Urteil des LSG Sachsen vom 25.06.2001
LSG Fss: bedürftigkeit, arbeitslosenhilfe, anspruchsvoraussetzung, zahl, zöllner, beweisführung, form, auflage, rahmenfrist, arbeitsentgelt
Sächsisches Landessozialgericht
Beschluss vom 25.06.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Dresden S 17 AL 926/00
Sächsisches Landessozialgericht L 3 B 14/01 AL-PKH
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 16. Februar 2001 wird zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Der Beschwerdeführer (Bf.) begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für einen Rechtsstreit, mit dem er
einen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe (Alhi) ab 29.06.2000 geltend macht.
Der am 01. Mai 1962 geborene, ledige Bf. bezog vom 01. Januar 1998 bis 30. Dezember 1998 Arbeitslosengeld (Alg),
zuletzt i. H. v. 318,29 DM wöchentlich ausgehend von einem Bemessungsentgelt i. H. v. 890,00 DM und der
Leistungsgruppe A0 (Bescheide vom 11. Februar 1998 und 23. Dezember 1998). Der Anspruch war am 31. Dezember
1998 erschöpft.
In der Folgezeit erhielt der Bf. keine Leistungen der Beschwerdegegnerin (Bg.). Er bestreitete seinen Lebensunterhalt
zunächst mit eigenem Vermögen (27.728,00 DM).
Der Bf. beantragte am 29. Juni 2000 erneut die Bewilligung von Alg. Diesen Antrag lehnte die Bg. mit Bescheid vom
29. Juni 2000 ab. Der Bg. habe keinen Anspruch auf Alg, da er innerhalb der Rahmenfrist von drei Jahren nicht
mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden habe. Die Voraussetzungen für einen
Anspruch auf Alhi erfülle er ebenfalls nicht, weil er innerhalb der Vorfrist von einem Jahr kein Alg bezogen habe.
Dagegen legte der Bf. am 10. Juli 2000 Widerspruch ein und bezieht sich auf ein Urteil des Bundessozialgerichts (Az.:
B 7 AL 64/99 R), wonach der Anspruch auf Alhi erst nach vier Jahren verjährt sei.
Die Bg. wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juli 2000 zurück. Der Bf. habe innerhalb der
Vorfrist des § 192 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) kein Alg bezogen. Die Voraussetzungen für eine
Verlängerung der Vorfrist habe er nicht dargelegt.
Der Bf. hat am 24. August 2000 Klage beim Sozialgericht Dresden (SG) erhoben und einen Antrag auf Bewilligung von
PKH gestellt. Er beziehe Sozialhilfe und Wohngeld und sei deshalb bedürftig. Die Klage habe auch hinreichende
Aussicht auf Erfolg. Er habe einen Anspruch auf Alhi ab 29. Juni 2000. Entgegen den Ausführungen der Beklagten
habe er innerhalb der verlängerten Vorfrist des § 192 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III Alg bezogen. Denn die einjährige
Vorfrist verlängere sich danach um die Zeit, in der er nur deshalb keinen Anspruch auf Alhi hatte, weil er nicht
bedürftig war. Das betreffe den Zeitraum vom 31. Dezember 1998 bis 28. Juni 2000. Die Tatsache, dass er in diesem
Zeitraum keinen Antrag auf Alhi gestellt habe, sei unerheblich. Die Vorschrift sei einschränkend dahingehend
auszulegen, dass, abgesehen von der fehlenden Bedürftigkeit, der Arbeitslose in den betreffenden Zeiten lediglich
jederzeit in der Lage gewesen sein müsse, die anderen Anspruchsvoraussetzungen wie Antragstellung,
Arbeitslosmeldung und Verfügbarkeit herzustellen.
Auf Anfrage des SG teilte der Bf. mit, er habe sich am 16. Dezember 1998 und am 16. März 1999 beim Arbeitsamt
Görlitz arbeitslos gemeldet. Der Bg. liegen darüber keine Beratungsvermerke vor.
Der Bf. hat nachträglich folgende Angaben zu den Vermögensverhältnissen am 01. Januar 1999 gemacht:
Girokonto 8.778,11 DM Bargeld 6.000,00 DM Wertpapiere 11.950,50 DM Summe 27.728,61 DM ============
Das SG hat den Antrag auf Bewilligung von PKH mit Beschluss vom 02. Januar 2001 abgelehnt. Die Klage biete
keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Der Bf. habe innerhalb der Vorfrist (28. Juni 2000 - 29. September 1999) von
einem Jahr kein Alg bezogen. Selbst wenn man zugunsten des Bf. eine Verlängerung der Vorfrist gem. § 192 Satz 1
Nr. 1 SGB III annehme, komme eine solche nur für den Zeitraum vom 01. Januar 1999 bis 16. Juni 1999 in Betracht.
Für den Zeitraum vom 17. Juni 1999 bis 28. Juni 1999 fehle es neben der Bedürftigkeit an einer wirksamen
Arbeitslosmeldung gem. § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB III. Die Wirkung der (unterstellten) Erneuerungsmeldung vom 16.
März 1999 sei am 16. Juni 1999 erloschen. Im Verlängerungszeitraum (168 Tage) habe der Bf. ebenfalls kein Alg
bezogen.
Gegen den am 15. Januar 2001 zugestellten Beschluss hat der Bf. am 15. Februar 2001 Beschwerde eingelegt. Das
SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und diese dem Sächsischen Landessozialgericht vorgelegt.
Der Bf. bezieht sich auf die Klagebegründung und trägt ergänzend vor: Der Gesetzgeber habe mit § 192 Satz 2 Nr. 1
SGB III die Regelvorfrist um die Zeiträume der fehlenden Bedürftigkeit verlängert, um die Anwartschaft auf Alhi zu
erhalten. Unter dieser Prämisse dürfe vorliegend nicht ausschließlich auf das Erlöschen der Arbeitslosmeldung vom
16. März 1999 am 16. Juni 1999 abgestellt werden. Die Verlängerung müsse sich rückwirkend über den 01. Januar
1999 hinaus erstrecken.
Der Beschwerdeführer beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 02. Januar 2001 aufzuheben und ihm für das Verfahren (S 17 AL
926/00) vor dem Sozialgericht Dresden ab 24. August 2000 PKH zu bewilligen und Rechtsanwalt ..., beizuordnen.
Die Beschwerdegegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Zur Begründung trägt sie ergänzend vor, auch eine Verlängerung der Vorfrist könne dem Bf. nicht zu einem Anspruch
auf Alhi verhelfen. Nach den Angaben des Bf. im Hauptsacheverfahren habe er nach Erschöpfung des Alg-Anspruchs
am 30. Dezember 1998 über ein anzurechnendes Vermögen i. H. v. 19.728,00 DM (27.728,00 DM abzüglich 8.000,00
DM Freibetrag) verfügt. Geteilt durch das wöchentliche Bemessungsentgelt, nach dem sich die Alhi ab 31. Dezember
1998 richte (890,00 DM), ergebe sich eine Zahl von 22 vollen Wochen, in denen keine Bedürftigkeit nach § 193 SGB
III i. V. m. § 9 Alhi-VO vorliege. Um diese 22 Wochen könne die Vorfrist verlängert werden, so dass sie dann den
Zeitraum vom 26. Januar 1999 bis 28. Juni 2000 umfasse. Auch innerhalb dieser verlängerten Vorfrist habe der Bf.
kein Alg bezogen.
Die Leistungsakte der Beklagten (Stamm-Nummer 436253) und die Gerichtsakten beider Verfahrenszüge haben
vorgelegen und waren Gegenstand der Beratung und Entscheidung.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§ 73a SGG i. V. m. § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO) ist zulässig, aber
unbegründet.
Das SG hat zu Recht den Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe (PKH) abgelehnt. Dem Bf. steht ein solcher
Anspruch nicht zu, weil seine Rechtsverfolgung nach dem sich aus den Verfahrensunterlagen ergebenden
Sachverhalt keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
Gemäß § 73a Abs. 1 SGG i. V. m. § 114 ZPO ist auf Antrag PKH zu gewähren, soweit der Antragsteller nach seinen
persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten
aufbringen kann, die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet
und nicht mutwillig ist.
Die Rechtsverfolgung bietet vorliegend keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Hinreichende Erfolgsaussicht für die Rechtsverfolgung liegt vor, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des
Antragsstellers aufgrund seiner Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen für zutreffend oder zumindest
vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht mindestens von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl.
BGH, NJW 1994, S. 1161). Es muss also aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage möglich sein,
dass der Antragsteller mit seinem Begehren durchdringen wird (vgl. Zöllner-Phillipi, ZPO, 22. Auflage, § 114 Rdnr. 19).
Nach summarischer Prüfung ist die Klage zwar zulässig aber unbegründet. Der Bf. hat keinen Anspruch auf Alhi gem.
§ 190 SGB III.
Er erfüllt die besondere Anspruchsvoraussetzung des § 191 Abs. 1 Nr. 1 SGB III nicht. Denn er hat innerhalb der
Vorfrist von einem Jahr (29. Juni 1999 - 28. Juni 2000) kein Alg bezogen.
Selbst bei einer Verlängerung der Vorfrist gem. § 192 Satz 2 Nr. 1 SGB III erfüllt der Bf. die besondere
Anspruchsvoraussetzung nicht.
Gem. § 192 Satz 2 Nr. 1 SGB III verlängert sich die Vorfrist um Zeiten, in denen der Arbeitslose innerhalb der letzten
drei Jahre vor dem Tag, an dem die sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosenhilfe erfüllt sind,
nur deshalb einen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe nicht hatte, weil er nicht bedürftig war, längstens jedoch um zwei
Jahre.
Nach dem Wortlaut von § 192 Satz 2 Nr. 1 SGB III ist es erforderlich, dass in der fraglichen Zeit der Anspruch auf
Alhi allein wegen der fehlenden Bedürftigkeit nicht bestand. Es ist umstritten, ob daneben alle sonstigen
Anspruchsvoraussetzungen gem. § 190 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3, 5 SGB III erfüllt sein müssen (Niesel, SGB III, § 192
Rdnr. 8) mit der Folge, dass bereits das Fehlen eines wirksamen Antrages, einer wirksamen Arbeitslosmeldung oder
das Fehlen irgendeiner Voraussetzung der Verfügbarkeit den Anspruch auf Alhi ausschließen würde. Nach dieser
Auffassung erfüllt der Bf. die Voraussetzungen des § 192 Satz 2 Nr. 1 SGB II bereits deshalb nicht, weil er im
Anschluss an das Alg keine Alhi beantragt hat und keine wirksame Arbeitslosmeldung vorlag. Aber auch die in der
Literatur vertretene Auffassung, das Kriterium der alleinigen Relevanz fehlender Bedürftigkeit für das Nichtbestehen
des Anspruchs nach Sinn und Zweck sei einschränkend dahingehend auszulegen, dass abgesehen von der fehlenden
Bedürftigkeit der Arbeitslose in den betreffenden Zeiten jederzeit in der Lage gewesen sein muss, die anderen
Anspruchsvoraussetzungen wie Antragstellung, Arbeitslosmeldung und Verfügbarkeit herzustellen, führt hier zu
keinem anderen Ergebnis. Denn eine Verlängerung der Vorfrist käme danach nur für 22 Wochen in Betracht. Die
Berücksichtigung von Vermögen führt immer dazu, dass für eine bestimmte Zeit gemäß der in § 9 Alhi-VO
vorgesehenen Rechenoperation der Anspruch auf Alhi in vollem Umfang entfällt. Die Vorfrist kann dann um die Anzahl
dieser Wochen verlängert werden. Der Bf. hat nach eigenem Vortrag am 01. Januar 1999 über Vermögen i. H. v.
27.728,61 DM verfügt. Nach Abzug des Freibetrages (8.000,00 DM) verbleibt dem Bf. ein zu berücksichtigendes
Vermögen i. H. v. 19.728,00 DM. Nach § 9 Alhi-VO wird der Betrag des zu berücksichtigenden Vermögens durch das
Arbeitsentgelt geteilt, nach dem sich die Alhi richtet. Dies ist das wöchentliche Bemessungsentgelt i. S. v. § 200
SGB III, hier 890,00 DM. Es ergibt sich somit eine Zahl von 22 vollen Wochen, für die die Bedürftigkeit entfällt. Bei
einer Verlängerung der Vorfrist um 22 Wochen ergibt sich eine Erweiterung der Frist für den Zeitraum vom 26. Januar
1999 bis 28. Juni 2000. Der Bf. hat auch innerhalb der verlängerten Vorfrist kein Alg bezogen. Eine weitere
Verlängerung der Vorfrist ist über § 192 Satz 2 Nr. 1 SGB III hinaus nicht möglich. Damit kommt auch die in der
Literatur vertretene Ansicht (vgl. Gagel, § 192 Rdnr. 27 f.), der sich der Bf. anschließt, im vorliegenden Fall zu keinem
anderen Ergebnis.
Nach alledem war die Beschwerde zurückzuweisen.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG). Er ergeht gerichtsgebührenfrei (§ 183 SGG).