gehalt wurde, wie sich aus § 4 des Arbeitsvertrages vom 13.08.2008
ergibt, ein Gehalt von 1.475,00 EUR pro Monat vereinbart. Ferner wurde vereinbart, dass bei einer Einsatzzeit von
über acht Stunden 6,00 EUR, bei einer Einsatzzeit von über 12 Stunden 12,00 EUR und bei einer Einsatzzeit von über
24 Stunden 24,00 EUR "Verpflegungsaufwendungen" gezahlt würden. Die Zahlung des Lohnes sei jeweils am 10. des
Folgemonats fällig.
Zum 01.07.2008 mieteten die Bg. zu 1. und 2. eine Dreizimmerwohnung mit einer Wohnung einer Wohnfläche von 70
qm, für die sie eine monatliche Kaltmiete i.H.v. 325,00 EUR zuzüglich Betriebskosten i.H.v. 140,00 EUR monatlich zu
zahlen haben. Am 10.09.2008 wurde die gemeinsame Tochter, die Bg. zu 3., geboren.
Mit Bescheid vom 09.10.2009 wurden der Bedarfsgemeinschaft vom 01.11.2009 bis 30.04.2010 Leistungen i.H.v.
monatlich 391,78 EUR bewilligt; dieser Bescheid wurde wegen der zum 01.01.2010 erfolgten Kindergelderhöhung mit
Bescheid vom 17.12.2009 dahin geändert, dass nunmehr monatliche Leistungen i.H.v. 371,78 EUR gezahlt wurden.
Am 22.03.2010 beantragten die Bg. die Weiterbewilligung von Leistungen nach dem SGB II. Der Arbeitgeber des Bg.
zu 2. bescheinigte am 16.03.2010 ein monatliches Bruttoentgelt von 1.475,00 EUR und ein Nettoentgelt von 1.069,39
EUR. Ausweislich der mit dem Antrag vorgelegten Lohnbescheinigungen für die Zeit von September 2009 bis Februar
2010 wurden zudem "Verpflegungszuschüsse" i.H.v. 325,26 EUR in 09/09, 330,00 EUR in 10/09, 384,00 EUR in
11/09, 210,00 EUR in 12/09, 378,00 EUR in 01/10 und 318,00 EUR in 02/10 gezahlt.
Nachdem der Antrag vom 22.03.2010 bis zum 28.04.2010 nicht beschieden worden war, haben die Bg. am 29.04.2010
beim Sozialgericht Chemnitz (SG) einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Begehren der
Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II ab dem 01.05.2010 gestellt. Ihnen sei telefonisch mitgeteilt worden,
dass ein Ablehnungsbescheid ergehen werde. Nunmehr sollten der Bedarfsgemeinschaft die Verpflegungszuschüsse
als Einkommen angerechnet werden. Ohne die Anrechung der Verpflegungszuschüsse liege das Einkommen der
Bedarfsgemeinschaft unter deren Mindestbedarf. Jedoch handele es sich bei Verpflegungszuschüssen um
zweckbestimmte Einnahmen im Sinne des § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II. Die besondere Eilbedürftigkeit ergebe sich aus
der Tatsache, dass die Bg. schwerwiegende und unzumutbare Vermögensdispositionen treffen müssten, die nach
Abschluss der Hauptsache nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten. So müsse sich die Bg. zu 1. allein
krankenversichern und hierfür monatlich einen Versicherungsbeitrag von ca. 140,00 EUR aufbringen. Die Bg. haben
ferner die Lohnsteuerbescheinigung von 2009, aus welcher sich Verpflegungszuschüsse i.H.v. 3.936,00 EUR ergeben,
und die Lohnbescheinigung für März 2010 mit einem dokumentierten Verpflegungszuschuss von 366,00 EUR
vorgelegt.
Die Bf. hat mit Bescheid vom 03.05.2010 vorläufig Leistungen i.H.v. jeweils 17,06 EUR für die Bg. zu 1. und 2. und
von 6,49 EUR für die Bf. zu 3. für die Zeit vom 01.05.2010 bis 31.10.2010 bewilligt und als Grund für die Vorläufigkeit
der Leistung zum einen die nicht bekannte Höhe des Erwerbseinkommens des Bg. zu 2. angegeben. Darüber hinaus
würden die Leistungen als Überbrückungsleistung für die der Höhe nach ungeklärten Ansprüche gegenüber der
Familienkasse Plauen und der Wohngeldstelle des Landratsamtes Erzgebirgskreis gewährt. Es müsse unverzüglich
Antrag auf Kinderzuschlag und Wohngeld gestellt werden. Ferner müsse die Höhe des Beitrags zu einer freiwilligen
Kranken- und Pflegeversicherung belegt werden. Der Berechnung der Leistungen hat die Bf. einen Gesamtbedarf von
1.360,00 EUR (davon 445,00 EUR für Kosten der Unterkunft und Heizung - KdU) und ein Nettoerwerbseinkommen von
monatlich 1.423,39 EUR abzüglich eines Freibetrages von 312,00 EUR bereinigt um 60,00 EUR, somit ein
Erwerbseinkommen von 1111,39 EUR zuzügl. Kindergeld i.H.v. 184,00 EUR zugrunde gelegt. Gegen den Bescheid ist
Widerspruch eingelegt worden.
Das SG hat die Bf. mit Beschluss vom 01.06.2010 verpflichtet, den Bg. vorläufig bis zu einer rechtskräftigen
Entscheidung in der Hauptsache monatliche Leistungen in Höhe von weiteren 378,39 EUR zu gewähren. Im Rahmen
der Begründung des Beschlusses hat es ausgeführt, Gegenstand des Verfahrens sei ausschließlich der durch den
Bescheid vom 29.12.2009 umrissene Bewilligungszeitraum vom 01.01.2010 bis 30.06.2010. Die Bf. habe die
Verpflegungszuschüsse zu Unrecht als Einkommen angerechnet. Diese dienten dem Ausgleich von
Mehraufwendungen, die die Tätigkeit des Bg. zu 2. mit sich bringe und nicht der Sicherung des Lebensunterhaltes der
Bedarfsgemeinschaft. Schon aufgrund der Vorschriften zu Lenk- und Ruhezeiten müsse der Bg. zu 2. regelmäßig
Rasthöfe anfahren und dort längere Zeit verweilen. Zudem verbessere die Gewährung der Sonderzahlungen die Lage
der Bg. nicht derart, dass daneben Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht gerechtfertigt seien. Die
einzelnen Ausgaben müssten dabei nicht konkret nachgewiesen werden, da dies dem Sinn einer Pauschalregelung
widerspreche. Dass es sich um missbräuchliche verdeckte Lohnzahlung handele, liege fern. Es sei gerichtsbekannt,
dass die gezahlten Spesen im Fernfahrergewerbe üblich seien. Aus § 6 Abs. 3 der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-
Verordnung (Alg II-V) ergebe sich nichts anderes. Diese Vorschrift habe keinen Bezug zu Spesenzahlungen des
Arbeitgebers, sondern berücksichtige den Verpflegungsmehraufwand mit einem Pauschbetrag. Als rangniedere Norm
könne sie die Vorschrift des § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II nicht verdrängen. Auch die Verordnungsermächtigung des § 13
SGB II reiche nicht so weit, diese Abweichung zu legitimieren. Hiernach ergebe sich ein anzurechnendes Einkommen
von monatlich 701,50 EUR, so dass sich ein Anspruch auf Zahlung von (gerundet) monatlich 419,00 EUR ergebe.
Somit habe die Bf. den Bg. weitere 378,39 EUR monatlich zu zahlen. Auch ein Anordnungsgrund sei, da es um die
Sicherung des sog. soziokulturellen Existenzminimums gehe und die streitigen Beträge 10 % des Bedarfs
überschritten, gegeben.
Gegen den ihr am 04.06.2010 zugestellten Beschluss hat die Bf. am 15.06.2010 Beschwerde eingelegt und zur
Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Bg. zu 2. habe 2010 durchschnittlich 354,00 EUR
Verpflegungszuschuss erhalten, welcher als Einkommen zu berücksichtigen sei. Der Bg. zu 2. sei durchschnittlich 17
Tage pro Monat mehr als 12 Stunden abwesend, so dass vom Einkommen Absetzungen i.H.v. 102,00 EUR monatlich
gemäß § 6 Abs. 3 AlgII-V wegen Verpflegungsmehraufwandes vorgenommen worden seien. Soweit der
Verpflegungsmehraufwand dazu diene, einen Mehraufwand auszugleichen, werde dieser Zweckbestimmung dadurch
Rechnung getragen, dass vom Gesamteinkommen alle berufsbedingten Mehraufwendungen als Werbungskosten
gemäß § 11 Abs. 2 Nr. 5 SGB II in Abzug gebracht werden könnten.
Die Bf. beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 01.06.2010 aufzuheben, soweit er nicht die Bewilligung von
Prozesskostenhilfe betrifft und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Die Bg. beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Ihrer Ansicht nach handelt es sich bei den vom Arbeitgeber gewährten Verpflegungszuschüssen um eine pauschale
Abrechnung der dem Arbeitnehmer während seiner Tätigkeit entstandenen Aufwendungen. Da insoweit Kosten des
Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber gezahlt würden, könne dieser genau bezifferte Anteil nicht als Einkommen der
Bedarfsgemeinschaft angerechnet werden. Dieser Sichtweise stehe § 6 Abs. 3 Alg II-V nicht entgegen, da diese
Regelung nur greife, wenn zum einen anrechenbares Einkommen vorliege und zum anderen eine vorübergehende
entfernte Erwerbstätigkeit ausgeübt werde. Beide Voraussetzungen lägen nicht vor.
Sie haben noch mitgeteilt, sie könnten nicht alle Ausgaben, die der Bg. zu 2. im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit
gehabt habe, belegen, da manche nicht aufbewahrt worden seien. Dusch- und Toilettenmarken müssten abgegeben
werden. Da der Bg. zu 2. im LKW einen kleinen Kühlschrank habe, nehme er größtenteils sein Essen von zuhause
mit. Belege für Mahlzeiten und Lebensmittel in Raststätten aus der Zeit von 26.04.2008 bis 06.08.2008 sind i.H.v.
insgesamt ca. 105,00 EUR vorgelegt worden. Ferner sind Belege aus dieser Zeit für Einkäufe in einer Filiale des Netto
Einkaufsmarktes des Wohnortes der Bg., vorgelegt worden, wobei die Bg. als Einkäufe des Bg. 2. für seine berufliche
Tätigkeit einen Betrag i.H.v. insgesamt ca. 252,00 EUR gekennzeichnet haben. Ferner sind zwei Duschbelege (2,50
EUR und 2,60 EUR), fünf sanifair-Belege zu je 0,50 EUR und 16 Einzelfahrscheine zu je 1,70 EUR vorgelegt worden.
Mit Schreiben vom 14.09.2010 sind noch die Lohn- und Gehaltsbescheinigungen des Bg. zu 2. für die Zeit von März
2010 bis Juli 2010 vorgelegt worden, aus denen sich Verpflegungszuschüsse für Mai 2010 i.H.v. 390,00 EUR, für Juni
2010 i.H.v. 444,00 EUR und für Juli 2010 i.H.v. 420,00 EUR ergeben. Die Lohnabrechnung für August 2010 könne
noch nicht vorgelegt werden
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten
und die Akten der Bf. verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist statthaft und zulässig; insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 173 Sozialgerichtsgesetz
(SGG)). Insbesondere fehlt es nicht deswegen an einem Rechtsschutzbedürfnis für die Beschwerde, weil die
Antragsgegnerin, ohne die Möglichkeit der Stellung eines Antrags auf Aussetzung der Vollstreckung nach § 199 Abs.
2 SGG zu nutzen, ihrer Verpflichtung aus dem Beschluss vom 30.11.2007 nachgekommen ist und sich der
Rechtsstreit dadurch erledigt haben könnte (so aber LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 04.10.2006 - L 10 B
654/06 AS, RdNr. 1f, zitiert nach Juris). Vielmehr ist davon auszugehen, dass das zur Abwendung einer
Zwangsvollstreckung Geleistete den Rechtsstreit nicht erledigt (BGH, Urteil vom 16.11.1993 - X ZR 7/92; LSG Berlin-
Brandenburg, Beschluss vom 25.09.2007 - L 32 B 1565/07 AS ER, RdNr. 2f m.w.N.). Es gibt nämlich keine
gesetzliche Grundlage, aufgrund derer von einer Beschränkung des Rechtsschutzes der unterlegenen Behörde
ausschließlich auf das Hauptsacheverfahren ausgegangen werden könnte; die Beschwerde setzt nur voraus, dass der
Beschwerdeführer sein Begehren auf eine vorläufige Regelung beschränkt und nicht bereits im Verfahren des
vorläufigen Rechtsschutzes eine endgültige Klärung begehrt (LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O., RdNr. 2). Somit ist die
Möglichkeit der Durchsetzung eines Erstattungsanspruches bei Aufhebung der einstweiligen Anordnung noch vor
Abschluss des Hauptsacheverfahrens grundsätzlich ausreichend, um ein Rechtsschutzbedürfnis der Antragsgegnerin
für die Beschwerde zu bejahen (SächsLSG in ständiger Rechtsprechung, vgl. zuletzt Beschluss vom 09.08.2010 - L 7
AS 595/09 B ER m.w.N.).
Die Beschwerde ist auch begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG können die Gerichte auf Antrag, der gemäß § 86b Abs. 3 SGG bereits vor
Klageerhebung zulässig ist, zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis
eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint,
wobei sich der Anordnungsanspruch auf den im Hauptsache- oder Widerspruchsverfahren streitigen Anspruch bezieht
(Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2. Aufl. 2008, RdNr. 291). Es sind gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG
i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) sowohl der durch die Anordnung zu sichernde, im
Hauptsacheverfahren geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) als auch der Grund, weshalb die Anordnung
ergehen und dieser Anspruch vorläufig bis zur Entscheidung der Hauptsache gesichert werden soll
(Anordnungsgrund), glaubhaft zu machen. Außerdem kann das Gericht dem Wesen und Zweck der einstweiligen
Anordnung entsprechend grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und Antragstellern nicht schon in vollem
Umfang das gewähren, was sie im Hauptsacheverfahren erreichen können. Die summarische Prüfung kann sich
insbesondere bei schwierigen Fragen auch auf Rechtsfragen beziehen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG,
9. Aufl. 2008, § 86b RdNr. 16c; vgl. hierzu auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19.12.2008 - L 9 B 192/08
KR ER), wobei dann die Interessen- und Folgenabwägung stärkeres Gewicht gewinnt (Binder in Hk-SGG, 2. Aufl.
2006, § 86b RdNr. 42). Zu berücksichtigen ist insoweit, dass dann, wenn ohne die Gewährung vorläufigen
Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die
durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr beseitigt werden können und sich das Gericht in solchen Fällen an den
Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren will, die Sach- und Rechtslage abschließend geprüft werden muss. Ist
eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist aufgrund einer
Folgenabwägung zu entscheiden (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05).
Ein Anordnungsgrund liegt vor, wenn sich aus glaubhaft gemachten Tatsachen ergibt, dass es die individuelle
Interessenlage eines Antragstellers unter Umständen auch unter Berücksichtigung der Interessen des
Antragsgegners, der Allgemeinheit oder unmittelbar betroffener Dritter unzumutbar erscheinen lässt, den Antragsteller
zur Durchsetzung seines Anspruchs auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen (Finkelnburg u.a., Vorläufiger
Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Aufl. 2008, RdNr. 108 m.w.N.; ähnlich: Krodel, NZS 2002, 234 ff.). Ob
die Anordnung derart dringlich ist, beurteilt sich insbesondere danach, ob sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile
oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen, ebenso schwer wiegenden Gründen nötig erscheint. Dazu
müssen Tatsachen vorliegen bzw. glaubhaft gemacht sein, die darauf schließen lassen, dass der Eintritt des
wesentlichen Nachteils im Sinne einer objektiven und konkreten Gefahr unmittelbar bevorsteht (vgl. Keller in Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O, § 86b RdNr. 27a).
Vorliegend ist zunächst ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Der dem Bg. zu 2. gewährte
Verpflegungszuschuss ist als Einkommen der Bedarfsgemeinschaft der Bg. zu berücksichtigen; deren Bedarf ist
durch die vorhandenen Einkünfte gedeckt.
Nach § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II sind als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit
Ausnahme der Leistungen nach dem SGB II, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und nach
den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen und der Renten oder Beihilfen, die nach dem
Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper und Gesundheit erbracht werden, bis zur Höhe
der vergleichbaren Grundrente nach dem BVG. Der dem Bg. zu 2. von seinem Arbeitgeber gewährte
Verpflegungszuschuss unterfällt keiner der in § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II genannten Ausnahmen. Er ist des Weiteren
auch nicht als zweckbestimmte Leistung i.S. des § 11 Abs 3 Nr. 1a SGB II von der Einkommensberücksichtigung
auszunehmen.
Nach letzterer Vorschrift sind Einnahmen nicht als Einkommen zu berücksichtigen, soweit sie als zweckbestimmte
Einnahmen einem anderen Zweck als die Leistungen nach diesem Buch dienen und die Lage des Empfängers nicht
so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach diesem Buch nicht gerechtfertigt wären.
Die an den Begriff der zweckbestimmten Einnahmen zu stellenden Anforderungen ergeben sich aus der Systematik
des § 11 SGB II und dem Sinn und Zweck der Regelung. Nach § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II sind grundsätzlich alle
eingehenden geldwerten Leistungen, unabhängig von ihrer Bezeichnung und ihrem Rechtscharakter zu
berücksichtigen. Die Nichtberücksichtigung von Einnahmen als Einkommen erfolgt nach § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II
nur unter engen Voraussetzungen, die ausdrücklich durch den Zweck der weiteren Einnahmen gerechtfertigt sein
müssen. Es war die Intention des Gesetzgebers des SGB II, die Einkommensberücksichtigung im Wesentlichen wie
bisher in der Sozialhilfe zu regeln (BT-Drucks 15/1516 S. 53 zu § 11). Nach sozialhilferechtlichen Vorschriften sollte
es bei der Einkommensberücksichtigung verbleiben, wenn eine Zweckidentität mit Sozialhilfeleistungen festgestellt
oder die andere Leistung ohne ausdrückliche Nennung eines Zwecks "zweckneutral" gewährt wurde. Sinn des § 11
Abs. 3 Nr. 1a SGB II ist es hiernach, zu verhindern, dass die besondere Zweckbestimmung einer Leistung durch ihre
Berücksichtigung als Einkommen im Rahmen des SGB II verfehlt wird bzw. für einen identischen Zweck
Doppelleistungen erbracht werden. Dabei ergibt sich die Zweckbestimmung in der Regel aus einer öffentlich-
rechtlichen Norm, jedoch können auch zweckbestimmte Einnahmen auf privatrechtlicher Grundlage hierunter fallen,
wobei eine Vereinbarung erforderlich ist, aus der sich objektiv erkennbar ergibt, dass die Leistung von dem
Arbeitnehmer für einen bestimmten privatrechtlichen Verwendungszweck verwendet werden soll (vgl. zu alledem
BSG, Urteil vom 01.06.2010 - B 4 AS 89/09 R, RdNr. 17f m. zahlreichen w.N.).
Einkommen des Bg. zu 2. i.S.d. § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II ist vorliegend das ihm von seinem Arbeitgeber monatlich
gezahlte Nettoentgelt von 1.069,39 EUR zuzüglich der jeweils gezahlten Verpflegungszuschüsse (i.H.v. 390,00 EUR
für Mai 2010, von 440,00 EUR für Juni 2010, und von 420,00 EUR für Juli 2010). Eine der Ausnahmen nach § 11 Abs.
1 Satz 1 SGB II ist für diese Einnahmen nicht gegeben.
Eine Privilegierung der dem Bg. zu 2. gezahlten Verpflegungszuschüsse nach § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II kommt
vorliegend in Betracht, weil der Bg. zu 2. und sein Arbeitgeber im Arbeitsvertrag vom 03.08.2008 eine Regelung dahin
getroffen haben, dass Verpflegungsaufwendungen in der dort genannten Höhe zuzüglich zum monatlichen Gehalt
gezahlt werden und diese Vereinbarung jedenfalls so zu verstehen ist, dass mit den gezahlten Beträgen erhöhte
Kosten für Verpflegung pauschal ersetzt werden sollten und somit dem Bg. zu 2. mit einer konkreten
Zweckbestimmung zugewandt wurden (vgl. hierzu auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25.08.2006 - L 5 B
549/06 AS ER, RdNr. 14), die nicht identisch mit dem Zweck der Leistungen nach dem SGB II - Sicherung der
Existenz des Leistungsempfängers bzw. der mit ihm in Bedarfsgemeinschaft Lebenden - ist. Für die Annahme einer
zweckbestimmten Einnahme ist dabei nach Ansicht des Senates nicht entscheidend, ob der Empfänger zur
Verwendung der Einnahme dem Zweck entsprechend verpflichtet war. Ausreichend ist, dass eine Vereinbarung
vorhanden sein muss, aus der sich objektiv erkennbar ergibt, dass die Leistung von dem Arbeitnehmer für einen
bestimmten Zweck (privatrechtlicher Verwendungszweck) verwendet werden soll (BSG, Urteil vom 03.03.2009 - B 4
AS 47/08 RdNr. 21, bestätigt in BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 74/09 R RdNrn. 16 ff.; Urteil vom 30.09.2008 -
B 4 AS 19/07 R, RdNr. 15 ff; ebenfalls bestätigt in BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 74/09 R, RdNrn. 16 ff; a.A.
SG Dresden, Urteil vom 01.09.2010, RdNr. 34 m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt vorliegend die Vereinbarung in §
4 des zwischen dem Bg. zu 2. und seinem Arbeitgeber geschlossenen Arbeitsvertrages, soweit sie bestimmt, dass
"Verpflegungsaufwendungen" gezahlt werden. Allerdings ist weiter zu berücksichtigen, dass Einnahmen auch bei
fehlender Zweckidentität nur dann nach § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II als Einkommen unberücksichtigt bleiben, wenn sie
die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht
gerechtfertigt wären. Eine solche Besserstellung kann gegeben sein, wenn zweckbestimmte, aber frei verfügbare
Lohnzuschüsse, ggf. in Höhe der steuerfreien Sätze, den tatsächlich entstehenden Mehraufwand vor allem für
Auswärtsverpflegung übersteigen, deshalb nur zum Teil bestimmungsgemäß verwendet werden müssen und mit dem
überschießenden Betrag für den Lebensunterhalt zur Verfügung stehen (vgl. BSG, Urt. v. 30.09.2008, a.a.O.; Dau in
jurisPR-SozR 7/2010, Anm. zu SG Chemnitz, Urteil vom 28.01.2010 - S 6 AS 2054/09).
Die Privilegierung nach § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II scheitert vorliegend unter Würdigung der Besonderheiten des hier
zu entscheidenden Einzelfalles an der sog. Gerechtfertigkeitsprüfung nach § 11 Abs. 3 Nr. 1 SGB II. Für diese ist
unter Berücksichtigung der Dauer und Höhe der Einnahmen eine vergleichende Betrachtung mit anderen
erwerbsfähigen Hilfebedürftigen vorzunehmen (vgl. Urteil des Senats vom 17.05.2010 - L 7 AS 25/07 RdNR. 54 ff.
m.w.N.). Sie ergibt vorliegend, dass die dem Bg. zu 2. gezahlten Verpflegungszuschüsse seine Lage bzw. die Lage
der Bedarfsgemeinschaft der Bg. im Vergleich mit derjenigen sonstiger Leistungsempfänger so günstig beeinflussen,
dass es nach Ansicht des Senates nicht gerechtfertigt wäre, sie bei der Berechnung der Leistungen nach dem SGB II
von der Einkommensanrechnung auszunehmen. Denn der Bg. zu 2. hat nicht glaubhaft gemacht, dass er die ihm
gewährten Verpflegungszuschüsse in voller Höhe dem Zweck der Zuwendung entsprechend eingesetzt hat und die
ihm tatsächlich entstandenen Mehraufwendungen sind zudem wegen der Vorschrift des § 6 Abs. 3 Alg II-V von der
Bf. bereits vom Einkommen abgesetzt worden. Aus den vom Bg. zu 2. vorgelegten Belegen ergeben sich glaubhaft
gemachte Aufwendungen von insgesamt ca. 350,00 EUR für Verpflegung während der Arbeitszeit des Bg. zu 2.,
bezogen auf einen Zeitraum von ca. 3 ½ Monaten, wobei lediglich ein Betrag von ca. 105,00 EUR auf Mahlzeiten und
Einkäufe in Raststätten entfällt (monatlich jeweils weit unter 100,00 EUR) und der weiter geltend gemachte
Verpflegungsaufwand in Form von Einkäufen in einem Lebensmittelmarkt im Wohnort des Bg. zu 2. nur zu einem
geringen Teil einen Mehraufwand gegenüber der häuslichen Verpflegung darstellen dürfte. Da die Bf. zum Ausgleich
von Mehraufwendungen für Verpflegung bereits einen Betrag von monatlich 102,00 EUR gemäß § 6 Abs. 3 Alg II-V
vom Einkommen des Bg. zu 2. abgesetzt hat, kann davon ausgegangen werden, dass ihm die ihm tatsächlich
entstandenen Mehraufwendungen für Verpflegung in vollem Umfange ersetzt worden sind. Die ihm darüber hinaus von
seinem Arbeitgeber gezahlten Verpflegungszuschüsse bzw. Verpflegungsaufwendungen in der Größenordnung der
Regelleistung für einen erwachsenen Hilfebedürftigen stehen der Bedarfsgemeinschaft der Bg. in vollem Umfang zur
Deckung ihres Lebensunterhaltes zur Verfügung. Unter Berücksichtigung der Lage anderer Hilfebedürftiger und unter
Beachtung auch des fiskalischen öffentlichen Interesses wäre es nach Ansicht des Senates deshalb nicht
gerechtfertigt, den Bg. Leistungen ohne Berücksichtigung der sog. Verpflegungsaufwendungen als Einnahmen zu
gewähren.
Soweit der Bg. zu 2. über die Verpflegung hinaus gehende, mit der Erzielung seines Einkommens notwendig
verbundene Aufwendungen z. B. für Übernachtungskosten, Dusche i.H.v. ca. 10,00 EUR glaubhaft gemacht hat, sind
diese bei der endgültigen Berechnung der den Bg. zustehenden Leistungen ggf. einschließlich erforderlicher
Fahrtkosten mit öffentlichen Verkehrsmitteln § 11 Abs. 2 Nr. 5 SGB II vom Einkommen abzusetzen. Angesichts der
geringen Höhe der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes insoweit glaubhaft gemachten Aufwendungen
(insgesamt unter 40,00 EUR in ca. 3 1/2 Monaten) ist jedoch ein Anordnungsgrund insoweit nicht gegeben.
Hiernach war der Beschluss des SG aufzuheben, soweit er nicht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe betrifft.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Diese Entscheidung ist nicht weiter anfechtbar (177 SGG).