Urteil des LSG Sachsen vom 15.08.2001

LSG Fss: heilpraktiker, haftentlassung, gutachter, beweisanordnung, anhörung, behandlung, handbuch, sachverständiger, gerichtsakte, familie

Sächsisches Landessozialgericht
Beschluss vom 15.08.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Leipzig S 10 V 44/97
Sächsisches Landessozialgericht L 1 B 49/01 V
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 11. April 2001 wird zurückgewiesen. Kosten
sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beschwerde macht die Übernahme von Kosten eines auf Antrag des Beschwerdeführers (Bf.) erstatteten
Gutachtens zu Lasten der Staatskasse geltend.
In dem beim Sozialgericht Leipzig (SG) anhängig gewesenen Klageverfahren (Az: S 10 V 44/97) begehrte der Bf. als
Rechtsnachfolger nach dem im ... geborenen und im ... verstorbenen O ...K ... (K.) Leistungen nach dem
Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Dem im Rahmen des Klageverfahrens vom Bf. gestellten Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG), den
Heilpraktiker W ... L ... (L.) in L ... gutachterlich zu hören, entsprach das SG mit Beweisanordnung vom 22. Juni 1999.
Das Gutachten erstellte L. unter dem 11. April 2000. Unter dem gedruckten Namen des Gutachters findet sich die
Unterschrift "i. A. H ...". Zur Äußerung des Versorgungsärztlichen Dienstes des Beklagten nahm L. am 26. September
2000 zusätzlich Stellung. Die Stellungnahme war in gleicher Weise unterzeichnet wie das Gutachten vom 11. April
2000.
Die Klage blieb im Ergebnis erfolglos (Urteil des SG vom 22. Februar 2001).
Einen Antrag des Bf., die Kosten für das Gutachten des L. auf die Staatskasse zu übernehmen, hat das SG mit
Beschluss vom 11. April 2001 abgelehnt. Der medizinische Sachverhalt sei nach Beiziehung diverser
Krankenbehandlungsunterlagen des K. insbesondere der Behandlungskarte der Strafvollzugsanstalten T ... und W ...
sowie der Aufnahme- und Entlassungsuntersuchungsbogen ausreichend aufgeklärt. Wie die Beklagte bereits im
Verwaltungsverfahren festgestellt habe, seien in den Krankenblättern aus der Haftzeit des K. mehrmalige fieberhafte
Infekte, eine Trombose der linken Kniegelenke, Magenbeschwerden, Analekzem, eine Thoraxprellung sowie eine
nervöse Überregbarkeit beschrieben worden. Diese seien jedoch, abgesehen von den Herzbeschwerden, bei der
Haftentlassung entsprechend dem Entlassungsuntersuchungsbefund vom 22. November 1960 nicht mehr vorhanden
gewesen. Es fehlten auch ärztlich dokumentierte Befunde für das unmittelbar erneute Autreten eines Analekzems
nach der Haftentlassung des K. und des Weiterbestehens eines solchen Analekzems, die als Brückensymptome für
die geltend gemachten Schädigungsfolgen nach dem Häftlingshilfegesetz (HHG) angesehen werden könnten. Auch
der vom Bf. benannte L. habe in seinem Gutachten der rechtlichen Bewertung von Seiten des Beklagten, dass
zwischen haftbedingten Veränderungen im Bereich des Darmausgangs (Ekzem), das nachweislich bei der
Haftentlassung abgeklungen gewesen sei, und dem später aufgetretenen Fistelleiden substantiell habe
entgegensetzen können. Aus dem Gutachten gehe vielmehr nur hervor, dass er K. erstmals am 08. Juni 1993
untersucht habe und dabei Analfistel-Narben und grobe Verwachsungen festgestellt habe. Die Aussagen des
Gutachters seien nicht überzeugend gewesen, wenn er schlussfolgere, dass die Analfisteloperation 1965 auf
entzündliche Analfistel bzw. Fisteln während der Haftzeit von Oktober 1957 bis November 1960 des K.
zurückzuführen seien. Schließlich habe L. den K. zeitnah nach der Entlassung aus der Haftentstalt nicht untersucht,
sondern erstmals 1993. Die Primärschädigung des K. während der Haftzeit sei jedenfalls durch die Darlegung des
Gutachters nicht erwiesen. Wenn also die Ursache der erstmals 1965 operierten Analfistel nicht habe geklärt werden
können, bestehe allenfalls eine theoretische Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen der vom Bf.
angegebenen Analfisteln, die während der Haft des K. entstanden seien und der ab 1965 erfolgten
Analfisteloperationen, die zu einer Schließmuskelschwäche des K. geführt haben, so dass eine
Schließmuskelschwäche bei K. als Versorgungsleiden nach dem HHG nicht anzuerkennen gewesen sei. Die
Einholung des Gutachtens von Heilpraktiker und Dozent L. sei zur weiteren Aufklärung des medizinischen
Sachverhaltes demnach nicht erforderlich gewesen.
Gegen den als Einschreiben am 23. April 2001 zur Post gegebenen Beschluss hat der Bf. am 22. Mai 2001 beim SG
Beschwerde eingelegt. Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Der Bf. hat vorgetragen, er sei seit 01. August 1996 arbeitslos und erhalte seit 01. Juni 1998 keine finanziellen
Bezüge mehr vom Arbeitsamt. Erst in der Verhandlung vor dem SG am 14. April 1999 sei ihm förmlich nahe gelegt
und angeraten worden, den Arzt, der seinen Vater zu Lebzeiten noch gekannt und von dessen Leiden hinsichtlich
seiner Schließmuskelschwäche gewusst habe, als Gutachter zu benennen. Ihm sei vom SG gesagt worden, dass
man später hinsichtlich einer Übernahme der Kosten für dieses Gutachten durch die Staatskasse reden könne. Da
ihm überhaupt nicht bekannt gewesen sei, ob L. auch eine gutachterliche Stellungnahme erarbeiten könnte, habe er
dem SG gesagt, dass er zuerst mit L. Rücksprache nehmen werde. Er habe bis zum 14. April 1999 gar nicht gewusst,
dass ein solches Gutachten überhaupt angefordert werden könne. Er selbst hätte niemals dieses Gutachten von sich
aus erstellen lassen, sondern habe dies nur auf Anraten und den Zuspruch durch das SG getan. Demzufolge seien die
angefallenen Kosten für dieses Gutachten jetzt auf die Staatskasse umzulegen.
Der Beklagte ist der Ansicht, der Beschluss des SG sei nicht zu beanstanden.
Die Beschwerde ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Nach § 109 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) muss auf Antrag des Versicherten, des
Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen ein bestimmter Arzt gutachterlich gehört werden. Anzuhören sind Ärzte,
d.h. Personen, die zur Ausübung des Arztberufes in Deutschland befugt sind (Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz
mit Erläuterungen, 6. Aufl., § 109 Rdnr. 5). Nichtärzte (z.B. Heilpraktiker, Psychologen etc.) können im Rahmen des §
109 SGG nicht als Sachverständige benannt werden (Krasney-Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen
Verfahrens, 2. Aufl., III Rdnr. 90; Meyer-Ladewig a.a.O.). L. als Heilpraktiker hätte daher von vornherein als ärztlicher
Gutachter im Sinne des § 109 Abs. 1 SGG nicht angehört werden dürfen. Eine Anhörung hätte allenfalls als
sachverständiger Zeuge über seine Wahrnehmungen bei der Behandlung des K. in Betracht gezogen werden können.
Bei einer entsprechenden Anregung des Bf. zur Beweiserhebung hätte es sich jedoch nicht um einen "Antrag" nach §
109 SGG gehandelt.
Selbst wenn rechtlich die Anhörung eines Heilpraktikers nach § 109 SGG in Betracht käme, wären die Kosten für das
Gutachten des L. dennoch nicht auf die Staatskasse zu übernehmen. Das Gericht kann die Kosten des Gutachtens
nachträglich auf die Staatskasse übernehmen, wenn das Gutachten zur weiteren Sachaufklärung beigetragen hat,
dies ist in der Regel dann der Fall, wenn das Gutachten Einfluss auf den weiteren Verlauf des Verfahrens nimmt, und
wenn es das weitere Verfahren zwar nicht maßgeblich beeinflusst, aber entscheidungserhebliche Punkte des
medizinischen Sachverhaltes, etwa die maßgebenden Befunde, weiter aufklärt (vgl. Krasney-Udsching, a.a.O., Rdnr.
101). Das Gutachten des L. vom 11. April 2000 und dessen ergänzende Stellungnahme vom 26. September 2000
haben ersichtlich nicht zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes im erstinstanzlichen Verfahren beigetragen. Dies
ist allein deshalb schon nicht der Fall, weil L. als Heilpraktiker nicht über die entsprechende Sachkunde eines Arztes
verfügt, um die vom SG in der Beweisanordnung vom 22. Juni 1999 gestellten medizinischen Beweisfragen
beantworten zu können. Im Übrigen hat L. in seinem Gutachten vom 11. April 2000 im Wesentlichen die Behandlung
des K. in seiner Praxis im Zeitraum vom 08. Juni 1993 bis 29. März 1994 geschildert. Dagegen fehlt vor allem jede
Auseinandersetzung mit den versorgungsärztlichen Stellungnahmen. Die ihm vom SG gestellten Beweisfragen
beantwortet er eher kurz, ohne hierfür eine konkrete Begründung zu geben. Den Inhalt der ihm vorliegenden Akten des
Beklagten und der Gerichtsakte hat er indessen weder inhaltlich noch medizinisch gewürdigt, obwohl er selbst in
seinem Gutachten angegeben hat, "die Begutachtung stützt sich auf die Kenntnis der vorliegenden Akten des
Sozialgerichts Leipzig, der vorliegenden B-Akten des Amtes für Familie und Soziales/Leipzig ... sowie auf die in
meiner Praxis durchgeführten Untersuchungen und Behandlungen in dem Zeitraum vom 08.06.1993 bis 29.03.1994".
Das Gutachten hat insgesamt in keiner Weise für die gerichtliche Entscheidung Bedeutung gewonnen. Die Aufklärung
des Sachverhaltes hat es ebenso wenig objektiv gefördert.
Aus dem Protokoll über die mündliche Verhandlung am 14. April 1999 ist nicht zu entnehmen, dass der Bf. zur
Stellung eines Antrages nach § 109 SGG gedrängt wurde, vielmehr wurde er "aufgefordert", bis 21. April 1999 zu
erklären, ob er die "Beiziehung" eines Gutachtens nach § 109 SGG beantragen möchte. Einen entsprechenden Antrag
hat er mit Schreiben vom 16. April 1999 gestellt. Dem Bf. müsste auch bekannt gewesen sein, dass die Kosten für
das Gutachten nicht automatisch auf die Staatskasse übernommen werden würden. Unter dem 07. Juni 1999 hat er
eine Erklärung u.a. mit dem Inhalt unterschrieben, dass ihm bekannt sei, dass er die gesamten Kosten der
Begutachtung endgültig zu tragen habe, wenn sie nicht durch eine Entscheidung des Gerichts ganz oder zum Teil der
Staatskasse auferlegt werden, d.h. die Entscheidung über die Kostentragung, die auch - wie hier - negativ ausfallen
kann, erfolgt erst im Nachhinein durch das Gericht.
Nach alledem hatte die Beschwerde keinen Erfolg.
Die Entscheidung ist endgültig (§ 177 SGG).